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Das Porträt: Trainer Jens Hirschberger
von Frauke Delius
Quelle: Turf-Times vom 19.06.2014
Ganz einfach ist es nicht, diesem Mann auf den Fersen zu bleiben. Eben noch hat er ein Pferd bandagiert, schon steht Jens Hirschberger (45) wieder an der Führmaschine. Dort kommen die Pferde raus, die gleich in die Box geführt und für die Morgenarbeit gesattelt werden. Gleichzeitig werden die Pferde für das nächste Lot in die Führmaschine gebracht. Bei diesen Wechseln sind mehr Pferde als Mitarbeiter am Start und Hirschberger hat immer irgendwo ein Pferd am Zügel, die Bandagen unterm Arm und hilft nebenbei noch einem Reiter in den Sattel. "Ich bin da eher der Typ mitarbeitender Trainer", meint Hirschberger mit seinem trockenen Humor, und bleibt selbst in dem Moment noch ziemlich gelassen, als der Ziegenbock Herkules, der ansonsten einer Boxenläuferin Gesellschaft leistet, ausbüxt und die Pferde in der Boxengasse aufmischt. "Bring' den mal auf die Koppel", lautet die knappe Order und schon findet sich Herkules angebunden auf der Wiese zwischen den Ställen auf der Rennbahn in Mülheim wieder.
Als einer der ersten kommt Wild Chief aus der Führmaschine raus. Für den hat auch bei uns extra früh der Wecker geklingelt, denn er ist einer der ganz heißen Favoriten für das IDEE 145. Deutsche Derby am 06 Juli in Hamburg und ist gleich im ersten Lot dran. Aber vor dem Satteln hat der dreijährige Doyen-Sohn ein paar Minuten alleine für sich in der Box. "Der muss jetzt erstmal pinkeln", ruft der vorbeieilende Trainer im Laufschritt. Und das tut Wild Chief dann auch prompt. Jetzt ist der Viertplatzierte des Französischen Derbys ("Bei einem besseren Rennverlauf wäre wohl vielleicht noch mehr möglich gewesen", so Hirschberger) wirklich fit für die eigentliche Morgenarbeit. Sein Reiter an diesem Morgen ist der langjährige Futtermeister Marcel Weiß, der seit 16 Jahren im Diana-Stall von Karl-Dieter Ellerbracke und Peter-Michael Endres vom Gestüt Auenquelle arbeitet und schon deren größten Erfolg mit Gonbarda als zweimalige Gr. I-Siegerin hautnah miterlebt hat. Damals unter der Regie von Uwe Ostmann, als der mit 72 Jahren in den Ruhestand ging, wurde Jens Hirschberger am 01. Dezember 2012 sein Nachfolger.
Der wandert jetzt zusammen mit dem ersten Lot in Richtung Trabring. Die Uhr zeigt kurz nach sechs, seit fünf Uhr ist Hirschberger auf den Beinen. Weit zur Arbeit hat er es nicht, die Klingel zur einer Wohnung hängt direkt neben dem Eingang zum Stall. Für einen Mann wie Hirschberger ist das genau richtig so, denn bei 60 Pferden im Stall "bleibt ohnehin kaum Zeit für was anderes", heißt es, "höchstens mal um in die Sauna gehen", selbst das früher regelmäßige Squashspielen falle jetzt meistens aus. Ein Leben für die Pferde und ein Interview im Laufschritt, denn nun geht es zum Geläuf, wo die Pferde galoppieren. Rund 2000 Meter sind es für Wild Chief, der nach seinem Maidensieg in Köln zweimal in Frankreich gelaufen ist. Der Doyen-Sohn ist der Chef im achtköpfigen Lot. Ob er im Derby läuft, wird sich erst kurzfristig entscheiden: "Da geht es nicht darum, was ich möchte, sondern ob das Pferd den passenden Boden vorfindet", so Hirschberger, "wenn er nicht in Hamburger läuft, dann haben wir noch andere Optionen, er hat eine Nennung im Grand Prix de Paris und sogar in den King George VI and Queen Elizabeth Stakes."
Weder Hamburg noch Royal Ascot können Hirschberger schrecken. Denn er kann die "big points", das hat er für seinen früheren Arbeitgeber, das Gestüt Schlenderhan, bewiesen. Mit Adlerflug (2007) gleich im ersten Jahr und Wiener Walzer (2009) hat er für das älteste deutsche Privatgestüt zweimal das Deutsche Derby gewonnnen, mit Energizer (2012) für den ersten deutschen Gruppe-Sieg überhaupt auf der Paraderennbahn in England gesorgt. Doch die blau-rot-schwarze Erfolgsgeschichte endete für den Trainer abrupt, mit einer Kündigung nur wenige Monate nach dem Ascot-Triumph. Über die Angelegenheit herrscht Stillschweigen. Aus juristischen Gründen. "Das Angebot des Gestüts Schlenderhan war damals eine Riesenchance für mich und ich denke, dass ich sie genutzt habe", resümiert Jens Hirschberger, der zuvor als Futtermeister bei Andreas Löwe und als Assistent für Heinz Jentzsch (in dessen Mülheimer Zeit) und vor dem Schlenderhan-Engagement für Andreas Schütz ("da war ich sieben Jahre") gearbeitet hatte, "und ich bin dankbar, dass ich fast direkt im Anschluss daran, hier im Diana-Stall eine tolle, neue Aufgabe gefunden habe." Dort hat Hirschberger einen perfekten Start hingelegt: Schon der erste Starter Anfang 2013 für den neuen Arbeitgeber, der Wallach Daring Storm, war ein Sieger. Mit Global Thrill gelang sogar ein Gruppesieg in Auenqueller Farben, mit Vif Monsieur war noch ein zweiter Gruppesieger im Stall.
Erneut arbeitet Jens Hirschberger in einem Angestelltenverhältnis. "Als selbstständiger Trainer ist das heutzutage unglaublich schwer, der Kostendruck ist immens und jedes Pferd im Stall ist wichtig", betont Hirschberger, "aber ich bin nicht der Typ, der Besitzer hinhält, weil er ein Pferd nicht verlieren möchte. Wenn ich der Meinung bin, dass ein Pferd nichts kann, dann rufe ich den Besitzer auch schon mal nach drei Wochen an und sage ihm direkt, 'hol ihn besser ab'!" Die Besitzer scheinen so ehrliche Ansagen zu honorieren, nur etwa die Hälfte der 60 Pferde kommen direkt aus Auenquelle, die anderen verteilen sich auf 20 Besitzer, zu denen auch große Gestüte wie Ittlingen, Karlshof, Sommerberg und Park Wiedingen gehören. "Das ist wichtig, denn so kriegen wir immer hoffnungsvolle Nachwuchspferde in den Stall", heißt es, und der Blick auf die Boxenschilder bestätigt diese Ansage: Jahrgang 2012 steht an jeder zweiten Tür.
In dieser Saison stehen zwar bisher erst acht Siege auf dem Konto, darunter immerhin auch der Listensieg mit Gestüt Karlshofs Baiadera, "doch ich bin kein Freund davon, die Zweijährigen allzu früh laufen zu lassen", so Hirschberger, "aber die kommen schon noch". Und außerdem ist da natürlich noch Wild Chief, der hinter Sea The Moon und Lucky Lion, die beide schon zwei Grupperennen gewinnen konnten, im Derby-Wettmarkt auf Position drei geführt wird. Der Hoffnungsträger, gezogen von Walter Häcker, läuft in den Farben des Stalles Fürstenhof und hat sich im Prix du Jockey Club, Gr. I, in Longchamp schon international bewährt. Die zweite Derby-Chance ist Amazonit in den Farben des Gestüts Karlshof, der erste und einzige Sohn des Jahrgangs 2011 von Kamsin, der das Derby 2008 gewinnen konnte. Ein weiterer Derby-Kandidat hingegen ist aus dem Rennen: Der gruppeplatziert gelaufene Andoyas wurde vom Gestüt Auenquelle nach Hong Kong verkauft und verlässt Anfang nächster Woche den Stall. "Das war eines dieser Angebote, die man als Besitzer nicht ausschlagen kann", so ein realistischer Hirschberger, "schließlich muss so ein Stall auch finanziert werden und in Deutschland kann ein Pferd nur ein Bruchteil dessen verdienen, was man bei einem Verkauf nach Asien bekommt."
Auf dem Rückweg von der Rennbahn zum Stall geht es durch hohes Gras. Selbst die Rasenmäher scheinen in Mülheim still zu stehen. Ganz nebenbei zeigt der Trainer auf ein paar alte Matten, die neben sonstigem Unrat an einem Zaun liegen. "Die sind da seit 1994, als ich das erste Mal hier war", meint er lakonisch, "die sind mal zugeschneit, mal zugewachsen und werden wieder frei geschnitten, nur Wegräumen tut sie keiner." Die Tribünen, der Richterturm, die Sattelboxen, der Führring, bei dem die Hecken nur halb geschnitten sind ("Die haben das erst am Renntag mit angefangen, sind nicht fertig geworden und seitdem sieht es so aus", heißt es dazu achselzuckend.) Die Worte morbider Charme sind für dieses traurige Ensemble noch ziemlich schmeichelhaft. Der Rennverein habe kein Geld und existiere eigentlich nur noch von der Boxenmiete, die zu großen Teilen der Diana-Stall zahlt, "aber" so die Aussage, "auch hier kann man gute Pferde trainieren und Erfolge sammeln, das haben William (Stallnachbar Mongil, Anmerkung die Redaktion) und ich bewiesen." Immerhin habe man genug Platz, viel Grün und könne ziemlich frei trainieren und die Trainingsbahn sei ganz o.K. "Wenn ich die Pferde von den anderen Trainern auf der Bahn sehe, dann lasse ich mein Lot einfach ein Runde mehr im Trabring drehen." Trainer-Kollegin Julia Römich schließt sich sogar mit ihrem Balu, der im Diana-Stall kein Unbekannter ist, dem nächsten Hirschberger- Lot direkt an. "Der Jens ist da völlig unkompliziert", meint sie lachend, "der trainiert uns gleich mit."
Auf die Frage, wie viel Kilometer er denn selbst am Tag macht, kommt die Antwort ziemlich schnell: "Acht mindestens!" Denn Lot für Lot wiederholt sich das Geschehen, mindestens fünfmal am Tag. Manchmal auch öfter, wenn Mitarbeiter fehlen, mehr Pferde im Stall sind. "Wir hatten schon Zeiten, da haben wir in der ersten Schicht von 4 Uhr morgens bis 2 Uhr gearbeitet und nachmittags geht es in die zweite Runde", erzählt Hirschberger, "das Stammpersonal zieht da voll mit. Aber es ist sehr schwierig gute neue Leute zu kriegen. Es ist schwierig überhaupt Mitarbeiter für so einem Beruf zu kriegen, in dem man die Stunden und den Stundenlohn nicht zählen darf und keinen regelten Feierabend hat. Das ist bei den Kollegen nicht anders." Nur er hätte sich nicht anderes vorstellen können. "Mit dem früh Aufstehen habe ich keine Probleme, das kann ich auch ohne Wecker", heißt es, "Ausschlafen kann ich bei den Meetings, was für andere Stress ist, ist für mich Erholung."
Das Interview | |
Geboren: | 16.03.1969 in Leipzig |
Trainer seit: | 1998 für sechs Monate in Hannover, ab 2007 für das Gestüt Schlenderhan, seit dem 01.12.2012 im Stall Diana in Mülheim |
Werdegang/Ausbildung: | Erste Ritte als Amateur mit 14 Jahren, Lehre in Hoppegarten, Jockey in der ehemaligen DDR, später wegen der Größe und des Gewichts nur noch als Hindernisjockey aktiv, knapp 100 Siege, danach Reisefuttermeister bei Uwe Ostmann, Futtermeister bei Andreas Löwe, Trainer für den Stall Silbersee in Hannover, Assistent beim Heinz Jentzsch in Mülheim und bei Andreas Schütz in Köln |
Wie viele Pferde sind im Training? | Ca. 60 |
Mitarbeiter: | 14 und viele Helfer |
Jockey: | Jockeys am Stall sind Stephen Hellyn, Michael Cadeddu, Toon van den Troost und Pascal Werning. |
Wie sind Sie zum Rennsport gekommen oder muss man das bei dem Sohn eines Trainer (Peter Hirschberger) gar nicht fragen?" | "Nicht alle Söhne von Trainern landen auch im Sport. Aber ich konnte mir nie was anderes vorstellen. Hätte ich damals wegen des Gewichts keine Lehrstelle bekommen, wäre ich in den Trabrennsport gegangen." |
Größte Erfolge als Trainer: | "Natürlich werde ich die beiden Derby-Siege mit Adlerflug und Wiener Walzer nie vergessen, aber auch die Erfolge mit Getaway, der zuvor bei Peter Schiergen und bei Andre Fabre war und anschließend für mich noch zwei Gr. I-Rennen gewonnen hat, waren etwas Besonderes." |
Was machen Sie anders als andere? | "Ich glaube jeder Trainer hat seine eigene Handschrift. Ich habe das Glück gehabt, bei vielen guten Trainern über die Schulter schauen zu können. Das Gute habe ich übernommen, Sachen, die mir nicht so gut gefallen haben, versuche ich anders zu machen." |
Welches Rennen würden sie gern mal gewinnen? | "Da gibt es kein bestimmtes Rennen. Manche Trainer meinen, das müsste der Arc seien. Ich möchte jedes Rennen gewinnen, am liebsten natürlich die großen." |
Wer war/ist für Sie als Vorbild wichtig? | "Siehe oben, ich habe von allen etwas gelernt." |
Worin liegt für Sie der Reiz am Galopprennsport: | "Man kann das Ergebnis seiner Trainingsarbeit auf der Rennbahn ganz unmittelbar erleben. Eines gehört zum anderen." |
Haben Sie ein Lieblingspferd? Welches und warum? | Mit den Pferden ist es wie mit den Menschen, es gibt einfache und komplizierte Typen, ich mag gerne die, die einen etwas mehr herausfordern. Mein persönliches Highlight war da schon Getaway, um den musste man sich speziell kümmern." |
Welche ist Ihre Lieblingsbahn und warum? | Am liebsten gehe ich in Frankreich auf die Rennbahn. Da geht man mit sauberen Schuhen hin und kommt mit sauberen Schuhen wieder. In Deutschland ist das leider meistens anders. |
Was gefällt Ihnen gut am deutschen Rennsport? | Gute Frage, nächste Frage .... |
Was wünschen Sie sich besser im deutschen Galopprennsport? | "Die große Politik ist nicht meine Sache. Ich möchte nur aus Trainersicht sprechen. Da ist das, was wir auf den meisten Rennbahnen vorfinden, eine ziemliche Katastrophe, vorne wird renoviert, aber an die Hauptfiguren des Rennsports, die Pferde und die Aktiven, wird meist nicht gedacht. Wenn man auf manchen Bahnen die Gastboxen sieht, möchte man mit den Pferden am liebsten sofort wieder nach Hause fahren. Die Rennbahnprüfungskommission sollte sich bei den Rennbahnbegehungen nicht nur die frisch gestrichene Vorführbox anschauen, sondern auch mal die Boxen ein paar Meter weiter." |
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