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Aintree 2014 - Ingwer Bier und kostenlose Flip-Flops

Autor: 

Catrin Nack

TurfTimes: 

Ausgabe 311 vom Donnerstag, 10.04.2014

Grand National-Sieger Pineau de Re.  Foto John James ClarkGrand National-Sieger Pineau de Re. Foto John James ClarkSchon Asterix und Obelix wussten, dass die Briten ein seltsames Völkchen sind. Aus geheimnisvollen Blättern brauten sie ein Getränk, das sie Tee nannten, und unterbrachen sogar die Kämpfe für die „Tea-Time“. Heute brauen sie aus Ingwer etwas, das sie Bier nennen – mit Himbeer- und Erdbeergeschmack sowie mit und ohne Alkohol erhältlich, und wohl eine der wenigen Kreationen, die sogar die hartgesottenen Stallangestellten nicht einmal geschenkt nehmen wollen. Und sie sponsern unter der Marke „Crabbies“ das wohlmöglich bekannteste Pferderennen der Welt.

 

Die Sorge, es würde in Aintree kein vernünftigen Ale geben, erwies sich zum Glück als unbegründet, und wenn auch Crabbies nun wirklich nicht jeden Geschmack traf, so war das Grand National Meeting 2014 erneut ein voller Erfolg. Ein Sell-Out, selbstredend, und dank erweiterter Kapazitäten der Steeplechase-Enclosure (die im Übrigen weder Zugang zum Führring noch zur Ziellinie hat) mit neuen Rekordzahlen aufwartend, zeigte sich Aintree erneut von seiner besten Seite, und: es regnete tatsächlich nur einige Minuten während des Hauptrennens selber. Erneut bot das Meeting hochkarätigen Sport mit insgesamt 17 Graded Races (das Grand National selber ist zwar ein Handicap, aber auch ein Grade 3-Rennen), und wenn auch die Klasse der Rennen nicht ganz an das Line-Up von Cheltenham heranreicht, so ist die Stimmung auf der Bahn wirklich unvergleichlich. Lady's Day am Freitag muss man erlebt haben, um es zu begreifen, es scheint der Tag zu sein, an dem das ganze weibliche Liverpool seine Kleider ausführt. Vom Pressebüro mit wirklich haarsträubenden Zitaten versorgt (Amy, 21: „Wir sind seit 6 Uhr auf, hatten Champagner-Frühstück um 8. Gestern hatte ich meinen Spray-Tan, und mein Kleid kommt vom Topshop. Ich liebe es, mich glamourös anzuziehen, und den Glamour. Ich habe keine Ahnung, wie man wettet, aber mein Stiefvater sagt, dieser Tony McCoy ist ganz ok als Jockey“), kann man die Parade der Damen wirklich nur mit offenem Mund bestaunen. Erneut wurden am Ende des Tages Flip-Flop-Latschen für geschundene Damen-Füße umsonst (!) verteilt.

Whisper in Aintree. Foto John James ClarkWhisper in Aintree. Foto John James ClarkDas kann nur die Parade der Pferde toppen. Mit Holywell und Whisper schafften gleich zwei Pferde das bemerkenswerte Kunststück, nach einem Handicap in Cheltenham hier ein Grade 1-Rennen zu gewinnen, auch wenn Barry Geraghty auf Whisper sicherlich von recht schwachen Ritten seiner Gegner, allen voran auf Zarkandar und At Fishers Cross, profitierten; At Fishers Cross verlor allerdings zudem ein Eisen. Boston Bob hätte im Führring selbst dem abgebrühten Paddock-Watcher keinen Cent aus der Tasche gelockt, als einziger Grade1-Sieger im Feld hatte er allerdings mit einem eher schwachen Feld in der Melling Chase keinerlei Probleme;  dieses Rennen gewann im letzten Jahr ein gewisser Sprinter Sacre. Am Lady's Day gewann die einzige Stute im Feld, Ma Filleule, die Topham Chase über die Grand National-Hindernisse in ganz beeindruckender Manier, „wir wollten im Hinblick auf das nächste Jahr sehen, wie sie mit dieser Art von Hindernissen klar kommt“, stellte Trainer Nicky Henderson direkt die weitere Route der mächtigen Schimmel-Stute klar. Sehr beeindruckend und sicher ein Hoffnungsträger für die nächste Saison ist Beat That; der Milan-Sohn aus einer Presenting-Mutter gewann die Grade 1 Sefton Novices Hurdle und hat „Chaser“ über den ganzen Körper geschrieben; so wird es auch ab Herbst weitergehen. Lac Fontana gewann nach der Grade 3 County Hurdle in Cheltenham nun in Aintree sein ersten Grade 1 Rennen und ist ein weiterer Star für seinen Vater Shirocco.

lac Fontana in Aintree. Foto John James Clarklac Fontana in Aintree. Foto John James Clark

Und dann war da natürlich das Grand National selber; ein Monstre-Rennen, das natürlich auch in England nicht nur Fürsprecher hat, aber auch das Rennen, das die Öffentlichkeit beachtet,  deren Sieger sie kennt, wenn es auch nicht wie der Melbourne Cup die Nation anhält, so ist es doch das Rennen, das diesem Zustand am nächsten kommt.  Vor allem der Tod von Gold Cup Sieger Synchronised vor zwei Jahren hatte erneut Rufe nach der Sicherheit für Ross und Reiter laut werden lassen, die Bahn erfuhr einige gravierende Modifizierungen. Offiziell wurde nach 2013 keine weitere Änderung an den Hindernissen vorgenommen, Rennbahn-Historiker John Pinfold, Verfasser mehrerer Bücher über die Bahn und das Grand National selber, konnte sich jedoch des Eindruckes nicht erwehren, dass Becher's Brook noch ein wenig entschärft wurde. Tatsächlich hat sich dieses berühmt-berüchtigte Hindernis fast bis zur Unkenntlichkeit gewandelt und muss nun zu den leichtesten des gesamten Kurses zählen, verbuchte auch nur wenige Stürze. „Problematisch“ im Sinne von Spektakel ist sicher die mit 40 Pferden sehr hohe Starterzahl, wodurch ein schwieriger Rennverlauf natürlich vorprogrammiert ist und sich auch Stürze durch übereinander fallende Pferde nicht vermeiden lassen. Nach 2013 starb aber auch in 2014 erneut kein Pferd im Grand National – tatsächlich gab es trotz zum Teil dramatischer Stürze keinen einzigen Todesfall – und man sollte sich hüten, die vielgerühmte Tierliebe der Briten mit übergroßer Sentimentalität gleichzusetzen. Natürlich verabscheut ein jeder die Bilder verunglückter Pferde (oder gar Reiter), aber das Risiko ist unbestreitbar Teil der Faszination des Sports, die in England ungebrochen ist und weiter zunimmt. Rennpferde, so sehr wir ihre Leistungen bewundern, sind „Livestock“ (im deutschen ganz unpoetisch mit „Viehbestand“ zu übersetzten), wie auch Henrietta Knight nach dem Tod ihres dreifachen Gold-Cup-Siegers Best Mate recht nüchtern feststellte: „If you have Livestock, you have dead stock“, und ähnliche Töne traf auch Ruby Walsh nach dem Unfall von Our Conor in Cheltenham: "Natürlich ist das tragisch, aber er war ein Pferd und ist als solches ersetzbar. Er war nicht ein Bruder, Ehemann, oder Vater, der nicht nach Hause kommt.“ Dies rief zwar einige kritische Stimmen in den Social Media hervor,  diese wurden aber schnell zum Verstummen gebracht. Die Engländer lassen sich die Leidenschaft für ihren Sport nicht zerreden und wissen, dass sich um die Rennpferde Zeit ihres Lebens hervorragend gekümmert wird, selbstredend weitaus besser als um anderen „Livestock“, der von vornherein nur für die Nahrungskette des Menschen geboren wurde.

Pineau de Re mit Pflegerin Carolyn White. Foto John James ClarkPineau de Re mit Pflegerin Carolyn White. Foto John James ClarkSolche Überlegungen kümmern natürlich vor allem die vierzig Teams der Grand National Starter wenig; und die jüngste Ausgabe des Rennens, mit all seinen Unwägbarkeiten, erfüllte voll und ganz die Träume des kleinen Mannes. Trainer Dr. Richard Newland ist hierzulande sicher nur Insidern bekannt, er hat aber bereits 2007 mit Overstrand seinen ersten Cheltenham Festival Sieger gestellt, und mit Pferden wie Burntoakboy oder Night Alliance vor allem unter Beweis gestellt, wie gut er ehemals lustlose Pferde wieder „frisch“ bekommt. Er hat nie mehr als 12 Pferde in seiner Obhut und plant, dies so zu belassen. "Es mag überheblich klingen, aber ich muss nicht davon leben, und es soll weiterhin Spaß machen", so der praktizierende Arzt mit fünf „National Health Einrichtungen“, der vor Kurzem allerdings das Operieren aufgab. Pineau de Re, ein französisch gezogener 11jähriger Wallach, kam erst 2013 in den Besitz von John Provan und damit in Newlands' Training. Beide kommen aus dem selben Dorf und besuchen seit 20 Jahren gemeinsam das Grand National Meeting, nur wurde der Traum vom gemeinsamen Starter gleich beim ersten Mal mit einem vollen Triumph belohnt. Pineau de Re, zwar mit 25-1 zu den Außenseitern gehörig, hatte durchaus solide Form und gewann 2013 das Ulster National mit sage und schreibe 23 Längen, hatte aktuell eine Veteranen-Chase gewonnen und war in Cheltenham als Dritter in einem Hürden-Rennen (in dem seinerzeit auch 2010 Grand National-Sieger Don´t Push It seine Vorbereitung auf das Rennen absolvierte). Vorher im Besitz von Barry Connell, der eben in Cheltenham Our Conor verlor, und im Training bei Philip Fenton, der in Irland nach wie vor unter Doping-Verdacht steht, entschied sich sein altes Team zum Verkauf, da man Pineau de Re als zu hoch im Handicap vermutete. Hier nun krönte der Wallach seine Laufbahn,  unter Jockey Leighton Aspell hatte das Paar nur einen schwierigen Moment, kam im Vordertreffen in die Gerade und spielte hier sein ganzes Stehvermögen überlegen aus. Aspell hatte wie der 2013 Sieg-Jockey Ryan Mania seine Stiefel zwischenzeitlich an den berühmten Nagel gehängt, doch dann wurde die Sehnsucht nach dem Jockey-Leben zu groß. Nachdem Jockey Sam Twiston-Davies, ein regelmäßiger Reiter für Newland, den Ritt hatte absagen müssen (sein Partner Tidal Bay stolperte am Canal-Turn über ein vor ihm gefallenes Pferd), bekam Aspell den Sieger-Ritt aufgrund einer SMS, mit der er sich als Jockey bewarb, detailliert darlegte, warum er eine gute Wahl wäre und anbot, wann immer nötig zum Schulen des Pferdes zu kommen.

Der alte Haudegen und Cheltenham Cross-Country Veteran Balthazar King (Philip Hobbs, Richard Johnston)  belegte Platz zwei, vor dem späten Favoriten des Rennen, Double Seven (Martin Brassil, A.P. McCoy für Besitzer J P McManus). Bemerkenswert auf Platz vier die Leistung des Außenseiters Alverado in den Farben der Familie Rucker, die nun nach State of Play und  Cappa Blue zum sechsten Mal in Folge ein in Grand National platziertes Pferd hatten, immer von Paul Moloney geritten.

18 Pferde kamen nach den 7141m und dreißig zu überwindenden Hindernissen weitestgehend ohne Blessuren ins Ziel, jedoch darf die Verletzung von Walkon, dessen Karriere vermutlich beendet ist, nicht unerwähnt bleiben. Das überhaupt erst zweite deutsch gezogene Pferde in einem Grand National, Kruzhlinin (Sholokhov) aus der Zucht des Gestüts Küssaburg, wurdeZehnter, wofür es sogar noch einen Geldpreis von 1.000 Pfund gab.

Trotz der hierzulande herrschenden Bedenken ist Aintrees Grand National Meeting eine Veranstaltung, die sich der ernsthafte National Hunt Fan nicht entgehen lassen sollte. Die Atmosphäre ist ausgelassen, der Blick der Rennbahn für das Detail legendär. Alleine die Parade der ehemaligen Sieger – die „Parade of Champions“- ist so gut wie jede Reise wert, und wer einmal die warme Zuneigung der Fans für die alten Haudegen gesehen hat, weiß, warum dieses Rennen bleiben wird. Dreizehn ehemalige Sieger hatten sich eingefunden, vom 26jährigen 1997er Sieger Lord Gyllene bis zum 2012er Sieger Neptune Collonges, alle mit eigenen Decken ausgestattet und in Top-Kondition. Aintree lässt sich hier nicht lumpen; so muss ein Event mit diesem Stellenwert gewürdigt werden.

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