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York 2022 - Baaeeds-Sieg und eine Dettori-Gala

Frankie-Day: Der "flying dismount" nach dem Sieg mit Kinross. www.galoppfoto.de - JJ Clark

Autor: 

Catrin Nack

TurfTimes: 

Ausgabe 733 vom Freitag, 26.08.2022

Der Regen kam vor dem ersten Meetingtag, und mit ihm kühlere Temperaturen. York konnte durchatmen. Wie Deutschland ächzte auch England unter einer ausgedehnten Hitzewelle, in einigen Landstrichen wurde die Dürre als Notstand ausgerufen. Der gelbe Boden - das Wort „Gras“ mag man kaum in den Mund nehmen - auf den Innen-(zumeist Hindernis-) bahnen, ungewässert, ist ein optischer Notstandmelder.

Auch Englands Rennsport stöhnt. Deutscher Galopp mag mit weitreichenden Problemen kämpfen - und neidvoll auf die Insel schauen- aber es wäre naiv zu glauben, dass hier alles (um in der Landschafts-Anthologie zu bleiben) rosig ist. Trockener Boden heißt eingeschränkte Trainingsbedingungen (Newmarket wässert nicht und hat Teile seiner berühmten Galopps geschlossen), heißt weniger Starter, heißt kleine Felder. Preisgelder haben den internationalen Anschluß schon lange verloren, gute Pferde werden aus dem Land verkauft. Auch die Zuschauerzahlen sinken; Eintrittsgelder sind wichtige Einnahmequellen für englische Rennbahnen, denen große Teile der Umsätze durch die Buchmacher verloren gehen und somit nicht zurück in den Rennsport fließen. Außerhalb der prestigereichen Meetings sind die Zuschauerzahlen zuletzt deutlich gesunken.

York stemmt sich gegen den Trend. Die Rennbahn, die sich selbst verwaltet und keinem der großen Betreiber gehört, hat schon immer mit üppigen Preisgeldern gelockt. 2019 war kein Rennen weniger als 70.000 Pfund wert, ein Umstand, den man 2022 noch verbessert hat. Beim Ebor Meeting 2022 war kein Rennen weniger als 80.000 Pfund wert. Die Juddmonte International (Gr1, 2000m) haben ein Preisgeld von coolen einer Million Pfund; eine Summe, die man auch für das Ebor Handicap (!) anstrebt; und erreicht hätte, hätte Covid nicht die Finanzen nachdrücklich durcheinander gebracht. Immerhin 500.000 Pfund an gesamten Preisgeld standen über der diesjährigen Austragung; für einen Ausgleich. Es ist an dieser Stelle erneut angebracht zu betonen, dass das Ebor Meeting eben nach diesem Ausgleich benannt ist; nordenglisches Understatement, sozusagen. Ein Meeting, das die Racing Post als das „wohlmöglich zweitbeste des Landes“ (nach Royal Ascot, versteht sich) bezeichnet hat.

Und so kann York rufen, und (fast) alle kamen. Allen voran das beste Rennpferd der Welt; es wird Gegenstimmen geben, aber Ratings lügen bekannt nicht. Oder zumindest selten. Der Sea The Stars-Sohn Baaeed, in neun (nun 10) Starts, die letzten fünf (nun sechs) in Gr.1 Gesellschaft, gibt sich die Ehre.

Tag Eins stand somit ganz im Zeichen des Star-Vierbeiners. In der Reihe der Großen und Größten, die Scheich Hamdans Shadwell Stud in den letzten rund 40 Jahren gezüchtet hat (Nashwan, Salsabil, Erhaab, Taghrooda und Nayef sind nur einige wenige Namen) mag Baaeed im ersten Jahr nach dem Tod Scheich Hamdans eine besondere Rolle zukommen. Die Racing Post ist vorsichtig, erinnert daran, dass Baaeed gleichsam auf dem zweiten Bildungsweg ins Rampenlicht galoppierte, kein Champion-Zweijähriger war. Auch möchte man, bewußt oder unbewußt, den Status eines Frankel nicht untergraben.

Und doch: ungeschlagenen Pferden, wie nun auch Baaeed nach perfekten 10 Siegen bei ebenso vielen Starts eines ist, haftet eine besondere Magie an. Optisch macht der Sea The Stars-Sohn nicht eben viel her; eher klein und beinahe unscheinbar, mit langen Fesseln und ohne eine große Besonderheit, die das Auge das Betrachters unmittelbar für ihn einnimmt. Schönheit liegt im Auge des Betrachters, und vor allem: Handsome is as handsome does - und hier leuchten wenige Pferde so hell wie Baaeed. 10 Jahre nach Frankel und 13 Jahre nach seinem Vater brachte Baaeed die Rennbahn zum Strahlen, mit einem Sieg so voller Klasse, Überlegenheit und Können, wie es selbst dieses Rennen -mit seiner übervollen Siegerliste an besonderen Rennpferden- selten gesehen hat.

Der Veränderungsprozeß des Shadwell Studs, der nach dem Tod Scheich Hamdans begonnen hat, die Abverkäufe, Auflösung alter Trainerstrukturen, Ablösungen ganzer Rennställe, hat deutlich gezeigt, wie sehr Shadwell mit der Person Hamdans verbunden war. Seine Tochter Sheika Hissa, die nun die Geschicke des Gestüts lenkt, spricht mit glühenden Worten von der Bedeutung, die Baaeed für die gesamte Organisation Shadwell hat. „Wie hätte mein Vater es geliebt, ihn zu sehen“ sagte sie sinngemäß, und „wir können nicht warten, ihn als Deckhengst zu Hause aufzustellen“. Noch ein Rennen soll er bestreiten, dem Vernehmen nach die Champion Stakes in Ascot Mitte Oktober; inzwischen steht auch der Prix de L´Arc de Triomphe zumindest zur Diskussion. Das Timing des Baaeed, nach dem Tod seines Züchters, der eine der Kumulierungen seines reichen Züchterlebens nicht mehr erleben kann, aber zu einem Zeitpunkt, zu dem das Gestüt so dringend einen Fackelträger braucht, hätte somit wohlmöglich nicht besser sein können. Die Zukunft des Gestüts ruht auch auf seinen Schultern. Schon jetzt hat er so viel für dessen Fortbestand getan.

Es ist nur richtig, dass am zweiten Meetingtag, Ladys Day, auch die vierbeinigen Ladys in den Yorkshire Oaks (Gr.1, 2400m) im Mittelpunkt stehen. Der Sieg von Kirstten Rausings Alpinista konnte in der letzten Ausgabe der Turf-Times noch angesprochen werden; die Frankel-Tochter gilt nach ihrem tollen Triple an Gruppe1-Siegen hierzulande ja beinahe als einheimisch. Darauf angesprochen, blieb Rausings Zustimmung aus: „Na, das weiss ich aber nicht“ erwiderte sie auf den frohen Zuruf, dass Alpinistas Erfolg gegen eine tapfere Tuesday auch ein positives Zeichen für den deutschen Rennsport sei. „Wir haben uns nach unseren drei Siegen in Deutschland im letzten Jahr auf die Schulter geklopft. Als dann Torquator Tasso den Arc gewann, mussten wir denken, dass wir vielleicht doch nicht so clever waren", bekannte Trainer Sir Mark Prescott.

Der Superstar des dritten Tages blieb hingegen zu Hause, ein echter Verlust für Fans und die Rennbahn. „Strad day“ sollte es werden; der Kult-Steher Stradivarius, wie Baaeed ein Sohn des großen Sea The Stars, sollte im Lonsdale Cup (Gr.2, 3270m) seiner wunderbaren Karriere ein weiteres Highlight hinzufügen. Dreimaliger Sieger der Prüfung ist er schon – Rekord. Rennbahnbesucher wurden aufgefordert, sich entweder seinen Rennfarben gemäß schwarz-gelb, oder dem Pferd gemäß hellbraun mit weissen Socken, zu kleiden. Kurzfristig zum Nichtstarter erklärt, verlor das Rennen auf dem Papier völlig seinen Reiz, als zudem Trueshan, unter seiner ständigen Reiterin Hollie Doyle einer der Aufsteiger des Jahres, wegen des trockenen Bodens ebenfalls zurückgezogen wurde; tatsächlich hatte sich das Pferd bereits im Vor-Führring befunden. Dass das Rennen trotzdem ein echter Hingucker wurde, lag danach am wahren Husarenritt des Tom Marquand, der seinen Partner Quickthorn (Nathaniel) konsequent an die Spitze des Feldes beorderte, hier in strammer Fahrt beeindruckende Zwischenzeiten lief, um dann im Einlauf seine Gegner vollends zu verlieren. „14 Längen“ lautete der offizielle Richterspruch für den von Hughie Morrison trainierten Steher; es wäre ganz sicher kein Spaziergang für Stradivarius geworden.

Der letzte Meetingtag des 2022 Ebor Festivals stand dagegen ganz im Zeichen eines Zweibeiners. Eines legendären Jockeys, dessen Alter bereits mit einer „5“ beginnt, und der zuletzt durchaus für Schlagzeilen außerhalb des Rennsattels gut war. Die Rede ist natürlich von Lanfranco „Frankie“ Dettori. Sechs Ritte nahm er an diesem Samstag wahr, damit doppelt so viele wie an den drei Tagen zuvor. Zwei Siege, mit Kinross (Trainer Ralph Beckett) in einem Gruppe2-Rennen und vor allem mit Trawlerman (Trainer: John&Thady Gosden – Besitzer: Godolphin) im Ebor Handicap standen am Ende auf der Haben-Seite.

Tatsächlich ist die Renaissance seiner Beziehung zu Godolphin, in der englischen Fachpresse weitestgehend unkommentiert, eine verblüffende Komponente der so schillernden Karriere des Frankie Dettori.  Einer Karriere, die im Guten wie im „Bösen“ natürlich genau mit diesen Farben verbunden war, und – nach Samstag – auch immer noch ist. Man füge seine temporäre Trennung von Team Gosden und einen wenig geprüften Sohn des eben erst vom Darley Stud (und somit Godolphin) verbannten Deckhengst Golden Horn hinzu, und nehme vor allem eine gehörige Prise Dettori-Magie. „Wenn unser Mann in der richtigen Stimmung ist, ist er absolute Spitzen-Klasse. Wenn nicht, ist er eine Plage“ bekannte Trainer John Gosden. Es war in der Tat eine Augenweide, wie Dettori Trawlerman, aus einer schlechten Starbox kommend, weit an der Außenseite alleine seine Spur finden ließ, im Bogen langsam zu Feld aufschloß, um dann am Ende der knapp 2800m in einem genialen Finish mit kurzem Kopf „einzunicken“. Es nimmt selbstredend den Spaß an Ausgleichen, der Definition nach Rennen für „Jedermann“, wenn bei hohen Preisgeldern die großen Ställe dem „kleinen Mann“ die Siege streitig machen. Doch Dettori ist der Mann der Massen, und kein Jubel hallte lauter über den Knavesmire als nach der Bekanntgabe: „Winner Nr. 19“. Selbstverständlich gab Dettori der Menge, was sie wollte, namentlich seinen „flying dismount“, sonst nur den Gruppe-Rennen vorbehalten.

Wie immer bot York, was der Rennsport eben bieten soll: Spitzen-Pferde, Spitzen-Rennen, ein exzellentes Rahmenprogramm in würdigem Rahmen. Jeder Rennsportfan hierzulande ist gut beraten, die historische Stadt im Norden Englands – vor allem aber deren Rennbahn – in seinen Reiseplan aufzunehmen.

Catrin Nack

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