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Aintree 2012: Triumph und Tragödie

Das siegreiche Grand National-Team (v.l.) - Trainer Paul Nichols, Besitzer John Hales, Jockey Daryl Jacob. Foto: John James Clark

Autor: 

Daniel Delius

TurfTimes: 

Ausgabe 211 vom Donnerstag, 19.04.2012

Die Höhen und Tiefen des Hindernissports lagen erneut nahe beieinander, und wieder sah sich das Grand National einem Sturm der Entrüstung ausgesetzt, nachdem das Rennen am vergangenen Samstag nach einem Zweikampf zweier unendlich harter Pferde sein engstes Finish in der Geschichte sah (der Sieger Neptune Collonges gewann mit einer Nase), gleichzeitig aber zwei Pferde, unter ihnen tragischer weise der Cheltenham Gold Cup Sieger Synchronised, ihr Leben ließen.

Die Rennbahn in Aintree: 70.000 Besucher waren allein beim Grand National dabei. Foto: John James ClarkDie Rennbahn in Aintree: 70.000 Besucher waren allein beim Grand National dabei. Foto: John James ClarkDabei hatte sich Aintree alle Mühe gegeben:  Nachdem auch im letzen Jahr zwei Pferde im Grand National aufgegeben werden mussten und es bei zu warmen Wetter nach dem Zieleinlauf zu unschönen Szenen gekommen war, hatte die BHA (British Horseracing Authority) zusammen mit der Rennbahn Aintree diverse Änderungen vorgenommen, Hindernisse teilweise entschärft, einen überdachten Absattel- und Abwaschbereich geschaffen und sogar eine Art Turbinen angeschafft, die die überhitzten Teilnehmer würden abkühlen können. Schon vor einigen Jahren waren die Hindernisse auch dahingehend modifiziert worden, dass das Feld, und natürlich reiterlose Pferde, die Sprünge seitlich passieren können. Wochen vor dem Meeting schwor die Fachpresse sein Publikum auf die Unwägbarkeiten des Rennens ein; und doch sah man sich nach dem Rennen erneut mit den Scherben der Arbeit konfrontiert.

Lady's Day in Aintree und die Frage "But where will the horses run? ...?" Foto: John James ClarkLady's Day in Aintree und die Frage "But where will the horses run? ...?" Foto: John James Clark

Das Meeting hatte so gut angefangen. Big Buck's, diese Zuverlässigkeit auf vier Beinen, stellte gleich im ersten Rennen des 2012 Grand National Meetings mit seinem 17. Sieg in Folge einen Weltrekord für Hindernis-Pferde auf (Turf-Times berichtete in der letzten Ausgabe), der kleine Terrier Grumeti rang den Triumph-Hurdle Sieger Countrywide Flame in der „Aintree-Ausgabe“ dieses Rennens (der Matalan 4-YO Juvenile Hurdle, Grade1) nieder und nahm so Revanche für seine Niederlage in Cheltenham, Hunt Ball und Burton Port schlugen sich in der Betfred Bowl Chase (Grade 1) beachtlich, mussten sich aber dem 510:10 Außenseiter Follow the Plan aus Irland geschlagen geben; da rieben sich einige Buchmacher die Hände. Der eisenharte kleine Cloudy Lane sorgte für den emotionalen Höhenpunkt an Tag eins, er punktete nach drei erfolglosen Versuchen im Grand National selber nun in der Fox Hunter´s Chase, die „nur“  eine Runde über den National-Kurs führt.
Lady´s Day am Freitag nahm neue Dimensionen der Party-Stimmung an, die Rennbahn schien ausschließlich von wenig- über leicht- bis kaum bekleideten Damen bevölkert zu sein, die zwar kaum wussten, warum und wo sie waren („But where will the horses run?“ „Can I see them with my ticket?“) , aber unbedingt gute Laune haben wollten und diese auch verbreiteten. Sportlich war der Freitag erneut hochkarätig: J P McManus´ Darlan nutzte die Abwesenheit von Cinders and Ashes und gewann ein gutbesetztes Grade 2 Novice Hurdle Rennen, Finian's Rainbow glitt durch den Regen, der während seines Rennens niederging, zu einem erneut verblüffend leichten Erfolg in der Grade 1 Melling Chase, Lovcen gewann die Grade 1 Sefton Novices´ Hurdle für die deutsche Zucht (siehe gesonderter Beitrag) , Malcom Jeffersons kleiner Stall wuchs nach Cheltenham erneut über sich hinaus und schaffte das beinahe unmögliche Kunststück, mit beiden Cheltenham-Siegern (Cape Tribulation und Attaglance) auch in Aintree zu punkten.

Die 40 Starter am Grand National  zu Beginn des Rennens. Foto: John James ClarkDie 40 Starter am Grand National zu Beginn des Rennens. Foto: John James Clark

Die Tragik des Cheltenham Gold Cup-Siegers in Aintree: Schon auf dem Weg zum Start verlor Synchronised seinen Reiter A P McCoy, am Becher's Brock fiel Synchronised zusammen mit einem anderen Pferd ... diesen Sturz überstand er noch unverletzt, aber reiterlos verletzte er sich dann bei einem späteren Sprung so schwer, dass keine Rettung mehr möglich war. Foto: John James ClarkDie Tragik des Cheltenham Gold Cup-Siegers in Aintree: Schon auf dem Weg zum Start verlor Synchronised seinen Reiter A P McCoy, am Becher's Brock fiel Synchronised zusammen mit einem anderen Pferd ... diesen Sturz überstand er noch unverletzt, aber reiterlos verletzte er sich dann bei einem späteren Sprung so schwer, dass keine Rettung mehr möglich war. Foto: John James ClarkNach einigen Schauern war der Boden in nahezu perfektem Zustand, und die Stimmung erreichte Siedepunkt, als am Samstag vor mehr als 70.000 Zuschauern (das Meeting erreichte mit über 150.000 zahlenden Gästen in drei Tagen erneut eine Bestzahl) -  die 40 Starter am Grand National Startband Aufstellung nahmen. Die Leistungen der Cheltenham-Sieger Simonsig und Sprinter Sacre hatten in den Rennen zuvor vielleicht trotz schmaler Quoten einige Taschen gefüllt, und alle Vorzeichen schienen so positiv. Dies änderte sich, als Synchronised seinen Reiter A P McCoy auf dem Weg zum Start verlor – das Pferd schien zu stolpern - und einige Zeit reiterlos blieb, und nachdem zwei Fehlstarts die Geduld aller auf eine harte Probe stellte. Als es dann endlich mit zehnminütiger Verspätung auf die Reise ging, schienen einige Jockeys versessen darauf, diese Verspätung aufzuholen, so schnell strebte das Feld dem ersten Hindernis entgegen. So kam es gleich zu Beginn des Rennens zu einigen unschönen Szenen, am fünften Sprung fielen drei Pferde übereinander und Jockey Noel Fehily verletzte sich schwer (das Hindernis musste in der zweiten Runde ausgelassen werden). Am Becher's Brock fiel dann Synchronised, zusammen mit einem anderen Pferd, er stand aber direkt auf und folgte dem Pferd – zu diesem Zeitpunkt unverletzt – reiterlos (er fiel dann an einem späteren Sprung und verletzte sich bei diesem Sturz). According to Pete, ausgerechnet Malcom Jefferson´s Starter und für seinen kleinen Züchter und Besitzer Peter Nelson unterwegs, nach dem er auch seinen Namen erhielt, konnte beim zweiten Umlauf an Becher's einem vor ihm gefallenen Pferd nicht ausweichen und verletzte sich bei dem Sturz so schwer, dass keine Rettung möglich war.

Seabass (l.) mit Katie Walsh während des Rennens, am Ende wurde sie Dritte: Die beste Platzierung einer Rennreiterin im Grand National überhaupt. Foto: John James ClarkSeabass (l.) mit Katie Walsh während des Rennens, am Ende wurde sie Dritte: Die beste Platzierung einer Rennreiterin im Grand National überhaupt. Foto: John James Clark

Es würde jedoch dem Sieger nicht gerecht werden, wenn seine Leistung  nicht als solche gewürdigt werden würde: sich jeder Statistik widersetzend – Trainer Paul Nicholls war mit 52 Startern ohne Sieger der erfolgloseste des Rennens, kein Schimmel hatte seit Nicolaus Silver in 1961 das Grand National gewonnen, Alter (11) und zu tragendes Gewicht (11-6) schienen zu hoch - lief Neptune Collonges still und heimlich das Rennen seines Lebens: aus dem Hinterfeld kommend, immer seinen Strich gehend, sicheren Fußes ließ er die Hindernisse geradezu leicht aussehen, schob sich der weiße Wallach in den Farben des unvergessenen One Man näher und näher ins Geschehen, war im letzten Bogen im Vorderfeld auszumachen. Kaum schien das Gewicht zu drücken, hielt er sich mit einem seiner sicheren Sprünge wieder und wieder beim Feld, und als bei  seinen Konkurrenten die Luft ausging, zuletzt bei Katie Walsh, die auf Seabass ein couragiertes Rennen ritt und als Drittplatzierte die bisher beste Platzierung einer Frau holte, und dann stand nur noch J P McManus weitere Farbe Sunnyhillboy (wie Synchronised von Jonjo O'Neill trainiert) zwischen ihm und der Unsterblichkeit. Unter dem ohrenbetäubendem Jubel der 70,000 war Neptune Collonges, Spitzname „Nipper“, erst Dritter, dann hatte er Seabass eingeholt, dann schob er sich an die Seite des groß kämpfenden Sunnyhillboy, der müde wurde, Nipper aber ging weiter, ein Galoppsprung, gleichauf, ein weiterer – Ziel! Jockey Daryl JacobRuby Walsh hatte den Ritt wegen des Alters des Pferdes abgelehnt - bekannte nach dem Rennen:  "Ich  wusste überhaupt nicht, wo die Ziellinie ist. Ich bin noch Meter nach der Linie geritten. Mein Pferd war einfach unglaublich. Wir sind die ganze Zeit ein Tempo gegangen, er wusste genau, welches das richtige war und was zu tun war. Alle haben nach dem Rennen zu mir gesagt, was für ein toller Ritt, wie ihr euch durchgeschlängelt habt, aber ehrlich, Neptune hat alles alleine gemacht. Er ist ein wunderbares Pferd."

Der Sieger Neptune Collonges (Daryl Jacob - links) gewann mit einer Nase vor Sunnyhillboy (Richie McLernon). Foto: John James ClarkDer Sieger Neptune Collonges (Daryl Jacob - links) gewann mit einer Nase vor Sunnyhillboy (Richie McLernon). Foto: John James Clark

Trainer Paul Nicholls, der sofort klarstellte, dass dies Neptune Collonges'letztes Rennen war, war überglücklich: "Ich hatte immer Hoffnung, und habe das auch zu Ruby gesagt, aber er meinte nur 'zu alt'. Neptune hat Klasse – ohne Denman und Kauto Star wäre er ein Gold Cup Sieger. Was für ein Weg, seine Karriere zu beenden.“

Besitzer John Hales mit der Sieger-Trophäe: Wie emotional der Mann, der sein Vermögen mit den Teletubbies gemacht hat, auf Neptune Collongos Erfolg reagierte zeigen diese beiden Interviews. Einmal vor dem Rennem (http://www.youtube.com/watch?v=Xgx3_u0Ak1M&feature=youtu.bee) und einmal nach dem Sieg (http://www.youtube.com/watch?v=Xgx3_u0Ak1M&feature=youtu.bee). Foto: John James Clark.Besitzer John Hales mit der Sieger-Trophäe: Wie emotional der Mann, der sein Vermögen mit den Teletubbies gemacht hat, auf Neptune Collongos Erfolg reagierte zeigen diese beiden Interviews. Einmal vor dem Rennem (http://www.youtube.com/watch?v=Xgx3_u0Ak1M&feature=youtu.bee) und einmal nach dem Sieg (http://www.youtube.com/watch?v=Xgx3_u0Ak1M&feature=youtu.bee). Foto: John James Clark.Besitzer John Hales, der sein Vermögen mit den Teletubbies gemacht hatte und derzeit die Olympia-Maskottchen vertreibt, war schon vor dem Rennen von Emotionen überkommen und nach dem Rennen verständlicherweise überwältigt: "Danke, Aintree. Ich meine es nicht böse, aber dies hast du mir geschuldet. [Hales verlor sein bestes Pferd, One Man, vor 14 Jahren in der Melling Chase]. Die Familie war uneins, ob wir hierher kommen sollten, meine Tochter war dagegen, sie ist auch nicht hier, aber ich wusste, dass Neptune diesen Start nach seinem letzten Laufen einfach verdient hatte."

Die Nachricht der beiden tödlichen Unfälle sickerte natürlich erst langsam auf der Rennbahn durch, und war das, was Aintree sich in seinen schlimmsten Träumen nicht gewünscht hätte. Hastig wurden die Reporter auf ein ruhiges Vorgehen eingeschworen, eine weitere Pressekonferenz einberufen. Man kann es aber Drehen und Wenden, wie man will: Wer meint, nur in Aintree sterben Pferde, verkennt die Realität. Der Rennsport, Flach wie Hindernis, birgt Gefahren, und Unfälle sind ganz einfach unvermeidbar;  Trainer Paul Nicholls bezeichnet sogar die Koppel als den gefährlichsten Ort für Pferde überhaupt. In Zeiten von Social Media und – Network kann wirklich jeder seine qualifizierten oder unqualifizierten Kommentare abgeben; im Angesicht der Unfälle mag man ja auch kaum zugeben, wie sehr man sich für den Sieger und die Platzierten gefreut hat. Menschen, die bedenkenlos Billigfleisch konsumieren und auch sonst wenig „nachhaltig“ leben, verdammen einen Sport, von dessen Wurzeln man sich immer weiter entfernt; es ist der Sport, der die Pferde zu den Helden macht, die wir in ihnen sehen, und er ist manchmal so hart und unfair wie das Leben selber. Den Hindernissport zu verdammen, den Flachrennsport aber zu lieben, heißt ganz einfach, weite Teile des Sports auszublenden. Ohne den Rennsport wären Red Rum und auch Frankel, um nur einen Namen zu nennen, einfach nur braune Pferde in einem Feld. Man muss sich diesen Realitäten ganz einfach stellen. Die Diskussionen um das Grand National werden nicht so einfach verstummen –  doch seine Zeit ist noch nicht abgelaufen. 

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