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Wer ist Bill Benter?

Sha Tin - hier verdiente Bill Benter ein Vermögen. www.galoppfoto.de

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Turf aktuell

TurfTimes: 

Ausgabe 518 vom Donnerstag, 17.05.2018

Der Name Bill Benter ist hierzulande in Turf-Kreisen weitgehend unbekannt. Dem 60jährigen in Pittsburgh geborenen Amerikaner gehörten nie Vollblüter, er ritt nie in seinem Leben und versuchte sich auch nie als Trainer. Warum sollte man ihn dann in der Turf-Szene überhaupt kennen? Seine Beziehung zum Turf beschränkte sich auf die eines Profi-Wetters. Durch seinen nachhaltigen Erfolg an den Wettkassen zog er vielerorts Aufmerksamkeit auf sich, so dass er in Hongkong, den USA und Australien zu einer Berühmtheit wurde, auch in Großbritannien kennt man ihn. Damit auch deutsche Turf-Fans und Wetter wissen, um wen es sich bei Bill Benter handelt, zeichnen wir seinen Lebensweg nach und versuchen das Geheimnis seines Erfolgs zu ergründen.

Bill Benter wuchs behütet in Pittsburgh auf. Er entwickelte früh ein Faible für Physik und Mathematik, nahm ein Studium an der Universität Pittsburgh auf, verbrachte ein Auslandssemester an der Universität Bristol, doch brach er im Alter von 22 Jahren nicht nur seine universitäre Ausbildung ab, sondern er gab seinem zuvor geordneten Leben eine neue aufregende Wendung. Er setzte sich 1979 in einen Greyhound-Bus und verließ Pittsburgh, um 3500 Kilometer westlich in Las Vegas ein neues Leben zu beginnen. Er wollte seinen Lebensunterhalt beim Blackjack in den dortigen Casinos verdienen, nicht weil er spielsüchtig war oder an eine Glückssträhne glaubte, sondern weil er ein mathematisch fundiertes Spielsystem ausgearbeitet hatte, das ihm einen positiven Erwartungswert beim Blackjack garantierte.

Die Casinos hatten Ende der 70er noch nicht die Vorkehrungen getroffen, die heutzutage solche Spielsysteme verhindern, sondern beobachteten nur die Blackjack-Spieler intensiv, um diejenigen, die dauerhaft Erfolge feiern konnten, mit einem Hausverbot vom weiteren Spielen in ihren Casinos abzuhalten. Als Gegenmaßnahme organisierten sich manche Blackjack-Systemspieler in Gruppen, um weniger aufzufallen. So schloss sich auch Bill Benter einer Gruppe an, die vom zwölf Jahre älteren Australier Alan Woods geleitet wurde. Als Mitglied der Woods-Gruppe erweiterte sich auch der geographische Radius seiner Blackjack-Aktivitäten. Nicht nur in Las Vegas, sondern auch in Monte Carlo und anderen großen internationalen Casinos verdiente Benter beim Blackjack seinen Lebensunterhalt, auf rund 80.000 Dollar Jahresgewinn kam er in dieser Zeit. Nach vier Jahren endete diese Phase jedoch. Benter und die meisten anderen professionellen Blackjack-Spieler der Woods-Gruppe landeten auf einer „schwarzen Liste“ der Casinobetreiber, sie bekamen Hausverbot in allen Casinos und brauchten ein neues Betätigungsfeld.

Von Woods stammte die Idee, sich auf Pferdewetten in Hongkong zu fokussieren. Schon in den 80er Jahren waren die Wettumsätze in Hongkong weit größer als auf dem US-Markt. Ein professionelles Wettsystem, das einen kleinen positiven Erwartungswert garantiert und bei hohen Einsätzen zu einer profitablen Einnahmequelle wird, braucht einen finanzstarken Wettpool, um funktionieren zu können. Damit wurden Pferdewetten in Hongkong zur neuen Beschäftigung von Woods und Benter. Um nachhaltig erfolgreich sein zu können, benötigten sie nicht nur ein System, das häufig den richtigen Sieger prognostizierte, sondern eines, das trotz der Totalisatorabzüge des Hongkong Racing Clubs einen positiven Erwartungswert der Wettaktivitäten garantierte.

Benter ging dies Problem nicht mit Intuition, Pferdeverstand oder dem Vertrauen auf Insider-Tipps an, er begriff Pferdewetten als mathematisch-statistische Aufgabe. Er baute zunächst eine Datenbank mit allen Ergebnissen der Hongkonger Rennen der letzten Jahre auf. Dann versuchte er ein statistisches Modell zu entwickeln, das den Einfluss zahlreicher Variablen auf die Gewinnwahrscheinlichkeit eines Vollblüters quantifiziert. Die Variablen, die dabei Berücksichtigung fanden, waren zunächst dieselben, die auch jeder Hobby-Wetter bei seinen Überlegungen ins Kalkül zieht: Bodenverhältnisse, Jockey, Distanz usw. Im Gegensatz zum Hobby-Wetter versuchte Benter jedoch einen Algorithmus zu entwickeln, der systematisch vorgeht und sich durch den Einsatz von Methoden des maschinellen Lernens im Zeitverlauf in seiner Prognosegüte verbessert. Ein weiterer entscheidender Unterschied bestand darin, dass aus den Prognosen des Benter-Algorithmus für den Ausgang eines Galopprennens nur in seltenen Fällen (Wett-)Konsequenzen gezogen wurden. Nur dann, wenn die vom Algorithmus vorhergesagte Gewinnwahrscheinlichkeit eines Vollblüters deutlich höher war als die aus der Wettquote abzuleitende Siegwahrscheinlichkeit wurde tatsächlich gewettet. Woods und Benter war klar, dass es keinen Sinn machte, in jedem Rennen einfach den vom Algorithmus prognostizierten Sieger zu wetten, das wäre der sichere Weg in den Bankrott gewesen, selbst wenn der Algorithmus an sich gut funktioniert hätte. Immer dann, wenn die Totalisatorquoten die Gewinnwahrscheinlichkeiten korrekt widerspiegeln, kann beim Wetten kein positiver Erwartungswert für den professionellen Wetter entstehen, dies verhindern die Totalisatorabzüge. Um erfolgreich zu sein, darf der professionelle Wetter nur in den Rennen wetten, in denen die Totalisatorquoten eine verzerrte Darstellung der Gewinnwahrscheinlichkeiten darstellen. In diesen wie die Ökonomen es formulieren „ineffizienten Märkten“ liegen die Chancen eines professionellen Wetters, vorausgesetzt er ist in der Lage, korrekt zu identifizieren, wann die Totalisatorquoten nicht stimmen.

Nach neun Monaten Vorbereitungszeit folgte Benter dem schon zuvor nach Hongkong übergesiedelten Woods und beide starteten ab September 1985 aus einem mikroskopisch kleinen Büro in einem Hongkonger Hochhaus den Versuch, den Totalisator zu besiegen. Das Mini-Büro war mit drei großen IBM-Rechner bestückt, dennoch war die Rechenleistung im Vergleich zu heute sehr bescheiden. Auch die Zeitspanne, die für die Berechnungen draufging, war extrem lang, die Wetten wurden anschließend per Telefon aufgegeben. So richtig rund lief es für das Duo Woods/Benter in der Anfangsphase nicht. Der Algorithmus hatte seine Macken, die Technik spielte nicht immer mit und auch die Aufgabe der Wetten lief nicht immer reibungslos. Das Anfangskapitel von 150.000 Dollar war bis zum Ende ihrer ersten Hongkonger Rennsaison im Sommer 1986 auf 30.000 Dollar zusammen geschmolzen, 120.000 Dollar Verlust zwang die beiden zur Beschaffung frischen Geldes. Woods flog nach Südkorea und versuchte, in den dortigen Spielcasinos neues Kapital durch Blackjack-Aktivitäten zu gewinnen. Benter probierte Kapital in Las Vegas einzusammeln, war dabei jedoch deutlich weniger erfolgreich als Woods. Als sie sich im September 1986 wieder in Hongkong trafen, war Woods bereit, sein Geld zur Rekapitalisierung der gemeinsamen Aktivitäten einzubringen, doch verlangte er eine Veränderung der Gewinnanteile. Waren sie zuvor gleichberechtigte Partner gewesen, so verlangte er nun eine 90:10 Aufteilung zukünftiger Gewinne. Dies akzeptierte Benter nicht, so dass die beiden sich trennten.

Während Woods sich neue Mitarbeiter suchte, mit denen er auf der Basis des Benter-Algorithmus weitermachte, zog sich Benter zunächst nach Amerika zurück. Er baute eine Blackjack-Gruppe an der Ostküste auf, die vor allem in Atlantic City operierte und für neues eigenes Startkapital sorgte. Gleichzeitig arbeitete er an Veränderungen seines Algorithmus, um noch mehr Variablen einzubeziehen und ihn treffsicherer zu machen. Erst zwei Jahre später kehrte er mit einem sechsstelligem Startkapitel und modifiziertem Algorithmus zurück nach Hongkong. Jetzt lief es besser für sein System. Rund 600.000 Dollar Gewinn bilanzierte er nach der ersten Rennsaison, doch in der folgenden Saison setzte sich die Erfolgssträhne nicht fort, sogar einen leichten Verlust musste er auf Jahressicht verschmerzen. Er veränderte sein System noch einmal entscheidend, indem er seinen Algorithmus nicht mehr komplett unabhängig von den Totalisatorquoten laufen ließ und erst in einem zweiten Schritt überprüfte, ob sein Modell zu anderen Gewinnwahrscheinlichkeiten als der Totalisator kam. Jetzt nutzte er die morgendlichen Quoten des Hongkonger Jockeyclubs als Startwerte für seine Modellberechnungen. Damit wurde sein Algorithmus deutlich schneller und erhöhte auch seine Treffsicherheit. In seiner dritten Saison betrug der Gewinn bereits drei Millionen Dollar. Und das war erst der Anfang. Umsätze und Gewinne wuchsen Jahr für Jahr in schindelerregende Höhen. Das Jahr 1997 lief besonders erfolgreich, im Frühjahr hatte Benters Algorithmus sogar den 50 Millionen Jackpot der in Hongkong beliebten Triple Trio Wette, bei der in drei Rennen jeweils die drei Erstplatzierten ohne Beachtung der Reihenfolge vorhergesagt werden müssen, geknackt. Dieser Erfolg wurde jedoch zum Boomerang, da der Hongkonger Jockeyclub befürchtete, dass der Wettumsatz der „normalen“ Wetter zurückgehen würde, wenn der Eindruck entstünde, dass nur noch Algorithmen die großen Gewinne abräumen können. Der Jockeyclub sperrte daher Benters Wettkonto, um algorithmisches Wetten einzudämmen. Dies hielt ihn jedoch nicht davon ab, sein professionelles Wettsystem fortzusetzen. Er engagierte Mitarbeiter, die seine Wetten an Selbstbedienungsterminals in Wettannahmestellen außerhalb der Rennbahn platzierten. Der logistische Aufwand für ihn, die vielen Wettscheine ins Totalisatorsystem einzuspeisen, war jetzt sehr hoch, doch die Erträge waren es wert.

Die nächste Bedrohung kam im folgenden Jahr, als die Steuerbehörde eine Überprüfung einleitete, ob die bei Privatpersonen steuerfreien Wettgewinne bei professionell agierenden Institutionen nicht einer Besteuerung als Firmengewinn unterliegen. Ziel der Untersuchung war zunächst ein von Benters Ex-Partner Alan Woods geleiteter Investorenfonds, der seine Gewinne aus algorithmischen Pferdewetten bezog. Woods entzog sich der Untersuchung und setzte sich in die Philippinen ab. Benter agierte nicht für einen Investorenfonds, dennoch befürchtete er, dass auch er bald Zielscheibe ähnlicher Ermittlungen werden könnte. Dies bewog ihn, sich stärker in die bessere Honkonger Gesellschaft zu integrieren und ein Netzwerk von Kontakten zu wichtigen Persönlichkeiten aufzubauen, insbesondere da Hongkong seit einigen Monaten nicht mehr britische Kronkolonie, sondern Teil von China war. Er engagierte sich im Hongkonger Rotary Club, für den er zeitweise sogar als Präsident fungierte. Er intensivierte seine Verbindung zur Hongkonger Universität, an der er zwischen 1999 und 2002 auch als Gastprofessor Vorlesungen hielt (in späteren Jahren hatte auch an bekannten amerikanischen Universitäten wie Stanford, Harvard und Carnegie Mellon Gastprofessuren inne, auch an der britische Universität Southampton nahm er in 2006 und 2007 eine Gastprofessur wahr).

Insgesamt war die Zeit um die Jahrtausendwende eine Phase, in der Benter sein bisheriges Leben in Frage stellte. Er verdiente zwar weiterhin enorm viel Geld durch seine Art des algorithmischen Wettens in Hongkong, doch war ihm das Management der Wettabgabe und die Tarnung seiner Aktivitäten zunehmend zuwider. Er spendete in dieser Phase große Summen für schlecht ausgestattete Schulen im ländlichen China und Flüchtlingscamps in Pakistan. Später gründete er für die Intensivierung solcher Aktivitäten sogar eine eigne Stiftung, die noch heute aktive Benter Foundation (https://benterfoundation.org). Er dachte laut eigenen Aussagen in Interviews bereits in dieser Zeit über eine komplette Aufgabe seiner Wettaktivitäten nach. Doch im Jahr 2001 reizte es ihn dann doch noch einmal, den ganz großen Coup zu landen. Er hatte sich seit 1997 aus Triple Trio Wetten herausgehalten, um nicht wieder verstärkt in den Fokus des Hongkonger Jockeyclubs zu kommen. Doch im November 2001 war der Jackpot der Triple Trio Wette in solche Höhen gestiegen, dass im Siegfall mehr als 13 Millionen Dollar winkten. Mit hohem Einsatz versuchte Benter, diesen Jackpot zu knacken, was ihm auch gelang. Doch anstatt sich den Millionengewinn überweisen zu lassen, verzichtete er auf eine Auszahlung. Ihm war nur wichtig, dass sein System funktioniert hatte und er den Beweis erbrachte hatte, dass auch Triple Trio Wetten ausrechenbar sind. Die Hongkonger Zeitung South China Morning Post berichtete Ende 2001 mehrfach über den nicht eingelösten Millionengewinn, es kursierten zahlreiche Spekulationen, warum jemand diesen Monstergewinn nicht abholte (die populärste ging vom tödlichen Herzinfarkt des erfolgreichen Wetters nach dem Zieleinlauf des dritten Rennens der Triple Trio Wette aus). Benter outete sich nicht öffentlich, teilte dem Hongkonger Jockeyclub jedoch mit, dass er der Gewinner sei und den siegreichen Wettschein nicht einlösen würde. Ob die kurz danach kommunizierte Entscheidung des Hongkonger Jockeyclubs, die Sperrung von Benters Wettkonto aufzuheben, eine direkte Konsequenz des Briefes war, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, auch wenn man davon ausgehen kann, dass ein Zusammenhang besteht.

Benter konnte wieder ohne Mittelsmänner direkt seine Wetten platzieren. Die technologische Entwicklung erlaubte es ihm zudem, dass er jetzt auch direkt über das Internet seine Wetten platzieren konnte. Trotz dieser für seine Wettaktivitäten positiven Entwicklungen entschied sich Benter dafür, im Jahr 2002 Hongkong zu verlassen und in die USA zurückzukehren. Finanziell hatte er längst ausgesorgt, seine Wettaktivitäten hatten ihm insgesamt rund eine Milliarde Dollar eingebracht.

Anders als bei seinem Ex-Partner Woods war jedoch das große Geld nie die Hauptmotivation für seine Wettaktivitäten. In jedem Interview bekundete er, dass der Reiz für ihn immer darin bestanden hätte, allen zu beweisen, dass Pferdewetten nachhaltig erfolgreich sein können, da genau das immer bestritten worden war. Zu demonstrieren, dass durch den intelligenten Einsatz mathematisch-statistischer Methoden das Unmögliche möglich ist, das war sein Ziel. Die vielen Journalisten, die im Laufe der letzten 20 Jahre Interviews mit Benter geführt haben, beschreiben ihn als zurückhaltenden Menschen, der nie viel Aufheben um die Höhe seiner Wettgewinne machte und daher in seinen Aussagen glaubwürdig sei.

Benter lebt seit der Rückkehr in die USA wieder in seinem Geburtsort Pittsburgh. Dort hat er direkt nach seiner Rückkehr die Firma Acusis mitgeründet, deren Vorstandsvorsitzender er noch heute ist. Accusis entwickelt und vertreibt medizinische Dokumentationssoftware, die Ärzten bei der Dokumentation medizinischer Daten auch gleich Vorschläge von passenden Medikamenten zur Behandlung unterbreitet. Mit dieser intelligenten Software generiert Benter jedoch nur einen Bruchteil der früheren Einnahmen, was ihn jedoch nach eigenem Bekunden nicht weiter stört. Er nimmt gelegentlich auch akademische Verpflichtungen an Universitäten wahr, hält Vorlesungen für Mathematik-Studenten und führt Seminare auch in den Wirtschaftswissenschaften durch (der lokalen Universität Pittsburgh spendete er vor fünf Jahren 1 Million Dollar, wie nicht er in den Medien verkündete, sondern die Zeitungen aus dem Jahresbericht der Universität herausfanden). Benters in der Vergangenheit unspektakuläres Privatleben erfuhr im fortgeschrittenen Alter von 55 Jahren noch eine Wendung, die eine Verbindung zu seiner Hongkonger Wettprofiphase aufzeigt: In einer buddhistischen Zeremonie heiratete er in 2012 erstmals, seine Frau Vivian Fung stammt aus Hongkong.

Das facettenreiche Leben des Bill Benter passt so gar nicht zu den Klischees, die in den Medien über „Zocker“ in rauchgeschwängerten Wettbüros verbreitet werden. Er war eine Art Vorläufer einer ganzen Schar von professionellen Glücksrittern, die mit algorithmischen Systemen versuchen, nachhaltigen Profit beim Pferdewetten zu machen. Ihm ist es gelungen, was nicht heißen soll, dass jeder, der seine Wettdispositionen mit Hilfe einer Software trifft, dadurch zum Milliardär wird. Insbesondere Wetter in Deutschland sollten sich dieser Illusion nicht hingeben. Bei der bescheidenen finanziellen Höhe der Totalisatorpools auf deutschen Rennbahnen hätte auch Bill Benter hierzulande keine Chance auf finanziellen Reichtum gehabt.

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