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Tod einer Legende

Lester Piggott und Hein Bollow bei der "Großen Woche" 2019 in Iffezheim. www.galoppfoto.de

Autor: 

Daniel Delius

TurfTimes: 

Ausgabe 615 vom Freitag, 24.04.2020

Die gewohnte Silhouette vor der Waage auf der Kölner Rennbahn wird fehlen. Hein Bollow war meist schon weit über eine halbe Stunde vor dem ersten Rennen da, begrüßte jeden mit Handschlag. Jeden. Denn er kannte jeden, mit Namen und Funktion, wusste ihn einzuordnen. In normalen Zeiten wäre er sicher auch am 15. März zur Saisoneröffnung vor Ort gewesen, wäre anschließend nach Auf der Rennbahn: Hein Bollow mit Finja Minarik. Foto: privatAuf der Rennbahn: Hein Bollow mit Finja Minarik. Foto: privatDüsseldorf gefahren worden oder wo auch immer Rennen gewesen wären. Aber die Zeiten sind nicht normal und der kleine, große Hein Bollow, eine der größten Persönlichkeiten in der Geschichte des deutschen Rennsports hat sich von dieser so schwierig gewordenen Welt verabschiedet. Vergangene Woche, am Mittwoch zuvor war er nach einem Schlaganfall in ein Kölner Krankenhaus gebracht worden, sein Zustand hatte sich dann täglich verschlechtert. Am Montag ist er im Alter von 99 Jahren gestorben.

Ein langes Sportlerleben: Dabei blieb Hein Bollow auch nach der Karriere als Jockey immer nah dran an den Aktiven und den Pferden, bewahrte sich seinen Enthusiasmus für den Galopprennsport bis zum Schluss. Foto: www.galoppfoto.de/Archiv Hilde HoppeEin langes Sportlerleben: Dabei blieb Hein Bollow auch nach der Karriere als Jockey immer nah dran an den Aktiven und den Pferden, bewahrte sich seinen Enthusiasmus für den Galopprennsport bis zum Schluss. Foto: www.galoppfoto.de/Archiv Hilde HoppeDer erste Arbeitstag des Autors als Reporter einer Nachrichtenagentur hatte ihn am 17. August 1980 auf die Rennbahn nach Gelsenkirchen geführt. Der Aral-Pokal stand an, als 11:10-Favorit galoppierte der von Bollow trainierte Nebos zum Start, viermal war er in jenem Jahr am Start gewesen, viermal hatte er gewonnen. Die Meldungen vom fünften Treffer waren schon geschrieben, doch am Ende musste er sich mit Nase-Rückstand dem Röttgener Wauthi geschlagen geben. Nebos‘ Jockey Lutz Mäder konnte sich anschließend von Bollow etwas anhören, eine Standpauke, denn der Trainer konnte einen Reiter richtig „rund“ machen, wenn ihm irgendetwas nicht gepasst hatte. Vor allen Leuten im Absattelring. Fünf Minuten später hatte Bollow dann wieder alles vergessen. Und Nebos hat später im Jahr noch den Großen Preis von Baden gewonnen und war Fünfter im Prix de l’Arc de Triomphe, nach keineswegs optimalem Rennverlauf. Er bekam ein Rating von 106,5kg, Bollow hat ihn stets als bestes Pferd bezeichnet, das er je trainiert hatte.

Der 99. Geburtstag: Am 05. Dezember 2019 wurde noch groß gefeiert. Fotos: privat, Karrikatur: miro-cartoonDer 99. Geburtstag: Am 05. Dezember 2019 wurde noch groß gefeiert. Fotos: privat, Karrikatur: miro-cartoonDass er ein kritischer Beurteiler der Reitweise seiner Reiter war, lag auch an seiner Vergangenheit als exzellenter Jockey. Bollow galt als cleverer und nicht zimperlicher Reiter. Wer sich heute seinen vierten und letzten Derbysieg 1962 auf Herero anschaut, bekommt ein gutes Beispiel dafür. Bollow nutzte eine winzige Lücke an der Innenseite, stieß mit seinem Pferd Mitte der Zielgeraden durch diese Öffnung, gewann am Ende mit minimalem Vorsprung. Harald Siemen schrieb in seinem Derbybuch vom „berühmtesten Ritt“ von Bollow.

1939 in Hoppegarten: Jockey Hein Bollow noch als Fliegengewicht auf dem Fahrrad unterwegs ... www.galoppfoto.de - Archiv1939 in Hoppegarten: Jockey Hein Bollow noch als Fliegengewicht auf dem Fahrrad unterwegs ... www.galoppfoto.de - ArchivAm 5. Dezember 1920 wurde er in Nienstedten bei Hamburg geboren, sein Vater, der mit 82 Jahren den Derbysieg von Herero miterlebte, besaß ein Fuhrgeschäft. Das 1912 gegründete Unternehmen existiert noch heute unter dem Namen „Heinrich Bollow Umzug und Lagerei GmbH“ in Norderstedt. Seine Lehre absolvierte er bei Pan Horalek in Hoppegarten, „die ersten zwei Jahre hatte ich schreckliches Heimweh“, erinnerte er sich einmal. Doch ging er bei Horalek („ein erstklassiger Trainer und Ausbilder“) durch eine gute Schule. 1938 ritt er mit Juist in Halle seine erste Siegerin, die nächsten Jahre waren natürlich durch den Zweiten Weltkrieg geprägt, Bollow war an der West- und Ostfront. 1946 gewann er gleich bei seinem zweiten Ritt nach zweijähriger Pause das Hauptereignis einer Veranstaltung in Frankfurt und war sofort wieder im Geschäft. Er war Stalljockey für die Gestüte RöttgenSchlenderhanRavensberg und Asta, sein Schwiegervater Hans Thalheim trainierte die Asta-Pferde. Das Derby gewann er mit dem Schlenderhaner Allasch (1953), den Asta-Pferden Kaliber (1954) und Kilometer (1956) und dem erwähnten Herero. 1.033 Rennen gewann er im Sattel, war 13mal Champion, gewann insgesamt 18 klassische Rennen. Als beste Pferde, die er je geritten hatte, nannte er einmal den Röttgener Stolzenfels und den RavensbergerWindfang.

Eine Collage mit Fotos und Zeitungsausschnitten seines ersten Siegers Juist: Zu seinem 99. Geburtstag bekam Hein Bollow ein Geschenk, das ihn sehr überrascht und gefreut hat. Filip Minarik hatte mit Hilfe von Andreas Neugeboren und Ronnie Lüdtke diese historischen Bilder organisiert, die in der umfangreichen Sammlung des Jubilärs noch gefehlt hatten.Eine Collage mit Fotos und Zeitungsausschnitten seines ersten Siegers Juist: Zu seinem 99. Geburtstag bekam Hein Bollow ein Geschenk, das ihn sehr überrascht und gefreut hat. Filip Minarik hatte mit Hilfe von Andreas Neugeboren und Ronnie Lüdtke diese historischen Bilder organisiert, die in der umfangreichen Sammlung des Jubilärs noch gefehlt hatten.Experten unter sich: Trainer Peter Schiergen, Heinz Jentzsch und Hein Bollow (von links) im Portrait bei der Baden Auktion 2009. www.galoppfoto.deExperten unter sich: Trainer Peter Schiergen, Heinz Jentzsch und Hein Bollow (von links) im Portrait bei der Baden Auktion 2009. www.galoppfoto.deZu Besuch am Asterblüte-Stall: Gisela Schiergen und Hein Bollow. www.dequia.deZu Besuch am Asterblüte-Stall: Gisela Schiergen und Hein Bollow. www.dequia.deDoch stets hatte er Gewichtsprobleme zu kämpfen und so war der Weg ins Trainerlager vorgezeichnet. Am 1. Januar 1964 übernahm er den Stall seines Schwiegervaters, schon ein Jahr später teilte er sich das Championat mit seinem Freund und Nachbarn Heinz Jentzsch. Auch das neue Berufsfeld wurde eine Erfolgsgeschichte, keine Selbstverständlichkeit, viele gute Jockeys scheiterten als Trainer. Doch Bollow beherrschte es nicht nur, Pferde zu trainieren, sondern auch Besitzer. Als noch Galopps auf den Meetingsbahnen ein Thema waren, fanden sich die Besitzer stets zu den Trainingseinheiten am Morgen ein, bestens unterhalten vom Chef. Bollow trainierte Cracks wie Alte Zeit, Blauer Reiter, Cagliostro, Horst-HerbertMajoritätKondor, den Derbysieger MardukNebos, Revlon Boy oder Solarstern. Das Pferd mit den meisten Siegen, nämlich 17, war aber die Hinderniskönigin Toronja. Und auch wenn er ein kritischer Begleiter der Jockeys war, blieb er trotzdem loyal: Peter Remmert, der ihn ohne seine langjährige Sperre vielleicht seine gesamte Trainerkarriere begleitet hätte, ritt 606 Sieger für ihn, Lutz Mäder 322 und Jose Orihuel 91 – insgesamt waren es 1.663 Erfolge. Sein Name wurde in all den Jahren zum Synonym für den deutschen Rennsport.

Ende 1988 war Schluss, Peter Remmert übernahm den Stall. Bollow zog sich ins Privatleben zurück, eine Zeitlang war er Co-Pächter des Gestüts Pliesmühle. Der Tod seiner Frau Margot 1999 war ein schwerer Schlag, 56 Jahre waren sie verheiratet gewesen, Bollow musste erst einmal mühsam lernen, den Alltag zu meistern. In den letzten Jahren lebte er dann in einem Seniorenheim in der Nähe der Kölner Rennbahn, dank den Minariks und den Schiergens aber blieb er mittendrin im Geschehen, war überall präsent, von Hamburg über Harzburg bis nach Iffezheim. Auch wenn er am Ende nichts mehr hören konnte, der Geist blieb klar.

Auf Tour: Mit der Familie Minarik reiste Hein Bollow bis ins 99. Lebensjahr noch auf die Rennbahnen in ganz Deutschland, besonders die Meetings in Hamburg oder Bad Harzburg liebte er. Foto: privatAuf Tour: Mit der Familie Minarik reiste Hein Bollow bis ins 99. Lebensjahr noch auf die Rennbahnen in ganz Deutschland, besonders die Meetings in Hamburg oder Bad Harzburg liebte er. Foto: privatDer Kollege Peter Ahrens von „Spiegel online“ hat in seinem nostalgischen Nachruf auf Hein Bollow treffend geschrieben: „Leben und Karriere Bollows sind auch deutsche Geschichte – und nicht nur Sportgeschichte.“

Hier geht es zum Profil von Hein Bollow in der Turf-Times-Datenbank mit allen Information und Stories: Klick!

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