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Von Star Appeal, Topyo und anderen - Die Arc-Sensationen

Star Appeal schafft die größte Sensation in der Geschichte des Prix de l'Arc de Triomphe. Foto: Archiv.

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Turf aktuell

TurfTimes: 

Ausgabe 690 vom Freitag, 15.10.2021

Der Ausgang von Pferderennen ist kein berechenbares Ereignis, auch wenn „todsichere“ Wettsysteme etwas anderes suggerieren wollen. Favoriten siegen zwar häufig, aber nicht immer. Manchmal sind es die von den Wettern sträflich vernachlässigten Kandidaten, die am Ende die Nase vorn haben. Solche Außenseitererfolge gibt es auf allen Ebenen des Rennsportsystems, auch in den internationalen Top-Prüfungen.

 Am vergangenen Sonntag lieferte Gestüt Auenquelles Torquator Tasso mit seinem Sensationssieg im Prix de’l Arc de Triomphe dafür ein weiteres Beispiel. Mit einer Siegquote von 72,5:1 am französischen Totalisator katapultierte er sich nicht nur in die Siegerliste des wichtigsten europäischen Galopprennens, sondern auch in die „Shortlist“ der größten Toto-Schocker in dieser Prüfung, die von in Deutschland trainierten Vollblütern geprägt wird. Zwar finden sich in der 100jährigen Arc-Historie nur drei deutsche Sieger in den Annalen, doch sind zwei davon auch in den Top 3 der größten Außenseitersiege verzeichnet.

 Ein klares Kriterium, ab welcher Quote ein Sieg zu einem Sensationserfolg wird, existiert nicht. Als vor zehn Jahren Danedream zu einer Siegquote von 27,8:1 den Arc gewann, war dies eindeutig ein Außenseitersieg der famosen deutschen Stute, doch ein Sensationserfolg war es nicht, dazu war die Quote dann doch zu niedrig, insbesondere angesichts der kopfstarken Starterfelder im Arc, die automatisch zu höheren Siegquoten von weniger beachteten Startern führen. Für unsere Rückschau beschränken wir uns daher auf alle Arc-Sieger, die ihrem kleinen Anhang eine Siegquote von mindestens 50:1 bescherten.

 Würden die Siegeventualquoten der Arc-Starter die tatsächlichen Siegchancen realistisch abbilden, so dürfte es in der 100jährigen Arc-Geschichte eigentlich nur maximal zwei Sieger aus dieser Quotenregion geben. In der Realität waren es jedoch sechs von den Wettern unterschätzte Vollblüter, die zu Siegquoten zwischen 53:1 und 119,7:1 im Arc zum Zuge kamen. Die Statistik liefert somit für die Anhänger von Außenseitern eine erfreuliche Erkenntnis: Der Totalisator schätzt die Chancen von krassen Außenseitern zu pessimistisch ein, sie gewinnen mehr als dreimal so häufig im Arc wie es ihre aus der Siegquote abzuleitende Erfolgswahrscheinlichkeit vermuten lässt.

 Der krasseste Außenseitersieg in der Arc-Geschichte gelang dem von Theo Grieper trainierten und von Greville Starkey gerittenen Star Appeal, der 1975 für den ersten deutschen Arc-Erfolg sorgte. Seine zuvor und danach unerreicht hohe Quote von 119,7:1 war auch deshalb so hoch, weil es damals unvorstellbar schien, dass ein deutscher Vertreter in Longchamp gewinnen könne. Mit denselben Vorleistungen, unter denen immerhin ein Sieg in den Eclipse Stakes auf Gruppe I Niveau nur drei Monate vor dem Arc zu finden war, wäre Star Appeal nicht zu dieser Siegeventualquote ins Rennen gegangen, hätte er einen englischen oder – wie am Anfang seiner Rennkarriere tatsächlich der Fall – irischen Trainer gehabt.

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 Die zweithöchste Siegquote der Arc-Geschichte ist jedoch nicht der Herkunft des Starters geschuldet. Der im Arc des Jahres 1967 erfolgreiche Topyo wurde schließlich in Chantilly von Mick Bartholomew trainiert, doch stand der Dreijährige im mit 30 Teilnehmern größten Starterfeld der Arc-Historie im Schatten anderer Starter, die sich im Vorfeld weit höhere sportliche Meriten erworben hatten als Topyo mit seinen zwei Gruppe III-Erfolgen in französischen Mitteldistanzprüfungen. Doch Topyos Besitzerin Suzy Volterra, eine ehemalige Tänzerin an der Pariser Oper, die den weit älteren Pariser Theaterdirektor Leon Volterra kurz vor seinem Tod geheiratet hatte und als seine Erbin dessen Turf-Passion jahrzehntelang erfolgreich fortführte, wollte ein Pferd im Arc an den Start gehen lassen und ließ für den Ritt den australischen Jockey Bill Pyers verpflichten. Pyers, zigfacher Champion in seiner Heimat, war 1964 nach Frankreich übergesiedelt und hatte sich in der dortigen Jockey-Szene schnell einen Namen gemacht. Er schaffte mit Topyo in einem umkämpften Finale den knappen Sieg mit Hals-Vorsprung auf die beiden weit höher eingeschätzten Briten Salvo und Ribocco, der am Totalisator favorisierte Franzose Roi Dagobert wurde Vierter. Pyers konnte sich an seinem ersten – und einzigen – Arc-Erfolg nicht lange erfreuen, nur wenige Tage danach wanderte er ins Gefängnis, Suzy Volterra besorgte ihm einen Anwalt, der ihn in dieser kurios anmutenden Justizposse um einen im Jahr zuvor stattgefunden Verkehrsunfall nach anderthalb Monaten wieder auf freien Fuß bekam. Der Sensationssieger Topyo konnte in der Folgezeit nicht an seinen Arc-Erfolg anknüpfen, ein dritter Rang in den King George im Folgejahr war seine einzige bessere Leistung nach dem Arc. Topyo wurde nach Japan verkauft und war dort von 1969 bis zu seinem Tod 1975 als Deckhengst tätig. Über seine Tochter C.B. Queen, eine fünffache Siegerin, wurde er Großvater des Triple Crown Siegers Mr. C.B., der 1983 zum „Horse oft the Year“ in Japan gekürt wurde und später selbst eine lange Deckhengstkarriere startete.

 Auf Rang drei in der Liste der größten Arc-Außenseitersiege ist dann der aktuelle deutsche Arc-Triumphator Torquator Tasso zu finden.

 Im Sextett der Arc-Sieger mit Quoten oberhalb von 50:1 rangiert ein Trio bestehend aus Gold River (54:1), Levmoss (53:1) und Oroso (53:1) mit nahezu identischen Siegquoten deutlich hinter Torquator Tasso (72,5:1) auf den folgenden Plätzen. Der Grund, warum die Stute Gold River und der Hengst Levmoss, die beide bei ihrem Sieg 1981 bzw. 1969 vierjährig zum Zuge kamen, am Totalisator sträflich unterschätzt wurden, dürfte in beiden Fällen derselbe gewesen sein: Die Wetter gingen davon aus, dass die Arc-Distanz zu kurz für sie sei, da beide sich zuvor einen Namen als Extremsteher gemacht hatten.

Der in Irland von Seamus McGrath für die eigene Familie trainierte Levmoss hatte sich aus kleinen Anfängen auf Handicapebene vierjährig in der europäischen Extremsteherelite etabliert. Er gewann 1969 vor dem Arc die beiden bedeutendsten europäischen Rennen über 4000m, den Prix du Cadran (damals noch im Mai gelaufen) und den Ascot Gold Cup. Als Vorbereitungsrennen auf den Arc wählte McGrath, der zuvor noch nie einen Starter im Arc gesattelt hatte, ein Handicap-Rennen auf dem Curragh, in dem er 68kg tragen musste, und gewann dieses mit drei Längen Vorsprung. Dass er über 2400m auch in europäischer Top-Konkurrenz würde bestehen können, trauten ihm nur wenige zu. Unter dem australischen Jockey Bill Williamson belehrte er die Skeptiker eines Besseren und sicherte sich den Triumph nach einem frühen Vorstoß in der Zielgeraden souverän. Für Levmoss bildete der Arc-Sieg nicht nur den Höhepunkt, sondern auch den Schlusspunkt seiner Karriere. Er wurde 1970 in Irland als Deckhengst aufgestellt und wechselte 1976 ein Jahr vor seinem Tod nach Frankreich. Sein prominentester Nachkomme war der hierzulande durch seine Erfolg im GP von Baden und seine spätere Deckhengstätigkeit in Deutschland, u.a. im Gestüt Nehmten, bestens bekannte M-Lolshan.

Auch die Französin Gold River, die ihren Überraschungscoup 1981 in einem großen 24köpfigen Arc-Starterfeld landete, war vornehmlich auf längeren Distanzen als den im Arc geforderten 2400m ausgewiesen. Schon als Dreijährige hatte sie nach dem Prix de Pomone (2700m, Gr. II) das französische St. Leger (3100m, Gr. I) gewonnen, vierjährig gewann sie vor dem Arc den Prix du Cadran (4000m, Gr. I) sowie den Prix Jean Prat (3100m, Gr. II), im Prix Foy (2400m, Gr. II) bei den Arc-Trials hatte sie dagegen klar geschlagen nur einen dritten Platz belegt. Der Hauptgrund, warum ihr die Wetter im Arc keine Chance einräumten, lag allerdings in der Entscheidung von Jockey Freddy Head, der die von seinem Vater Alec trainierte Wertheimer-Stute bei allen Siegen geritten hatte, seinem Vater einen Korb zu geben und statt Gold River die Sangster-Stute Detroit im Arc zu reiten. Diese Fehlentscheidung (die als Favoritin gestartete Arc-Titelverteidigerin Detroit landete nur auf Rang 20) ließ den Glauben an eine Siegchance für Gold River bei den Wettern schwinden, doch strafte die Stute, für die der australische Jockey Gary Moore aus Hongkong eingeflogen wurde, alle Zweifler Lügen. Sie stellte den scheinbar enteilten französischen Derby-Sieger Bikala in der Schlussphase und zog letztlich sicher an ihm vorbei. Auch die anschließenden Zuchtleistungen der Wertheimer-Stute können sich sehen lassen: Mit Riviere d’Or brachte sie eine Gruppe I Siegerin, ihr klassisch platzierter Sohn Goldneyev wurde als Deckhengst aufgestellt und mit Chercheur d’Or hatte sie eine weitere Gruppe-Siegerin auf der Bahn.

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Der Letzte in unserem Arc-Sensationssieger-Sextett ist der französische Hengst Oroso, dessen Erfolg im Oktober 1957 die Massen auf der Rennbahn Longchamp (der britische Korrespondent der Times berichtet über einen Rekordbesuch von 200.000 Menschen bei strahlendem Sonnenschein, doch sind Zuschauerzahlen in Zeitungsartikeln dieser Zeit mit Vorsicht zu genießen) verblüffte. Am Jockey lag die Außenseiterrolle bei Oroso nicht, wurde er doch von Serge Boullenger, einem der Stars der französischen Jockeyszene jener Zeit, geritten. Auch Orosos in Maisons-Laffitte ansässiger Trainer Daniel Lescalle gehörte nicht zu den Underdogs der Szene. Es waren schlicht die aktuellen Formen, die ihn zum Außenseiter stempelten. Als Dreijähriger hatte er zwar den GP de Saint Cloud gewonnen, doch vierjährig blieb er bei etlichen Auftritten vor dem Arc ausschließlich in einem Extremsteher-Rennen über 3100m im April des Jahres siegreich. Auch bei seinem Auftritt in den Arc-Trials im September endete er weit hinter seinem gleichalten Landsmann Tanerko, der nach einem dritten Platz im Vorjahres-Arc in 1957 nach seinen Siegen im Prix Ganay, dem GP de Saint-Cloud und in seinem Arc-Trial als klarer Favorit galt. Seine Chancen schmolzen jedoch schon im Vorfeld des Starts. Durch den Massenbesuch in Longchamp kam es zu Verzögerungen, die sich hinziehende Parade vor den überfüllten Tribünen belastete Tanerkos Nervenkostüm arg. Als der Arc mit mehr als einstündiger Verspätung endlich gestartet wurde, war von seiner in den zuvor bestrittenen Rennen an den Tag gelegten Souveränität nichts mehr zu sehen, er musste in der Endphase passen und endete nur auf dem sechsten Platz. Dadurch machte er den Weg frei für Orosos Überraschungscoup, dem dieser keine weiteren Glanztaten auf der Rennbahn folgen lassen konnte. Auch über eine erfolgreiche Gestütskarriere des Hengstes, der im Besitz von Raoul Meyer, Eigentümer des Pariser Nobelkaufhauses Galeries Lafayette, stand, finden sich keine Aufzeichnungen. Da sich vereinzelte Oroso-Nachkommen in den Datenbanken auffinden lassen, muss er jedoch als Deckhengst im Einsatz gewesen sein, nachhaltigen Einfluss und Spuren hat er in der Zucht jedoch nicht hinterlassen.

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