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Ruby Walsh - Gehen, wenn es am Schönsten ist

Einer der letzten großen Siege, mit Min im April in Aintree.  www.galoppfoto.de - JJ Clark

Autor: 

Catrin Nack

TurfTimes: 

Ausgabe 567 vom Freitag, 10.05.2019

Den richtigen Zeitpunkt zum Aufhören zu finden, ist eine Kunst, die nicht jeder beherrscht. Ein weiterer Fehler, den Ruby Walsh nicht machte. Sein Abschied aus dem Rennsattel, der in der letzten Woche den Rennsport überrumpelte, war alles andere als ein spontaner Entschluss. Seit dem vergangenen Sommer hatte Walsh dieses Moment erdacht, erträumt, durchlebt. Kleine Hinweise hatte es gegeben, doch sie alle machten erst im Rückblick Sinn. Der Meister hielt die Karten fest vor der Brust. Sein engster Partner, Willie Mullins, musste zugeben, von nichts gewusst zu haben.

 „Mir war immer klar, dass ich mit einem großen Sieg abtreten würde, und es konnten nur Aintree, dessen Atmosphäre und Standing so besonders ist, oder Punchestown sein.“ erklärte Walsh am Ende des Tages X „ Ich dachte, Rathvinden [Dritter im 2019 Grand National] könnte derjenige welcher sein, doch Tiger Roll kam uns in die Quere. Wenn Kemboy heute [Punchestown Gold Cup, 01.05.2019] nicht gewonnen hätte, hätte ich es morgen, oder übermorgen, oder Samstag wieder versucht, und wäre vermutlich in Paris angekommen.“

 „Nach dem Irish Grand National dachte ich, jetzt könnte er aufhören, aber dann hat er einfach weitergemacht, und ich habe nicht mehr daran gedacht“, so ein sichtlich überraschter Mullins, dessen Karriere besonders eng mit Walsh verbunden war. „Jetzt muss ich versuchen, ….ihn ….. nun, ich kann ihn nicht ersetzten.“

In der Tat. Das alte Sprichwort, dass jeder ersetzbar ist, mag für uns Normalsterbliche gelten, aber nicht für einen Jockey vom Kaliber eines Ruby Walsh. Seine Karriere verlief zeitgleich mit einem gewissen AP McCoy, einem Jockey, der zahlenmäßig jeden Rekord bracht, doch niemand würde sagen, dass sie im Schatten McCoys stand. Im Gegenteil, Sir Anthony - ein guter Freund Walsh´, in dessen Haus Walsh stets sein eigenes Zimmer hatte - war der Erste, der sagte: “Er war stets besser als ich.“

Hohes Lob, doch mehr als verdient. Superlative umschreiben die Karriere von Rupert Edward Walsh, den alle nur „Ruby“ nennen, nur ungenügend. Seine Motivation war Qualität, die großen Tage. Nicht der Thrill, jeden Sieger auf jeder Rennbahn zu reiten, sondern auf exzellenten Pferden auf der ganz großen Bühne - Cheltenham, Aintree, Punchestown, Kempton - zu brillieren. „Niemand hätte erahnen können, dass meine Karriere diesen Verlauf nimmt“ staunte Walsh, nur Minuten, nachdem sich der erste Sturm um seinen Abschied  - das Wort „Ruhestand“ ist natürlich absolut unangebracht - gelegt hatte. Sicher, es gehört mehr zu einer Karriere als Talent und Glück, und Walsh, aus einer irischen Rennsport-Dynastie stammend, brachte von Anfang an Star-Qualitäten an den Start. Vater Ted war selber ein ausgezeichneter Amateur-Jockey, vierfacher Cheltenham-Sieger und 11facher Amateur Champion im Heimatland; danach Trainer, bis heute. Grand National-Sieger-Trainer, in England und Irland, beide natürlich geritten von Sohn Ruby. Eine Jockey-Karriere war Ruby damit gleichsam in die Wiege gelegt, doch Talent alleine macht eben noch keinen Champion. Es ist der Wille, die mentale Stärke, die Leidenschaft, die Leiden schafft;  das Beste ist eben nur zu erreichen unter großen Qualen. Und kaum einer besaß die mentale Stärke eines Walsh, den stählernen Willen; Sentimentalitäten waren seine Stärke nicht. Ein irischer Besitzer, dessen hochklassiger Hürdler Mitte der 2000er Jahre sowohl McCoy als auch Walsh in großen Rennen trug, beschrieb den Unterschied zwischen beiden seinerzeit so: „Gegen Walsh ist AP ein Weichei.“ Eine Einschätzung, die man bei der Betrachtung von Walsh´ Karriere immer im Hinterkopf behalten muss. AP McCoy, der Mann, der seinen Körper zu übermenschlichen Rekorden schindetet, sich unbarmherzig von Sieg zu Sieg peitschte, in Kältekammern bei -149° C ausharrte. Emotionen und Sentimentalitäten, die McCoy gegen Ende seiner Laufbahn so menschlich machen, waren nichts für Walsh. Die Affinität zu Tieren angeboren, waren Vermenschlichung und übergroße Zuneigung seine Sache nicht. Aussagen nach dem Tod von Our Conor beim Cheltenham Festival 2014 , dass es „besser Pferde als Menschen“ seien, brachte ihm seinerzeit sogar Todesdrohungen ein; es muss angemerkt werden, dass seine Äußerungen damals stark aus dem Zusammenhang gerissen wurden.

Walsh war ein Phänomen, sein Reitstil oft kopiert, doch unerreicht. Kein Jockey, dessen Körperhaltung auch nur annähernd so wenig verriet wie die von Walsh. Jedes Rennen Gegenstand umfangreicher Analysen, Walsh kannte Freund und Feind, ging jedes Rennen mit einem Plan an. Er kannte den Eigenarten der Bahnen, bedachte die Eigenarten der Gegner, wusste um die Ansprüche bestimmter Rennen, die Schwächen anderer Pferde. Dies war sein Antrieb; in großen Rennen der Beste zu sein. „Ich wollte die großen Sieger an den großen Tagen reiten. Das habe ich gejagt, die großen Pferde. AP war besessen von Nummern.“

Besonders eng verbunden war seine Karriere mit zwei der größten Trainer auf beiden Seiten der Irischen See: Paul Nicholls und Willie Mullins. Einige Jahre lang gelang es ihm sogar, für beide Ställe gleichzeitig zu reiten, ein fragiles Gleichgewicht, das nicht ewig halten konnte. Offiziell war es der Stress der vielen Reisen (anders als AP McCoy hat Walsh seinen Lebensmittelpunkt nie aus Irland verlegt), der einen Schlussstrich unter die „dualen Jahre“ zog. Trotz der Beteuerung, sich als Freude getrennt zu haben, stieg Walsh danach nie mehr für Nicholls in den Sattel, tatsächlich ritt er kaum jemals für einen englischen Trainer. Die Qualität, die er suchte, fand er bei Mullins. Dieser stellte die mit Abstand größte Anzahl seiner Sieger, in den letzten fünf Jahren ritt Walsh für ihn mit einer Siegquote von sagenhaften 36%. Zwei Zahlen sprechen für sich: 282 Siege erritt Walsh in Irland in den vergangenen fünf Jahren für Mullins, ganze 16 für den nächstbesten Trainer in der Aufstellung (Gordon Elliott). Tatsächlich nahm er zuletzt nur noch vereinzelt überhaupt Ritte „von außerhalb“ an: Tony Martin und Peter Fahey waren zwei kleinere Trainer, zu denen Walsh sich stets loyal verhielt, selbstverständlich ritt er immer wieder für Vater Ted und Schwager Ross O`Sullivan (Ehemann von Schwester Katie). Zuletzt machte Walsh in Irland Schlagzeilen, als er für Ted sogar in einem Flachrennen über 1200m in den Sattel stieg. Volle Bücher am Renntag waren sein Bestreben nicht; seine Agentin (Schwester Jennifer) wählte Walsh´  Ritte sorgfältig aus.

 

Doch ein Jockey ist nur so gut, wie die Pferde, die er reitet, und wie Walsh selber bekannte, ritt er „die großen Namen“ fast alle: Kauto Star. Denman. Big Bucks. Hurricane Fly. Quevega. Annie Power. Faugheen. Douvan. Master Minded. Un de Sceaux. Vautour.  Seine Grand National Sieger: Papillon und Hedgehunter. Sein wohlmöglich bester Ritt: Tidal Bay in der 2012er Lexus Chase, als er den enigmatischen Wallach aus absolut unmöglicher Position durch ein Nadelöhr zum Sieg bugsierte – kein anderer Jockey hätte an dem Tag auf Tidal Bay gewonnen. 59 Cheltenham Festival Sieger, dort elffacher Champion, Rekorde allesamt.  Insgesamt 2.756 Siege, davon unglaubliche 213 in Grade1-Rennen. Er gewann Rennen in Amerika, Frankreich, Japan und Australien. Er ritt vier der höchsteingeschätzten Hindernis- Pferde aller Zeiten, und genau das wird eines seiner Vermächtnisse im Rennsattel bleiben: Walsh „machte“ Pferde, ihre Karrieren hingen von seinem Talent und Instinkt ab. Seine unnachahmliche Art im Sattel gab jungen Pferden Sicherheit, erfahrene Pferde vertrauten ihm sowieso. Walsh erkannte Talente früh, seine punktgenauen Einschätzungen wiesen sowohl Paul Nicholls als auch Willie Mullins den Weg zu den richtigen Rennen, in Rückblicken bekannten beide Trainer, wie früh Walsh bereits ein bestimmtes Rennen für das jeweilige Pferd im Auge hatte. Auch wenn Walsh innige Gefühle für sein vierbeinigen Partner immer abstritt, so konnte er seine Zuneigung für manch einen Star nicht verhehlen: Kauto Star besuchte er mit Frau und Kind; er kniete neben Faugheen im Gras, als der Wallach Ende 2018 in Leopardstown nach einem schrecklichen Sturz zu Boden ging. Seine Körperhaltung an jeden Nachmittag strafte alle Worte Lügen, Walsh war bis auf die Knochen erschüttert. Es ist jene Ironie, die das Leben nur für die Besten bereithält, dass mancher Walsh für einige seiner spektakulären Stürze in Erinnerung behalten wird. Keine dramatischer als Annie Powers Sturz am letzten Hindernis der 2015 Mares´ Hurdle, und Benie des Dieux´ Sturz an gleicher Stelle - absolut gleicher Stelle - im Jahr 2019. Wir wussten nicht, dass es sein letztes Cheltenham Festival sein würde.

 

Im Sieg charmant, strahlend vor Freude, in der Niederlage düster, hart vor allem gegen sich selbst. Verletzungen waren eine andere Herausforderung: „Der körperliche Schmerz vergeht nach einigen Stunden. Was bleibt, sind die mentalen Schmerzen, du siehst jemand anderen auf den Pferden siegen, die du eigentlich reiten solltest. Es ist die mentale Tortur dessen, was Du verpasst.“ Die Liste seiner Verletzungen ist legendär, kaum ein Knochen im Körper, den er sich nicht (mehrfach) gebrochen hat; die Milz verlor er nach dem Tritt eines Pferdes. „Wenn die Milz weg ist, ist sie weg. Sie kommt nicht wieder. Und man braucht sie auch nicht. Schlimmer wären meine Niere oder meine Blase gewesen.[…] Werde damit fertig. Solange es nicht dein Gehirn oder dein Hals ist, heilt der Rest.“ Wurde Walsh mehrfach zitiert, eine Haltung, die seine (mehr als erleichterte) Ehefrau Gilian (das Paar hat drei Töchter) nur Minuten nach der Ankündigung des Ruhestands wiederhole:“ Wir wissen, welches Glück wir hatten, dass Ruby gesund um „in Ganzen“ aufhören kann. Er hatte Verletzungen, aber zum Glück waren es keine „schweren schweren“ Verletzungen. Wir hatten sehr viel Glück.“

Das Glück des Tüchtigen. Gerade in den letzten Monaten ritt Walsh einige seiner besten Rennen, spielte in großen Rennen wie dem Irish National, dem Punchestown Gold Cup, in der Supreme Novice Hurdle oder auch im Grand National seine ganze Erfahrung aus. Er war gelöster, freudig bereit, für Photos zu posieren; nun muss man konstatieren, dass er seine letzten Monate im Rennsattel – und auf den Rennbahnen – besonders genießen wollte. Bei allem Siegerwillen war er ein Teamplayer, was vor allem Willie Mullins immer betonte;  in den letzten beiden Jahren nahm er sich in Irland manches Mal zurück, um Paul Townend, dem zweiten Mann am Stall von Mullins, im Kampf um den Titel des Jockey-Champion zu helfen.

Walsh will nach eigenen Angaben nun seine mediale Karriere ausbauen, „und zum Arc reisen“. In den Rennsattel, in irgendeinen Sattel, so sagt er, will er nie wieder steigen.

 

Catrin Nack

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