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Post aus Prag - Guter Sport trotz Corona, Fragezeichen hinter den Kulissen

Einer der Stars der osteuropäischen Rennsportszene 2020: Opasan unter Radek Koplik. www.galoppfoto.de - Petr Guth

Autor: 

Martin Cáp

TurfTimes: 

Ausgabe 649 vom Freitag, 18.12.2020

Dass ein Jahresrückblick immer eine Frage der konkreten Perspektive ist, gilt auch in wesentlich ruhigeren Jahren als 2020. Am Ende heißt es natürlich durchatmen, dass die Corona-Saison bald der Vergangenheit angehören wird, und hoffen, dass man im nächsten Jahr an die eher erfolgreicheren Jahre anknüpfen wird. Letztendlich muss man aber doch unterstreichen, dass es mit erheblichem Aufwand der Szene gelungen ist, die Saisonhöhepunkte und fast alle größeren geplanten Rennen der Region durchzuführen und besonders im Sommer zu einem fast „Business as usual“-Modus zurückzufinden.

Die großen Herausforderungen der letzten Monate haben gleichzeitig auch viele langzeitige Probleme der einzelnen Rennsport-Ländern im neuen Licht gezeigt. Polen und Ungarn, wo in den letzten Jahren erhebliche Energie ins Wettsystem investiert wurde, schafften es eine unter Umständen stabile Saison durchzuführen, in Budapest ist der letzte Renntag am 27. Dezember geplant. Hingegen in Tschechien und Slowakei, wo die Wettumsätze so gut wie keine Rolle bei der Finanzierung des Rennsports spielen, gab es wesentlich mehr Turbulenzen. In Prag wurde die aus 36 Meetings zusammengesetzte Saison vom Jockey Club und Sponsoren aus den Reihen von großen Rennstallbesitzern finanziert. Das sind zwar um 16 Renntage weniger als 2019, aber ein wesentlicher Teil der Streichungen im Kalender erfolgte wegen des generellen Verbots von Sportveranstaltungen im Frühling und Herbst und immerhin wurden bis auf wenige Ausnahmen keine Rennpreise gekürzt. In den letzten Wochen und Monaten laufen nun Verhandlungen mit einem potentiellen generellen Partner für die Saison 2021.

Noch komplizierter waren die letzten Monate in der Slowakei, wo die staatliche Rennbahn Bratislava sowohl die Rolle des einzigen Veranstalters, als auch des Dachverbandes spielt. Am Ende fanden nur acht von den ursprünglich geplanten 20 Renntagen statt und das traditionelle Turf Gala-Meeting wurde zum ersten Mal in seiner Geschichte gestrichen. Der Rennbahn-Direktor Tomás Zajac resignierte im Frühjahr, nachdem mehrere Probleme und Fragezeichen in der Buchhaltung der Firma kolportiert wurden. Der Staat schickte nach intensiven Verhandlungen mit der Rennszene im Sommer einen Zuschuss, dank dem das Derby und einige weitere Rennen im Herbst doch noch über die Bühne gehen konnten. Im November wurde dann nach vier Jahren wieder der langjährige Direktor Dr. Marián Surda an Bord geholt, der 27 Jahre lang den slowakischen Rennsport geleitet hatte und nun vor der vielleicht größter Herausforderung seiner Karriere steht.

Die stark begrenzten Reisemöglichkeiten besonders in den ersten Monaten der Saison führten teilweise zu sehr attraktiven Starterfeldern vor den leeren Tribünen. Das gilt vor allem für Tschechien, wo die Mehrzahl der auf Frankreich spezialisierten Pferde ihre Saison-Debüts gab. Das zur Zeit beste tschechische Pferd Nagano Gold (Sixties Icon), der nur um einen Hals seinen ersten Gr.1-Sieg im Grand Prix de Saint-Cloud verpasste, fuhr sogar nach Polen und gewann als erster Tscheche in der Geschichte die Wielka Warszawska. Der immer kleinere slowakische Rennbetrieb wurde wieder stark von tschechischen Rennställen unterstützt, zum zweiten Mal in Folge holte sich das Derby in Bratislava ein Pferd des Stalles Meridian aus dem Training von Frantisek Holcák. Der aus Irland geholte Troop Commander (War Command) ging erfolgreich in den Spuren seines älteren Stallkollegen Arcturus (Fast Company).

Die klassische Szene in Tschechien wurde interessanterweise von einem in der Slowakei trainierten Pferd beherrscht. Der in den Farben des Stalles Bormann laufende Opasan (French Navy) sollte ursprünglich die großen Rennen zuhause anpeilen, aber nachdem noch im Juni unklar war, ob das Slowakische Derby überhaupt stattfinden wird, wurde er vom Trainer Jozef Chodúr nach Tschechien geschickt und entwickelte sich zu einem richtigen Star. Nach zwei Derby-Trials gewann er das Prager Derby und behielt seine weiße Weste auch bei seiner ersten Konfrontation mit älteren Gegnern im Budapester Kincsem Díj. Ein Pferd, das durchaus das Potential hat auch in deutschen oder italienischen Listenrennen mitzumischen. Eine bemerkenswerte Serie legte die von Bohumil Nedorostek vorbereitete Vivienne Wells (Authorized) hin – nach den zweiten Plätzen im Karlsbader Oaks, Tschechischen Derby und Slowakischen Derby gewann sie in Abwesenheit von Opasan hochüberlegen das Prager St. Leger.

Ein Ausnahmepferd gab es übrigens auch in Warschau zu sehen. Die klassische Siegerin Inter Royal Lady (Holy Roman Emperor) aus dem Lot von Adam Wyrzyk gewann die ersten neun Rennen ihrer Karriere und kassierte die erste Niederlage erst im Derby. Im Oktober schlug sie sich dann tapfer im Prix de l’Opera, wo sie Achte wurde.

Alles in allem gab es trotz Corona-Einschränkungen viele interessante Momente und teilweise sehr guten Sport. Die Frage für 2021 lautet: In welcher Verfassung werden die kleinen osteuropäischen Rennsport-Nationen aus dieser Krise kommen und wie stark werden sich die zahlreichen diesjährigen Kompromisse in der weiteren Finanzierung des Sports spiegeln? Das alles werden wir auch nächstes Jahr in dieser Kolumne beobachten und kommentieren.

Martin Cáp, Prag

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