TurfTimes:
Ausgabe 759 vom Freitag, 17.03.2023
Deutschland hat Schlenderhan, Röttgen, Fährhof oder Graditz. In Tschechien gab es in den letzten Jahren nur ein großes Traditionsgestüt, das sich der Vollblutzucht widmet und das mit seinen züchterischen Produkten eine wichtige Achse des Rennsports im Lande bildete. Und das war das mährische Napajedla. 1886 von Aristide Baltazzi gegründet, einst eines der wichtigsten Plätze der Vollblutzucht in der k. u. k. Monarchie. Nun sieht es nach 137 Jahren so aus, dass die große Tradition vor ihrem Ende steht. Die eigenen Mutterstuten wurden bereits verkauft, Ende Januar und Anfang Februar mussten alle Pensionsstuten und auch die letzten zwei Deckhengste das Gestüt verlassen. Wireless (Kentucky Dynamite) steht bereits in Ungarn, Pouvoir Absolu (Sadler’s Wells) ging nach Vlachovice.
Der Besitzer, die Firma Sygnum aus dem naheliegenden Städtchen Otrokovice, haben sich bisher zu ihren weiteren Plänen und den Gründen der Schließung öffentlich nicht geäußert. Man strebt ein Bauprojekt an, auf 8 Hektar Koppeln direkt neben dem historischen Hof des Gestüts sollen mehrere Wohnhäuser entstehen. Noch 2019 hieß es, dass man mit dem Erlös von den Wohnungen die passive ökonomische Bilanz des Gestüts sanieren will. Man sprach auch von Problemen halbwegs normale Preise für die Jährlinge zu bekommen und mit den immer häufigeren billigen Käufen aus Irland mitzuhalten. Nachdem die Baupläne vor einigen Jahren veröffentlicht wurden, gab es vor allem in der Rennsport- und Pferdeszene massive Proteste und umfangreiche Publizität, was angeblich zum Entschluss der Besitzer führte, die Zucht ganz einzustellen.
Gerade im letzten Jahr eilte dabei Napajedla von einem Erfolg zum anderen und 2022 war für die Zuchtprodukte aus Mähren die erfolgreichste Saison in der modernen Geschichte. Vignetta (Pouvoir Absolu) gewann das tschechische Oaks, der in Napajedla auf die Welt gekommene Gasparini (Eagle Top) aus der Zucht des Owners-Breeders Petr Karlík holte sich drei klassische Erfolge inklusive des Slowakischen Derbys und wurde zum Pferd des Jahres 2022 gekürt. Auch in Hindernisrennen gab es zahlreiche große Sieger und interessante Pferde.
In der Geschichte von Napajedla sind solche Paradoxe eigentlich nichts Neues. Nach dem Bankrott der Witwe des Gründers Marie Baltazzi im Jahre 1930 wurde das Gestüt im letzten Moment vom damaligen tschechoslowakischen Staat gerettet. Obwohl Napajedla einen Derbysieger in der Region nach dem anderen stellte, die großen Erfolge konnten nicht die hohen Verluste wegen der chaotischen Leitung des Anwesens ausgleichen. In den Händen des Staates konnte Napajedla seine Position als Vollblutzüchter Nr. 1 verteidigen und sogar noch festigen. Die alten Baltazzi-Familien wurden durch Einkäufe in Frankreich, England und Irland ergänzt, nach dem zweiten Weltkrieg profitierte man auch aus ungarischem Blut.
In der kommunistischen Ära wuchs der Pferdebestand bis auf 110 Mutterstuten und das Gestüt Napajedla hielt gleichzeitig auch den größten Rennstall. Allein dreizehn Derbysieger und zahlreiche weitere Top-Pferde liefen in den eigenen Farben, seit Ende der 60er Jahren wurde auch die einstige Tradition der großen Jährlingsauktion weitergeführt. Nach der Wende im Jahre 1989 wurde die Mehrzahl der einstigen staatlichen Gestüte wie Zákupy, Xaverov, Motesice, Samorín und Albertovec privatisiert und löste sich schnell auf. Napajedla überlebte als neugegründete Aktionsgesellschaft und konnte trotz zahlreichen Reduktionen und Auflösung des eigenen Rennstalles an glorreiche Zeiten anknüpfen. Der letzte Derbysieger aus Napajedler Zucht war 1995 Regulus (Lincoln), ein Sohn der einst im Training von Heinz Jentzsch hocherfolgreichen Redakta (Dakota).
2005 wurde die Aktionsgesellschaft vom lokalen Unternehmer Antonín Sieklík beherrscht, der in den nächsten Jahren mehrere Investitionen tätigte. 2014 gab er das Gestüt an seine zwei Kinder weiter, so richtiges Interesse am Rennsport kam aber bei der neuen Besitzergeneration nie auf. Das letzte traditionelle Züchtertreffen fand in Napajedla 2020 statt. Wie es mit dem Gestütsgelände nun weitergehen wird, bleibt unklar. Im Juni soll das Rathaus entscheiden, ob das Bauprojekt grünes Licht erhalten wird. Der tschechische Jockey Club versucht mit den Besitzern über mögliche Alternativen zu sprechen und inzwischen wurde auch eine Bürgerinitiative ins Leben gerufen, die um die Erhaltung des Gestüts kämpfen will.
Martin Cáp, Prag