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Post aus Prag

Autor: 

Martin Cáp

TurfTimes: 

Ausgabe 445 vom Freitag, 25.11.2016

Unser Mitarbeiter Martin Cap wirft in seiner Kolumne in dieser Woche in einer Reportage einen Blick auf die aktuelle Situation des Rennsports in Ungarn. 

Den Tag wird man auf der Budapester Rennbahn Kincsem Park wahrscheinlich nie vergessen. Man schrieb den 19. April 2009 und ganz Ungarn war verzaubert von einem Pferd, über das die Welt sprach. Der vierjährige Overdose, amtierender Sieger der Goldenen Peitsche, sollte sein Saison-Debüt geben, nach dem eine aufwendige Kampagne im Ausland geplant war. Eigens wegen dem Superstar des Besitzers Zoltán Mikóczy schuf man ein 1000 Meter langes Rennen auf der geraden Bahn, damit Overdose gut in die neue Saison starten konnte. Aus Frankreich wurde Christophe Soumillon eingeflogen.

„Ich kann mich noch erinnern, wie wir gerätselt haben, wie viele Menschen auf die Rennbahn kommen werden. Wir haben um die 8000 Zuschauer erwartet…“ sagt der Budapester Rennsekretär Rezsö Szécsi. Weit gefehlt, am großen Tag kamen 20 000 Menschen und Kincsem Park platzte förmlich aus allen Nähten. Im Zuschauerraum pulsierte eine ungewohnte Euphorie und Energie, als Overdose mit Soumillon hochüberlegen um acht Längen gewann und die Konkurrenz bei seinem 12. Sieg in Grund und Boden galoppierte. Nach dem Rennen erschienen auf dem Geläuf Kamerateams und Fotografen aus aller Welt. „Hungary’s Spirits Are Back Up, on a Horse“ meinte die New York Times auf der Titelseite. Selbst der damals in der Opposition befindliche jetzige Premierminister Viktor Orbán hielt es für nötig, im Stall von Overdose vorbeizuschauen.

Mehr als sieben Jahre später ist die sensationelle Story von damals längst Geschichte, Overdose lebt nicht mehr und in Kincsem Park ist wieder Ruhe eingetreten. Ende November 2016 findet gerade der letzte Galopp-Renntag der Saison statt. Der in Tschechien tätige Bauyrzhan Murzabayev gewinnt drei Rennen inklusive des Szunyogh István E.V. Hendikep mit dem dreijährigen Waslawi (Halling), das zweite Hauptrennen des Tages Ürményi díj für zweijährige Pferde wird von deutsch gezogenen Pferden beherrscht. Der Deckhengst It's Gino und der Stall 5-Stars als Züchter stellen den Sieger Brilliance und den dritten Bubi Pata, den zweiten Platz holt sich Altay (Samum) aus der Zucht von Sergej Penner.

Stanislav Georgiev wird zum Jockey-Champion gekürt, wenig Spannung bietet auch die Trainerstatistik, wo der aufstrebende Gábor Maronka die ganze Saison die Nase vorne hatte. Auf der Rennbahn tummeln sich vor allem Stammkunden herum, viele bleiben lieber im Inneren der modernen Tribüne, die vor mehr als 10 Jahren direkt vor der alten denkmalgeschützten Tribüne aus dem Jahr 1925 gebaut wurde, um den Zuschauerkomfort zu verbessern. Man würde meinen: „Daily Business“. Aber in Budapest schmiedet man 190 Jahre nach den ersten Rennen im Lande wieder große Pläne.

„Wir sind mit der Saison ganz zufrieden.“ sagt der Rennbahndirektor István Pécsi hinter dem Tisch im obersten Stock der Tribüne, von wo man einen guten Ausblick auf die ganze Anlage mit der Graßbahn, 1300 Meter langen Geradebahn, künstlicher Sandbahn und Traberbahn hat. „Der klassische Jahrgang schien nicht so gut zu sein. Wir hätten nicht gedacht, dass es ein in Ungarn gezogener Dreijähriger zum Pferd des Jahres schaffen wird,“ meint Pécsi. Er spricht von My Luck (Steady As A Rock) aus der eigenen Zucht des Traditionsgestüts Bábolna, das seine Pferde in Ungarn und der Slowakei trainieren lässt. My Luck siegte im Frühjahr als krasser Außenseiter im Nemzeti Díj (2000 Guineas) und sogar sein Trainer traute ihm keine richtigen Steherqualitäten zu. My Luck gewann aber auch das St. Leger und stieg zu einer der Hauptpersönlichkeiten der Saison 2016 auf.

Pécsi weiß solche Storys zu schätzen. Er war lange Jahre der populärste Rennbahnkommentator im Lande, bevor er letztes Jahr den Posten des Rennbahn-Chefs übernahm und somit zum Mann Nr. 1 des ungarischen Rennsports wurde. Denn die Rennbahn, Organisation der Rennen und das Wettgeschäft sind in Ungarn in einer Hand, des Staates. „Als ich angefangen habe, war vor allem ein Ziel vor mir, die Bedingungen für den Rennsport und die Vollblutzucht zu verbessen. Jetzt bin ich im zweiten Jahr meiner Amtszeit und es hat sich vieles getan. Ausländische Gäste reagieren auf die Entwicklung in Budapest positiv", sagt Pécsi. Zur Zeit hat Ungarn um die 400 bis 450 Pferde im Training. Man hatte sich erhofft, dass man neue große Besitzer ins Land locken könnte und dass mehr Jährlinge aus dem Ausland importiert werden. Solche Erwartungen haben sich bisher nicht ganz erfüllt, die Zahl der Pferde steigt aber langsam an.

Dazu trägt auch die schwierige Zeit in der Region bei. „Vielleicht 70 oder 80 Prozent der österreichischen Pferde laufen mittlerweile bei uns. Probleme gab es auch in Serbien, einige von serbischen Besitzern in England erworbene Pferde kamen ins ungarische Training und sind in Budapest zu sehen. Wir hoffen, dass wir allmählich auch das Interesse von mehreren lokalen Investoren und Begeisterten wecken können", sagt Pécsi, vor dem aber auch andere große Herausforderungen stehen.

Die intensive Zusammenarbeit mit der französischen PMU soll ab Februar 2017 ein weiteres Resultat in Form von „Kincsem +“, einer ungarischen Variante des Quinté + bringen. Das Projekt, von dem man sich eine bessere Zukunft des Rennsports erhofft, soll in 4500 Wettannahmestellen der staatlichen Toto-Lotto-Kette präsent sein und wird durch eine aufwändige und offensive Werbekampagne mit dem Budget von 2 Millionen Euro gefördert. Ab Januar sollte auch der Weg frei für die bisher nicht funktionierende Internetwette sein. „Für uns ist es regelrecht ein historisches Projekt. Das große Ziel ist, den Wettumsatz in den nächsten drei bis fünf Jahren wesentlich zu steigern, damit der Staat den Rennsport nicht so grundlegend wie heute unterstützen muss. Es sieht wie eine sehr anspruchsvolle Aufgabe aus, aber man muss auch sehen, dass der Gesamtumsatz der staatlichen Lotterie eine Milliarde Euro ist. Wenn sich Galopprennen wenigstens mit einem kleinen Teil an diesen Summen beteiligen könnten, wäre es eine gute Sache", sagt Pécsi.

Eine gute Grundlage dafür sollte eine starke Medienpräsenz schaffen. Der Fernsehkanal Sport TV zeigt schon jetzt sechs Stunden täglich Rennen aus dem Ausland, vor allem aus Frankreich. Man versucht auch dreitägige thematische Meetings von Freitag bis Sonntag zu veranstalten. Eine große Resonanz hatte die „Food Truck Show“ mit 20 000 Menschen auf der Rennbahn, neue Wege will man mit einem dreitägigen Derby-Meeting gehen, während dessen es jeden Tag ein Derby gibt – neben dem Galopp- auch ein Traber- und Hundederby. „Wir müssen wesentlich die Popularität des Sports steigern, intensiv an der Marketingstrategie arbeiten", meint Pécsi. Ob es im Laufe der Zeit realistisch ist, einen neuen Overdose zu finden? Wir müssen mindestens dazu bereit sein und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, glauben die Ungarn.

Inzwischen sieht man auch auf dem historischen Gelände des Kincsem Park zahlreiche Neuerungen und Investitionen. Im Inneren der Rennbahn wird ein See gebaut, den man in Zukunft auch für den Fahrsport nutzen könnte. In der Umgebung der Tribüne gibt es auch ein Gelände für Springreiten und eine mobile Musiktheater-Szene. Die Stallungen auf der Rennbahn und in der nahe gelegenen Trainingszentrale Alag wurden aufwändig saniert. Ein kleiner Traum ist noch offen. Aus der alten Tribüne könnte in Zukunft nicht nur eine Art Eingangstor auf die Rennbahn, sondern auch ein Museum über die Geschichte des ungarischen Rennsports werden. Ein Projekt existiert bereits, das nötige Geld muss man noch finden.

Auch ohne ein Museum kann man aber auf der Budapester Rennbahn sprichwörtlich die Turf-Geschichte spüren. Nicht nur dank der Statuen von Kincsem und Imperiál, der zwei großen Vorgänger von Overdose. Es gibt hier noch immer Menschen wie József Hesp. Der ungarische Handicaper und Turf-Historiker ist ein direkter Nachkomme des Kincsem-Trainers Robert Hesp. „Ich bin die fünfte Generation unserer Familie, die im Rennsport tätig ist", sagt der Mann, der mit jedem Gesichtszug an seinen berühmten Vorfahren aus dem 19. Jahrhundert erinnert und der fleißig an einem Buch über die Geschichte des ungarischen Turfs arbeitet. „Aber nach mir ist Schluss, eine sechste Turf-Generation wird es so nicht mehr geben. Meine Nachkommen interessieren sich leider nicht für Pferde…“ schmunzelt Hesp und zeigt mir noch einmal alte Bilder aus der glorreichen Vergangenheit. Auch er glaubt und hofft, dass dieser Sport in Ungarn eine Zukunft hat.

Martin Cáp, Prag – Budapest

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