Drucken Redaktion Startseite

Poldi's Liebling und ...

Autor: 

Turf aktuell

TurfTimes: 

Ausgabe 493 vom Donnerstag, 09.11.2017

Als am vergangenen Sonntag der von Andreas Wöhler trainierte Tai Chi-Sohn Poldi’s Liebling das letzte Gruppe-Rennen der Saison für den jüngsten Jahrgang im Krefelder Stadtwald nach hartem Kampf gewann (Klick zum Rennen), dürften sich nur die wenigsten Turf-Fans darüber Gedanken gemacht haben, nach wem dieses Rennen eigentlich benannt ist, schließlich stehen bei Galopprennen die vier- und zweibeinigen Akteure im Vordergrund und nicht die Namensgeber einer Prüfung. Das Krefelder Ratibor-Rennen ist jedem Turf-Fan ein Begriff, die Frage nach dem Namensgeber dieser Traditionsprüfung erzeugt jedoch in Turf-Kreisen meist ein Stirnrunzeln. Auch der Krefelder Rennclub kann zur Aufklärung nichts beitragen, so dass wir hier die bereits in der Hoppegartener Phase liegenden Ursprünge der Namensgebung dieser Zweijährigen-Prüfung beleuchten wollen, nachdem wir uns in der letzten Woche mit der sportlichen Bedeutung des Ratibor-Rennens in seiner mehr als 140jährigen Geschichte beschäftigt haben (Klick zum Bericht).

Seit 1891 trägt das in seinen Anfängen als Deutscher Gestüts-Preis gelaufene Rennen den Renntitel „Herzog von Ratibor-Rennen“ und erinnert damit an den zweiten Präsidenten des Union-Clubs, eine Ehre, die keinem anderen der insgesamt acht Präsidenten des Union-Clubs aus der Zeit zwischen Gründung im Jahr 1867 und Ende des zweiten Weltkrieges heute noch zuteilwird. Besagter Herzog von Ratibor wurde als Viktor Moritz Karl Franz von Hohenlohe-Waldenburg-Schillingsfürst im Jahr 1818 auf Schloss Langenburg rund 50 Kilometer nordöstlich von Heilbronn geboren. Er war als ältester Sohn des Fürsten Franz von Hohenlohe-Schillingsfürst von Geburt an Erbprinz, entstammte allerdings einer unbedeutenden Hohenloher Seitenlinie ohne größeren Landbesitz. Erst durch das Testament seines kinderlosen Onkels, des Landgrafen Viktor-Amadeus von Hessen-Rotenburg, veränderte sich seine Stellung. Dieser setzte ihn als Erben seiner außerhessischen Besitzungen ein, so dass das oberschlesische Herzogtum Ratibor - heute zu Polen gehörend, unweit der Grenze zum heutigen Tschechien knapp 40 Kilometer nördlich der drittgrößten tschechischen Stadt Ostrau gelegen - und das ostwestfälische Fürstentum Corvey rund um die Stadt Höxter nach dem Tod des Onkels 1834 an ihn übergingen, wobei sein Vater die Verwaltung der Besitztümer bis zu seiner Volljährigkeit innehatte.

Mit dem Antritt des Erbes verzichtete er zugunsten seines Bruders Philipp Ernst auf seinen Schillingfürster Fürstenthron, so dass er nun als Viktor I. Herzog von Ratibor und Fürst von Corvey einen Platz in der vorderen Reihe des deutschen Adels innehatte. Zum Stammhaus der Familie – Viktor hatte mit seiner Frau, der Prinzessin Amalie von Fürstenberg, insgesamt zehn Kinder – wurde Schloss Rauden in seinem oberschlesischen Herzogtum, das Schloss Corvey – heute aufgrund seiner Bibliothek zum UNESCO Weltkulturerbe gehörend – nutze er nur selten als Sommerresidenz. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts machte er eine beachtliche politische Karriere, die ihn nach 30jähriger Mitgliedschaft in verschiedenen Parlamenten 1877 in die Rolle des Präsidenten des damaligen preußischen Herrenhauses, der ersten Kammer des preußischen Landtags, brachte. Diese Präsidentschaft – im heutigen Deutschland vergleichbar mit der aktuell von Wolfgang Schäuble ausgeübten Rolle des Bundestagspräsidenten - wurde ihm nach einjähriger Amtszeit auf Lebenszeit verliehen, so dass er insgesamt mehr als sechzehn Jahre in dieser Funktion formal nach dem Ministerpräsidenten zweithöchster Repräsentant im preußischen Staate war.

Verbunden mit seiner gesellschaftlichen Stellung und seinen politischen Funktionen waren für den Herzog von Ratibor auch zahlreiche weitere Ämter, darunter u.a. der Vorsitz im Direktorium des Schlesischen Vereins für Pferdezucht und Pferderennen mit Sitz in Breslau. Durch diese Funktion gehörte er auch zu den 36 Gründungsmitgliedern des am 15. Dezember 1867 in Berlin aus der Taufe gehobenen Union-Clubs. Die zuvor nur regional in 50 Rennvereinen betriebenen Aktivitäten der deutschen Vollblutzucht sollte durch diese gesamtdeutsche Organisation untereinander abgestimmt und unter ein gemeinsames Dach gebracht. Unter seinem Gründungspräsidenten, Hugo Fürst zu Hohenlohe-Oehringen, ging der Union-Club diese Aufgabe zielstrebig an, investierte in den Aufbau eines eigenen Gestüts und einer neuen Galopprennbahnen mit großem Trainingsareal vor den Toren Berlins in Hoppegarten. Zudem übernahm der Union-Club die Organisation des Rennbetriebs von Galopp- und später phasenweise auch von Trabrennen.

Nach sieben Jahren endete die Präsidentschaft des Fürsten zu Hohenlohe-Öhringen, der auch als Besitzer von Vollblütern viele sportliche Erfolge, u.a. zwei Derby-Siege durch Pirat (1877) und Künstlerin (1879), zwei Erfolge in den damals als Henckel-Rennen gelaufenen deutschen 2000 Guineas durch Zützen (1877) und Blue Monkey (1881) sowie einen Triumph im Großen Preis von Baden durch Il Maestro (1874), hatte feiern können. Zu seinem Nachfolger wurde Viktor Herzog von Ratibor gewählt, der weder als Züchter noch als Besitzer von Vollblütern besonders in Erscheinung getreten war. Die Geschicke des Union-Clubs führte er dennoch erfolgreich von 1874 an über fast 19 Jahre, so lange wie kein anderer Präsident des Union-Clubs. Sie endete mit dem Tod des Herzogs am 30. Januar 1893, der an den Folgen einer Lungenentzündung auf Schloss Rauden verstarb. Welche gesellschaftliche Bedeutung der Herzog von Ratibor zu dieser Zeit innehatte, zeigte nicht nur seine anschließende Beerdigung, zu der Kaiser Wilhelm II. und zahlreiche Vertreter des deutschen Hochadels und führende Repräsentanten der deutschen Wirtschaft ins oberschlesische Rauden reisten, sondern auch die vielen Nachrufe und Beileidsbekundungen in der überregionalen deutschen Presse, die in der ersten Februarwoche 1893 allerorten erschienen.

Auch Viktor II. Herzog von Ratibor und Fürst von Corvey, der als ältester 1847 auf Schloss Rauden geborener Sohn das Erbe antrat, übernahm als Vertreter des Hochadels und promovierter Jurist im deutschen Kaiserreich dieser Zeit politische Ämter, allerdings erreichte seine Bedeutung nie das Level seines Vaters. Zu Vollblutzucht und Galoppsport findet sich bei ihm keine Beziehung, er war offenbar der PS-stärkeren Fortbewegung zugetan, wie seine Rolle als erster Präsident des 1899 gegründeten Kaiserlichen Automobil-Clubs zeigt.

Direkte Nachkommen des Namensgebers des Ratibor-Rennen existieren noch heute. Der 1964 in Wien als Viktor Metternich-Sándor geborene Ururenkel des einstigen Union-Club-Präsidenten nennt sich seit dem Tode seines Vaters im Jahr 2009 „Herzog von Ratibor und Fürst von Corvey“, allerdings haben diese Adelstitel im heutigen Deutschland nur noch die Bedeutung eines Namenszusatzes. Der aktuelle Herzog von Ratibor verlegte mit seiner Familie den Wohnsitz aus Österreich an die Weser und verwaltet seit vielen Jahren die barocke Schlossanlage in Corvey. Unter seinen bislang vier Kindern befindet sich auch der heute 13jährige Erbprinz Viktor, so dass bereits die direkte Nachfolge in sechster Generation durch den dann fünfter Viktor als Herzog von Ratibor gesichert ist. Ob jemals ein Nachkomme des ersten Herzogs eine Auflage des nach seinem berühmten Vorfahren benannten Galopprennens in Krefeld live mitverfolgt hat, konnten wir in unseren Recherchen nicht feststellen. Die von Dr. Günter Tiggesbäumker (Universität Paderborn) verfasste historische Aufbereitung unter dem Titel „Das Herzogliche Haus Ratibor und Corvey“, die wesentliche Grundlage für unsere Schilderung war, ist zwar eine Fundgrube vieler biographischer Details zu den Vertretern dieser Adelsfamilie, doch hierzu macht sie keine Angaben.

Verwandte Artikel:

Block: Adsense 728 x 90
Google AdSense 728x90