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National Hunt: Cheltenham und die "Tier"-Regeln

Erneuter Sieg auf der Insel: Wild Max. www.galoppfoto.de - Sabine Brose

Autor: 

Catrin Nack

TurfTimes: 

Ausgabe 649 vom Freitag, 18.12.2020

Das vergangene Wochenende stand im Zeichen von Cheltenham, Festival-Stimmung kam jedoch noch nicht auf. Zwei Renntage boten guten Sport vor einer Handvoll von Zuschauern, ohne dass absolute Stars am Start waren. Das 2020er Cheltenham Festival war die letzte Großveranstaltung des Sports vor Beginn der Corona-Pandemie. Zwischen 70.000 Zuschauern täglich schien es unvorstellbar, dass „ein kleiner europäischer Virus“ (O-Ton eines Zuschauers) mit so tragischen Folgen wüten würde.

Infektions- und Todeszahlen auf der Insel sind nach wie vor besorgniserregend hoch. Die Britische Regierung hat ein  kompliziertes „Tier“ System („Tier“ übersetzt sich frei mit „Ebene, Stufe“) eingeführt, welches nach dem nationalen Lockdown am 2. Dezember in Kraft trat und bereits an diesem Mittwoch angepasst werden musste. Dabei ist Tier 1 („mittlerer Alarm“) die niedrigste und Tier 3 („sehr hoher Alarm“) die höchste Stufe, selbstredend mit den meisten Einschränkungen.

Unter Tier 1 und 2-Regeln waren und sind Zuschauer zugelassen; abhängig von der Kapazität der Sportstätten zwischen max. 4.000 (Tier 1) bzw. 2.000 (Tier 2) Keine Rennbahn war in einer Tier 1 -Region; einige von vornherein in Tier 3. Die Aufteilung geschieht nach Grafschaften und stellt damit einen ziemlichen Flickenteppich dar. Tickets für einzelne Top-Veranstaltungen wie z.B. die Tingle Creek Chase kamen nur in stark limitierte Zahl in den freien Verkauf, genaue Zahlen wurden nicht veröffentlicht (ca. 1000, die in 17 Minuten ausverkauft waren. Allerdings fanden einige Käufer erst später heraus, dass sie selber in Tier 3-Zonen lebten und darum gar nicht anreisen durften).

Zumeist rekrutierten sich die besagten rund 2.000 Zuschauer aus Mitgliedern der einzelnen Rennbahnen. Cheltenham hat rund 5.000 Mitglieder, so dass unter allen, die die Rennen am vergangenen Wochenende besuchen wollten, das Losverfahren entscheiden musste und rund 1.950 Zuschauer tatsächlich auf der Bahn waren. Auch wenn alle Corona-Regeln über Weihnachten gelockert werden sollen, so ist seit Mitte der Woche auch London in der Tier 3-Region, was z.B. bedeutet, dass kein Londoner das Weihnachts-Highlight, den King George Chase in Kempton, besuchen darf. Technisch liegt die Rennbahn in Surrey, nicht in London, und darf daher 2.000 Zuschauer zulassen, aber eben nicht mit Wohnort London. Das nordenglische Wetherby könnte von den neuen Tier-Regeln entlastet werden und 2.000 Zuschauer zulassen.

Huntingdons Peterborough Chase (Gr.2, 2m4f) fiel den Fluten (ein nahegelegener Fluss hatte die Ufer überschritten) zum Opfer. Die Traditionsprüfung wurde kurzerhand nach Cheltenham verlegt. Gift für Titelverteidiger Top Notch (Trainer Nicky Henderson, Jockey Daryl Jacob), der auf dieser Bahn – trotz einiger guter Leistungen – tatsächlich noch nie gewonnen hat. Diesen Bann konnte der kleine, zähe Wallach erneut nicht brechen, lief gar eines der schlechtesten Rennen seiner Laufbahn. Sieger wurde sein Trainingsgefährte Mr. Fisher, ein sechsjähriger Jeremy-Sohn. Der Wallach ist an einem guten Tag sehr gut (und nun recht prominent im Wettmarkt für die Ryanair Chase), an anderen Tagen manchmal schockierend schlecht. Trainer Nicky Henderson war nach dem Altior-Debakel vor Wochenfrist noch etwas „angefasst“, hat hier aber einen jungen Leistungsträger am Stall.

Am Samstag standen einige Graded Prüfungen an, die International Hurdle (Gr.2, 2m1f) ist eine Vorbereitung auf die Champion Hurdle. Unter Order u.a. Gary Moore´s Goshen, der im März in der Triumph Hurdle mit dem Sieg in der Hand so unglücklich am letzten Sprung gefallen war. Nach einigen fruchtlosen Versuchen auf der Flachen kam der Wallach, den Moore als „phänomenales“ Pferd bezeichnet, zurück über Hindernisse und als heißer Favorit an den Start. Es sollte nicht sein. Während Tom Symonds nützlicher Song for Someone und Evan Williams verlässlicher Schimmel Silver Streak das Finish auskämpften, kam Goshen abgeschlagen als Letzter ins Ziel. Nach den Rennen wurde ein irregulärer Herzschlag diagnostiziert.

Die weiteren Hauptrennen gingen nach Irland, der als Handicap gelaufene Gr.3 Caspian Caviar Gold Cup (2m4.5f) wurde erstaunlich leichte Beute von Michael Winters´ Chatham Street Lad. Der achtjährige Wallach brachte ordentliche Formen aus kleineren Handicaps mit, stand aber nicht umsonst 16-1. Am Gebiss und mit 15 Längen Vorsprung ließ er seine Handicapmarke wie ein Geschenk aussehen, nicht zum ersten Mal, dass irische Trainer ihre englischen Kollegen verärgern. Winters, eine Art Veteran und echter Charakter der irischen Trainerszene, rollte sich nach dem Sieg im Matsch von Cheltenham, „so machen es doch auch Schweine, wenn sie glücklich sind“.

Landsmann John McConnell´s Make Good entführte die Albert Bartlett Novices´ Hurdle (Gr.3, 3m) auf die grüne Insel, auch hier gab es mit 12-1 eine lohnende Quote. Der fünfjährige Fast Company Sohn hatte bemerkenswerte 35 Rennen im Bauch, davon viele auf der Flachen.  Beim 36. Start wurde der erste Versuch in Graded-Gesellschaft – und über drei Meilen – ein voller Erfolg. Zweifelhaft, ob er im gleichnamigen Rennen beim Festival 21 wird nachlegen können.

Auch Pferde mit deutscher „Vergangenheit“ machten auf dem überall zumindest weichen Boden nachdrücklich von sich reden. Der inzwischen von David Pipe trainierte, vom Gestüt Schlenderhan gezogene Wiener Walzer- Sohn Adagio beeindruckte in einem Triumph Hurdle Trial nicht wenig; im nordenglischen Doncaster siegten mit Ecco und Wild Max zwei Söhne des Ex-Fährhofers Maxios. Während Ecco durch Disqualifikation des Siegers - Fehlgewicht des Reiters - gewann und nach einigen Versuchen in schweren Rennen vielleicht „erfasst“ ist, war es für den vom Gestüt Brümmerhof gezogenen Wild Max, einen Wildfährte-Sohn aus der Familie der Waldrun der vierte Sieg im sechsten Rennen über Hürden. Der fünfjährige Wallach, der in den Farben der „Owners Group 036“ läuft und rund dreitausend Besitzer hat, gewann ein Class2-Handicap über rund zwei Meilen mit großer Überlegenheit und könnte nun in gehobener Gesellschaft an den Start kommen.

Catrin Nack

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