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National Hunt - Die andere Meinung zum „Fall Elliott“

Morgan - um die Geschehnisse nach dem Tod dieses Pferdes geht es. Foto: David Betts

Autor: 

Catrin Nack

TurfTimes: 

Ausgabe 658 vom Freitag, 05.03.2021

Der Gau brach am späten Samstag nachmittag auf den irischen Rennsport ein.

Eine Bombe, bestehend aus tausenden Pixeln.

Das Bild eines Trainers, auf einem toten Pferd sitzend. Mit dem Handy telefonierend, während er mit der linken Hand das Victory-Zeichen macht. Ein Bild, das traurig, betroffen, wütend macht. Unentschuldbar ist. Die Macht eines Bildes, bei dem die Fantasie keinen Raum hat.

Der Auftakt eines Alptraums, aus dem es kein Erwachen zu geben scheint. Unglaube und erste Zweifel mussten der Erkenntnis weichen, dass das Bild echt ist. Seitdem kein Tag ohne neue Bilder, Videos gar. Die sozialen Medien in Ekstase, Print-Medien auch hierzulande nutzten das Bild, um eine ganze Sportart in Verruf zu bringen. Ein Bild, das bleiben wird, sich nicht mehr „einfangen“ lässt. Doch darf sorgfältige Pressearbeit vor der Macht des Bildes kapitulieren? Muss sie nicht zumindest versuchen, HINTER das Bild zu sehen, und ÜBER das Bild hinaus zu denken?

Lesern dieser Kolumne ist der Name Gordon Elliott wohl geläufig. Nach Willie Mullins der zweitmächtigste Hindernistrainer Irlands, 205 Pferde standen zu Beginn dieser Saison in seinem Stall. Superstars der größten Besitzer des Sports befanden sich in seiner Obhut. Sieger fast aller großen Rennen hat er trainiert, 31 Cheltenham Festival-Sieger, drei Grand Nationals. 2007 brach er wie ein Sturm über die Szene ein. Anders als Willie Mullins und viele andere irische Trainer jedoch nicht aus einer Rennsport-Familie stammend; ein echter Self-Made-Trainer, der sich den Weg nach oben hart erarbeitet, er-boxt, hat. Ein Mann, der sich auf dem Weg nach oben Bewunderer, Freunde, aber auch Feinde gemacht hat. Ein „genialer“ Trainer, dessen dunkle Charakterseite nun offen sichtbar wurde.

Der irische Verband wird sich am Ende dieser Woche mit dem „Fall Elliott“ beschäftigen. Keine leichte Aufgabe, so offensichtlich ist das Vergehen nicht. Das Pferd, Morgan sein Name, ist bereits im Jahr 2019 bei Trainingsunfall gestorben; ein Vergehen gegen ein Tierschutzgesetz (welches Irland erst seit 2010 hat) liegt keineswegs vor. Im Gegenteil, Elliotts Pferde sind regelmäßig die bestgepflegten im Führring, groß, stark und fit, gut im Futter, mit glänzendem Fell und klaren Augen.

Dumm, geschmacklos, morbid, von falschen Freunden umgehen. Umstände, die vor Strafe nicht schützen, nicht schützen sollen und dürfen.

Auch hat Elliott selber das Bild selbstredend nicht verbreitet. Es lauerte im Hintergrund, besagte Bombe in falschen Händen. Nun gezündet aus persönlicher Rache, auch wenn verschiedene Quellen aus Irland unterschiedliche Szenarien entwerfen; Elliott zudem kein einfacher Arbeitgeber war.

Das Unentschuldbare ist seiner Definition nach nicht entschuldbar. Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte.

„If you work with livestock, you work with deadstock” sagte die bekannte Hindernistrainerin Henrietta Knight, kurz nachdem ihr dreifacher Cheltenham Gold Cup Sieger Best Mate vor ihren Augen verblutet war. Wer mit Tieren arbeitet, muss mit dem Tod leben. Wer Fleisch isst, isst tote Tiere. Die Bilder, die zur Produktion gehören, gibt es, doch sie lassen sich leicht ausblenden. Die Presse hat kein Interesse an Diffamierungen dieser Art.

Man muss nicht betonen, dass auch ein totes Tier Würde verdient, verdienen sollte. Diesen Artikel schmückt ein Foto des lebendigen Morgan, kein Superstar, aber ein Pferd, das im Rennen immer sein Bestes gab. Der einen Pfleger hatte, der ihn liebte.

Bomben mit großer Sprengkraft haben immer auch unschuldige Opfer. Besitzer, die sich hintergangen fühlen; Stallpersonal, das die Pferde liebte, das um seine Jobs bangen muss. Fans der Pferde, die Elliott formte, die – so unglaublich es klingen mag – „natürlich“ sein Leben waren. Der gesamte Rennsport erneut unter Generalverdacht, den die „Industrie“ auch erstaunlich schnell annahm.

Schwer vorstellbar, dass Elliott diesen Skandal überstehen wird. Der BHA, die britische Aufsichtsbehörde, hat im vorläufig ein Startverbot auferlegt; als Ire ist Elliott natürlich außerhalb ihres juristischen Einflusses. Bereits haben sich Sponsoren zurückgezogen, Stars wie Envoi Allen und Quilixios den Stall verlassen. Gerüchten zufolge will Elliott seine Lizenz freiwillig abgeben; auch für die „Schädigung des Ansehens des Rennsports“ kann – und wird – diese Strafe verhängt werden. Die im letzten Jahr wegen schwerer Verstöße gegen das Tierschutzgesetz auch gegen einen Besitzertrainer in Deutschland verhängt wurde, fünf ganze Jahre wurde seine Lizenz entzogen. Keine Bilder, kein Aufschrei. 

Die sozialen Medien haben das Wort „sozial“ inzwischen teilweise wiederentdeckt. Es ist nicht lange her, da beging eine britische Moderatorin, nach privaten Fehltritten von der Presse gnadenlos verfolgt, Selbstmord.

Das Hashtag #bekind (#seigütig) nimmt Fahrt auf.

Elliott wird „einen Moment der Dummheit mein Leben lang bereuen“. Wenn die Welt des Rennsports nun eine bessere wird, kommt etwas Gutes aus dieser Affäre. Weil wir die Pferde lieben, nicht, weil wir uns an einer Person rächen wollen.

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