Drucken Redaktion Startseite

Der Klimawandel erreicht den Rennsport

Harry Skelton nach dem Sieg von Protektorat, im Hintergrund sein Bruder Dan. Foto: courtesy by Haydock racecourse

Autor: 

Catrin Nack

TurfTimes: 

Ausgabe 746 vom Freitag, 25.11.2022

Die winterliche Hindernis-Saison auf den Inseln ist bereits seit einiger Zeit in vollem Schwung. In vollem? Nun denn. Es wurden u.a. bereits zwei Meetings in Cheltenham, der „heiligen“ Bahn des Hindernissports, abgehalten. Echte vierbeinige Stars waren jedoch bisher Mangelware. Dies sollte sich am vergangenen Wochenende ändern. In Haydock stand das erste Grade1-Rennen der Saison, die Betfair Chase, an. Ein junger „Klassiker“;  auf der Starterliste stand kein Geringerer als der amtierende Cheltenham Gold Cup Sieger A Plus Tard (Trainer: Henry de Bromhead – Jockey Rachael Blackmore).  An einem für den Sport kontroversen Wochenende war er im Endeffekt einer der wenigen großen Namen, die auch tatsächlich die Bahn betraten.

Es wäre verwegen, im Galopprennsport ein Spiegelbild der Gesellschaft zu sehen. Was wir jedoch zunehmend sehen, ist ein Spiegelbild des herrschenden Klimawandels. Heiße Sommer, selten – und dann viel – Regen; die Rennbahnverwalter sind das ganze Jahr über gebeutelt. Niedrigstehende Sonne zwingt die Rennveranstalter dazu, aus Sicherheitsgründen einzelne Hindernisse – oder gleich eine gesamte Gerade – auszustecken. Wer im Sommer aufmerksam große Flachrennen auf Englands Premium-Bahnen, von denen viele Flach- und Hindernisrennen abhalten und zu denen Ascot und das nordenglische Haydock ganz sicher gehören, verfolgt hat, wird mit sorgenvollem Blick die gelben, gänzlich vertrockneten Innenbahnen gesehen haben. Hier stehen die Hindernisse. Das übermäßige Wässern, in einem der trockensten britischen Sommer seit Menschengedenken, hatte bereits in der Flach-Saison zu einigen haarigen Situationen und Renntagabbrüchen geführt. Nun tritt in England vermehrt ein neues Phänomen auf: Es regnet zwar, aber der Boden wird trotzdem nicht weich.

Mehr als 38mm hatte es zu Beginn der letzten Woche im Süden Englands, und somit auch in Ascot, aus dem Himmel geschüttet; trotzdem musste Rennbahnverwalter Chris Stickels, einer der erfahrensten Männer seiner Zunft, am vergangenen Freitagabend wässern (!). Die offizielle Bodenangabe musste von gut-weich, stellenweise weich zum Samstag hin auf gut, stellenweise gut-weich geändert werden; solch eine Austrocknung – trotz des Regens – kennt man sonst nur aus dem Sommer. Nachdem der renommierte Hindernistrainer Alan King nach dem freitäglichen Renntag gar kundtat, dass einer seiner Schützlinge sich auf dem „festen“ Boden Stauchungen zugezogen hatte, nahm das Unheil seinen Lauf.

Ascots Samstagsrenntag, an dem sich Stars der Szene wie Constitution Hill, Edwardstone und L´Homme Presse – Cheltenham Festival-Sieger allesamt, und die Creme dessen, was der britische Hindernissport (im Gegensatz zum irischen zu bieten hat – wurde von einer wahren Flut von Nichtstartern überschwemmt. Ein etwas zähes Wortspiel, mit ernstem Hintergrund. Ganze 15 Pferde wurden gestrichen; es blieben für den gesamten Renntag mit sieben Rennen gerade einmal 30 Starter. Ein Rennen wurde gar zum „Walk-over“ – es war nur ein einziger Starter verblieben. Bei Eintrittspreisen von 25 Pfund aufwärts hielt sich das Verständnis der zahlenden Zuschauer in Grenzen, zumal die Nichtstarter tröpfchenweise und so spät bekannt gegeben wurden, dass viele ihren Eintritt bereits bezahlt hatten.

„Der Boden ist wie ein durstiges Nilpferd“, wurde Newburys Rennbahnverwalter zitiert; auch Stickels hatte seinen Unmut darüber, dass die verdorrten Böden das Wasser wie ein Schwamm aufsaugen würden, kundgetan.  „Oben mag es ok sein, aber unter der ersten Schicht ist der Boden steinhart“ wurde Constitution Hills ständiger Jockey Nico de Boinville zitiert. Somit verpasste Ascot die Chance, an einem ansonsten sportfreien Samstag bei voller Übertragung im öffentlichen Fernsehen ein Schaufenster des Sports zu sein.  Bei zwei Grade2-Rennen mit genau sechs Startern reichte es gerade einmal zu gehobener Hausmannskost. In der Coral Hurdle (Gr.2, ca. 4000m), dem Rennen, in dem Constitution Hill durch Abwesenheit glänzte, kam mit dem von Gary Moore trainierten und Sohn Jamie gerittenen Goshen (Authorized) immerhin ein absoluter Publikumsliebling zum Zug. 2020 der tragische Held von Cheltenham, als er in der Triumph Hurdle (Gr2, 2m) uneinholbar in Front liegend am letzten Sprung seinen Jockey verlor, ist der 6j. Wallach inzwischen zehnfacher Sieger und war zuletzt auch auf der Flachen fleißig.

Die Betfair Chase im nordenglischen Haydock ist – wie schon erwähnt – die erste Gr.1 Prüfung der laufenden Saison in England; das Rennen gibt es seit 2005. Der große Kauto Star gewann hier vier Mal, mit Evergreen Bristol de Mai kam immerhin ein dreifacher Sieger an den Ablauf. Auch ohne späte Nichtstarter und gravierende Bodenprobleme (der offiziell mit „weich“ angegeben wurde) litt das Rennen an akutem Startermangel, es wurden nur fünf Pferde angegeben. Darunter allerdings das sprichwörtliche „Zugpferd“ des Wochenendes:  der bereits erwähnte A Plus Tard (Kapgarde) hatte die Reise aus Irland angetreten. Der 8jährige Wallach, bei bis dato 19 Rennen niemals schlechter als Drittplatziert und im März überwältigend beeindruckender 15-Längen Sieger von Cheltenhams wichtigstem Rennen, erwischte jedoch einen rabenschwarzen Tag und beendete erstmals in seiner Rennlaufbahn ein Rennen nicht. Sie sei vom Start weg nie glücklich gewesen, so Rachael Blackmore nach dem Rennen; auch die Zuschauer waren es nicht, da der Wallach stets zögerlich sprang, keinen Rhythmus fand und schließlich in der Zielgeraden angehalten wurde. Eine tierärztliche Untersuchung brachte keine Ergebnisse, auch in den nachfolgenden Tagen ergab sich keine Erklärung für das schwache Laufen.

So schlug die Stunde des 7j. Protektorat (Saint des Saints), im Training bei Dan Skelton und (natürlich) geritten von Bruder Harry. Nomen es omen ist der hierzulande bestens bekannte Protektor der Mutter-Vater des Wallachs; tatsächlich trugen alle fünf Starter der Betfair Chase ein französisches Suffix. Als formidables Team konnte Harry, vor allem von Dan unterstützt, im letzten Jahr Champion der Hindernisjockeys werden. Beide sind (natürlich) Söhne des hocherfolgreich britischen Springreiters Nick Skelton; Pferde und ein „Spring-Gen“ sind ihnen somit in die Wiege gelegt. Protektorat, bereits als Novice Grade1-Sieger und immer ein Pferd, dem große Hoffnungen galten, läuft in den Farben einer Besitzergemeinschaft, dessen mit Abstand prominentestes Mitglied Sir Alex Ferguson ist. Die „Mannschaft“ hatte am Tag doppelt Grund zur Freude:  auch der in gleichen Farben laufende Hitman – er allerdings im Training bei Paul Nicholls, bei dem Dan Skelton eine Lehrjahre (u.a. zu Zeiten des großen Kauto Star) absolviert hatte – konnte in Rennen auf Haydocks Karte gewinnen. Ein Sieg, der ihn (Hitman) nachdrücklich für die weihnachtliche King George Chase zu Kempton ins Gespräch brachte. 

In Irland stehen die Zeichen erneut auf dem altbekannten Zweikampf zwischen Willie Mullins und seinem „ewigen“ Widersacher Gordon Elliott. Mullins, Irlands Championtrainer der letzten 15 Jahre, agiert in der laufenden Saison mit einer Quote von 30% Siege zu Starts, 92 Rennen hat er bereits gewonnen; am vergangenen Wochenende war State Man ein erster „großer“ Name. Mit seinem Sieg in der Morgiana Hurdle (Gr1, ca. 3200m) am Sonntag in Punchestown schob sich der wenig geprüfte Doctor Dino-Sohn an prominente Stelle im Wettmarkt für die Champion Hurdle. Gordon Elliott, der seinen Foto-Skandal schnell abgeschüttelt und in der laufenden Saison bereits 106 Sieger trainiert hat, fehlen im Moment – vor allem mit Blick auf Cheltenham – die Blockbuster-Namen. Henry de Bromhead, in den letzten Jahren mit großen Siegen u.a. im Grand National, dem Cheltenham Gold Cup, der Champion Hurdle usw. qualitativ, wenn nicht ganz quantitativ, absolut auf Augenhöhe, verlor im September dieses Jahres seinen Sohn bei einem tragischen Reitunfall; sein Stall findet somit, mehr als verständlich, erst langsam wieder zu gewohnter Stärke.

Catrin Nack

Verwandte Artikel:

Block: Adsense 728 x 90
Google AdSense 728x90