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Ein Jockey namens Rachael

Im Ziel des Grand Nationals 2021: Minella Times und Rachael Blackmore. Foto: Tracy Roberts/Turfpix

Autor: 

Catrin Nack

TurfTimes: 

Ausgabe 664 vom Freitag, 16.04.2021

In seiner 182-jährigen Geschichte hat das Grand National einiges erlebt: Bombendrohungen, Fehlstarts, Massenstürze, Red Rum. Das wohl schönste Kapitel schrieb das Rennen im Jahr 2021. Der unvergleichlichen Rachael Blackmore gelang mit dem achtjährigen Wallach Minella Times als erster Frau der Sieg in dieser Traditionsprüfung. Zum ersten Mal in seiner Geschichte wurde das Rennen zudem „ohne Zuschauer“ ausgetragen, lediglich einige hundert Besitzer waren auf dem Gelände zugelassen. Rund 100 Wagemutige hatten sich zudem auf einem Hügel außerhalb der Bahn, nahe des „Foinavon“ Sprungs versammelt.   

Wo anfangen, wo aufhören, wenn es um Rachael Blackmore geht? Nur Wochen nach ihren sensationellen Erfolgen beim Cheltenham Festival, wo sie u.a. als erste Frau den Sieger – die Siegerin! – eines der Championship-Rennen ritt, brach sie mit Wucht in eine der letzten Bastionen des Rennsports ein. „Pferde, die von Frauen geritten werden, gewinnen das Grand National nicht“ grummelte Ginger McCain, Trainer des legendären Red Rum, noch im Jahr 2005. Sie tun es doch.

Bei ihrem erst dritten Ritt in diesem ikonischen, umstrittenen, doch immer aufregenden Rennen (ein Gr.3 Handicap über 6.907 Meter) servierte Blackmore Minella Times, trainiert von Henry de Bromhead und im Besitz von JP McManus´ Martinstown Stud, ein absolutes Traumrennen. Der Wallach, der mit leichtem Gewicht als Nr. 35 an den Start gekommen war, hatte mit den einzigartigen Hindernissen keinerlei Probleme und zeigte bei seinem 6½ Längen-Sieg vor dem Trainingsgefährten und 100-1 Außenseiter Balko Des Flos mehr Stehvermögen, als ihm manche Experten zugetraut hatte. Dritter wurde Any Second Now (Trainer Ted Walsh, Jockey (nicht verwandt) Mark Walsh).  Die weiteren Plätze belegten Burrows Saint (Willie Mullins – Patrick Mullins (Vater und Sohn)) und der Jukebox Jury-Sohn Farclas (Denise Foster – Jack Kennedy). Der Favorit Cloth Cap wurde drei Hindernisse vor dem Ziel mit Atemproblemen angehalten.

Auf den sechsten Platz kam das erste britisch trainierte Pferd ein; von den fünfzehn Pferden, die ins Ziel kamen, wurden nur drei in England trainiert. Wie in jedem Jahr wurden alle Jockeys eindringlich gebeten, ihre Pferde anzuhalten, wenn es chancenlos war- „die Welt sieht euch zu“. Dem offiziellen Endergebnis zufolge kamen fünf Pferde zu Fall, vier verloren ihren Reiter, der Veteran Ballyoptic verweigerte am Sprung 21. Alle Stürze liefen glimpflich ab, leider verletzte sich jedoch der ebenfalls im Besitz von Martinstown Stud stehende The Long Mile auf der Flachen so schwer, dass er eingeschläfert werden musste..

Henry de Bromhead gelang nach seinem Eins-Zwei im Cheltenham Gold Cup dieses Kunststück nun auch im Grand National; ganz davon abgesehen, dass die Serie seiner Erfolge (Champion Hurdle, Champion Chase, Gold Cup und Grand National in einer Saison) ebenso bemerkenswert wie einzigartig ist. Mit seinen acht Siegen hat de Bromhead alleine in England in der laufenden Saison über 1.5 Millionen Pfund an Preisgeld verdient; in Irland nehmen sich seine dort gewonnen 1.77 Millionen Euro gegen Willie ´ Mullins 3.9 Millionen dagegen eher bescheiden aus.

Erst acht Pferde hatte der in County Waterford beheimatete Trainer im Grand National überhaupt an den Start gebracht, drei davon in der jüngsten Austragung. „Es ist unglaublich, wirklich. Man träumt von solchen Sachen. Rachael war brillant auf ihm, und es war toll, für die McManuses zu gewinnen. […] Über den Winter hatten wir etwas Pech mit Minella Times, aber dies entschädigt für alles. Wir haben mit ihm über Aintree-ähnliche Hindernisse geübt – so selbstgebastelte Dinger – und das scheint ihm geholfen zu haben.“ Sein zweitplatzierter Balko des Flos, einstmals Sieger der Ryanair Chase und von Vorbesitzer Gigginstown Stud im Zuge der Bestandsverkleinerung aussortiert, machte den vollen Erfolg seines Quartiers perfekt.

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https://www.youtube.com/watch?v=OFJixs6FW9o

Doch all dies verblasste im Angesicht von Blackmores Erfolg. 1977 ritt mit Charlotte Brew die erste Frau überhaupt im Grand National, es hatte einer Gesetzesvorlage aus dem Jahr 1975 bedurft, um die Männerdomäne Jockey Club zu überzeugen. 19 individuelle Frauen haben seitdem im Grand National genau 35 Ritte ausgeführt:  im Jahr 1982 war Geraldine Rees die erste Frau, die ins Ziel kam. Ruby´s Schwester Katie Walsh erreichte mit Platz drei im Jahr 2012 die bis dahin beste Platzierung, auf Seabass, trainiert von Vater Ted. Drei Frauen, Bryony Frost, Tabitha Worsley und eben Rachael Blackmore ritten in diesem Jahr. Worsley wurde 14., Frost wurde am zwanzigsten Sprung aus dem Sattel geschleudert und musste kurzfristig im Krankenhaus behandelt werden.

Blackmores historischer Sieg war der Erfolg einer Frau, die sich von der Gender-Debatte am liebsten gar nicht vereinnahmen lassen würden. Sie ist Jockey. Punkt. Keine „weibliche Rennreiterin“ oder gar „Lady Rider“.  „Ich fühle mich nicht als Mann oder Frau, ich fühle mich nicht einmal menschlich“ bekannte die 31jährige Irin noch im Rennsattel; später erklärte sie:“ Minella Times war einfach fantastisch, sein Springen unvergleichlich gut. Es [die erste Frau zu sein] war nicht das Erste, was mir in den Sinn kam, als ich die Ziellinie überquerte.  […] Es ist eine große Sache, und ich weiß nicht, wie ich für diese große Sache die richtigen Worte finden soll, aber ich bin einfach nur glücklich, dass ich dieses Rennen gewonnen habe.“

„Dieses Rennen“ der Glanzpunkt eines Jahres und einer Karriere, die spät begann, aber dafür immer unaufhaltsamer Fahrt aufnahm. Auf einem Bauernhof großgeworden (der Vater ist Milchfarmer, die Mutter Lehrerin), hatte sie früh eigene Ponys und ritt mit ihren Eltern Jagden. Früh hatte es ihr auch die Geschwindigkeit angetan. „Ich habe alles [im Reitsport] versucht, fand aber bei der Vielseitigkeit nur die Hindernisprüfung spannend.“ Neben einem 6jährigen Studium („Ich schaffte es einfach nicht, die Mathe-Prüfungen zu bestehen, und war an Gott-weiss-wie-vielen Unis, bis ich einen Kurs [Equine Science] gefunden habe, für den ich kein Mathe brauchte“) ritt sie als Amateur in Point-to-Point-Rennen und wurde im zarten Alter von 25 professioneller Jockey in Irland, die erste Frau seit Jahrzehnten, die diesen Schritt wagte. „Wirklich, ich hatte nichts zu verlieren. Ich wollte doch einfach nur Rennen reiten“ bekannte sie in einem Interview mit Katie Walsh. Und – „Ich war ganz sicher der älteste Jockey, der Champion der Nachwuchs-Reiter (Champion Conditional) wurde.“ So alt, dass sie im Rennen für „Conditionals“ beim Cheltenham Festival aus Altersgründen gar nicht mehr reiten durfte.

Mit der frühen und kontroversen Abmeldung von Tiger Roll raubten die O´Learys dem Rennen eine der absoluten Attraktionen, doch spielten sie indirekt bei Blackmores Erfolg eine nicht zu unterschätzende Rolle. Erst die Unterstützung ihres mächtigen Gigginstown Stud ebnete Blackmore den Weg in den Stall von Henry de Bromhead; Racing Manager Eddie O´Leary hatte ihn bei einer gemeinsamen Taxi Fahrt (auf dem Weg nach Aintree!) gebeten, sie auf den eigenen Pferden einzusetzen. „Ich dachte“ so O´Leary in der Rückschau, „dass Henry bei ihr vielleicht nicht ganz so hart sein würde.“ Eine Chance, die Blackmore mit beiden Händen nutzte.

 „Henry hatte diesen unglaublichen Sommer, alle seine Pferde gewannen, und ich saß auf fast allen“ erinnerte sich Blackmore. Nach wie vor sind beide nicht durch einen formalen Vertrag miteinander verbunden; die Beziehung durch gegenseitigen Respekt und absolutes Vertrauen in die Fähigkeiten des anderen geprägt. „Im letzten Jahr haben wir ihre Cheltenham-Ritte gemeinsam analysiert, in diesem Jahr hat sie mir erzählt, was sie machen wird“ bekannte de Bromhead nach dem Festival.

„Ich weiß nicht, ob ich härter als andere Jockeys arbeiten muss“ erklärte Blackmore in einem Interview mit Ruby Walsh, „du weißt, dass jeder Jockey hart arbeiten muss. Ich habe einfach so viel Glück, auf diesen wunderbaren Pferden zu sitzen.“ Noch immer fragt sie vor allem Ruby Walsh vor vielen Ritten um Hilfe, auch im Grand National setzte sie seine Hinweise gewissenhaft um: „Ruby hat gesagt, dass man immer einen Dreiviertelkreis Platz um sich haben sollte“

Blackmore ist auf dem Höhepunkt ihrer Profession. Dort zu bleiben, sich zu halten, macht ihr nach eigenen Angaben durchaus Angst. Doch all die Eigenschaften, die sie zu dem Jockey machten, der sie heute ist -  ihr Talent, ihre Härte, die Bereitschaft, immer zu lernen - werden ihr auch in künftigen Jahren gut zu Gesicht stehen. Wir, ihre Fans, werden ihr nach der Pandemie auf den Rennbahnen zujubeln; es sind noch einigen Meilensteine zu erreichen. Von einem Jockey namens Rachael.

Catrin Nack

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