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Jessica Paquette - Die weibliche Stimme des US-Turfs

Jessica Paquette. Foto: courtesy by virginiahorseracing.com

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Turf aktuell

TurfTimes: 

Ausgabe 749 vom Freitag, 16.12.2022

Der Galopprennsport war national und international lange Zeit eine reine Männerdomäne. In den letzten Jahrzehnten haben sich die Verhältnisse allerdings spürbar geändert. In der englischen Sprache gibt es den Begriff „Trailblazer“, den man vielleicht am besten mit „Wegbereiter“ übersetzen kann. Weibliche „Trailblazer“ wie Erika Mäder und Jutta Schultheiß demonstrierten bereits vor mehr als 30 Jahren, dass Frauen Vollblüter trainieren und mit ihren Schützlingen Erfolge auch in Gruppe-Rennen erringen können. Heute sind Frauen wie Sarah Steinberg, Yasmin Almenräder und viele weitere feste Größen in der Zunft der Trainierenden mit Siegen nicht nur in den Basisrennen, sondern auch in den Blacktype-Prüfungen. Aktuell befinden sich in der Statistik der nach inländischer Siegzahl erfolgreichsten Galopptrainer*innen 17 Frauen in den Top 60.

Auch im Jockey-Lager sind Frauen im Rennsattel heutzutage keine Besonderheit mehr, sondern Alltag. Auch wenn die Ritte von Frauen im Deutschen Derby selten und daher in den Medien  oft noch eine Erwähnung wert sind, so ist die Jockeystube an den Renntagen längst kein Männerclub mehr. Selbst in Rennen der Blacktype-Kategorie können Frauen wie Sibylle Vogt Erfolge feiern. Auch beim Blick über die Ländergrenze fallen jedem Turf-Fan sofort Namen wie Holly Doyle in England und Marie Vélon in Frankreich ein, die im letzten Jahr in Rennen der höchsten Kategorie triumphieren konnten. Auch wenn Frauen noch nicht den sportlichen Gleichstand mit ihren männlichen Kollegen, sowohl im Trainer- als auch im Jockeylager, erreicht haben, so haben sie den Exotenstatus längst verloren und sind allerorten auf dem Vormarsch.

In einem Bereich des Rennsports ist dies jedoch nicht so. Die letzte Männerbastion des Turfs ist die des Rennkommentators. Die Stimme der Rennbahnen ist stets eine männliche. Nicht nur auf deutschen Rennbahnen, sondern auch auf französischen, englischen und irischen Rennbahnen erfolgt die Kommentierung der Rennen immer durch einen Mann. Auch wenn der Job eines Rennkommentators wahrlich eine nicht zu unterschätzende Herausforderung darstellt, gibt es keinen Grund anzunehmen, dass nur Männer dieser Herausforderung gewachsen sind. In den USA ist jetzt der Bann gebrochen. Jessica Paquette hat im November den Job des „Race Callers“ auf einer der großen US-Bahnen übernommen und kommentiert als einzige Frau in diesem Metier seit ein paar Wochen alle Rennen auf dem „Parx Racecourse“, der führenden Rennbahn Pennsylvanias nordöstlich von Philadelphia im Vorort Bensalem gelegen, die auch Heimat von zwei Gr. I Prüfungen und weiteren Blacktype-Rennen ist. Streng genommen ist sie aktuell zwar die einzige, aber nicht die erste weibliche Rennkommentatorin, da bereits die 2009 verstorbene Ann Elliott Anfang der 60er Jahre die Rennen auf den Jefferson Downs, der Rennbahn in einem Vorort von New Orleans, für vier Jahre lang kommentierte, doch jahrzehntelang keine Nachahmerinnen fand.

Die 37jährige Paquette ist kein Neuling in der US-Vollblutszene. Sie bezeichnet sich selbst als „verrücktes Pferdemädchen“, das schon in ihrer Jugend kein Rennen auf den heute nicht mehr existierenden Rennbahnen ihrer Heimatregion, Rockingham Park in Salem und Suffolk Downs in Boston, verpasste. Schon im Alter von 17 Jahren arbeitete sie als Pferdepflegerin an einem Quartier, das Traber auf ihre Rennkarriere vorbereitete. Später zog es sie ins Vollblutlager. Jahrelang war sie auf den Suffolk Downs in verschiedenen Funktionen, zuletzt als stellvertretende Leiterin der Marketingabteilung, beschäftigt. An den Renntagen war sie auch als Rennanalystin aktiv und gehörte zum Team derjenigen, die dem Publikum vor den Rennen die Chancen der Starter erläuterten und ihre Tipps verkündeten.

Vor acht Jahren hatte sie auf den Suffolk Downs auch ihre Premiere als Rennkommentatorin als der etatmäßig Kommentator im Verkehrschaos aufgrund eines Tornados feststeckte und erst mit enormer Verspätung auf den Suffolk Downs eintraf, so dass sie für ihn einsprang und die ersten Rennen des Tages kommentierte. Nach der Schließung der Suffolk Downs vor drei Jahren war sie als Rennanalystin auf Rennbahnen in Texas (Houston Race Park) und Virgina (Colonial Downs) tätig, engagierte sich darüber hinaus im Marketing für die Thoroughbred Retirement Foundation, einer vor 40 Jahren in den USA gegründeten Organisation, die sich um aus dem Rennsport ausscheidende Vollblüter kümmert und dafür Spenden sammelt. Sie selbst hat zwei ehemalige Rennpferde nach der Rennkarriere erworben und schenkt ihnen ein ruhiges Leben als Reitpferd.

Durch ihre vielfältigen Aktivitäten ist Jessica Paquette ein in der US-Vollblutszene gut vernetztes Multitalent, das jetzt die Chance hat, die an männliche Rennkommentatoren gewöhnten Turf-Fans davon zu überzeugen, dass die Stimme der Rennbahn auch eine weibliche sein kann. Sie will ihren eigenen Stil der Rennkommentierung entwickeln und nicht andere Kommentatoren nachahmen. Sie baut darauf, dass sich ihr eigener Enthusiasmus für die Vollblüter bei ihrer Kommentierung des Rennverlaufs auf ihre Zuhörer überträgt und sie dem Sport neue Fans erschließt.

Dass am Anfang nicht immer alles klappt, hat sie schon erleben müssen. Vertauschte Pferde in einem Rennen, schwer auszusprechende Pferdenamen, bei denen man sich im Eifer des Gefechts verhaspelt, all das gehört zu Dingen, die im Leben eines „Race Callers“ passieren. Doch sie gibt sich zuversichtlich: „Erfahrung und Routine hilft. Ich habe noch ein paar Monate bis zu meinem ersten Gr. I-Rennen. Bis dahin bin ich so weit, dass alles perfekt ist“. Die nächsten Monate werden zeigen, ob sich Paquette als Rennkommentatorin etablieren kann. Vielleicht kann sie zum „Trailblazer“ werden, der Frauen den Weg in die letzte Männerdomäne des Turfs ebnet. Ob dies nur auf den US-Rennbahnen geschieht oder ob auch eines Tages eine weibliche Stimme Galopprennen auf deutschen Rennbahnen kommentiert, wird die Zukunft zeigen. Eigentlich wäre die Zeit längst reif dafür.

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