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Hermann Hoffmann feiert seinen 94. Geburtstag beim Buchmacher

Autor: 

Frauke Delius

TurfTimes: 

Ausgabe 268 vom Dienstag, 04.06.2013

Auch mit 94 Jahren täglich beim Buchmacher seines Vertrauens: Hermann Hoffmann. www.dequia.deAuch mit 94 Jahren täglich beim Buchmacher seines Vertrauens: Hermann Hoffmann. www.dequia.deMan wird nie zu alt, um etwas Neues zu lernen. Zum Beispiel die seit kurzem gültigen  Rauchergesetze in Nordrhein-Westfalen. Hermann Hoffmann lässt sich seine Geburtstagszigarre deshalb auch draußen vor dem Buchmacherladen seines Vertrauens schmecken. Und weil an diesem  2. Juni sein 94. Geburtstag ist, gibt es ausnahmsweise schon am Mittag ein Bierchen dazu. Wenigstens scheint an diesem Sonntag erstmals auch wieder die Sonne, so fehlen Hermann (man spricht sich im Laden von Gerd Sieberts in Düsseldorf-Gerresheim in der Regen nur mit dem Vornamen an) in diesem Moment eigentlich nur noch die flimmernden Bildschirme, auf denen fast ohne Unterlass Quoten und Pferderennen gezeigt werden. Denn deshalb ist er hier, um die zu sehen, besser: um zu wetten.

Rauchergesetze sind unerbittlich: Auch die Geburtstagszigarre zum 94. muss Hermann Hoffmann draußen rauchen. www.dequia.deRauchergesetze sind unerbittlich: Auch die Geburtstagszigarre zum 94. muss Hermann Hoffmann draußen rauchen. www.dequia.de

Und er ist nicht alleine. Auch Toni ist da, noch ein eher neues Gesicht in der vertrauten Runde, der hier ist, weil seine Stamm-Laden in Derendorf geschlossen werden musste. Er hat am Tag zuvor seinen 88. Geburtstag gefeiert und die anderen anwesenden Herren sind wohl auch nicht mehr allzu weit davon weg. Man kennt sich, man trifft sich fast täglich hier. Und dabei geht es wohl doch nicht nur ums Wetten. „Hier treffe ich meine Bekannten“, meint auch Hermann, „das hält mich jung und geistig fit“. Der rüstige 94-Jährige wohnt alleine in einer Wohnung, seine Frau Anita ist vor einigen Jahren gestorben, „Kinder haben wir leider keine“ und das bisschen Verwandtschaft, die es noch gibt, wohnt weit weg. Da ist er froh über seinen jüngeren Wettkumpel Matthias Sembt, der ihm bei den Besorgungen hilft und Fahrdienste leistet. Doch den Weg zum Buchmacherladen schafft Hermann Hoffmann auch noch allein. So fährt er fast täglich zwei Stationen mit dem Bus und für die wenigen Meter von der Haltestelle bis zum Buchmacherladen reicht ihm noch der Stock.

Buchmacher Gerd Sieberts (rechts) mit seinem wohl ältesten Wetter: Hermann Hoffmann feiert an diesem Tag seinen 94. Geburtstag, rechts sein Wettkumpel Matthias Sembt. www.dequia.deBuchmacher Gerd Sieberts (rechts) mit seinem wohl ältesten Wetter: Hermann Hoffmann feiert an diesem Tag seinen 94. Geburtstag, rechts sein Wettkumpel Matthias Sembt. www.dequia.de

Auch wenn auf seiner Heimatbahn in Düsseldorf an diesem Tag ein großes Rennen ansteht, nimmt er lieber seinen Stammplatz beim Buchmacher ein. Das ist bequemer. Rennbahnbesuche kommen deshalb nur noch selten vor, „bei richtigem Wetter und wenn es nicht so voll ist.“ Dabei kennt Hermann Hoffmann als gebürtiger Berliner den Galopprennsport von Anfang an, „auch mein Vater hat schon gewettet, mit dem war ich immer in Karlshorst und Hoppegarten und habe schon als Kind die Ansagen gemacht.“ Und überhaupt seine Kindheit, da bekommt er glänzende Augen. Denn die Eltern hatten einen Sprituosenladen, dessen Schaufenster immer aufwendig dekoriert war. „Eines Tages habe ich mich als kleines Kind dazugestellt und posiert“, erinnert sich der heute 94-Jährige, „die Leute haben draußen gestanden und sich köstlich amüsiert, eine richtige Menschenmenge hat sich angesammelt.“ So ist der damals Vierjährige dann irgendwie beim Stummfilm gelandet, wurde Kinderstar bei der UFA. Noch heute zeigt Hermann Hoffmann stolz die Fotos aus dieser Zeit und die Filmplakate mit seinem Namen.

Lang, lang ist's her: Hermann Hoffmann als kleiner Puck im UFA-Film in den 20ger Jahren des letzten Jahrtausends. Foto: ArchivLang, lang ist's her: Hermann Hoffmann als kleiner Puck im UFA-Film in den 20ger Jahren des letzten Jahrtausends. Foto: Archiv

Der berufliche Werdegang wurde dann aber doch ein anderer. „Ich war immer sportinteressiert“, heißt es und so wurde Herrmann Hoffmann Tennislehrer in der Schweiz. „Dabei habe ich schon immer geraucht“, lacht Herrmann, und pafft fröhlich weiter an seiner Zigarre. Manche Biographien strafen alle medizinischen Statistiken Lügen. Und wie ging das mit den Pferden weiter? „Das“, so der Wett-Veteran, „war ein komische Angelegenheit.“ Das Reiten habe er im Krieg gelernt, in Frankreich. Seitdem „sind Pferde für mich das Beste und Edelste, was ich kenne.“ Jetzt kommen allerdings nicht die typischen Kriegsgeschichten, sondern nur Anekdoten der Art, dass sein Pferd ihn immer gewarnt habe, wenn er beim Wachdienst eingeschlafen sei …

Hermann Hoffman zu Tennislehrerzeiten 1942 in der Schweiz. Foto: privatHermann Hoffman zu Tennislehrerzeiten 1942 in der Schweiz. Foto: privat

Nach Düsseldorf verschlug es ihn der Liebe wegen, „1948 habe ich meine spätere Frau Anita hier kennengelernt“, erzählt Hoffmann, „sie war auch oft mit auf der Rennbahn. Das war für uns ein Freizeitvergnügen. Die Bahnen der näheren Umgebung kennt er alle, auch in England hat er einige Rennbahnen gesehen, „nur zum Derby nach Hamburg habe ich es nie geschafft.“ 42 Jahre lang hat er in Düsseldorf als Kranführer gearbeitet, hat eine Rente, die nur für ihn reichen muss. „Alles, was übrig ist, geht fürs Wetten drauf“, gibt er offen zu, „ich muss mich ja um niemanden mehr kümmern.“  Dabei habe er  immer nur eine bestimmte Summe dabei, „wenn die alle ist, dann ist eben Schluss für den Tag“.  Die Zeit der großen Wetten sei ohnehin vorbei. „Wenn ich hoch spiele, dann höchsten 50 Euro, meist aber nur fünf Sieg und fünf Platz auf ein, zwei Pferde.“ Den ganz großen Wettcoup hat er dabei noch nicht gelandet, die höchste Wette, die er jemals gewonnen hat, wurde noch in Reichsmark ausgezahlt, damals auf der Rennbahn in Karlshorst, „einige tausend waren das schon für den Sieg und den Einlauf“. Lang ist es her. Und dann gibt es noch die Geschichte, die mit dem berühmten „hätte“ beginnt. Damals, als er die Dreierwette eigentlich richtig hatte, für die er 10.000 Euro gekriegt hätte, leider aber versehentlich das falsche Rennen angekreuzt hat. Das sind die Geschichten, die man sonst auch gerne anders herum hört, dann nämlich, wenn der Irrtum zum unerwarteten Wettgewinn führt.

 Vor einem Dreivierteljahr kam dann doch mal ein großer Gewinn, allerdings im Lotto. 7000 Euro gab es. Mittlerweile wohl auch schon wieder reinvestiert in die Pferdewetten. Hermann Hoffmann sieht das gelassen, „wissen Sie, eigentlich ist das mit dem Wetten hier nur so eine Art Nebenbeschäftigung, viel wichtiger ist es mir, dass ich hier unter Leute komme.“ Täglich öffnet der Buchmacherladen um 12 Uhr, schließt gegen 19 Uhr, wenn große Rennen anstehen, wird es auch mal später. An normalen Wochentagen sitzen hier nur die üblichen Verdächtigen. Nur wenige Tische sind besetzt. Hermann und Matthias sitzen an ihrem Stammplatz. Toni ist da. Und ein knappes Dutzend anderer Wetter. Jeder unter 60, der den Raum betritt, senkt den Altersdurchschnitt erheblich. Die Gespräche drehen sich nicht nur um Pferderennen, sondern auch um die Fortuna und um Privates, wenn jemand, was zu erzählen hat. Zwischendurch werden immer wieder die Wettscheine abgegeben, so bleiben die Herren in Bewegung.

Die Frage nach dem Tipp für die German 1000 Guineas bleibt allerdings unbeantwortet, „da kenn ich mich nicht mehr so gut aus“, bekennt Hermann, „ich wette nur noch auf französische Rennen“. Die haben den Vorteil, dass es sie - anders als die deutschen Rennen - täglich gibt. Außerdem gäbe es bei den französischen Rennen einfach die besseren Quoten, heißt es, die deutschen Rennen seien da uninteressant, besonders die Platzwette: „Da lohnt sich das Wetten nicht!“ Wichtig ist aber auch, dass die französischen Rennen im Studio auf Deutsch übersetzt werden, bei den englischen Rennen ist das nicht mehr der Fall. Deshalb findet der Sport auf der Insel in der Regel ohne Hermann statt, mit Ausnahme des diesjährigen Investec Derby in Epsom Downs mit dem deutschen Starter Chopin. Doch den Namen hat Hermann ein paar Tage später auch schon wieder vergessen, „wissen Sie“, meint er, „ich merke mir nicht die Namen der Pferde sondern kenne nur Jockeys, danach wette ich.“ Und sein Wettfreund Matthias Sembt ergänzt, dass man besonders gerne die deutschen Starter in Frankreich verfolge. Was die Auswahl natürlich ungemein erleichtert. Echte Profi-Wetter sind die meisten nicht, jeder hat sein eigenes Rezept, so wie Heinz, der seit Jahr und Tag in jedem Rennen mit kleinem Einsatz die 3 und die 5 spielt, hin und zurück. Hier träumt keiner vom großen Coup, hier erfreut man sich der Unterhaltung im vertrauten Kreis. Doch der wird immer kleiner. „Früher“, sagt Hermann Hoffmann, der seit 15 Jahren dabei ist, mit unüberhörbarem Bedauern „sei hier mehr los gewesen.“

Die großen Zeiten sind vorbei. „Wir könnten jüngeres Publikum gebrauchen“, räumt auch der Buchmacher Gerd Sieberts ein, der gerade sein Geschäft in Derendorf schließen musste. Die Krise des Rennsports macht auch vor den stationären Geschäften nicht halt. Der Nachwuchs fehlt, viele wetten übers Internet. Die deutschen Rennen spielen ohnehin nur noch eine Nebenrolle. Die Musik spielt in Frankreich, England und zunehmend auch Australien und Südafrika. Nur am Wochenende und bei großen Rennen wird der Laden voller, sonst sind nur die üblichen Verdächtigen da. Und die werden eher weniger als mehr. Eine letzte Frage noch an Hermann, der immer nur auf die Jockeys setzt: Welcher deutscher Reiter ihm denn am besten gefalle? Da kommt die Antwort schnell: „Peter Alafi!“ Und Toni ergänzt vom Nachbartisch: „Ossi Langner!“ Dass diese Namen schon lange nicht mehr in den Rennprogrammen stehen, stört hier niemanden.

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