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Hein Bollow und die Championate

Der Trainer-Champion von 2010, Christian von der Recke, wird geehrt von der Galoppsport-Legende Hein Bollow. www.klatuso.com

Autor: 

Marion Müller

Als  Hein Bollow am Silvestertag des Jahres 2010 in Neuss die aktuellen Champions in den verschiedenen Sparten des deutschen Galopprennsports ehrte, wird ihm dies sicher ebenso eine Ehre wie ein Vergnügen gewesen sein. Einen besseren Vertreter für die Übergabe der Preise an die erfolgreichsten Jockeys, Trainer, Auszubildenden, Amateure, Züchter und andere mehr könnte es wohl kaum geben, denn Hein Bollow hat im Verlauf seiner aktiven Laufbahn selbst viele, viele Championate erringen können. Dreizehn waren es an der Zahl als Jockey. Im Rennsattel besaß er in den Jahren 1947 bis 1961 – mit zwei kleinen Ausnahmen 1953 und 1954 – quasi ein Abonnement auf den Spitzenplatz in der jeweiligen Jahresrangliste.

Es bietet sich angesichts der vielen errungenen Titel an, ein Jahr herauszugreifen und das Geschehen um den Ehrentitel des erfolgreichsten Reiters genauer zu betrachten. Reist man also fünfzig Jahre zurück in die Vergangenheit, landet man im Jahr 1960, als Hein Bollow langsam auf seinen vierzigsten Geburtstag zusteuerte und schon längst zu den erfahrensten unter den deutschen Jockeys zählte. Populär und hocherfolgreich war der ab 1956 als Stalljockey für das Gestüt Asta von Adolf Schindling und Liselott Linsenhoff engagierte Reiter ohnehin seit langer Zeit.

Blickt man rein auf die großen Renntitel wie etwa das Deutsche Derby oder den Preis der Diana, so war 1960 wohl nicht das spektakulärste Jahr in der an Erfolgen reichen Jockeylaufbahn von Hein Bollow. Die ganz herausragenden Treffer mögen ausgeblieben sein, und auch im Derby, das er nach bereits drei Siegen 1953 mit Allasch, 1954 auf Kaliber und 1956 im Sattel von Kilometer sicher auch in jenem Jahr gerne erneut gewonnen hätte, musste er sich mit einem zweiten Platz begnügen. Am Ende des Jahres, das Hein Bollow auch einen zweiten Platz im Preis der Diana brachte, standen aber dennoch 66 siegreiche Rennen für ihn zu Buche. Diese Summe, bei der drei im belgischen Ostende errungene Auslandserfolge das Sahnehäubchen bildeten, reichten sehr bequem zur Verteidigung des Championats gegen den Zweitplatzierten Micky Starosta, der immerhin vierzehn Treffer weniger auf seinem Konto stehen hatte.

Dass Hein Bollow ein Reiter war, der nicht nur in den großen Rennen vollen Einsatz zeigte, sondern stets sein Bestes gab, hatte er schon früh in der Saison 1960 bewiesen. Es war ein Jahr, das schon ganz im Zeichen des Kalten Krieges stand, wenn auch Deutschland noch nicht durch eine Mauer getrennt wurde. So konnte das Album des Rennsports Ende 1960 in der Rückschau auf die vergangene Saison noch über die großen Erfolge der im Gestüt Fohlenhof gezogenen Stute Hortensia berichten, die in die DDR verkauft worden war und sich mit einer Serie von Triumphen in Hoppegarten und Warschau als „bestes Pferd der sowjetischen Besatzungszone“ erwies – ein Jahr später nach dem Mauerbau wohl undenkbar!

Hortensia hat Hein Bollow in seiner ehemaligen Heimat Hoppegarten verständlicherweise nicht geritten, aber auch so gelangen ihm mit schöner Regelmäßigkeit Treffer auf so weit voneinander entfernten Rennbahnen wie München-Riem und Hamburg-Horn. Als die damals in Ermangelung einer Sandbahn noch übliche lange Winterpause am 6. März 1960 endete, legte er auf dem Düsseldorfer Grafenberg einen absoluten Traumstart in die neue Saison hin. Fünf Ritte hatte Hein Bollow an jenem Tag angenommen, und sage und schreibe vier von ihnen – allesamt auf von Trainer Willy Schütz vorbereiteten Pferden – führten zu einem Sieg. Lediglich im neunten Rennen der Tageskarte reichte es nach den jeweils sicheren oder sogar leichten Erfolgen mit Dompfaff, Terzel, Winzertag und Domherrin „nur“ zu einem vierten Platz mit der Stute Angel. Einen besseren Saisonbeginn konnte sich aber ein Reiter wohl kaum wünschen als mit dieser Aufsehen erregenden Viererserie.

Schon bald konnte Hein Bollow in jenem Jahr weitere Punkte auf seinem Konto sammeln, und am 3. April 1960 gelang ihm dann auch der erste Volltreffer für „sein“ Gestüt Asta und Trainer Hans Blume, als er mit dem sechsjährigem Birkhahn-Sohn Backbord in Frankfurt gewann. Doch auch die von seinem Schwiegervater Hans Thalheim trainierten Pferde steuerten den einen oder anderen Treffer zur Gesamtbilanz bei, so etwa am 28. Mai 1960, als Hein Bollow mit Vicking und Antigonos gleich zu einem Doppelerfolg gelangte. Nicht fehlen darf schließlich der vierjährige Stoof-Hengst Erdball, ein Seriensieger der Saison 1960. Sein Name passte zufällig gut auf die Tatsache, dass in jenem sogenannten „afrikanischen Jahr“, in dem siebzehn ehemalige Kolonien Frankreichs, Belgiens und Großbritanniens ihre Unabhängigkeit erlangten, die weltpolitische Aufmerksamkeit häufig auf weit entfernte Regionen der Erdkugel gerichtet war. Auf Hein Bollows persönlichem Weg zu seinem zwölften Jockeychampionat trug der von Heinz Jentzsch trainierte siebenfache Saisonsieger Erdball immerhin zwei Punkte bei.

Als am 3. Juli 1960 in Hamburg-Horn das Deutsche Derby entschieden wurde, hatte Hein Bollow eine Rittverpflichtung auf dem Co-Favoriten Kaiseradler erhalten, da Oskar Langner sich als Stalljockey bei Trainer Sven von Mitzlaff für den anderen Zoppenbroicher Starter Wiener Walzer entschieden hatte. Der Toto zahlte in der damals noch existenten Stallwette gerade 35:10 für das hellblau-weiße Duo. Tatsächlich liefen beide Hengste, zwischen denen an jenem Sonntag gerade einmal ein kurzer Kopf lag, ein bravouröses Rennen. Für den ersehnten ersten Zoppenbroicher Derbysieg und den vierten Treffer für Hein Bollow reichte es trotz aller Bemühungen aber im Jahr 1960 nicht.

Hein Bollow im Sattel von Kaiseradler passiert gerade den innen von ihm liegenden Nareth, außen enteilt Alarich unter Paul Fuchs. Foto ArchivHein Bollow im Sattel von Kaiseradler passiert gerade den innen von ihm liegenden Nareth, außen enteilt Alarich unter Paul Fuchs. Foto ArchivEigentlich hatte Hein Bollow in diesem „Unfall“-Derby sogar noch Glück gehabt, denn weder das Ausbrechen des führenden Wicht durch eine Lücke in den Rails, noch der schwere Sturz von Ares in der Zielgeraden beeinträchtigten seine freie Passage. Für Kaiseradler blieb hinter Derbysieger Alarich aber trotzdem nur der zweite Platz minimal vor seinem Trainings- und Zuchtgefährten Wiener Walzer als Drittem. Ein beeindruckendes Foto im Album des Rennsports 1960 hält die dramatische Sekunde nach dem vielleicht entscheidenden Moment des Rennens fest:  Hein Bollow im Sattel von Kaiseradler gibt sich alle nur erdenkliche Mühe und passiert gerade den innen von ihm liegenden Naretha. An den soeben außen auf eine knappe Länge enteilten und den Vorsprung rasch vergrößernden Alarich, auf dem Paul Fuchs die Peitsche bereits nicht mehr einsetzen muss, kommen sie allerdings nicht mehr heran.

Das beste dreijährige Pferd aus dem eigenen Stall, das Hein Bollow in der Saison 1960 ritt, war sicher die Asta-Stute Ankerkette, mit der er ihm auch auf höherer und höchster Ebene, so etwa im Nereide-Rennen, Platzierungen gelangen. Im Preis der Diana, der am 5. Juni 1960 in Mülheim ausgetragen wurde, war nur eine Stute aus dem Gestüt Röttgen namens Santa Cruz, die ihre Kontrahentin bereits zuvor im Schwarzgold-Rennen geschlagen hatte, zu stark für Ankerkette. Was sie tatsächlich zu leisten vermochte, stellte die Nearco-Tochter Ankerkette aber im weiteren Saisonverlauf unter Beweis, als sie am 22. Juni 1960 zunächst im Dortmunder Ticino-Rennen gegen zwei so hervorragende Hengste wie Wicht und Waidmannsheil – immerhin später Erster im Aral-Pokal – siegreich blieb und sich einen knappen Monat später auch noch das Bayerische Zuchtrennen holte. In jenem äußerst knapp mit Halsvorsprung entschiedenen Rennen in München konnte Hein Bollow seine Reitkünste besonders eindrucksvoll demonstrieren.

Ankerkette vor Wicht und Waidmannsheil. Foto ArchivAnkerkette vor Wicht und Waidmannsheil. Foto ArchivEin Foto illustriert, wie sich sowohl der ganz innen liegende Protektor als auch die außen heranstürmende Ankerkette im vollen Galopp maximal strecken. Hein Bollows erfahrener Blick geht nach innen zu seinem Gegner, der an den Rails fast gleichauf mit der Asta-Stute den Zielspiegel passiert – aber eben nur fast, denn Ankerkette und ihr Jockey waren genau im richtigen Augenblick um jene Winzigkeit voraus, auf die es bei Sieg oder Niederlage ankommt!

Zwei zweite Plätze in den tragenden Prüfungen für die Dreijährigen – da war es an der Zeit für einen vollen Erfolg, über den sich Hein Bollow am 30. August 1960 in Baden-Baden freuen konnte, wo er mit dem von seinem Schwiegervater trainierten Adlon die renommierte Goldene Peitsche gewann. Und auch bei den Zweijährigen gab es, je weiter die Saison voranschritt, Grund zur Zufriedenheit, denn mit der Asta-Stute Oceana glückte ihm wenige Tage später ein großer Treffer im Zukunfts-Rennen. Mochten auch die jungen Pferde des Gestüts Waldfried die Zweijährigen-Konkurrenzen der Saison 1960 dominieren – das Laufen von Oceana, die in den folgenden Jahren ein richtig gutes Rennpferd wurde, versprach tatsächlich viel Hoffnung für die Zukunft. Ohnehin verlief das Badener Herbst-Rennwoche 1960 sehr erfolgreich für Hein Bollow, denn alleine sechs Treffer gelangen ihm während dieses Meetings.

Als die Saison für ihn am 26. Dezember 1960 in Mülheim mit einem dritten Platz auf dem Wallach Anfänger, wieder einem Pferd aus dem Stall von Willy Schütz, endete, lag ein bewegtes Rennjahr hinter Hein Bollow, das ihm durch viel Fleiß und steten Einsatz erneut den Spitzenplatz unter den deutschen Jockeys beschert hatte. Drei weitere Jahre blieb er anschließend noch aktiv im Rennsattel, ehe er sich am Ende der Saison 1963 – einen vierten Derbysieg sowie ein dreizehntes Championat später – einer neuen Aufgabe zuwandte und seine zweite, kaum weniger erfolgreiche Karriere als Trainer begann.

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