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Hein Bollow: Der Fels in der Brandung

Hein Bollow bei seinem morgendlichen Trainingsbesuch im Asterblüte-Stall. Foto: www.dequia.de

Autor: 

Frauke Delius

TurfTimes: 

Ausgabe 144 vom Freitag, 10.12.2010

In Kyritz an der Knatter, genau vor dem Hotel Adler, das es damals vor 75 Jahren noch gab, hielt der Autobus 1936 auf der Fahrt von Hamburg nach Berlin. Der gebürtige „Hamburger Jung“  Hein Bollow, der so verrückt nach Pferden war und den damals alle noch „Mücke“ nannten, „weil ich so klein und dünn war“, hatte sich mit seinem Vater auf den Weg nach Hoppegarten gemacht, um bei Trainer  Anton "Pan" Horalek eine Lehre im Rennstall anzutreten. „15 Jahre war ich damals gerade alt“, erinnert sich Bollow, „der Chauffeur machte vor dem Hotel Adler immer seine Kaffeepause, zwei Jahre später habe ich für den Besitzer dieses Hotels, A. Dedow, mit dem Pferd Juist am 6. Juni 1938 in Halle an der Saale mein erstes Rennen gewonnen."

Der Lehrmeister Pan Horalek und seine Stifte, ganz links "Mücke" Bollow. www.dequia.deDer Lehrmeister Pan Horalek und seine Stifte, ganz links "Mücke" Bollow. www.dequia.deHinter solchen Zahlen stecken viele Geschichten, von denen kaum einer mehr und schöner erzählen kann als Hein Bollow, der am 05. Dezember 2010 seinen 90. Geburtstag gefeiert hat und immer noch allgegenwärtig ist auf allen Rennbahnen. Und von solchen Geschichten wollen wir mehr sammeln und nicht nur eine zum Geburtstag schreiben. Deshalb wird dies hier der Anfang für eine Sammlung von vielen Geschichten alter Zeitzeugen in einem Turf-Times-Blog mit der Überschrift „Turf-Legenden". Denn auch ein anderer Großer des deutschen Galopprennsports,  Heinz Jentzsch, hat vor einigen Monaten seinen 90. Geburtstag gefeiert….

Trainer Peter Schiergen, Heinz Jentzsch und Hein Bollow (von links) im Portrait bei der Baden Auktion 2009. www.galoppfoto.deTrainer Peter Schiergen, Heinz Jentzsch und Hein Bollow (von links) im Portrait bei der Baden Auktion 2009. www.galoppfoto.deWir wollen versuchen, die Lebensgeschichte(n) der alten Galopp-Heroen zu erzählen, aber auch die aktuellen Ereignisse aus ihrer Sicht zu beleuchten, denn der Sport scheint jung zu halten. Ob beim Derby in Hamburg, beim Neuanfang in Baden-Baden, bei den großen Auktionen, in den wichtigsten Gestüten: Hein Bollow lebt den Rennsport anno 2010 aktiv mit und hat im gleichem Atemzug alle Rennsportgeschichten aus mehr als sechs Jahrzehnten davor parat.

Fein säuberlich notiert sind alle Bollow-Sieger, dafür hatte seine Frau Margot gesorgt. www.dequia.deFein säuberlich notiert sind alle Bollow-Sieger, dafür hatte seine Frau Margot gesorgt. www.dequia.deDie Geschichten werden also nicht alle chronologisch erzählt. Manchmal wird ein großes Rennen und seine Geschichte das Thema sein, mal ein berühmtes Pferd … Anlässe bietet der Rennsport genug. Auf keinen Fall möchte Bollow ein Buch über sich haben, „weil Sie damit kein Geld verdienen können“, meint er. Leider können wir ihm an diesem Punkt nicht wirklich widersprechen, aber es geht hier auch mehr um das persönliche Interesse und den Spaß an der Sache, die uns antreiben. Außerdem bietet das Internet ganz neue Möglichkeiten, beispielsweise auch diese: Wir möchte Sie ermuntern die Kommentarfunktion in diesem Turf-Times-Blog zu nutzen, um das Erzählte zu ergänzen, zu kommentieren oder auch einfach nur Glückwünsche an den Jubilar loszuwerden. Dabei wünschen wir uns, dass alle unter ihrem richtigen Namen schreiben! Die Autorinnen dieses Blogs sind die Historikerin Marion Müller aus Mülheim/Ruhr und Frauke Delius.  

Gisela Schiergen und Hein Bollow im Asterblüte-Stall. www.dequia.deGisela Schiergen und Hein Bollow im Asterblüte-Stall. www.dequia.deBei unserem ersten Treff, dem hoffentlich noch viele folgen werden, treffen wir Hein Bollow in Köln im Rennstall Asterblüte, wo Trainer  Peter Schiergen zur Zeit mit über 100 Pferden den größten deutschen Trainingsbetrieb leitet. Kein zufällig gewählter Ort. Erstens schaut Hein Bollow dort fast täglich bei der Morgenarbeit vorbei, weil „es mir immer besser geht, wenn ich die Pferdeluft rieche“, zweitens hat er ebenda Ende der 40-er/Anfang der 50-er Jahre vor allen im Dress des Gestüts Schlenderhan große Jockey-Jahre erlebt. Schiergen („Hein Bollow ist einer der Größten den der Sport je hatte“) und Bollow mögen und respektieren sich, auch weil es eine große Gemeinsamkeit gibt.

Über Jahrzehnte war Bollow der einzige im deutschen Galopprennsport, der den Beinamen „the living legend“ tragen durfte, weil nur es geschafft hatte sowohl als Jockey als auch als Trainer über 1000 Sieger auf der Habenseite verbuchen zu können  - genau waren es 1034 als Jockey und 1663 als Trainer. Seit 2009  teilt er sich diesen inoffziellen Titel mit Peter Schiergen, dem das gleiche Kunststück gelang. Es gibt wohl keinen anderen Menschen, dem  Bollow das mehr gewünscht hätte als dem Europarekordler im Rennsattel. "Es gibt nur wenige große Jockeys, die auch richtig gute Trainer geworden sind, Peter Schiergen gehört dazu“,  schwärmt der Jubilar und ergänzt: „Über den sollten sie mal ein Buch schreiben ….“.

Aber halt, wir sind doch wegen Bollow da und erleben die ganz alte, große Schule. Als der sogenannte "Windfang" vom Mikrofon des Aufnahmegeräts auf den Boden fällt, ist Hein Bollow der erste, der ihn wieder aufhebt. Blitzschnell geht das. Der Jubilar ist fit. Und bestens auch auf diesen Interview-Termin im Stall Asterblüte in Köln vorbereitet. Dabei waren die Tage zuvor für Hein Bollow ziemlich aufregend. Wie das eben so ist, wenn ein großer Sportler so einen besonderen Geburtstag feiert. Der Kölner Rennverein hatte ihn besonders geehrt. Im Rahmen einer Feier im Hippodrom auf der Rennbahn, mit den Honorationen aus Köln, der Familie und natürlich Gisela und Peter Schiergen. 

Sogar der Bundespräsident hat per Brief gratuliert, der Kölner Oberbürgermeister selbstverständlich auch. Und nun also das Treffen im Asterblüte-Rennstall von Peter Schiergen, an diesem kalten, verschneiten Dezembermorgen 2010, zwei Tage nach seinem 90. Geburtstag. Wir hatten zuvor eine kurze Anfrage verschickt,  Gisela Schiergen hatte freundlicherweise vermittelt, weil  Hein Bollow mit einem Handicap leben muss, „Ich höre sehr schlecht“, geht er ganz offen damit um, „ich habe immer einen Block und einen Stift dabei, damit mir die Leute zur Not  etwas aufschreiben können“. An diesem Tag kommen wir wunderbar so klar, aber wenn die Umgebungsgeräusche lauter werden, dann klappt es mit der normalen Verständigung nicht mehr. Hein Bollow, der so gerne redet, leidet unter seiner Schwerhörigkeit, aber er klagt nicht. Auch wenn das Alter schwierige Entscheidungen mit sich bringt. Anfang Januar steht ein schwerer Schritt für Hein Bollow an. Er gibt sein Haus auf („Meine Frau Margot und ich waren die ersten, die in dieser Straße gebaut haben, gegenüber hat Heinz Jentzsch gewohnt. Jetzt wohnt Manfred Hofer bei Jentzsch und mein Haus hat Waldemar Hickst gekauft.“) und zieht in eine Zwei-Zimmer-Wohnung einer Senioren-Residenz  auf der Neusser Straße. In Rennbahn-Nähe, damit er zu Fuß zum Training gehen kann.

Der "Altmeister"und sein Chauffeur, Filip Minarik ... www.dequia.deDer "Altmeister"und sein Chauffeur, Filip Minarik ... www.dequia.deEr ist im Schiergen-Stall ein willkommener Gast. Gehört dazu. Der erste Stalljockey  Andrasch Starke begrüßt ihn genauso herzlich wie  Filip Minarik, der seit Jahren schon der Chauffeur für Hein Bollow ist, wenn die Strecken etwas weiter werden. So ist er, der „Fels in der Brandung“ immer dabei, wenn es im deutschen Galopprennsport wichtig wird. Wir wollen ihn dabei begleiten, so lange er Spaß daran hat. Die Zeit für ganz eilige Treffen ist derzeit nicht die richtige, erst muss der Umzug überstanden werden. Noch einmal durften wir im alten Heim zu Gast sein und vielen Ehrenpreise und Bilder an den Wänden bewundern. Vieles davon wird er nicht mitnehmen können, aber die Fotoalben und das Buch, in dem seine Frau per Hand alle Sieger eingetragen hat, die werden mitkommen und uns viele Geschichten erzählen, auf die wir uns freuen. Anfangen wollen wir mit "A" wie Asterblüte, Asterios, Aubergine... wobei es bei einem, der als Jockey 1953 mit Allasch, 1954 mit Kaliber, 1956 mit Kilometer und 1962 mit Herero gleich vier Derby-Siege landen konnte, die Geschichte des nicht gewonnen Derbys von 1949 ist, die er am liebsten erzählt....

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