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Epsom 2022 - eine Bilanz

Desert Crown.jpg

Autor: 

Catrin Nack

TurfTimes: 

Ausgabe 722 vom Freitag, 10.06.2022

Epsom – die unspektakuläre Kleinstadt südlich von London gibt den Namen für die wichtigsten Rennen im britischen Rennkalender: Auf den Epsom Downs findet das Derby-Meeting statt. Sowohl die Meilen-Klassiker für Hengste und Stuten (die Guineas Anfang Mai) als auch die „Derbys“ gehen – anders als hierzulande und auch in Irland und Frankreich – auf der Insel praktisch zeitgleich über die Bühne. Und selbstredend – ebenfalls anders als in Deutschland – auf der gleichen Bahn, Epsoms mehr als unkonventionellen Kurs.

Die Bahn ähnelt einem liegenden, langgestreckten U; allerdings müssen die Pferde kurz nach dem 2400m-Start (alle drei Hauptrennen des Meetings starten dort), leicht aufwärts, eine kleinen „Schikane“ umrunden, um denn von den äußeren Rails an die Innenrails zu wechseln. Nun folgt die Bahn, alsbald abwärts verlaufend, der Rundung des „U“, führt durch die berüchtigte „Tattenham Corner“ – ein Bogen, bei dem die Bahn nach wie vor abfällt- auf die rund 800m lange Zielgerade, die zunächst weiter bergab, auf den letzten Metern dann aber wieder bergauf führt. Zudem neigt sich die Zielgerade leicht nach innen, nach links aus Startersicht, ein Grund, warum vor allem bei schwerem Boden die Felder nach außen auf den vermeidlich besseren Boden tendieren. Zum Derby-Meeting ist – wie in Hamburg – auch der Innenraum bevölkert, allerdings ohne offizielle Fazilitäten wie z.B. ein Führring; dafür herrscht hier größtenteils freier Eintritt, zahlreiche Busse parken direkt an den Rails. Zusammen mit diesem Innenfeld hat die Rennbahn eine Kapazität von rund 130.000 Zuschauern; auf diese Zahlen kommt man schon lange nicht mehr. Zum ersten Mal nach Corona konnte die Rennbahn jedoch aus dem Vollen schöpfen und war am Derby- Tag mit rund 40.000 Tickets ausverkauft;  im letzten Jahr hatte man mit reduzierter Kapazität und 4.000 Zuschauern agiert. Das Derby-Meeting war Teil der offiziellen Feierlichkeiten des 70. Thronjubiläums der Queen, die allerdings den Rennen in diesem Jahr aus gesundheitlichen Gründen fernblieb.

„Ladys first“ heißt es in Epsom, das Meeting startet am einleitenden Freitag mit den Oaks, dem Stutenderby (Gr.1, 2400m).  Benannt nach dem Landsitz von Lord Derby, der in den Jahren 1779 bzw. 1780 erst die Oaks, dann das Derby gleichsam „erfand“, sind die Oaks also tatsächlich das marginal ältere Rennen. Seit 1902, zur Krönung von King Edward VII., wird am ersten der zwei Meetingtage auch der Coronation Cup (Gr.1, 2400m) gelaufen, offen für 4j. und ältere Pferde.

In der Siegerliste des Coronation Cup stehen mit Boreal und Shirocco selbstredend auch deutsche Pferde, zumindest mit deutschem Bezug. Der aktuelle Sieger, der von Owen Burrows trainierte Sea The Stars -Sohn Hukum, hatte eine Nennung für den Großen Preis von Berlin Mitte August, „nun müssen wir aber anders denken“, hatte sich Burrows nach dem Rennen optimistisch geäußert. Da wusste er noch nicht, dass sich sein so schön gesteigerter Schützling, immer ein Pferd mit enormem Potential und von Burrows sehr schonend aufgebaut, im Rennen eine schwerwiegende Verletzung zugezogen hatte. Erst am Abend des Rennens wurde das volle Ausmaß deutlich; der Hengst musste geschraubt werden, das Rennjahr, wenn nicht gar die gesamte Karriere, beendet.

Ein bitterer Schlag für Burrows, einstmals Assistent von Sir Michael Stoute und erst seit einigen Jahren selbstständiger Trainer, zunächst als Privattrainer für Hamdan al Maktoum. So war er nach dessen Tod im letzten Jahr und der darauffolgenden Restrukturierung des Rennstalls – das Management wurde von Hamdans Tochter übernommen, der Pferdebestand deutlich verkleinert, die Pferde laufen nun unter dem Namen „Shadwell Estate Company Ltd“ – besonders hart getroffen und verlor einen Großteil seiner Pferde. Eine Parallele zu seinem alten Boss Sir Michael Stoute, der nach offizieller Ankündigung keine neuen Pferde von Shadwell erhält; tatsächlich hat Stoute seitdem seinen zweiten Stall aufgegeben und trainiert nun rund einhundert Pferde nur noch aus seiner Hauptanlage Freemason Lodge Stables.

Zunächst als Geheimtipp auf den Galopps gehandelt, hatte sich die Sea The Stars -Tochter Emily Upjohn (benannt nach einem Charakter in einem Film der Marx Brothers) spätestens nach ihrem überlegenden Sieg in Yorks Musidora Stakes (Gr. 3, ca. 2100m) rasch zur heißen Favoritin der Oaks gemausert. Trainiert von John & Thady Gosden, und der Ritt von Frankie Dettori, kam somit auch das „Hausfrauengeld“, das dem Star-Jockey blind folgt. Doch es sollte anders kommen. Die Fach-Jury diskutiert nach wie vor, ob es der Startverlust der wenig geprüften Stute, die in den Oaks erst ihren vierten Start absolvierte, oder die wohlmöglich etwas aufwendige Route Dettoris war, die zur knappen Niederlage der Favoritin führte. Dettori selber, kurz nach dem Rennen natürlich entsprechend „angefasst“, nannte den Stolperer der Stute direkt nach dem Start als Grund, dass beide mit offiziell „kurzem Kopf“ hinter der von Aidan O`Brien trainierten und von Ryan Moore gerittenen, Galileo-Tochter Tuesday einkamen. Spätere Videoanalysen lassen aber auch den Schluss zu, dass es genau der Vorteil war, den Moore durch cleveres Reiten in der Bahnmitte erlangte, während Dettori seine Partnerin weit außen in die Partie warf.

„Moore nahm die korrekte Route“ analysierte Emily Upjohns Trainer John Gosden im britischen Fernsehen, nachdem es augenscheinlich bereits vor dem Rennen zu einer Verstimmung zwischen Trainer und Jockey gekommen war. In der Zielgerade beantwortete Emily Upjohn jede Frage ihres hart reitenden Jockeys, aber der Zielpfosten stand genau richtig für Tuesday. Es war der unglaubliche 41.(!) klassische Sieger, den O`Brien alleine in England trainierte, rund 24 Jahre nach seinem ersten, King of Kings in den 1998 2000 Guineas. Im gleichen Jahr gewann er auch die ersten seiner bisher 10 Oaks, zusätzlich zu sieben Siegen in den 1000 Guineas, zehn in den 2000 Guineas, eben acht Epsom Derbys und sechs St. Leger Stakes. Wie gesagt – diese Zahlen beziehen sich nur auf England, nicht auf seine Irische Heimat.

Tuesday, die genau am Oaks-Tag, dem 3. Juni, ihren dritten Geburtstag feierte, hätte sich als rechte Schwester zu Minding und Empress Josephine (zu ihrer Abstammung an anderer Stelle mehr) natürlich kein besseres Pedigree schreiben können. Ryan Moore, englischer Stalljockey am irischen Stall von Aidan O`Brien und unter der Woche in England „stationiert“, reitet dort vornehmlich für eben Stoute, auch wenn es aufgrund der Verpflichtungen am O´Brien-Stall keine offizielle Beziehung zu Freemason Lodge mehr gibt. An dieser Stelle nur ein kurzer Verweis auf Moore´s Bruder Joshua, seines Zeichens Hindernisjockey, der nach einem schweren Sturz am 16. April dieses Jahres mit Komplikationen nach wie vor in sehr ernstem Zustand im Krankenhaus liegt. „Der Zustand seines Bruders ist jeden Morgen das Erste, worüber wir reden. […] Aber Ryan ist eben sehr professionell.“ reflektierte O´Brien nach dem Wochenende.

Des einen Verlust ist des anderen Gewinn, im Epsom Derby namentlich Richard Kingscotes. Hierzulande durch seinen Derby-Ritt auf Brown Panther ein Begriff, war Kingscote lange Zeit fester Bestandteil des Stalles von Trainer Tom Dsascombe. Die lose Verbindung vor allem zum Stall von Sir Michael Stoute war ein Grund der Trennung des Teams, allerdings besteht auch hier keine offizielle Stalljockey-Verbindung. Kingscote, 35 Jahre alt und mit rund 1300 Siegen im Rennsattel ein versierter Jockey, steigt im Norden wie im Süden der Insel in den Rennsattel. „Wir brauchten eine Alternative, da wir nicht immer auf Ryan [Moore] zurückgreifen können“ äußerste sich Stoute sinngemäß.

Bereits beim Lebensdebut von Desert Crown, spät im letzten Jahr auf der Rennbahn von Nottingham, saß Kingscote im Sattel des Nathaniel-Sohns. Nicht alles lief danach glatt mit dem Hengst, eine leichte Verletzung im Februar bedeutete, dass er noch im März Boxenruhe hatte. „Ihr möchtet sicher unser Derby-Pferd sehen“ wurde uns der Hengst Anfang Mai vorgestellt; die Beziehung zum Stall von Sir Michael reicht über Jahrzehnte zurück. „Wir glauben schon, dass er gut ist, aber ob er jetzt schon ein Derby-Pferd ist? “ so Reisefuttermeisterin Sarah Denniff kurz vor den Start in Yorks Dante Stakes. Es ist diese Aussage, deren Grundlage kein Understatement, sondern ein langjähriges Vertrauensverhältnis ist, die die nachfolgenden Leistungen des Hengstes in einem noch ganz anderen Licht erscheinen lassen.

Nach dem Derby gab Stoute zu, dass ihm die Unerfahrenheit des Hengstes, der am Samstag erst seinen dritten Lebensstart absolvierte, durchaus Sorgen bereitet hatte. Vor dem Rennen hatte sich der Trainer nach dem beeindruckenden Sieg in Yorks Dante Stakes zunehmend zuversichtlich gezeigt:“ Er muss nur diese Leistung erneut zeigen, und sollte schwer zu schlagen sein.“ Das tat Desert Crown, und mehr. Der Hengst, ein Jährlingskauf aus Tattersalls Buch Zwei, bei dem Nachkommen mit vermeintlich schwächeren Abstammungen verkauft werden, hatte seinen Käufer vor allem durch sein selbstsicheres Temperament begeistert.

Ein Temperament, das Desert Crown an der Startstelle zum Derby besonders zu Gute kam, hatten sich doch die Veranstalter entschlossen, das Thronjubiläum der Queen mit einem lauten Feuerwerk zu feiern. Feuerwerk, zeitgleich zum Derby-Start. Auch wenn wie bereits beschrieben die Startstelle auf der anderen Seite des langes „U“ liegt, so war der hörbare Lärm beträchtlich und rief im Nachgang deutliche Kritik der teilnehmenden Jockeys hervor. Kingscote hatte mit Desert Crown solche Probleme nicht. „Er hat sich im Vorfeld wunderbar benommen, ich war begeistert. Jedes Mal, wenn ich auf ihm sitze, ist er sehr ruhig, heute war keine Ausnahme. Es gab nichts zu bemängeln. Er galoppierte zum Start, dann ging das Feuerwerk los, und er war ein wunderbarer Ritt“ so Kingscote nach dem Rennen, der am Sonntag in einem Rennsport-Podcast auf die Frage, wie er sich mit Sir Michael verstehe, antwortete:“ Gut. Wir reden beide nicht viel.“ 

Stoute hatte vor rund zwei Jahren seine Lebensgefährtin verloren, schon aus diesem Grund war ihm die Zuneigung der Zuschauer sicher. „Ich würde mich so für Sir Michael freuen“ bekannte auch die Enkelin der Queen, Prinzessin Anne´s Tochter Zara, vor dem Rennen.

Desert Crowns Derby-Sieg markierte den 16. Klassiker für seinen legendären Trainer. Eine Zahl, die den Siegreigen eines Aidan O`Brien umso fabelhafter erscheinen lässt. 1972 hatte sich Stoute, auf Barbados geboren und für seine Verdienste für den dortigen Tourismus in den Adelsstand erhoben, als Trainer selbstständig gemacht. Seine eine der großen Trainerkarrieren der Insel; er hat die Sieger aller dortigen Klassiker trainiert, beginnend mit dem großen Shergar im Epsom-Derby 1981. Durchaus reisefreudig, fehlen auch große und größte Rennen rund um den Globus nicht auf seiner persönlichen Siegerliste, in Deutschland u.a. den Großen Preis von Baden (Pilsudski 1996) und das Bayrische Zuchtrennen (Greek Dance 2000, Linngari 2008). Den Prix de L´Arc de Triomphe gewann er 2010 mit Workforce, seinem letzten Derby-Sieger vor Desert Crown.

Der Sieg des Nathaniel-Sohnes war somit mehr als nur ein Klassiker in Stoutes CV, es war die Rückkehr in die ganz große Liga; Pferde von seinem, Desert Crowns, Kaliber hatten zuletzt in Freemason Lodge schmerzlich gefehlt. Die entsagte Unterstützung von Shadwell der jüngste Tiefschlag, auf den es mit den Derby-Sieg keine bessere Antwort hätte geben können. Es war eine Augenweide, wie Kingscote, bei erst seinem zweiten Derby-Ritt überhaupt, den Hengst mit kühlem Kopf über den Kurs steuerte. Und eine Augenweide, wie der so unerfahrene Hengst über den anspruchsvollen Kurs gleichsam glitt- „Ich hatte eine Gänsehaut, als ich anhielt, als ich erkannte, dass ich gewonnen hatte, aber 400 Meter vor dem Ziel war eigentlich alles in trockenen Tüchern. Ich meine auch, dass er heute noch besser wie auf Knopfdruck reagierte, er war im Rennen viel aufmerksamer. Alles was ich ihn fragte bekam ich sofort. In York hat es etwas gedauert, bis ich ihn aufgeweckt hatte, aber alles was so viel solider heute“ erklärte Kingscote. Es war der rennentscheidende Schritt, mit dem Kingscote seinen Partner rund 400 Meter vor dem Ziel an die Spitze schickte. Sofort brachte der Hengst eine deutliche Distanz zwischen sich und das Feld; auch wenn vor allem der Drittplatzierte Westover im Einlauf recht unglücklich war und in den letzten 200 Metern das schnellste Pferd war.

„Er ist übervoll mit Potential“ so Stoute nach dem Derby über seinen jüngsten Star. Der Prix de L´Arc de Triomphe ist das erkläre Jahresziel, 2023 soll er im Training bleiben. „Er ist gut, und er könnte sehr gut sein. Er ist in den richtigen Händen, es zu werden.“ sind die Worte von Racing Manager Bruce Raymond,  der passende Abschluß.   

Catrin Nack 

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