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Das Duell in Ascot

Am letzten Sprung ist noch Energumene (li.) vorne, doch Shishkin bringt sich schon in Stellung. Foto: courtesy by Tattersalls Ireland

Autor: 

Catrin Nack

TurfTimes: 

Ausgabe 703 vom Freitag, 28.01.2022

Es bedarf wenig – und doch so viel - um einen Klassiker zu erzeugen. Nur vier Pferde fanden sich zur Clarence House Chase (Gr.1, 2m1f = ca. 3400m) am Samstag auf der Rennbahn von Ascot ein. Zwei von ihnen (darunter der Vorjahressieger der Prüfung) waren sowohl auf dem Papier als auch auf dem Rasen Statisten. Die anderen beiden jedoch waren Stars: Zwei über Hindernisse ungeschlagene Top-Chaser, im Training bei den Meistern ihres Landes. Der alte Zweikampf „them versus us“, Irland gegen England.

Englands Nicky Henderson schickte seinen (in Irland gezogenen) Sholokhov-Sohn Shishkin ins Rennen; der 8j. Wallach läuft zudem pikanterweise in den Farben, in denen Al Boum Photo aus dem Stall von Irlands Star-Trainer Willie Mullins zwei Mal den Cheltenham Gold Cup gewinnen konnte. Mullins selber vertraute am Samstag auf seinen französisch gezogenen Energumene (dessen Name übersetzt soviel wie „vom Teufel besessen“ bedeutet). 17 Rennen hatten allein diese beide Pferde zusammen gewonnen. Bis auf Shishkins Missgeschick, als er beim ersten Hindernisstart seines Lebens zu Fall kam, waren beide Pferde in diese Sphäre – wie erwähnt – ungeschlagen.

„Es ist so schade, dass es einen Verlierer geben wird“ hatte Henderson schon im Vorfeld erkannt. Den gab es auf dem Rasen, aber eigentlich gab es bei diesem episch gelaufenen Rennen nur Gewinner. Nachdem Stalljockey Paul Townend mit seinen Partner Energumene etwas überraschend sofort an die Spitze strebte, ließ es Hendersons Stalljockey Nico de Boinville etwas gemächlicher angehen. Beide Pferde sprangen mit großer Sicherheit, vor allem Energumene, so das kleinste Fehler wohlmöglich die Entscheidung bedeuten würden. Eingangs der Zielgrade schien „Team Irland“ einem sicheren Sieg entgegen zu streben, dann begann das Stehvermögen des bulligen Shishkin anzuspringen. Am letzten Hindernis lag er noch rund zwei Längen zurück, nun holte er auf. Beide Pferde gaben alles, „they were all heart“, wie die Engländer es umschreiben; und zur unbändigen Freude der zahlreichen Zuschauer – keine Corona-Beschränkungen in England -  war es Shishkin, der den sprichwörtlich längsten Atem hatte.

In einer wohltuenden Geste des fairen Sportsmannes streckte Townend sofort nach dem Ziel die Hand zum Gruß an den siegreichen Reiter aus, und auch Willie Mullins hätte in der Niederlage nicht großmütiger sein können. „Das Pferd hat alles gegeben, Paul hat ihn hervorragend geritten. Nico de Boinville war exzellent auf Shishkin, und natürlich hat Shishkin gemacht, was Shishkin immer macht. Er läßt dich denken, du hättest gewonnen, um dann auf der Linie zuzuschnappen; allerdings macht er es gewöhnlich etwas früher. Wir müssen uns für Cheltenham [beide Pferde werden, Gesundheit vorausgesetzt, in der Queen Mother Champion Chase aufeinandertreffen] etwas anders ausdenken, wenn wir Shishkin schlagen wollen.“

Für die Zuschauer gab es keinen Verlierer – „ich habe die Zuschauer hier noch nie so laut für den Zweitplatzierten applaudieren hören“ bekannte ein Reporter.  Rund 834.000 Zuschauer hatten genau dieses Rennen zuhause im Fernsehen verfolgt, ein Buchmacher berichtet gar, dass die Clarence House Chase sein größtes „Wett-Rennen“ der bisherigen Saison gewesen sei.

Die Einnahmen einer 340.000GBP-Einzelwette auf Energumene (dem Vernehmen nach von Besitzer Tony Bloom) wurden allerdings durch eine Schiebewette über 140.000GBP Shishkin / Jonbon praktisch eliminiert. Letzterer, ein rechter Bruder der Chase-Legende Douvan und im Training bei Nicky Henderson, löste sein Ticket für Cheltenham mit einem Sieg in einer Gr. 2 Novice Hurdle in nordenglischen Haydock. Auf der gleichen Karte wurde zudem die Peter Marsh Chase (Gr.2, 3m1 ½ f – ca. 5144m) entschieden, sie war einstmals ein veritabler Aufgalopp für den Cheltenham Gold Cup; der jüngste Sieger Royal Pagaille, der diese Prüfung bereits 2021 gewinnen konnte, soll dieses Rennen nun auch ansteuern. In den Farben von Douvan-Besitzer Rich Ricci, der den 8j. Wallach, im Training bei Venetia Williams dem Vernehmen nach zum ersten Mal Live sah, möchte man dort das schwache Laufen aus dem Vorjahr vergessen machen. „Im letzten Jahr hat er sich den halben Huf herunter gerissen und war so lahm, dass es drei Monate gedauert hat, bis er das Rennen verdaut hatte.“

Und dann war da noch ein Pferd namens Tiger Roll. Der inzwischen 12j. Wallach ist unbestreitbar eine lebende Legende des Hindernissports. Kein modernes Springpferd hat erreicht, was dieser kleine Sohn des Epsom Derby Siegers Authorized zwischen den Flaggen errungen hat. Bei 44 Starts ist der Wallach 13facher Sieger, darunter sind sagenhafte fünf Erfolge beim Cheltenham Festival (wo er u.a. als 4j. mit der Triumph Hurdle (2m, Gr.1) eines der kürzesten Rennen und als 7j. mit dem „Vier-Meiler“ das längste Rennen des Meetings gewann) und natürlich seine zwei Siege im Grand National zu Aintree. Offiziellen Aussagen seines Trainers Gordon Elliott zu Folge hat ein sechster Erfolg beim 2022 Cheltenham Festival oberste Priorität; hier hat Tiger Roll zuletzt dreimal die Cross Country Chase gewonnen.

In Vorbereitung auf dieses Rennen absolvierte Tiger Roll nun seinen zweiten Start der Saison in einem Hürdenrennen in Navan; er kam im Mittelfeld ein. Immer wieder werden in den sozialen Medien die Rufe nach seinem Ruhestand laut; Videos auf den entsprechenden Accounts seines Trainers zeigen jedoch ein vielfältiges Training und einen lebensfrohen Tiger Roll auf einer großen Koppel. Das Grand National hatte man in den beiden letzten Jahren bewußt, um nicht zu sagen kontrovers, ausgelassen; Besitzer Michael o´Leary hatte sich öffentlich über die Handicapmarke seines Pferdes beschwert.

Catrin Nack

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