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Das Deutsche Derby ... oder was das verrückte Rennen mit den Favoriten macht?!

Die beiden Favoriten beim gemeinsamen Training: Novellist (r.) mit Eduardo Pedroza vs Black Arrow mit Jozef Bojko. www.rennstall-woehler.de

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Turf aktuell

TurfTimes: 

Ausgabe 221 vom Donnerstag, 28.06.2012

Ist ein Derby langweilig, wenn es einen klaren Favoriten hat? Wohl kaum, denn das „Rennen der Rennen“ im Leben eines Vollblüters ist stets etwas Besonderes für alle Beteiligten, nicht nur wegen der Höhe der Rennpreise und des sportlichen Renommees, das es dort zu gewinnen gibt. In Zeiten, in denen es die Randsportart Galopp in Deutschland nur noch selten schafft, für seine zwei- und vierbeinigen Stars mediale Aufmerksamkeit zu schaffen, bereitet das am Sonntag in Hamburg-Horn anstehende SPARDA 143. Deutsche Derby (Gruppe I, 2400m, 500.000€) den Beteiligten einen Moment des Scheinwerferlichts auch über den engen Kreis der Turf-Fans hinaus. Schon mit dem Begriff Derby, auch wenn er mittlerweile im Sportjournalismus inflationär eingesetzt wird und selbst für manch Kreisligaspiel von mäßig talentierten Fußballern herhalten muss, weiß jedermann etwas anzufangen. Ein Derby-Sieg bedeutet auch immer ein Übermaß an Emotionen, das sich nicht nur mit nackten Zahlen bewerten lässt. Zudem verschafft es dem Sieger-Team stets ein kleines Stück Unsterblichkeit in den Annalen des Turfs.

So startete der Favorit Novellist in Hoppegarten ins Derbyjahr 2012 ... the rest nowhere. www.galoppfoto.de - Frank SorgeSo startete der Favorit Novellist in Hoppegarten ins Derbyjahr 2012 ... the rest nowhere. www.galoppfoto.de - Frank Sorge

Diesmal scheint es für viele im Vorfeld kaum noch eine Frage zu sein, wer sich dieses Stück Unsterblichkeit wird sichern können. Der ungeschlagene Union-Sieger Novellist aus dem Quartier des letztjährigen Derby-Siegtrainers Andreas Wöhler ist ein so heißer Derby-Favorit wie ihn der deutsche Turf schon lange nicht mehr gesehen hat. Der im Besitz von Dr. Christoph Berglar stehende Monsun-Sohn war derart überlegen bei seinen bisherigen Auftritten auf der Rennbahn, dass bei den Derby-Festkursen der Buchmacher nicht einmal mehr doppeltes Geld bei einem Sieg des von Eduardo Pedroza gerittenen Hengstes zu bekommen ist. Sollte er auch am Sonntag zu einer derartig niedrigen Siegventualquote das Rennen bestreiten, so muss man schon bis ins Jahr 1987 zurückgehen, um einen Derby-Starter zu finden, der zu einer Quote von unter 20:10 angetreten ist. Gleichzeitig macht diese ein ganzes Vierteljahrhundert umfassende Rückschau klar, dass eine solch exponierte Favoritenstellung noch lange kein Garant für den Derby-Erfolg ist.

Kondor: Er scheiterte als 16:10-Favorit im Derby 1987. Foto: Silvia GöldnerKondor: Er scheiterte als 16:10-Favorit im Derby 1987. Foto: Silvia GöldnerVor 25 Jahren war es nämlich der von Hein Bollow trainierte Kondor, der als 16:10 Favorit weder den hohen Kredit bei den Wettern hat einlösen noch seinem Reiter Peter Remmert den ersehnten ersten Derby-Sieg hat bescheren können. Der Cagliostro-Sohn, im Ziel Zweiter zu dem an diesem Tag über sich hinauswachsenden Lebos und nach Disqualifikationsentscheidung letztlich Dritter des 87er Derbys, war ohne Zweifel ein hochtalentierter Vollblüter, doch der erste Julisonntag war nicht sein Tag. Ähnlich erging es in der Vergangenheit so manch anderem Favoriten, der aus den unterschiedlichsten Gründen die hohen Vorschusslorbeeren nicht hat umsetzen können. Im „verrückten Rennen“, wie es die jüngst verstorbene Trainer-Legende Heinz Jentzsch einmal nannte, muss vieles passen, damit am Ende der Sieg herausspringt.

Wer könnte am ehesten von einem Scheitern des favorisierten Novellist profitieren? Wer könnte das „Horse of the Day“ sein, dessen Stern am Sonntag aufgeht und leuchtend über dem Horner Moor scheint? Sowohl nach offizieller GAG-Einschätzung als auch nach Buchmacher-Wettmarkt hat der Trainingsgefährte am Wöhler-Quartier, der Teofilo-Sohn Black Arrow die besten Chancen dazu. Dies könnte zur selben Situation wie im Vorjahr führen, als das Wöhler-Quartier mit Waldpark zwar den Derby-Sieger stellte, der langjährige Wöhler-Stalljockey Eduardo Pedroza dennoch nicht seinen ersten Derby-Triumph feiern konnte. Doch diesmal käme auf der zweiten Wöhler-Farbe nicht wie im Vorjahr der Wöhler-Angestellte Jozef Bojko zum Zuge, sondern kein Geringerer als der weltbekannte Lanfranco Dettori, der für den Ritt auf Black Arrow gebucht wurde.

Frankie Dettori mit Temporal 1991 - dem ersten Gr. I-Sieger seiner Karriere: Damals schlug er mit dem 384:10 Außenseiter den favorisierten Lomitas (31:10) - jetzt reitet er den Co-Favoriten Black Arrow. www.galoppfoto.de - Frank SorgeFrankie Dettori mit Temporal 1991 - dem ersten Gr. I-Sieger seiner Karriere: Damals schlug er mit dem 384:10 Außenseiter den favorisierten Lomitas (31:10) - jetzt reitet er den Co-Favoriten Black Arrow. www.galoppfoto.de - Frank SorgeGenau 21 Jahre nachdem der damals blutjunge Italiener am Anfang seiner Weltkarriere den Derby-Sieg des klar favorisierten Fährhofers Lomitas durch seinen beherzten Ritt auf dem Außenseiter Temporal verhinderte und damit seinen ersten Gruppe I-Treffer landete, kehrt Dettori im Herbst seiner Jockey-Karriere nach Hamburg zurück. Noch in der letzten Woche zeigte Dettori bei seinem Erfolg auf Colour Vision im Gold Cup beim Ascot-Meeting, dass mit ihm weiterhin in Top-Rennen zu rechnen ist und dass er es wie kaum ein anderer versteht, seine immer wieder ansteckende Freude über einen solchen Erfolg mit dem Publikum zu teilen. Nicht wenige wünschen sich allein schon deshalb einen Derby-Sieg von Black Arrow, damit sie "Frankie Boy" bei der Entgegennahme der Siegovationen auf der Horner Bahn erleben können.

Könnte als erster Derby-Doppelsieger in die deutsche Turf-Geschichte eingehen: Feuerblitz mit Robert Havlin bei seinem Erfolg im Derby Italiano. www.galoppfoto.de - Stefano GrassoKönnte als erster Derby-Doppelsieger in die deutsche Turf-Geschichte eingehen: Feuerblitz mit Robert Havlin bei seinem Erfolg im Derby Italiano. www.galoppfoto.de - Stefano GrassoEine besondere Geschichte als Derby-Sieger würde auch der von Michael Figge in München trainierte Feuerblitz schreiben. Ein „echter“ Doppel-Derby-Sieger, also ein Vollblüter, dem neben dem Deutschen Derby noch ein weiterer Derby-Erfolg in einem anderen Land gelang, fehlt noch in der Derby-Geschichte, auch wenn der unvergessene Birkhahn mit seinen Siegen im Hoppegartener Großen Preis der Dreijährigen und dem Hamburger Deutschen Derby im Jahr 1948 in gewisser Weise als Doppel-Derby-Sieger anzusehen ist. Feuerblitz gewann vor sechs Wochen in Rom das Italienische Derby und schickt sich mit dem Engländer Robert Havlin im Sattel an, in Hamburg den zweiten Derby-Erfolg zu versuchen. Was einen Derby-Sieger Feuerblitz darüber hinaus zu einem ganz speziellen Horn-Triumphator machen würde, ist die Vaterschaft von Big Shuffle. Der fünffache Champion-Deckhengst, der über zwei Jahrzehnte der deutschen Vollblutzucht einen prägenden Stempel aufdrückte, würde posthum seinen ersten Derby-Sieger in Deutschland stellen. Big Shuffle und Stehvermögen waren bislang zwei Vokabeln, die sich auszuschließen schienen.

Lavirco gewann mit Torsten Mundry 1996: Der Fährhofer (29:10) war einer von gerade mal vier heissen Favoriten, die in der jüngeren Derby-Geschichte zum Zuge kamen. www.klatuso.com - Klaus-Jörg TuchelLavirco gewann mit Torsten Mundry 1996: Der Fährhofer (29:10) war einer von gerade mal vier heissen Favoriten, die in der jüngeren Derby-Geschichte zum Zuge kamen. www.klatuso.com - Klaus-Jörg Tuchel

Interessante Derby-Geschichten böte noch so manch anderer der restlichen 12 Starter. Der nach einem Stallwechsel nach München aufblühende Baltic Rock (Gary Hind) zum Beispiel, für den immerhin 50.000 Euro Nachnennungsgebühr durch seinen Besitzer Dietrich von Boetticher investiert wurde. Oder Gestüt Ebbeslohs Girolamo aus dem diesmal nur mit zwei Startern vertretenen Schiergen-Quartier, der im Jubiläumsjahr seiner Zuchtstätte punkten könnte und Andrasch Starke, den Derby-Siegreiter par excellence, im Sattel weiß. Starke entschied sich erst im letzten Moment um und wechselte von Salon Soldier (Filip Minarik) zu Girolamo. Das Bauchgefühl des fünffachen Derby-Siegjockeys, der auch nach dem Arc-Sieg im Turf Times Interview vor einiger Zeit bekannte, „das Schönste ist es, das Derby zu gewinnen“, wird dem Dai Jin-Sohn einigen Kredit verschaffen, auch wenn die bisherigen Rennleistungen einen Derby-Erfolg für Girolamo kaum wahrscheinlich erscheinen lassen.

Auch Außenseitererfolge von vermeintlichen Feldfüllern gab es immer mal wieder im Deutschen Derby. Genau 30 Jahre nach dem Sensationserfolg des 608:10 Außenseiters Ako könnte vielleicht wieder einmal einer der echten „Underdogs“ im Derby an der Reihe sein. Eine Siegeventualquote, die in Ako-Regionen liegen wird, dürfte der von Pavel Vovcenko trainierte Anakin Skywalker (Daniele Porcu) aufweisen. Der Soldier Hollow-Sohn geht als noch siegloser Kandidat ins Rennen und versucht seinem aus der Weltraumabenteuersaga Star Wars entlehnten Namen beim sprichwörtlichen Griff nach den Sternen alle Ehre zu machen. Eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, dass es klappt, doch wer kann dies schon mit Sicherheit behaupten? Wenn im Deutschen Derby immer nur das passieren würde, was alle vorher erwarten, hätte das Rennen viel von seinem Reiz verloren. Am Sonntagnachmittag gegen 17.45 Uhr sind alle Turf-Fans schlauer und werden wissen, wer der Derby-Sieger 2012 ist. Falls es Novelllist sein wird, so wussten es alle schon vorher. Falls sich ein Anderer in die Annalen eintragen kann, so wussten auch alle vorher, dass man in einem Derby nie sicher sein kann, was am Ende dabei herauskommt.

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