Drucken Redaktion Startseite

Cheltenham - die ersten Tage

Volles Haus in Cheltenham. www.galoppfoto.de - JJ Clark

Autor: 

Catrin Nack

TurfTimes: 

Ausgabe 710 vom Freitag, 18.03.2022

Cheltenham öffnete seine Tore, und alle kamen. Rund 69.000 Zuschauer strömten am ersten Meetingtag auf die Bahn, und nur die wechselhafte Wettervorhersage verhinderte auch einen „Sell-Out“ am zweiten Meeting-Tag. Die Zuschauer-Zahl am Mittwoch: rund 64.400. Der Regen, der am späten Mittwoch Vormittag in Strömen kam (nachdem der Rennbahnverwalter bei sehr vager Wettervorhersage am frühen Morgen noch gewässert hatte), verwandelte die Bahn schnell in Matsch, Gift für den tapferen Tiger Roll. Doch das greift voraus.

Der erste Tag stand ganz im Zeiten der wunderbaren Honeysuckle. Für die von Henry de Bromhead trainierte Sulamani-Tochter haben wir an dieser Stelle schon so viele Superlative gefunden; sie entzückte erneut. Unter ihrer ständigen Reiterin Rachael Blackmore avisierte Honeysuckle zur ersten Stute in der Geschichte des Rennens, die zweimal in Folge siegreich war. Sie ist nun in 15 Rennen in Folge ungeschlagen, noch kein „Rekord-Rekord“, aber selbstredend eine unglaubliche Leistung. Es ist die Leichtigkeit, mit der die Lando-Enkelin durch ihre Rennen gleitet, von Blackmore immer perfekt positioniert; die beiden verstehen sich sprichwörtlich ohne Worte. Die optisch nicht eben beeindruckende Stute („handsome is as handsome does“) tut immer gerade genug, und hat kaum je den Eindruck erweckt, auf tiefe Reserven zurückgreifen zu müssen. De Bromhead, der das Rennen mit versteinerte Miene verfolgt hatte, ließ nach dem Rennen seinen Emotionen freien Lauf; und unterhielt die Presse am Mittwoch Morgen mit Anekdoten seiner Party-Nacht.

Zuvor war die von vielen befürchtete Invasion der irischen Pferde erst einmal ausgeblieben. Cheltenham ist seit Jahrzehnten auch Schauplatz der Rivalität zwischen beiden Nationen, auf dem Rasen selbstredend freundschaftlicher als in den Geschichtsbüchern. Was nicht heisst, dass dieser Wettbewerb, unter dem Titel „Prestbury Cup“ ausgetragen, nicht ernst genommen wird. 3:0 stand es nach dem ersten drei Rennen; Nicky Hendersons Constitution Hill (Jockey Nico de Boinville) hatte in der traditionell einleitenden Prüfung, der Supreme Novices´ Hurdle (Gr.1, ca. 3300m) Favoriten-Wetter zum perfekten Einstand verholfen. Auch Alan Kings Arkle-Sieger Edwardstone war im Vorfeld des Meetings eine Art englischer "Banker" gewesen; die Manier, mit der der von Tom Cannon gerittene Kayf Tara-Sohn durch das Rennen segelte und resolut nach Hause galoppierte, war dann auch mehr als sehenswert. Es ist eine willkommene Rückkehr Kings in die allererste Riege der Trainer, ein echtes Star-Pferd hatte ihm einige Jahre gefehlt. Der Sieg des von Lucinda Russell im fernen Schottland trainierte Corach Rambler (Jockey Derek Fox) in einem Gr.3-Handicap machte die deutliche britische Führung dann perfekt. Es bedurfte einer Honeysuckle, um den ersten irischen Punkt zu landen.

Jenseits des Rasen machte Cheltenham nahtlos dort weiter, wo es im Jahr 2020 aufgehört hatte. Corona ist hier eine ferne Erinnerung, wie es es vor zwei Jahren auch war. Die letzten beiden Meeting-Tage sind seit Wochen ausverkauft, Maskenpflicht gibt es auf der Insel schon lange nicht mehr. Das Guiness fliesst in Strömen. Die Pferde laufen, die Wetten laufen.

Am Mittwoch floss auch der Regen. Für Pferde, die auf besseren Boden angewiesen waren, war dies natürlich eine Katastrophe, unten ihnen Tiger Roll, der sich anschickte, zum sechsten (!) ein Rennen beim Festival zu gewinnen. Die Laufbahn dieses ungewöhnlichen Pferdes werden wir in der nächsten Ausgabe der Turf-Times genauer beleuchten; hier gilt festzuhalten, dass Monate der maßstabsgetreuen Vorbereitung buchstäblich im Matsch stecken blieben. Bereits im Vorfeld wurde deutlich, dass Trainer Gordon Elliott plante, einen Stallgefährten von Tiger Roll zu satteln; keinen Geringeren als den sechsfachen Gr.1-Sieger Delta Work. Wollte der Besitzer wirklich die Abschlußparty seiner eigenen Legende ruinieren?

Vor der Cross Country Chase, dem „heimlichen“ Highlight des zweiten Tages, stand mit der Queen Mother Champion Chase (Gr.1, ca. 3200m) die sportlich wichtigste Prüfung an. Auch hier spielte der Regen, und der zwischenzeitlich „schwer“ gewordene Boden, eine entscheidende Rolle. Was im Vorfeld nach einem  Zweikampf zwischen einem der englischen Banker des Meetings, Nicky Hendersons Shishkin, und Irlands von Willie Mullins trainierten Energumene, aussah, wurde im Rennen eine mehr als einseitige Angelegenheit. Auch wenn der Boden für die offizielle Erklärung herhalten musste, war Shishkin, ein absolute Star der gesamten Szene, bereits nach zwei Hindernissen in Nöten, hier stimmte offensichtlich einiges nicht. Mullins-Stalljockey Paul Townend konnte sich drei Hindernisse vor dem Ziel einen langen Blick durch die Beine erlauben, da war Shishkin bereits angehalten.

Es wurde eine Demonstration des 8j. Denham Red-Sohnes, der beim letzten Aufeinandertreffen der beiden Pferde knapp den Kürzeren gezogen hatte, diese Form aber nun nachdrücklich auf den Kopf stellte. Unglaublicher Weise war dies Mullins erster Sieg in der Champion Chase; mit insgesamt drei Siegen am Mittwoch war es überhaupt ein „good day in the office“. Sir Gerhard in der Ballymore Novices´ Hurdle (Gr.1, ca. 4200m) und der hochgehandelte Quevega-Sohn Facile Vega im Gr.1 Bumper, dem letzten Rennen des Tages, ließen drei der vier Gr.1- Rennen des Tages an Mullins´ Closutton-Stall gehen.

Und dann war da eben die Cross Country Chase. „Nachdem ich Delta Work in der Arbeit geritten hatte, ahnte ich bereits, dass ich Mittwoch abend zum meistgehassten Mann der Rennbahn werden würde“ äußerte sich Delta Works Jockey Jack Kennedy sinngemäß nach dem Rennen: „Ich hatte recht“. Nachdem Publikumsliebling Tiger Roll, um dessen Ritt Jockey-Legende Davy Russell ausdrücklich gebeten hatte, trotz des ungeliebten schweren Bodens die ungewöhnlichen Hindernisse, die er als zweifacher Sieger des Rennens natürlich bestens kannte, mit großer Sicherheit überwunden hatte, schien einige glorreiche Momente lang der märchenhafte Abschluß einer großen Rennkarriere möglich.

Doch Kennedy, in den gleichen weinrot-weissen Rennfarben von Gigginstown House Stud unterwegs, hatte seinen hochklassigen Partner, beim ersten Start über diese Hindernisse und in deutlich leichterer Klasse unterwegs, immer in Sichtweite, und griff nach der letzten, kleinen Hürde, kurz aber entscheidend an. Offiziell eine 3/4 Länge trennte ihn im Ziel von Tiger Roll, der in der Niederlage alles gab; beide Pferde waren fast 22 Längen vor dem Drittplatzierten.

Cheltenhams aufmerksames Marketing Team hatte - komme Sieg oder Niederlage - eine spezielle Tiger Roll-Decke vorbereitet. „Five-Time-Festival Winner“. Fünfmal statt der erträumten sechs Mal. Das passionierte und kenntnisreiche Publikum hatte die Niederlage zunächst gar nicht gut aufgenommen. Den frenetischen Anfeuerungsrufen für den Tiger war bedrücktes Schweigen, dann gar Buh-Rufe, gefolgt. Als der 12jährige jedoch mit seinem Bezwinger zusammen in den Sieger-Zirkel  einschreiten durfte, liessen sich die vielen Zuschauer, die trotz Dauerregens zur Siegerehrung geeilt waren, nicht lumpen. Man wollte nur ein Pferd feiern, und das war Tiger Roll, und das dreifache „Hoch soll er leben“ klang nur für geübte Ohren etwas gedämpft. Unter tosendem Beifall und mit passender „Eye of the Tiger“ Musik unterlegt, wurde Tiger Roll zu seiner Ehrenrunde geführt, besiegt, aber niemals geschlagen. Es sind Pferde wie er, die, Sieg oder Niederlage, Hindernisrennen zu dem emotionalen Spektakel machen, für den die Fans diese Sphäre ganz besonders lieben.

Catrin Nack

Verwandte Artikel:

Block: Adsense 728 x 90
Google AdSense 728x90