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Cheltenham 2018: Triumphe und Tragödien

Autor: 

Catrin Nack

TurfTimes: 

Ausgabe 509 vom Freitag, 16.03.2018

Der Legende nach wurde der Araber, die Stammrasse des englischen Vollblüters, aus dem Südwind erschaffen. „Nimm Gestalt an und werde”, sprach Allah und formte ein Wesen, schnell wie der Wind, mit einem feinen Gesicht und Hufen, die den Boden kaum berühren. Unmöglich, dass der Erschaffer an Bedingungen wie in Cheltenham gedacht hat, mit von Schnee und Regen aufgeweichtem Boden, dem schwersten zur Eröffnung des Festivals seit 1982. Es bedarf einer besonderes Spezies Pferd, um hier zu bestehen, nicht edel muss es muss, sondern stark, und in diesem Jahr werden Herz und Charakter besonders geprüft. Es braucht eben mehr als Talent, um sich durch den Matsch zu pflügen.

Doch die Träume bleiben die gleichen. Ein Sieger, zumindest ein Starter, einmal die besondere Atmosphäre aus dieser einmaligen Perspektive erleben, die Geld eben doch kaufen kann.Und während es für einige Trainer eine logistische Herausforderung ist, alle Pferde heil in die Stalltrakte der Rennbahn zu transportieren, kommt manch ein Trainer mit gerade einem Pferd, dem Star seines Stalls. Auch an großen Namen geht die Rezession, zumindest aber das Auf und Ab von Lady Luck, nicht spurlos vorbei: Willie Mullins hat allein am Eröffnungstag 13 Starter, Philip Hobbs derer gerade zwei. Jockeys wie Brian Hughes kommen auch für einen Ritt im letzten Rennen (der immerhin in einem Sieg mündete), und auch ein Noel Fehily kommt bei sechs möglichen Rennen am Eröffnungstag auf gerade einmal drei Ritte. Dabei spielt es keine Rolle, ob man ein „Veteran“ der Szene ist, oder auch nach diversen Startern immer noch auf seinen ersten Sieger wartet - die letzten Wochen wurden von diesen vier Tagen bestimmt, alles muss stimmen zur Stunde X..

Es ist schwer, sich der Faszination Cheltenham zu entziehen, wenn man es denn möchte. Einer gut geölten Maschinerie gleich steht die Rennbahn niemals still, entwickelt sich weiter, alles auf höchstem Niveau. 66.000 Zuschauer wohnten dem Eröffnungstag bei, nicht ausverkauft, die zweithöchste Zahl überhaupt. Und dies zählt natürlich nicht die Helfer und Helfershelfer, die in Busladungen früh morgens auf die Rennbahn geschafft werden, die Ordner, Wegweiser, die „Racemaker“, die Neulingen mit Hinweisen zur Seite stehen, die Stampfer, die den strapazierten Boden bearbeiten, die Bauarbeiten, die frühmorgens die schlimmsten Lücken auf der Rennbahn kaschieren, die Kaffeekocher, die …. Die Liste ist schier endlos.

Die Rennbahn selber präsentiert sich nach dem Umbau, der zum letzten Meeting fertig war, moderner und offener, eine Mischung aus „state-of-the-art“ Tribünen und unzähligen temporären Strukturen, um das Wort „Zelte“ zu vermeiden. Das Guiness Village, stationärer Treffpunkt der harten Zocker, ist bereits direkt nach dem Einlass gut gefüllt, wie die Biergläser selber. Nachdem der Regen pünktlich zum ersten Renntag endlich ein Einsehen hatte, braucht es ja nicht viel mehr zum perfekten Tag. 

Die Rahmenbedingungen „perfekt“ zu nennen, hieße an der Wahrheit vorbei zu argumentieren, zu schlecht präsentierte sich der Boden vor Beginn des ersten Rennens, traditionell der Supreme Novices´  Hurdle, die früher einmal Gloucestershire Hurdle hieß und ein absolutes Sprungbrett für ganz große Namen der Szene ist:  Douvan, Altior, Vautour, Al Ferof oder  Menorah sind nur einige Namen, die sich zuletzt in die Siegerlisten eingetragen haben. Und wenn der Tag für die Herren Walsh und Mullins - Ruby Walsh war erst vor Wochenfrist aus einer monatelangen Verletzungspause in den Sattel zurück gekehrt, doch wer würde es wagen, an seiner Fitness zu zweifeln? - nicht ganz nach Plan begann (als heisser Favorit war Getabird der erste Sieger für die Buchmacher), so kam auch die Maschinerie des Willie Mullins danach unaufhaltsam in Schwung, beginnend mit Simon Munirs Footpad, der in der Arkle Chase eine Klasse für sich war und alle Vorschusslorbeeren mehr als eindrucksvoll bestätigte.

Der sechsjährige Wallach, ein Enkel des großen Sadler´s Wells, war gut über Hürden, doch eine Offenbarung über die großen Sprünge und könnte an der Schwelle zum absoluten Superstar stehen; Walsh war auf jeden Fall mehr als beeindruckt. Auch die Arkle Chase, die „Champion Chase“ für Nachwuchs-Chaser, ist eines der absoluten Top-Rennen des Festivals, die Sieger - Gesundheit vorausgesetzt - sichere Starter in eben der erwähnten Champion Chase, Höhepunkt am zweiten Meetingstag, Mittwochs Ladies Day.

Zudem konnte Mullins´ mit der in den Farben von Rich Ricci (der zuvor sowohl Getabird und Faugheen, der leider keine „Machine“ mehr scheint, im geschlagenen Feld beobachten musste) laufenden Benie des Dieux (Ruby Walsh) und Rathvinden (im Sattel Sohn Patrick) punkten. Die Great Pretender-Tochter Benie des Dieux bestätigte somit in der Mares´ Hurdle (Gr.1, 2m4f), dass Mullins absolut der „King of Queens“ ist, in der noch jungen, erst elfjährigen Geschichte wurde das Rennen lediglich zweimal von anderen Trainern gewonnen, alleine sechsmal punktete hier die unvergleichliche Quevega, sicher ein Rekord für Ewigkeit; erneut zeigten die jüngsten Entwicklungen in den Tagen vor dem Festival  - auch der amtierende Gold Cup Sieger Sizing John musste seine Titelverteidigung inzwischen aufgeben - welche Leistung es bereits ist, überhaupt ein Pferd mit solch einer Regelmäßigkeit an den Start zu bringen, geschweige denn zu gewinnen. Mit Apple´s Jade ging hier die zweite heisse Favoritin (leider) baden, im Führring eine Erscheinung, war im Rennen schnell klar, dass es diesmal nicht reichen konnte. Und wer anders als Mullins, als aus diesem Patzer Kapital zu schlagen?

Treffer Nr. 3 für Team Closutton am Eröffnungstag kam mit Rathvinden, in den „Simonsig“ Farben von Kartoffelkönig R.A. Bartlett unterwegs, der den „Vier-Meiler“, die Amateur Riders´ Novices´ Steeple Chase (Gr.2), nach einem dramatischen Finish nur knapp gegen eine oh-so tapfere Ms Parfois, für das kleine Quartier von Anthony Honeyball, gewinnen konnte. Beide Pferde waren nach diesem Marathon natürlich mehr als müde und mussten noch auf dem Geläuf abgekühlt werden, waren aber auf Nachfrage am frühen Abend gesund und munter.

Hauptrennen von Tag Eins ist und bleibt die Champion Hurdle (Gr.1, 2m 1/2f), nun von Buchmacher Unibet unterstützt. Erinnerungen an den mächtigen Istabraq, dessen dreifacher Siegeszug in diesem Rennen vor genau 20 Jahren begann, flimmerten über die Bildschirme, da war es nur passend, dass Vorjahressieger Buveur d´Air in dessen grün-goldenen J.P. McManus Farben seine zweite Champion Hurdle gewinnen konnte, wenn auch nach hartem Kampf gegen den Gamble des Rennens, Willie Mullins´ Melon, einen Sohn der Wittekindshoferin Night Teeny aus der Zucht von Alexander Pereira. Die Jury tagt noch, wie gut diese Leistung nun wirklich war, aber „drin ist drin“, und sein Trainer, Alt-Meister Nicky Henderson, seines Zeichens „Mr.Cheltenham“ als erfolgreichster Trainer aller Zeiten, mit nun sieben Siegen (mit vier unterschiedlichen Pferden)  in der Champion Hurdle; dies ist „sein“ Rennen, dem er ganz besonders seinen Stempel aufgedrückt hat.

Stalljockey Barry Geraghty musste auf dem französisch gezogenen Crillon-Sohn (einem Enkel von Rainbow Quest) wirklich alle Register ziehen, um sich mit einem Hals nach Hause zu retten. Es bewahrheitete sich erneut die alte Turf-Weisheit, dass ein gutes Pferd wirklich jeden Boden kann:  Klasse ist eben dauerhaft. Der Boden, am ersten Tag noch matschig-schwer, hatte sich nach trockenen Stunden in einen - O-Ton der Reiter - klebrigen, toten und „harte Arbeit“-Untergrund verwandelt, und es kam mehr Regen nach!

Aber auch dies hinderte die großen Favoriten von Tag Zwei,  Samcro und Presenting Percy und natürlich Altior nicht am Siegen. Samcro, wohlmöglich der größte Banker des gesamten Festivals, gewann die Ballymore Novices´ Hurdle (Gr.1, 2m5f) wie das sprichwörtliche Pferd vom anderen Stern. Von Trainer Gordon Elliot mehr als vorsichtig aufgebaut, ist der rahmige Germany-Sohn, über den wir hier schon nach seinem überlegenen Sieg Anfang Februar in Irland ausführlich sprachen, bisher unangefasst und völlig überlegen durch seine Rennen galoppiert. Hier gewann er erneut, wenn auch nicht mit Riesenvorsprung, mit spielerischer Leichtigkeit. Und wenn der sonst so coole Michael O`Leary ein Pferd küsst, so muss auch er endlich der Magie dieses Pferdes erlegen sein.

Samcro ist nicht schön im bildlichen Sinne, er besticht durch sein wundervolles Temperament, nichts bringt ihn aus der Ruhe, und im Rennen tut er nur das Nötigste. Ein echtes Rennpferd eben. Eine Kamera war speziell auf Trainer Gordon Elliot gerichtet, und die Emotionen standen dem erfolgsverwöhnten Trainer klar ins Gesicht geschrieben, keine Frage, der Druck war immens.

Presenting Percy, aus dem kleinen Quartier von Trainer Patrick Kelly, der vermutlich weniger Pferde im Training hat als Willie Mullins allein nach Cheltenham bringt, gewann die RSA Chase mit bemerkenswerter Leichtigkeit, der Wallach, gut gewettet, sprang nach harten 4900m das letzte Hindernis mit gespitzten Ohren und galoppierte tapfer nach Hause. Kelly errang seinen dritten Festival-Sieg (Presenting Percy gewann im letzten Jahr das Pertemps Final über Hürden, Mal Dini dasselbe Rennen in 2016), und Russell hat nun seit 2006 in jedem Jahr zumindest einen Sieger in Cheltenham geritten, dies war sein 19. Sieger insgesamt.

Als Fußnote des Rennens, aber als eine DER Nachrichten des Meetings muss hier der Sturz von Ruby Walsh erwähnt werden. Walsh, erst vor Wochenfrist zurück aus der erwähnten viermonatigen Pause, kam am vorletzten Sprung mit Al Boum Photo (Willie Mullins) zu Fall, und was zuerst nach einem eher „harmlosen“ Sturz aussah - und für das Pferd auch glücklicherweise keine Auswirkungen hatte - hatte leider doch weitreichende Folgen für Walsh, der zwar selber zum Krankenwagen humpelte (ein Hindernisjockey ist aus hartem Holz geschnitzt); später wurde aber eine erneute Verletzung am gerade ausgeheilten Bein, welches erneut im Gips ist, festgestellt. Erste Diagnosen waren dann positiver als zunächst befürchtet, doch steht erneut eine mindestens zweimonatige Pause an. Damit fällt einer der profiliertesten Jockeys, und Liebling der Wetter, erneut aus, den was ist Cheltenham ohne die „Ruby Ruby Ruby“ Rufe (die er selber dem Vernehmen nach hasst)?!

Da müssen wir mit dem  unvergleichlichen Rekord des Nicky Henderson vorlieb nehmen, dem einzig britischen Trainer, der an Tag 2 ein Sieger stellte; Altiors Erfolg in der Queen Mother Champion Chase war passend sein insgesamt 60. Festival-Sieger. Die Champion Chase sicher das „beste“ Rennen nach dem Gold Cup, und wer glaubt, dass ein 1000m Sprint-Rennen den Puls steigen lässt, der hat noch nie ein Feld von  Top Zwei-Meilen- Chasern in atemberaubendem Tempo auf das erste Hindernis zugaloppieren sehen.

Hindernisrennen können nicht aufregender sein, die jüngste Austragung des Rennens gespickt mit Stars und hochklassigen Pferden:  Douvan auf Wiedergutmachungs-Tour, Vorjahressieger Special Tiara, Charbel, der im letzten Jahr kurz vor Ziel fiel, kurz, eine würdige Austragung dieser Klasse-Prüfung, aber  Altior, der noch am Montag dem Vernehmen nach lahm war, war ihr aller Meister. Kurz sah es im Schlußbogen aus, als könnte eine Sensation - eine Niederlage - in der Luft liegen:  Douvan, der vier Hindernisse vor dem Ziel unter Ersatzreiter Patrick Mullins gutgehend gestürzt war, war somit bereits aus dem Rennen, Special Tiara, der zur Bestform zwingend guten Boden braucht und seit seinem Sturz in Kempton im wahrsten Sinne halsbrecherisch springt, hatte nach einigen schweren Fehlern sein Pulver verschossen, doch Paul Townend, nun wieder Nr. 1 im Mullins-Team, hatte mit Min ein optisch gut gehendes Pferd unter sich, und seine Wetter müssen kurz große Hoffnungen gehegt haben.

Doch einmal in der Zielgerade, nahm Reiter Nico de Boinville seinen willigen Partner nach außen - „Der Boden war immer noch schlimm, aber dort etwas besser“ - und Altior spielte seine gesamte, immense Klasse beinahe spielerisch aus. Es ist immer wieder wundersam und kaum erklärlich, wie ein Pferd in einem Augen-Blick von Null auf Hundert zu beschleunigen scheint, und von einem „Wackel-Kandidaten“ auf einmal ein sicherer, überlegender, aufregender Sieger wird.

Henderson, immer emotional, wenn es um seine Schützlinge geht, nahm sich viel Zeit für Pferd und Presse, auch der sechzigste Erfolg ist so süß wie der Erste, und dieses ist ein wundersames Pferd und sicher ein würdiger Nachfolger des gewaltigen Sprinter Sacre, auch wenn er in anderem Gewand daherkommt und auch zuhause dem Vernehmen nach einfach nur unkompliziert und lieb ist. „Jeder will ihn streicheln, und er ist der Liebling der Physiotherapeutin, weil er so freundlich ist.“ „Er hasste den Boden und es war schwere Arbeit, aber er hat einfach so viel Klasse“, bekannte ein erleichterter de Boinville nach dem Rennen.

Michael Dickinsons Badsworth Boy war in den 80er Jahren der bisher einzige Dreifach-Sieger des Rennens, Altior ist ganz sicher ein mehr als möglicher Nachfolger und bereits heute Favorit für 2019. Ein Aufeinandertreffen mit Footpad wäre auch die weiteste Reise wert.

Nicht unerwähnt bleiben dürfen die Erfolge von Lizzie Kelly, die nach ihrem frühen Sturz im 2017er  Gold Cup die Hilfe eines Psychotherapeuten in Anspruch nahm, um mental völlig auf der Höhe zu sein, und wenn auch der Name des auf der Flachen so bekannten Mick Channon als Trainer notiert ist, so waren die Kameras nach dem Sieg vom Mr. Whitaker sofort auf eine Frau gerichtet, die unvergleichliche Henrietta Knight. Knight, die einstmals einen gewissen Best Mate zu drei Cheltenham Gold Cup Siegen führte - neben einer Reihe anderer großer Erfolge - hat nach dem Tod ihres Mannes, Jockey-Legende Terry Biddlecombe, ihre Trainerlizenz aufgeben; es ist aber ein offenes Geheimnis, dass sie ihrem Nachbarn Channon versiert bei der Vorbereitung der Hindernispferde hilft.

Und dann war das noch ein gewisser Tiger Roll, der mit seinem Sieg in der Cross-Country-Chase nicht nur seinen dritten (!) Sieg beim Festival eingaloppierte, sondern auch eine Art Kult-Pferd ist, sein muss. Ganz sicher hat noch niemals ein Pferde der Triumph Hurdle (Gr1, 2m, für vierjährige Hürdenpferde) Siege im Vier-Meiler und eben der Cross-Country-Chase folgen lassen, wie hat er nur jemals die Triumph Hurdle gewinnen können? „Alles was er macht, ist stehen, und je weiter, je besser“, bekannte Trainer Gordon Elliot nach dem Rennen, und sicher hätte auch Tiger Roll einen Kuss von Eigner Michael O´ Leary mehr als verdient.

Mit dem heutigen Donnerstag ist Tag Drei des Meetings erreicht, und Freitag, am frühen Abend, ist bereits alles wieder vorbei. In unbarmherzigen Tempo ziehen Rennen, Sieger und Besiegte, an den Zuschauern vorbei, kaum bleibt Zeit, all die Eindrücke zu verinnerlichen, geschweige denn zu verarbeiten. Es gilt, den Moment zu geniessen. Und wenn es beim Wetten mit den Siegern noch nicht so klappt hat, dann muss der Gedanke an Ruby Walsh helfen, dessen Mittwoch nicht schlechter hätte sein können. Es kommt eben alles auf die Perspektive an. 

Catrin Nack

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