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Breeders' Cup 22 - ein Reisebericht

Ein Morgen in Keeneland: Der gigantische Flightline. www.galoppfoto.de - JJ Clark

Autor: 

Catrin Nack

TurfTimes: 

Ausgabe 744 vom Freitag, 11.11.2022

Wenn jemand eine Reise tut … Die Welt ist eine andere, seit Matthias Claudius „Hut und Stock“ nahm, um sich … eben auf eine Reise zu begeben. Der Weg war das Ziel, während der Weg heute das notwendige Übel ist. Doch immer wieder kommen wir in Hoffnung an. Auf ein neues Abenteuer im Rennsport, auf große Pferde, in anderen Rennsportnationen. Einblicke in Land und Leute gewinnen, trotz begrenzter Zeit. Trotz der allumfassenden Präsenz einer der größten Veranstaltungen im Rennsport. Ein Mega-Meeting, amerikanisch eben. 14 Gr. I-Rennen, die insgesamt coole 28 Millionen Dollar an Preisgeld tragen.

Somit ist der Breeders´ Cup Lichtjahre von allem entfernt, was wir hierzulande an Galoppveranstaltungen kennen. Europa hat keinen Renntag, der diesen Zahlen nahekommt. Eskalierendes Preisgeld ist ein großes Thema im Rennsport; die Konkurrenz, die sich zu Hause auf Ländervergleiche beschränkt, wird hier global. Auch das Ansehen des Rennsports in Gänze. „Ich wollte unbedingt nach Royal Ascot, und war da 2018. Nun ja, alles ganz nett. Aber guter Sport? Es waren nur ein paar wichtige Rennen, und sehen konnte man auch nichts. Die Rennbahn hat eine komische Form, und mit der langen Geraden konnte man wirklich nicht gut sehen“ teilt uns ein Journalist der Zeitschrift BloodHorse sinngemäß mit. Das Gewohnte wird ungewohnt, ein anderer Blick auf die Industrie, die den Rennsport in unseren Breiten definiert. Ansichtssache, natürlich. Ein Denkanstoß, vielleicht.

Wie überall kämpft auch der Rennsport in den USA mit bekannten Problemen. Die Zahlen sind natürlich andere, aber auch hier sinkt die Aufmerksamkeit der allgemeinen Öffentlichkeit, außerhalb der Rennsport“blase“ findet der Rennsport immer weniger statt. Sinkende Fohlenzahlen (ca. 20.000/Jahr, vor 30 Jahren waren es noch rund 40.000) sind das Eine; Unfälle prominenter Pferde, entsprechend ausgeschlachtet, haben der Zustimmung für den Sport auch in den USA massiven Abbruch getan. Komplizierte und vor allem unterschiedliche Haltungen einzelner Regionen zur Medikation der Rennpferde machen es selbst langjährigen Kennern der Szene schwer, die aktuellen Regularien zu kennen.

Lange Jahre war der amerikanische Rennsport ein Synonym für leistungsfördernde Mittel, sprich Medikamente, die in Europa als Doping klassifiziert wurden und werden. Die Haltung aufzubrechen, zu ändern, ist ein langsames und eher schleichender Prozeß, zumal die Grundhaltung selbst innerhalb der amerikanischen Industrie noch immer gespalten ist. „ Wir brauchen doch die Medikamente, damit die Pferde in den unteren Klassen überhaupt laufen können“ zitieren wir nochmals den BloodHorse-Journalisten, der anonym bleiben möchte. Eine Einstellung, die vor allem ein alter Schlag Trainer zu teilen scheint; zuletzt wurde der 2021 Kentucky Derby „Sieger“ Medina Spirit eben dieser Erfolg wegen der Gabe unerlaubter Mittel aberkannt. Trainiert von Bob Baffert, über Jahren einem der Top-Namen des Sports, der allem Anschein nach jedoch seine Erfolge vor allem durch breite und systematische Medikamentengabe - Doping - erreicht hat.

Dies ist der zweite Breeders´ Cup, bei dem Pferde mindestens 24 Stunden vor dem Start kein Lasix (auch Furosemid genannt, ein Mittel, das der Entwässerung dient und dem Lungenbluten entgegen wirken soll) erhalten dürfen. Eine Entscheidung, die von einigen Rennsport-Regionen (der amerikanische Rennsport hat keine einheitliche Legislative) bereits angefochten wird; auch das offizielle Programmhaft hat das „L“ zumindest im Index nach wie vor beibehalten.

Es ist leicht, von innen heraus den Blick auf die anderen Aspekte des Rennsports zu verlieren. Auf den Aspekt, der zählt, zählen sollten; den Blick auf die Hauptdarstelle: die Pferde. Sie sind der Atem, von dem Lexington lebt, das Blut in den Venen der Stadt. „Wir sind eine Kleinstadt, in amerikanischen Standards (Anmerk.: Im Großraum Lexington leben rund 320.000 Menschen), aber in der Pferdewelt sind wir ein großer Name“ bekennt Ame Sweetall, deren Kunstagentur für die rund 160 kunstvoll gestalteten Plastik-Pferde - in realer Größe, auch als Fohlen - verantwortlich zeichnet, die in ganz Lexington verteilt sind; die Zufahrten auf die Rennbahn von Keeneland geraten nachgerade zum Laufsteg dieser individuell gestalteten Kunstwerke. „Wir dürfen nie das Auge für die Schönheit, die Ästhetik, der Tiere verlieren.“ ist Ames Fazit; eine Tatsache, an sich in den Plastiken, aber vor allem auf der Rennbahn wiederspiegelt. Ästhetik, die uns - und dies mag eine sehr persönliche Sicht auf die Dinge sein - direkt zu den schönsten Momenten bringt, die viele der großen, internationalen Rennsportevents auszeichnet: Die Möglichkeit, der Morgenarbeit beizuwohnen, die Möglichkeit, internationalen Spitzen-Rennpferden nah und „persönlich“ zu begegnen. Magische Momente, vor allem, wenn der kühle Morgen einem sonnigen Tag zu weichen beginnt, sanfter Nebel aufzieht und die Pferde im Gegenlicht der aufgehenden Sonne zu glühen schienen. Dampf steigt von Nüstern und schweißnassem Fell auf, das zufriedene Schnauben wird nur von Vogelstimmen unterbrochen. Und - wie um dieser malerischen Ästhetik etwas von seiner Romantik zu nehmen - dem Geräusch der Flugzeuge, die am direkt angrenzenden Bluegrass-Flughafen zu ihren Destinationen starten.

Die Rennen, die Pferde, die Menschen, die sie formen. Wenn alles zusammenkommt, entfaltet der Rennsport seine besondere Anziehungskraft. Nicht immer wird der Traum Wirklichkeit. Tyler´s Tribe, ein aus Iowa angereister Galopper; erworben, um einem krebskranken Jungen ein Ziel, einen Fokus zu geben, konnte die Träume seines „Tribes“ nicht erfüllen. Doch Cody´s Wish, ein Hengst, dessen Geschichte die Fans in den USA seit Jahren zu Tränen rührt, hatte das Skript gelesen. Benannt wurde der vierjährige Curlin-Sohn nach Cody Dorman, einem Teenager, der an einem seltenen Gendefekt leidet, im Rollstuhl sitzt und nur via Computer kommunizieren kann. Im Rahmen eines „Make-a-Wish“ Besuches hatte Dorman Jonabell Farm, Scheich Mohammeds amerikanischer Darley-Dependance besucht; ein Fohlen hatte sich dem schwerkranken Jungen besonders zugänglich gezeigt, „er hat praktisch seinen Kopf in Codys Schoß gelegt“ wird seine Mutter zitiert. Die Namengebung des Vierbeiners war somit Formsache, und Cody´s Wish zeigte schnell, dass er nicht nur einfühlsam, sondern auch sehr schnell ist. Die Sieg in der Breeders´ Cup Dirt Mile (Gr.I, 1600m) auf Sand war beim elften Start der siebte Sieg des Hengstes, sein zweiter auf Gruppe I- Ebene. Einige Tage zuvor hatte Cody Jonabell Farm, den Ort, wo alles seinen Anfang nahm, besucht, nun war er Teil der Siegerehrung; als hätte der Hengst nur für ihn gewonnen.

Auf auf kühle Zahlen reduziert, war es ein gelungenes Wochenende für die beiden Supermächte des Rennsports. Lief Cody´s Wish zwar in „Godolphin-Blau“ aber für Trainer Bill Mott, und somit für den amerikanischen Arm des Rennsportimperiums, wollte deren englischer Trainer Charlie Appleby diesem Erfolg nicht nachstehen. Sieben Starter hatte sein Stall aus Newmarket nach Amerika geschickt, drei Siege standen am Ende auf der Haben-Seite. Darunter mit Modern Games, dem Sieger der Breeders´Cup Mile (Turf, Gr.I, 1600m) ein Doppelsieger der Spiele; im letzten Jahr hatte der Dubawi-Sohn bereits zweijährig im Juvenile Turf triumphiert.

Aus deutscher Sicht wurde der Sieg von Rebel´s Romance, ebenfalls ein Sohn des Super-Deckhengstes Dubawi, natürlich mit besonderer Genugtuung betrachtet. Der Sieg des zweifachen deutschen Gr.I -Siegers („Ich kann mit seinen deutschen Formen so gar nichts anfangen“ konnte man mehrfach unter den rund 60.000 Zuschauern hören; auf der wunderschönen, aber nicht eben weitläufigen Rennbahn blieb am Führring kein Wort ungehört), der sich vor dem Rennen auch optisch in bestechender Verfassung präsentiert hatte, setzte die fast schon traditionelle Dominanz europäischer Starter im Breeders´Cup Turf (Gr.I, 2400) fort. In den letzten 10 Austragungen des Rennens hatte es nur zwei einheimische Sieger gegeben. Der Globetrotter Mishriff, mit fast 12 Millionen Pfund Gewinnsumme eines der gewinnreichsten Rennpferd der Erde, lief im Turf das letzte Rennen seiner wunderbaren Karriere; Platz vier ein undankbarer und unverdient leiser Abgang eines Hengstes, der auf dem Höhepunkt seines Könnens unbezwingbar schien.

Drei Siege fuhr auch ein gewisser Aidan O`Brien ein, der sich im "Turf" mit Platz zwei hatte begnügen müssen. Bereits am Freitag hatte er mit Meditate und Victory Road zwei Sieger gestellt, eine Zahl, die die eisenharte Galileo-Tochter Tuesday im Filly & Mare Turf (Gr.I, 2000m) verbessern konnte. Auch O`Brien war mit einem verhältnismäßig kleinen Team von „nur“ sieben Startern angereist; noch vor vier Jahren hatte sein Team über 20 Pferde umfasst. Von den sieben auf Turf ausgetragenen Rennen gingen sechs an Team Europa. Wobei „Team Europa“ eben aus den beiden Supermächten - Coolmore und Godolphin - bestand. Andere englischen Trainer, darunter John Gosden, Charlie Hills oder Richard Fahey - hatten das Nachsehen. Sieglos blieb auch Frankie Dettori, der den Winter über in den USA reiten wird; dem Vernehmen nach hängt er Ende 2023 seine Stiefel an den berühmten Nagel. Alle Dirt-Rennen waren - bis auf einen japanischen und einen argentinischen Starter - rein amerikanische Angelegenheiten.

Und dann war da noch ein gewisser Flightline. Fünf Starts, fünf Siege war die makellose Bilanz des Tapit-Sohns vor seinem „Date with Destiny“ im 39. Breeders´Cup Classic, mit sechs Millionen Dollar Preisgeld dem Mega-Rennen der aus lauter „Hauptrennen“ bestehenden Veranstaltung. Als Jährling hatte der Hengst eine Million Dollar gekostete und steht im Besitz einer Gemeinschaft, der auch seine Züchterin angehört.

Eine große Narbe ziert sein Hinterteil, am Hals die Spuren langandauernder Medikamentengabe; Teil seiner Vita, seiner Ausstrahlung, und vor allem Referenz an seinen Charakter. Geformt von einem erfahrenen Ex-Jockey, der gar selber ein Breeders´Cup Rennen gewann, und Trainer John Sadler, mit 66 Jahren, und mehr als 2600 Siegen auf der Haben-Seite, einem Veteran der Szene. Die Geduld, mit der vor allem diese beiden Pferdeleute das Temperament des nicht immer einfachen Hengstes in die richtigen Bahnen lenkten, ist die Grundlage seines Erfolgs. Routinen zu finden, die Nerven in Zaum halten. „Als junges Pferd hat er Monate nur auf den Hinterbeinen verbracht“ bekannte Assistenz-Trainer und ständiger Arbeitsreiter Flightlines, Juan Levya, in einem Interview mit der amerikanischen Journalistin Michele MacDonald. Wohl auch der Grund, warum sein Team den Hengst frühmorgens als eines der ersten Pferde auf die Trainierbahn schickte; vor Sonnenaufgang, und wenn nur hartgesottene Fans und Journalisten sich den Schlaf aus den Augen gerieben hatten. „Wann immer er in eine neue Umgebung kommt, muss er alles genau betrachten“ - so Levya weiter; ein Charakterzug, den Flightline jeden Morgen zur Schau stellte. Minutenlang stand der Hengst wie festgewachsen am Eingang der Rennbahn, drehte den Kopf in Richtung der aufsteigenden Learjets; ein amüsierter Levya zum Bittsteller degradiert.

Die Leistung, mit der der vierjährige Tapit-Sohn diese Geduld im Breeders´Cup Classic (Gr.I, 2000m) belohnte, war nicht nur eine Sternstunde des Samstag Abend, es war eine Sternstunde der Breeders´ Cup-Geschichte, des internationalen Rennsports gar. Eine jener Leistungen, nach der sich Fremde in den Armen liegen, ein echter „ich-war-dabei“-Moment. Durch einen aggressiv auflaufenden Gegner aus der Reserve gelockt, gab es kein Verstecken. Der mächtige Hengst musste von Anfang an gewaltige „fractions“ (Zwischenzeiten) laufen, schneller, als mache Sprint-Rennen in England gelaufen werden. Während der Tempomacher Life is Good im Schlußbogen ausgespielt hatte, galoppierte Flightline, nur mit dem Händen unterstützt, einem 8 1/2 Längen-Sieg entgegen. Der Ton machte die Musik, auch wenn das Rating des Classic unter dem des vorherigen Siegs blieb. Seinen Fans sind Rechenbeispiele sowieso egal. Es zählte die Magie des Hengstes, die Aura des Unbesiegbaren. Es wird Gegenstand vieler Fachdiskussionen bleiben, ob Pferde mit nur sechs Starts in drei Rennjahren im Training für Härte und Ausdauer der Rasse Vollblut stehen; sein Besitzer-Team betonte in der anschließenden Pressekonferenz vor allem, wie glücklich nicht sie, sondern eben Flightline sei, dass sein Trainer ihm alle Zeit der Welt gegeben hatte. „Er war einfach noch nicht so weit“ hatte sich Sadler im Vorfeld geäußert; von der Verletzung am Hinterteil (Flightline hatte sich an einem Türscharnier gleichsam selber aufgespießt), die über 90 Tage zum Abheilen gebraucht hatte, ganz zu schweigen. Wurde direkt nach dem Sieg noch über mögliche Ziele des Hengstes spekuliert - Team „Saudi Cup“ war vor Ort - so wurde bereits am nächsten Tag bekannt gegeben, dass Flightline Deckhengst im Gestüt Lane´s End wird. Er tanzte nur kurz, doch seinen Fans wird er noch sehr lange im Gedächtnis bleiben. 

Catrin Nack

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