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Der Aufstieg der Skelton-Brüder

Chacun Pour Soi auf dem Weg zum Sieg in der Champion Chase. Foto: courtesy by Punchestown

Autor: 

Catrin Nack

TurfTimes: 

Ausgabe 666 vom Freitag, 30.04.2021

Traditionell geht Ende April mit dem Renntag um den Bet365 Gold Cup die Hindernissaison in England in Sandown zu Ende, die Champions werden gekürt. Früher war dies ein gemischter Renntag mit Flach- und Hindernisrennen, seit einigen Jahren hat man das Programm erweitert und auf zwei spezialisierte Renntage verteilt. Während am Freitag die ersten Highlights der Flachsaison anstanden, steht der Samstag noch einmal ganz im Zeichen des National Hunt, mit vier Graded-Rennen. Obwohl nicht das höchste Rating, ist besagter Gold Cup (Gr.3, ca. 5800m), eingefleischten Fans noch als „The Whitbread“ bekannt, das Herzstück des Tages. Lediglich Henry de Bromhead wagte sich mit zwei Pferden kurz vor dem Punchestown Festival noch einmal über die Irische See; ohne weitere irische Konkurrenz blieben die Hauptrennen etwas blass, aber im Lande.

Zum insgesamt 12. Mal, erstmalig 2005-06, wurde Paul Nicholls zum englischen Championtrainer gekürt. Seitdem konnte ihm nur Nicky Henderson diesen Titel, bisher vier Mal, streitig machen; andere Namen haben es seither nicht in die „roll of honor“ geschafft. Nicholls´ erste Champion-Jahre waren die goldenen Jahre in seinem Stall, der Strom hochklassiger Pferde schien unaufhaltsam. Man denke Big Buck´s, Denman, Master Minded oder – best of the best – Kauto Star. Die echten Superstars fehlen seitdem; schon lange beklagt Nicholls, wie schwer es in dem umkämpften Markt geworden ist, „bezahlbare“ Spitzenpferde zu erwerben. Trotzdem haben seine Pferde in der vergangenen Saison 173 Siege und rund 2,33 Millionen GBP Gewinnsumme erlaufen; die reine Siegzahl eine persönliche Bestleistung, für den Sieg im Titelkampf entschied die Gewinnsumme. Auf Platz drei bereits – Nicky Henderson dicht auf den Fersen - mit Henry de Bromhead ein irischer Trainer; acht Siege reichten für ca. 1.5 Mio Pfund. Gegen die irische Konkurrenz war Nicholls´ Stall in Cheltenham chancenlos; in England ist sein Stall jedoch nach wie vor das Maß aller Dinge. Martin Pipes Rekord vom 15 Champion-Titeln hat Nicholls fest im Auge; er weiß auch, wo die Gefahr lauert.

Nämlich in Alcester, Warwickshire. Hier trainiert sein ehemaliger Assistent Dan Skelton, Sohn von Springreiterlegende Nick, nun hocherfolgreich in Eigenregie. Jung und hungrig, war der Titelgewinn von Bruder Harry, der nach einer konzentrierten Aktion des Stalles erstmals Champion der Hindernisjockeys wurde, eine erste Warnung. Quasi auf der Zielgeraden fingen die Skelton-Brüder Vorjahressieger Brian Hughes, der die Statistik der Rennreiter zeitweilig mit großem Vorsprung angeführt hatte, noch ab. Hughes hatte in den letzten Wochen alle Reserven mobilisierte, war aus dem hohen Norden Englands (er ist Stalljockey für Donald McCain, der in der Nähe von Chester trainiert) auf der Suche nach Siegern auf die entlegensten Rennbahnen gefahren. Gegen die Attacke des großes Skelton-Stalles stand er jedoch auf verlorenem Posten. „Wir haben unsere 'Sommer-Pferde' ein paar Wochen früher an den Start gebracht, nicht für mich, sondern für Harry“ erklärte Dan unverblümt. 136 (90%) seiner 150 Siege ritt Harry für seinen Bruder; während Hughes für vierzig verschiedene Trainer in den Sattel gestiegen war.

In der Trainerstatistik galoppierten die Skeltons auf Platz zwei; noch ist Nicholls´ Vorsprung mit rund 500.000 Pfund komfortabel. Doch während es bei den Skeltons in den ersten Jahren vor allem um Masse ging, hat man Qualität nun fest im Auge. Immerhin fünf Gr.1 Rennen gewann der Stall in der laufenden Saison.

Der Renntag in Sandown stand im Zeichen von Paul Nicholls. Fast hätte sein Stall gar drei der vier Graded Rennen gewinnen können, doch ausgerechnet im Bet365Gold Cup wurde Enrilo wegen einer Behinderung des drittplatzierten Pferdes disqualifiziert. Sieger dieses Rennens wurde ein unbeteiligtes Pferd, Potterman. Der von Alan King trainierte und Tom Cannon gerittene Wallach kam somit unblutig zum Sieg; Enrilo wurde auf Platz Drei zurückgestuft. Eine Regel, die für Unmut sorgte; dem wirklich gravierenden Schlenker des Nicholls-Starters mussten jedoch zwingend Taten folgen, wann man das Vertrauen in die englischen Stewards nicht völlig verlieren wollte. Trotzdem hatte Nicholls am Samstagabend genügend Grund zum Feiern. Die Gr. 1 Celebration Chase (2m = ca. 3200m) wurde, vielleicht etwas überraschend, leichte Beute seines Greaneteen, einem Great Pretender-Sohn. Mehrfach hatte der Wallach in der vergangenen Saison auf sich aufmerksam gemacht; dass er jedoch einen gewissen Altior so leicht würde schlagen können, hätten wohl auch seine größten Fans nicht erwartet. In der Niederlage lief Nicky Hendersons Alt-Star erneut ein tapferes Rennen, konnte aber seiner Favoritenrollen eben nicht ganz gerecht werden.  

Ungleich besser schulterte Frodon die Bürde des Favoriten. Obwohl sein Trainer Paul Nicholls Worte der Warnung („Er hatte in Cheltenham ein sehr hartes Rennen“) ausgesprochen hatte, kennt der 9j. Dunkelbraune einfach kein Aufgeben. Mit seiner ständigen Reiterin Bryony Frost, die durch die Verletzung von Stalljockey Harry Cobden bei beiden Siegen im Sattel saß, versteht sich der Wallach augenscheinlich besonders gut. Am letzten Hindernis schien er geschlagen, mit einer großen Energieleistung kämpfte sich der Nickname-Sohn an seinem Gegner vorbei. Mit nur vier Startern schwach besetzt, war das Rennen der beste Beweis, dass auch kleine Felder spannende Endkämpfe bedeuten können. Mit diesem Sieg hat sich Frodon, inzwischen 17(!)facher Sieger und Liebling des (nicht vorhandenen) Publikums, endgültig zum Stall-Star gemausert. Auch im Cheltenham Gold Cup hatte sich der Wallach mehr als achtbar auf der Affäre gezogen; der Weg war im wahrsten Sinne zu weit geworden. Frost hatte in diesem Rennen jedoch eine Helmkamera getragen; das Video „Go on Frodon“, in dem man faszinierende Einblicke in die Zwiesprache zwischen Pferd und Reiterin erhält, wurde auf Youtube bereits über 44.000 Mal angeklickt.

Nicht unerwähnt bleiben darf der Champion der Nachwuchsreiter, im Hindernissport „Conditional“ genannt. Hier gewann der 20jährige Ire Danny McMenamin, der am Stall von Nicky Richards im hohen Norden der Insel stationiert ist. 47 Sieger ritt McMenamin in der vergangenen Saison, mehr als z.B. Bryony Frost; in der Gesamtstatistik reichte diese Zahl zu einem achtbaren 17. Platz. 

Mulllins beherrscht Punchestown - Clan des Obeaux für England

Irland kürt seine Champions später, nach dem Punchestown Festival. Irlands Antwort auf Cheltenham, gewinnt das Ende April abgehaltene Fünf-Tage-Meeting immer mehr an Format. Immerhin zwölf Grade1-Rennen kommen zur Austragung; erfreulicherweise wagten sich in diesem Jahr einige britische Trainer in die Höhe des Löwen. Und gerade, als man dachte, es sei „business as usual“ („Willie Mullins Erster, der Rest chancenlos“) kam es – zum Segen des gesamten Rennsports – doch einmal anders, als man eben dachte.

In der irischen Trainer-Statistik liegt Willie Mullins mit (zum Zeitpunkt des Schreibens) rund 4,7 (!) Millionen Euro an gewonnenem Preisgeld uneinholbar in Front. Sein traditionell härtester Konkurrent Gordon Elliott hatte sich durch den Photo-Skandal und die daraus resultierende Sperre selber um alle Chancen gebracht, Henry de Bromhead gewann zwar im eigenen Land in etwa die Summe, die seine Pferde auch in England erkämpften (ca.1.85 Millionen Euro); auf den Zahn fühlt man einem Willie Mullins damit natürlich nicht.

Der erste Meetingtag, Dienstag, stand ganz im Zeichen des Champion-Trainers: fünf der acht Rennen – und alle Hauptrennen – gingen an sein im County Carlow gelegenen Closutton-Quartier. Erstaunlich waren einige der Ergebnisse doch. Nur bei einem Sieg saß Stalljockey Paul Townend im Sattel:  immerhin das Rennen, das zählte. Die William Hill Champion Chase (Gr.1, 2m = 3218m) war das Herzstück des ersten Tages. Mit Chacun Pour Soi trat einer der Stars der Zwei-Meilen-Szene an; seine Niederlage hinter Put The Kettle On war eine der Überraschungen des Cheltenham Festivals. In Punchestown fand der Policy Maker-Sohn zu alter Klasse zurück und ließ einem hochklassigen Feld nicht den Hauch einer Chance. Mit Allaho, frischem Sieger der Ryanair-Chase, kam der stärkste Gegner wohlmöglich auf dem eigenen Stall. Rachael Blackmore, die in der Jockey-Statistik zu Beginn des Meetings eine Chance auf den Titel besaß, versuchte mit Allaho, Chacun Pour Soi das Rennen streitig zu machen. Doch es gibt im Moment kein Pferd, dass einem Chacun Pour Soi in Top-Form das Wasser reichen kann; der Wallach war „poetry in Motion“, sprang aus seinem eigenen, hohen Grundtempo sicher und brach einem Gegner nach dem anderen gleichsam das Herz.

Stalljockey am Stall des Willie Mullins, und damit Nachfolger keines Geringeren als Ruby Walsh, zu sein, ist kein so leichter Job, wie man glauben mag. In einem Stall voller Qualität und Quantität hat Paul Townend regelmäßig die Qual der Wahl; dass er (zum Zeitpunkt des Schreibens) in der Jockey-Statistik nur mit fünf Siegen vor Rachael Blackmore liegt, ist ein deutliches Zeichen, dass er nicht immer das richtige Pferd aussuchte. Bereits im ersten Grade1-Rennen des Tages hatte Trainersohn Patrick Mullins auf der Siegerin Echos In Rain gesessen, im zweiten Highlight des Tages, der Dooley Insurance Champion Novice Chase (Gr.1, 3m ½ f = ca. 4900m.) Hier kam es zum heiß erwarteten Aufeinandertreffen zweier Stars der Steher-Szene:  Willie Mullins´ Monkfish (Paul Townend) und Henry de Bromheads Envoi Allen (Rachael Blackmore). Zwei weitere Pferde aus dem Mullins-Stall komplettierten das Vierer-Feld, darunter mit Colreevy (Danny Mullins) eine Stute mit durchaus ansprechender Form. Allein, gegen die beiden Stars schien sie auf verlorenem Posten zu stehen, doch erstens kommt es anders als man denkt, oder: wenn zwei sich streiten, freut sich die Dritte. Danny Mullins ritt von der Spitze aus ein mutiges Rennen, die stabile Flemensfirth-Tochter, bereits tragend von Walk in the Park, war ein williger Partner. Die Überraschung des Tages war perfekt. Weder Monkfish noch Envoi Allen, der mit einer Verletzung des Hinterbeins gar angehalten werden musste und sich nach wie vor in der Obhut einer Klinik befindet, konnten der Stute das Wasser reichen.

Auch am zweiten Meetingtag standen drei Gr.1- Rennen an. Zwei gingen an den Stall von Willie Mullins (er stelle „nur“ drei Sieger an diesem Tag), einmal saß Townend im Sattel. Ausgerechnet das Hauptrennen des Tages, der Ladbrokes Punchestown Irish Gold Cup (Gr.1, 3. ½ f) entglitt dem Team ganz und gar. Gerade als man dachte, die Iren seien unbesiegbar, belehrte der frisch gekürte Champion Paul Nicholls uns eines Besseren. Mit seinem zweifachen King George-Sieger Clan des Obeaux, einem inzwischen 9j. Kapgarde-Sohn, hatte man in der aktuellen Saison Cheltenham ganz bewußt ausgelassen. Da Stalljockey Harry Cobden nach wie vor außer Gefecht ist, vertraute man auf Sam Twiston-Davies, Vorgänger Cobdens und mit dem Pferd bestens vertraut. Seit der Trennung vom Nicholls-Stall sind qualitativ gute Ritte für Twiston-Davies selten geworden. Clan des Obeaux beantwortete jede Frage seines Reiters, sprang sicher und half seinem auf diesem Kurs nicht eben erfahrenen Reiter, wo er konnte. Rund 1.5 Längen vor dem zweifachen Gold Cup-Sieger Al Boum Photo galoppierte „Team England“ über die Ziellinie; die Racing Post war sich nicht zu schade, „The Empire strikes back“ zu titeln. 

Kaum ein Jockey trägt sein Herz so auf der Zunge wie Twiston-Davies, der nach dem Sieg erst dem Pferd um den Hals fiel, sich dann atemlos und freudestrahlend den Reportern stellte. Erfrischend offen gab er zu, wie schwierig der Ritt auf einer ihm fremden Rennbahn war; beim Absatteln hatte er einen Reporter gar nach dem Weg zu Waage fragen müssen. Weder Clan des Obeauxs prominente Besitzergemeinschaft (Paul Barber ist Besitzer der Anlage, auf der Nicholls trainiert, Ger Mason der Sponsor des Stalles, Sir Alex Ferguson bedarf sicher kaum einer Vorstellung) noch der Trainer selber konnten vor Ort sein; doch Assistent Harry Derham, Paul Nicholls Neffe, gab zu: „Die Saison in England war toll, doch dieser Sieg stellte alles in den Schatten.“

Catrin Nack

 

 

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