Aufgalopp 755

Es hat am 30. Oktober vergangenen Jahres Menschen gegeben, die nach dem Ansehen der Nachtausgabe der “Tagesschau”, ausgestrahlt zur publikumsstarken Zeit um 1.40 Uhr, wie schockgefrostet in ihren Sesseln saßen und erst in den frühen Morgenstunden fähig waren, sich zu erheben. TV-Sprecher André Schünke hatte keine Krawatte ungebunden! Es gab nur eine Schlußfolgerung: Der Untergang des Abendlandes ist nicht mehr aufzuhalten. 

So ähnlich dürften britische Traditionalisten auf die jüngste Ankündigung des Jockey Clubs reagiert haben, dass auf dessen Bahnen ab sofort der Dresscode weitgehend aufgehoben wird. Die Kollegen des französischen “Jour de Galop” haben ihrem Artikel über diese Maßnahme die einzig richtige Überschrift gegeben: “Shocking!” Die Schilder auf denen das Betreten der Hippodrome in pinkfarbenen Ballonseideanzügen oder Flip-Flops auf das Strengste verboten ist, werden abgehängt. Poloshirts dürfen getragen werden, ja sogar kurzbehosten Menschen wird der Zutritt nicht verwehrt. Selbst der deutsche Galopprennsport hat sich, wie erstaunlicherweise der Website des fachlich offenbar bestens informierten Verbandes zu entnehmen ist, mit dem Dresscode beschäftigt. Unter der erwartungsvollen Überschrift “Aufklärung zum Thema Kleidung” steht etwa, dass “durchschnittlich acht von zehn Besuchern in ihrer üblichen Alltagskleidung zu den Renntagen kommen.” Interessant wäre zu wissen, wer das eigentlich ermittelt hat. Diese “übliche Alltagskleidung” führt aber zumindest bei uns gelegentlich dazu, dass der Führring schon einmal weniger erfreuliche An- oder Einblicke gewährt. 

Zurück auf die Insel: Natürlich, das ist ja wohl auch selbstverständlich, wird es in Royal Ascot unverändert so zugehen wie vor zweihundert Jahren. Wer in den “inner circle" eindringen will, hat gefälligst vorher den Kleidungsverleih seines Vertrauens zu konsultieren. Schließlich gehören Zylinder nicht unbedingt zum Inventar mitteleuropäischer Schränke. Die Queen wird sich das von oben gewiß erfreut anschauen.