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Ascot 2016 - Tradition und Fortschritt

Autor: 

Catrin Nack

TurfTimes: 

Ausgabe 428 vom Donnerstag, 28.07.2016

Wir schreiben das Jahr 2016, und das vereinigte Königreich befindet sich in heller Aufruhr. Das gesamte Königreich? Nein. Ein kleines Dorf, in tiefen Wäldern westlich von London gelegen, lässt sich von Unruhen nicht anstecken und verteidigt tapfer ur-britische Lebensformen. Gäbe es die 1711 von Königin Anne gegründete Rennbahn gleichen Namens nicht, es wäre wenig zu berichten über das Örtchen Ascot. Eine Highstreet mit den obligatorischen Cafés und Buchmachern, ein paar kleine Lädchen und dem „beliebtesten Restaurant in Großbritannien“, wie ein Schild im Vorgarten in bescheidener Eigenwerbung verkündet.

Über allem thront aber der Koloss „Racecourse“, dessen Wirtschaftsgebäude die Hälfte der Hauptstraße einnehmen und dessen Arm der langen Gerade sich sogar über eine Zufahrtsstraße erstreckt. Wo Goodwood nicht einmal in der Nähe einer Ortschaft liegt (und schon gar nicht nahe einer, die Goodwood heißt), Newmarkets Rennbahnen an Einfallstraßen liegen, Londons Bahnen Kempton und Sandown im Moloch der Metropole gar ganz untergehen - Ascot IST seine Rennbahn, und sie ist der Puls, der das Leben im Ort bestimmt. Sicher, die Zeit ist hier nicht stehengeblieben. Die „neue“ Tribüne - zu Beginn so gescholten -  ist nun bereits zehn Jahre alt, und neben dem königlichen Meeting versucht man, mit familiengerechteren Tagen wie z.B. dem Shergar Cup –Day auch ein „normales“ Publikum zu erreichen. Und doch – Ascot seht für königliche Traditionen, die königliche Familie (die nach wie vor alljährlich zu Royal Ascot ihr Schloss im nahegelegenen Windsor verlässt und mit der Kutsche durch das eigens gestaltete Tor auf der Rennbahn auffährt),  seine glorreiche Vergangenheit voll epischer Rennen. In den - zumindest für den Adel- so unbeschwerten Jahrzehnten vor und zwischen den Weltkriegen war der Besuch des Royal Meetings für gehobene Gesellschaftsschichten fester Bestandteil der „Season“, und damit waren die Bälle und Empfänge der High Society gemeint, nicht Herbst und Winter. Nach wie vor ergeben sich mehr als die Hälfte der Renntitel während Royal Ascot aus ihrem königlichen Bezug, kein schnödes Sponsoring mit überlangen Renntiteln großer Buchmacherketten.

Die  Austragung des „King George“ (King George VI and Queen Elizabeth Stakes) ist ein weiteres Highlight des Rennjahres. Im Jahr 1951 aus der Zusammenlegung  zweier Rennen geformt - und natürlich eine Hommage an die Eltern der heutigen Königin Elizabeth -  war das Rennen über Jahrzehnte besonders durch das Aufeinandertreffen der jeweils amtierenden englischen Derby-Sieger mit den besten älteren Pferden der Insel ein Meilenstein im Turf-Jahr; unvergessen der Kampf zwischen Grundy und Bustino im Jahr 1975, nach wie vor als „Rennen des Jahrhunderts“ bezeichnet, oder die Siege von Nijinsky, Mill Reef, The Minstrel, Troy, Shergar, Dancing Brave, Reference Point oder Nashwan, die alle als amtierende Derby-Sieger kamen und siegten. Es ist vielen Fans ein Dorn im Auge, das dieser Fokus durch die zunehmende Internationalisierung immer mehr abnimmt. Der letzte amtierende Epsom- Sieger, der im gleichen Jahr den King George gewann, war Galileo im Jahr 2001, seither gab es nur drei dreijährige Sieger, darunter allerdings mit Taghrooda vor zwei Jahren die amtierenden Oaks-Siegerin. Seit 2000 sind nur drei amtierende Derby-Sieger überhaupt im King George angetreten; in diesem Jahr war der klassische Jahrgang nur durch den Derby-Vierten vertreten.

Ein Fokus der Berichterstattung war darum unweigerlich die Nachnennung des in königlichen Farben laufenden Dartmouth. 62 Jahren nach ihrem letzten und einzigen Erfolg im Rennen mit Aureole schein ein erneuter Erfolg wahrhaft im Bereich des Möglichen zu liegen. Ascot ließ es sich nicht nehmen, mit einem kleinen Blättchen auf bedeutende Ereignisse des Jahres 1954 hinzuweisen, darunter auch die Geburt einer gewissen Angela Merkel. Dartmouth, der im Übrigen wie vor einigen Jahren Carlton House ein Geburtstagsgeschenk Scheich Mohammeds and die Queen war, lief ein couragiertes Rennen, konnte aber nie wirklich in die Entscheidung eingreifen und wurde Dritter. Die Queen wusste wohl, warum sie zuhause geblieben war.

Auch wenn sich die Fachpresse mit aller Kraft gegen einen Niedergang des Rennens stemmt, empfanden viele die jüngste Austragung des Rennens als eine der schwächsten der letzten Jahre, ohne klassische Sieger gleich welches Alters, bei sieben Startern nur drei individuelle Gruppe 1-Sieger, die derer insgesamt nur vier gewonnen hatten, und keines davon hatte auf britischem Boden stattgefunden (Second Step als deutscher Gr. 1-Sieger wurde zudem Letzter).

Es war „Business as ususal“, was den Sieger anging. Wie so oft in britischen Top-Rennen standen Coolmore und Aidan O´Brien, der das Rennen nun zum vierten Mal gewann, ganz oben auf dem Siegertreppchen. „Es fühlt sich trotzdem besonders an, hier zu gewinnen. Es ist ein spezielles Rennen und wird es immer bleiben“ beschwor Mitbesitzer Michael Tabor denn auch nach dem Rennen. Sicherlich steht Highland Reel in der Ballydoyle – Hierarchie (noch) nicht auf einer Stufe mit den früheren Siegern  Galileo, Dylan Thomas oder Duke of Marmelade,  noch ist das letzte Wort in der Karriere des Hengstes aber auf keinen Fall gesprochen, und auch der Zweitplatzierte Wings of Desire (der besagte Dreijährige im Feld) ist ein Pferd, der hoffentlich noch viele Rennen vor sich hat. Ryan Moore, der nach Conduit im Jahr 2009 dieses Rennen zum zweiten Mal gewann, servierte dem Sieger von der Spitze aus ein Traumrennen, es sah so einfach aus und war doch so meisterlich. Auch ein Postponed, in diesem Jahr als heißer Favorit ein später Nichtstarter, schien bei seinem Sieg im letzen Jahr ein eher schwacher Sieger, und wäre nun als der beste ältere Steher Englands angetreten; abwarten, wie wir in 12 Monaten über Highland Reel urteilen.

Das zweite Highlight des Tages, zu Ehren von Princess Margaret gelaufen, wurde leichte Beute der Favoritin Fair Eva. Somit hat nun Roger Charton die Ehre, den ersten Gruppe-Sieger des Wunderpferdes Frankel trainiert zu haben, die auch noch mit viel Sinn für Geschichte in den Farben von Khalid Abdullahs Juddmonte Stud lief, wie - natürlich - auch ihr Vater. Es war ein mit 12 Stuten sehr kopfstarkes Feld, das sich zu dieser Gruppe 3 über 1200m eingefunden hatte, rein optisch und nach Vorleistungen vorsichtig als „durchwachsen“ zu bezeichnen. Doch Fair Eva, die schon ihr Maiden-Rennen so eindrucksvoll gewonnen hatte, machte mit allen Gegnern kurzen Prozess und führt den so beeindruckenden Deckhengst-Rekord ihres Vaters fort: von bis dato zehn gelaufenen Nachkommen haben nur zwei nicht gewonnen (von denen einer leider „Lightening Fast“ heißt) , die acht Sieger haben  insgesamt 10 Rennen gewonnen,   und neben der frisch gekürten Gruppe Siegerin haben Queen Kindly, Cunco und Frankuus  Black Type erlaufen, letztgenannter im ersten Rennen auf der Karte. Man kommt allerdings nicht umhin zu bemerkten, dass ein „Frankel“ in allen Formen und Farben einher kommen kann, und dies die Nachkommen nicht am Schnelllaufen hindert. Fair Eva und Queen Kindly haben  als Füchse optisch so gar nichts vom Vater erhalten, besonders Queen Kindly ist ein absolutes Ebenbild ihrer so flinken und frühreifen Mutter Lady of the Desert. Frankuus ist gar ein Schimmel, gegen die Gene eines Linamix ist eben auch ein Frankel machtlos.

Und so schließen sich Kreise. Generationen von Pferden haben auf dem grünen Rasen von Ascot vor jubelnden Massen unter Aufbietung aller Kräfte um große Siege und gegen bittere Niederlagen gekämpft, auch Frankel hat gerade einige seiner größten Siege gefeiert. Nun sind es die Kinder und Kindeskinder, die die Rennbahnbesucher begeistern.  Von ihren Instinkten geleitet, sind sie sich der Hoffnungen, Träume, Erwartungen oder gar Ansprüche, die wir Menschen an sie stellen, nicht bewusst, und doch scheint es, als wüssten manche um ihre Bestimmung. Es ist und bleibt eine der ursprünglichen Freuden und die Magie des Rennsports, diese wunderbaren Tiere in bester Kondition, mit starken Muskeln und glänzendem Fell, vor einer stilvollen Kulisse in Aktion zu sehen; sei es vor den Rennen im schattigen,  abseits gelegenen Aufsattelring, oder in vollem Flug im Pulk des Rennens. Fast scheint es tatsächlich, als wäre die Zeit ein klein wenig stehen geblieben; und  wenn beim träumerischen Betrachten edlen Pferde dann noch eine leise Melodie durch die Sommerluft dringt, möchte man die Zeit gar selber anhalten. Im Wahnsinn der heutigen Zeit bietet eine Bahn wie Ascot beinahe eine Zuflucht, auch wenn  schon Phil Bull, der legendäre Gründer von Timeform, den Rennsport als die „größte Trivialität“ bezeichnete. Das ist er sicher. Aber voller Emotionen. 

Catrin Nack

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