Das Arc-Meeting 2013
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TurfTimes:
Sicherlich werden nur wenige Leser dem Satz zustimmen, dass Galopprennen die schönste Nebensache der Welt ist. „Schönste“ bestimmt, aber als Aktive im Sport in allen Ausprägungen oder als ernsthafter Fan ist der Rennsport natürlich weit mehr als nur eine Nebensache, auch wenn er "nur" ein passioniert ausgeführtes Hobby sein sollte. Darum war die Nachricht von der Erkrankung Novellists, die am Samstag-Morgen bei den vor Ort weilenden deutschen Fans langsam via SMS oder Internet durchsickerte, ein echter Schock, der für eine schlagartige und nachhaltige Stimmungsverschlechterung im deutschen Lager sorgte; waren doch viele eigens für Dr. Christoph Berglars Hengst angereist, ausgerüstet mit Schildern, Schals, Fahnen und Banner, voller Hoffnung, dass es zwei Jahre nach Danedream wieder einen deutschen Erfolg im prestigeträchtigsten Rennen der Welt, im Prix de l'Arc de Triomphe, geben könnte. "To travel hopefully is a better thing than to arrive" mag eine passend/unpassende Phrase aus dem Englischen sein, alleine das Erwachen war schmerzhaft und wird bei einigen der Daheimgebliebenen vielleicht zur Überzeugung geführt haben, dass man sich "glücklicherweise" nicht auf den Weg gemacht habe.
Doch das würde diesem Rennwochenende natürlich keineswegs gerecht werden. Mit elf Gruppe-Rennen (davon sieben Gruppe I-Rennen am Arc-Sonntag) ist dies eine Veranstaltung, die auch ohne die (natürlich extrem unglückliche) Nicht-Teilnahme eines deutschen Pferdes im Hauptrennen jede Reise wert war. Mit Hilfe des Katar-Geldes wurde das über Jahre bestehende Format der Renntage beständig umgeformt und so zu dem "Super"-Sonntag ausgebaut, der dem englischen Rennsport langsam beinahe ein Dorn im Auge ist.
Seit einigen Jahren nun versucht man auf der Insel mit dem neu installierten Champions-Renntag, für den - wenn auch unter einheimischer Kritik - diverse alteingesessene Gruppe-Rennen entwurzelt und verpflanzt wurden, einen Gegenpol zu schaffen. Und auch wenn die englische Beteiligung im Bois de Boulogne zahlenmäßig durchaus im Rahmen lag (39 britische Starter stellten allerdings bei einer extrem gestiegenen Gesamtzahl an Startern, 200 an beiden Tagen, den geringsten prozentualen Anteil von 24,5% seit Jahren), so sprang zum ersten Mal seit 2008 nicht einziger Gruppe-Erfolg heraus, ganz zu schweigen von einem Erfolg im Arc selber, dem "Team GB" zwar 2010 mit Workforce gelang; dies allerdings der erste Erfolg seit Carroll House in 1989. Ein Blick auf die vertretende Trainer-Riege zeigt, dass große Namen wie Appleby/Saeed bin Suroor, Sir Michael Stoute, Michael Bell oder William Haggas völlig fehlten, und auch Trainer wie Richard Hannon oder Mark Johnston mit maximal der zweiten Garde angereist waren. Es stellt sich unwillkürlich die Frage, ob ein direkter Zusammenhang zum im 14 Tagen stattfindenden Champions-Day besteht; ob England erneut eine Politik der „splendid isolation“ verfolgt und mit ohne Druck von oben seine Stars für den eigene Rennveranstaltung schont.
Vor allem die Champion Stakes selber sind seit Jahren ein Sorgenkind der britischen Offiziellen. In den letzten beiden Jahren sorgte ein gewisser Frankel für das Rennen und den erst 2011 neu formierten Renntag an sich für reichlich mediale Aufmerksamkeit; im Jahr Eins nach dem ungeschlagenen Super-Star scheinen hochklassige Starter für das Rennen erneut rar gesät; im Zuge der immer weiter schreitenden Globalisierung des Turfs, die nach dem Arc mit schwindelerregend hoch dotierten Highlights wie dem Breeders Cup, dem Japan Cup und den Internationalen Rennen von Hongkong lockt, wird die Nische für den Renntag Mitte Oktober in Ascot immer enger, zumal man sich trotz der Unterstützung des natürlich ebenfalls aus Katar stammenden Qipco-Konzerns solche Preisgelder anscheinend nicht leisten kann oder will. Auch markige Sprüche auf der Ascot-Webseite können nicht darüber hinwegtäuschen, dass "der Moment, der wirklich zählt“" eben nach wie vor am ersten Sonntag in Paris stattfindet.
Dies bringt uns zu der atemberaubenden Vorstellung von Treve (der Name lässt sich dem Lexikon nach mit "Burgfrieden", aber auch "Ruhe" übersetzen), die der "Königsfamilie des französischen Rennsports" (O-Ton Racingpost), der Familie Head, 34 Jahre nach dem letztem letzten Arc-Sieger (der ebenfalls eine Siegerin war, die Stute Three Troikas) erneut einen vollen Erfolg bescherte. Gezüchtet von Alec Head, dem nunmehr 89-jährigen Patriarchen der Familie (der Treves Vater Motivator auch im familieneigenen Haras du Quesnay aufgestellt hat, die Mutter Trevise bei seinem Sohn Freddy trainieren ließ, auch deren Vater Anabaa lief bereits in den Head-Farben) und trainiert von Tochter Christiane „Criquette“ Head-Maarek, begann Treve ihre Rennlaufbahn ebenfalls in den Familien-Rennfarben, nachdem sie auf der 2011 Arqana-Jährlings-Auktion für 22.000€ zurückgekauft worden war. "Es gab einfach nicht genügend Interesse, und wir fanden, dass dieser Preis nicht angemessen war", so Criquette in ihrem einwandfreien Englisch bei der dem Arc nachfolgenden Pressekonferenz. "Sie stammt aus einer guten Familie, die wir sehr gut kennen. Vater hatte alle Hoffnung, dass auch sie zumindest gut werden würde."
Sie wurde gut, und wechselte nach ihrem Sieg im Prix de Diane in den Besitz von des Katar-Scheiches Joaan Bin Hamd Al Thani , dem fünften Sohn des Emirs von Katar. Die Al Thani-Familie, die in der letzten Ausgabe der Turf-Times bereits ausführlicher vorgestellt wurde - klick zur Story - stellt mit ihrem offenbar endlosen Geldmitteln aus der Ölförderung wohl nicht nur im Rennsport die neue Super-Macht dar (Stichwort Fußball-WM und Formel 1) , hat aber hier innerhalb kurzer Zeit einen geradezu atemberaubenden Einfluss genommen, der wohl selbst die Familie um Scheich Mohammed Al Maktoum, der 2013 sowieso als sein Annus Horribilis bezeichnen wird, erblassen lässt. Joaan Al Thanis graue Rennfarben mit roten Schultern wurden in diesem Jahr bereits von Olympic Glory und Toronado zu Gruppe-Erfolgen bis in die höchste Klasse getragen; mit Treve befindet sich nun eine wirkliche Klasse-Stute in seinem Besitz. Mit dem Sponsoring des Arc-Wochenendes (Qatar) und dem weiterverzweigten Engagement des Qipco Konzernes muss man wohl zu Recht von einer unaufhaltsamen Machtverschiebung der Verhältnisse im Rennsport sprechen.
Unter dem Namen Al Shaqab Racing ist man derzeit bei den Jährlingsauktionen äußerst aktiv - siehe auch diese Woche bei Tattersalls - und man fährt auch nach wie vor eine aggressive Politik, wenn es um den Kauf vielversprechender älterer Pferde geht. Bisher hat man große Erfolge trotz oder gerade weil man keinen eigenen Trainer beschäftigt, sondern die erworbenen Pferd, im Gegensatz zur bisherigen Politik der Maktoums, die ja, siehe Dawn Approach, selber erste Aufweichungserscheinungen zeigt, immer bei den jeweiligen Trainern belässt, im Falle Treve eben bei Madame Head.
Alec Head, der sich bei der Siegerehrung Tränen der Rührung und wohl auch des Stolzes abwischte, war selber eine Trainer-Legende und gewann seinen ersten Prix de l´ Arc de Triomphe bereits 1952 mit Nuccio, führte dann aber auch die beiden Stuten Ivanjica und Gold River zum Erfolg; 1979 war Tochter Criquette die erste Frau, die einen Arc-Sieger trainierte, und ist es bis heute geblieben. Treve ist nach Danedream and Solemia nun die dritte Stute in Folge, die den Arc gewinnen konnte; wie Danedream dreijährig zeigte sie mit ihrem ebenfalls identischen Fünf-Längen-Vorsprung, dass die Altersgewichtsskala und die Stutenerlaubnis bei einer wirklich guten Stute einen deutlichen Vorteil zu bieten scheinen.
"Wenn Stuten gut sind, sind sie halt richtig gut“ bekannte dann auch Criquette, und fügte hinzu: “Ich möchte ihr nun eine Pause geben. Man kann sagen, sie hat leicht gewonnen, aber ein Arc ist ein Arc, es gibt hier kein leichtes Rennen. Mit einem Hengst kann man schneller wieder anfangen, da sie kräftiger sind, aber eine Stute muss man anders behandeln. Ich weiß das, weil wir viele gute Stuten in der Familie hatten, aber Treve ist wohl die Beste von allen.“ Eine weitere Parallele zu Danedream ist auch, dass beide Stuten von Vätern abstammen, die in England so recht keinen Huf auf den Boden bekamen. Auf die Frage, warum Motivator in England wohl gescheitert sei, konnte sich Criquette das Lächeln nicht verkneifen: "Das müssen sie doch wohl die Engländer fragen", teilte sie der zahlreich vertretenen englischen Presse mit. "Seine Nachkommen brauchen Zeit. Sie bieten sich an, aber man muss ihnen die Zeit lassen." Zeit, und das ließ Criquette ungesagt, die das englische System jungen Pferden immer weniger lässt, wenn sie sich denn nicht gerade im Besitz einer geduldigen Owner-Breeder Familie befinden.
Nach wie vor im Besitz ihres Züchters George Strawbridge, und trainiert, wie könnte es passender sein, von Alec Heads Sohn Freddy (der natürlich seinerzeit die bereits erwähnte Three Troikas zum Sieg steuerte), war der zweite Class-Act des Wochenendes die unvergleichliche Moonlight Cloud. Wo Treve nach wie vor ein Versprechen ist, so hat diese nun fünfjährige Stute bereits derer viele eingelöst und gewann am Sonntag mit dem Prix de la Foret ihr 12. Rennen, und ihr 6. Gruppe I-Rennen (das dritte des Jahres 2013), in der Manier eines weiteren wahren Champions. Als ältere Stute sicher härter und auch auf kürzeren Distanzen unterwegs, steht für Moonlight Cloud nun eine Reise nach Hongkong auf dem Programm, auch könnte sie 2014 im Training bleiben.
Bereits am Samstag hatte der eiserne Cirrus des Aigles bei nun 51 Starts sein 18. Rennen gewonnen und damit für den ersten Glanzpunkt des Arc-Wochenendes gesorgt. Nach 2010 und 2012 war dies auch sein dritter Prix Dollar; das erklärte Ziel des harten Wallachs, dem aus diesem Grund ein Arc-Start verwehrt ist, obwohl er auch über 2400m gewonnen hat, sind die Champion Stakes in Ascot, deren "erster" Sieger (an neuer Stätte) er ja 2011 war. Im letzten Jahr hatte er sich dort nur Frankel beugen müssen; nun sollte er mit neuem Selbstvertrauen im Rücken erneut eine scharfe Klinge schlagen.
Deutschland konnte mit seinem ebenfalls unverwüstlichen Altano dann immerhin doch im Qatar Prix du Cadran einen vollen Gruppe-I-Erfolg feiern, und wenn es auch für Trainer Andreas Wöhler ein wenig Balsam für die geschundene Seele gewesen sein muss (und viele es wohl für eine Art ausgleichender Gerechtigkeit für Jockey Eddie Pedroza empfanden), so muss man an dieser Stelle ein paar Gedanken an die Heerscharen der japanischen Fans zulassen, die nach 2006 und dem letzten Jahr erneut ihr Waterloo in Longchamp erlebten.
Erneut in großer Anzahl (Zahlen variieren zwischen 6.000 und 10.000) und mit ungebremstem Enthusiasmus angereist, sind die japanischen Fans sicherlich die ruhigsten auf der Bahn, die "ihre" Pferde jedoch ungemein phantasievoll und farbenfroh unterstützten und denen mit Hüten, Bettlaken, Pins, Stickern , Fahnen, Trikots, Schals, Handtüchern und Bannern jedes Mittel recht war, ihre Zuneigung zu bekunden. Eben nicht lautstark, aber mit einer Art unerbittlichem Optimismus schwärmen sie direkt nach Öffnung der Tore und dem Besuch des Souvenir-Shops an einen Platz, der dann nicht mehr verlassen wird. Die erneute Niederlage Orfevres, der wie im Vorjahr Zweiter wurde (Kizuna landete auf dem 4. Rang), nahmen sie zwar mit unterschiedlichen Gefühlsregungen, aber mit leiser Würde an, um danach ebenfalls leise von der Bahn zu strömen. Immerhin waren es die vereinten japanischen Kräfte der letzten Jahre, die dazu führten, dass Programmhefte erstmals seit Menschengedenken nicht mehr kostenlos waren; in zu großer Anzahl waren sie in den letzen Jahren bereits vor dem ersten Rennen als Souvenir in japanischen Taschen verschwunden.
Im Jahr 2014 wird der Prix de l´Arc de Triomphe nun endgültig letztmalig vor den altehrwürdigen Tribünen von Longchamp ausgetragen; am Tage danach soll die lange geplante Modernisierung der Bahn beginnen. "Make sure you will be here next year", teilte Criquette Head nach dem Arc mit, "because so will Treve, and the plan is to win again."