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Alexandra Gutierrez verstorben

Festa legte den Grundstein zur Erfolgsgeschichte der Gebrüder  A. u. C. v. Weinberg: Dr. Arthur Weinberg (Foto) kaufte sie auf der Auktion in Newmarket für den Norddeutschen Zuchtverein, erwarb sie später für sein Gestüt: Ihr Hanibal-Sohn Fels war der erste echte Waldfrieder und der erste Derbysieger. Foto: Archiv

Autor: 

Karina Strübbe

TurfTimes: 

Ausgabe 650 vom Freitag, 08.01.2021

Im Alter von 91 Jahren ist am 23. Dezember in Punta del Este in Uruguay Alexandra „Lanka“ Gutiérrez gestorben, geborene Gräfin von Spreti, verwitwete Scherping. Seit vielen Jahren lebte sie in Südamerika, war dort mit César Juan Gutierrez verheiratet. Auch wenn Alexandra Scherping schon seit Jahren keinen direkten Kontakt mehr zum Galopprennsport hatte, bedeutet doch ihr Tod das Ende einer Ära. Sie war die letzte Besitzerin des Gestüts Waldfried, eine der erfolgreichsten und wichtigsten Zuchtstätten in der Geschichte der deutschen Vollblutzucht.

Deshalb wollen wir an dieser Stelle noch einmal an Waldfried erinnern, mit einem Artikel, den unsere Mitarbeiterin Karina Strübbe vor einigen Jahren verfasst hat. 

Allein auf weiter Flur: Fels (Hannibal - Festa) unter W. O'Connor - der erste Derbysieger der Gebrüder Weinberg 1906. Foto: Archiv Hamburger Renn-ClubAllein auf weiter Flur: Fels (Hannibal - Festa) unter W. O'Connor - der erste Derbysieger der Gebrüder Weinberg 1906. Foto: Archiv Hamburger Renn-ClubDer 9. Oktober 1981 markierte das Ende einer Ära. An diesem Freitag wurde der gesamte Pferdebestand des Gestüts Waldfried auf einer Privatauktion in Köln versteigert. Fast ein Jahrhundert lang war das Gestüt für die deutsche Vollblutzucht mitprägend gewesen.

Der letzte Derbysieger für das Gestüt Waldfried: Elviro 1968 mit Alexandra "Lanka" Scherping. Die Enkelin des Gestütsgründers war die Frau des Frau des einstigen Direktoriums-Präsidenten Uwe Scherping, zog nach dessen Tod nach Uruguay, wo sie heute noch lebt. Foto: Archiv Hamburger Renn-ClubDer letzte Derbysieger für das Gestüt Waldfried: Elviro 1968 mit Alexandra "Lanka" Scherping. Die Enkelin des Gestütsgründers war die Frau des Frau des einstigen Direktoriums-Präsidenten Uwe Scherping, zog nach dessen Tod nach Uruguay, wo sie heute noch lebt. Foto: Archiv Hamburger Renn-ClubDie letzte Inhaberin, Alexandra Gutierrez (Enkeltochter des Gestütsgründers, geb. von Spreti, verw. Scherping) hatte nach dem Tod ihres Mannes, dem 1979 verstorbenen langjährigen Direktoriums-Präsidenten Uwe Scherping neu geheiratet und Deutschland den Rücken gekehrt, zugunsten ihrer neuen Heimat in Südamerika. In den nicht einmal 100 Jahren gelangen Pferden, die von Waldfried gezogen wurden, 47 Siege in klassischen Rennen – ein wahrlich beeindruckende Zahl. Darunter finden sich 8 Derbysiege, 7 Siege im Preis der Diana, 13 Siege im Henckel- bzw. Mehl-Mülhens-Rennen und 12 Siege im St. Leger.

DerbyDianaHenckel-RennenSt. Leger
1906 Fels1909 Ladylike1905 Inverno1905 Zenith
1907 Désir1910 Letizia1906 Fels1908 Horizont II
1916 Amorino1924 Ostrea1907 Fabula1909 Fervor
1921 Omen1932 Faienza1908 Horizont II1921 Ossian
1923 Augias1933 Ausflucht 1909 Fervor1923 Ganelon
1952 Mangon1961 Meraviglia1911 Moenus1926 Lampos
1961 Baalim1968 Ipanema1915 Antinous1930 Gregor
1968 Elviro 1922 Lentulus1941 Alejana
  1923 Augias1942 Gradivo
  1925 Favor1955 Masetto
  1926 Aurelius1961 Baalim
  1934 Pelopidas1964 Marinus
  1952 Mangon 

Erfolgreiche Vollblutzüchter: Arthur (links) und Carl von Weinberg beim Morgenritt durch das Gestüt Waldfried. Foto: ArchivErfolgreiche Vollblutzüchter: Arthur (links) und Carl von Weinberg beim Morgenritt durch das Gestüt Waldfried. Foto: ArchivDie Geschichte von Waldfried ist eng verknüpft mit Frankfurt. Nahe der Rennbahn Niederrad war der erste Sitz des Gestüts, welches von Dr. Arthur von Weinberg und Carl von Weinberg gegründet wurde. 1896 wurde Dilligenz geboren, das erste Fohlen der Waldfrieder Zucht. Die Mutter Digitalis erhielt als erste Zuchtstute auf Waldfried Einzug, nachdem die Weinberg-Brüder bereits einige Jahr im Galopprennsport unterwegs gewesen waren und insbesondere Arthur von Weinberg bereits Rennpferde besessen und auch geritten hatte. Die Rennbahn ihn Niederrad erfreute sich ebenfalls der Unterstützung der Weinberg-Brüder, welche sowohl Sponsoring von Rennen als auch weitergehende finanzielle Zuwendungen betraf. Martin Beckmann berichtet in seiner Chronik „Das war Waldfried“ davon, dass Arthur von Weinberg am Abend des Renntags nach dem finanziellen Ergebnis fragte und daraufhin bei Bedarf das Scheckheft zückte. Auch wurden Waldfrieder Pferde besonders gern in Frankfurter Rennen geschickt. Arthur von Weinberg zeichnete von 1918, also seit dem Tod von Albert von Metzler, als Präsident des Frankfurter Rennvereins verantwortlich. Insbesondere in den 1930er Jahren wurde der Rennbetrieb wohl fast im Alleingang von Arthur von Weinberg finanziert.

Arthur von Weinberg: Foto: Frankfurter Renn-Klub ArchivArthur von Weinberg: Foto: Frankfurter Renn-Klub ArchivFür Sternstunden der Waldfrieder Zucht sorgte vor allem die Stute Festa, eine der vielen Stuten, die aus England angekauft wurde. Die Weinbergs zeichneten sich diesbezüglich durch eine eigene Philosophie aus. Fast alle Stuten wurden importiert, in der Regel aus England. Als Partner suchten sie demgegenüber gern heimische Hengste aus. Pferdezucht war für die Weinbergs eine Wissenschaft, ein Experiment. Natürlich gab es neben Volltreffern auch Misserfolge. Der Geniestreich war aber Festa. Eine Schönheit war die nicht einmal 1,60m große Stute kaum, doch das hinderte sie nicht daran, Geschichte zu schreiben. Über die December Sales in Newmarket kam Festa nach Deutschland und brachte nacheinander FestinoFels, Fabula, Faust und Fervor. Danach blieb die Stute – bis auf eine Ausnahme, eine Totgeburt – güst.

"Perle der Vollblutzucht": Festa mit Fervor als Fohlen 1906. Foto: Archiv"Perle der Vollblutzucht": Festa mit Fervor als Fohlen 1906. Foto: ArchivDie Spuren der Festa sind noch heute in der Vollblutzucht zu finden. Festas letzter Sohn Fervor war als Deckhengst der nachhaltigste, weshalb hier noch einige Nachkommen zu finden sind. Insbesondere das Gestüt Ebbesloh ist hier stark vertreten. Schließlich hatte Dr. Richard Kaselowksy seinerzeit auch gesagt, Fels‘ überlegener Sieg 1905 im Zukunfts-Rennen habe ihn erst so richtig für den Galopprennsport begeistert, eine Faszination, aus der später Ebbesloh entstehen sollte. Zurück zu Festa. Sowohl Fervor als auch seine älteren Brüder Festino (der jedoch früh einging) und Fels waren als Deckhengste auf Waldfried im Einsatz. Wirft man einen Blick auf spätere Zuchtprodukte, lässt sich eindrucksvoll nachvollziehen, wie sehr die Weinbergs ihre eigenen Linien pflegten und wie großen Wert sie darauf legten, dass sich auch die Stuten durch entsprechende Leistungen auf der Rennbahn für die Zucht qualifizierten. Was aus heutiger Perspektive normal erscheint, war damals noch nicht etabliert, doch der Erfolg gab den Brüdern Recht. Das Derby von 1921 sah Enkel bzw. Söhne von Fels und Fervor auf den Plätzen eins bis vier.

Auf der Rennbahn 1928: Carl von Weinberg und Dr. Arthur von Weinberg mit Enkelsohn. Foto: ArchivAuf der Rennbahn 1928: Carl von Weinberg und Dr. Arthur von Weinberg mit Enkelsohn. Foto: ArchivUnter dem Namen „Waldfried“ liefen die Blau-Weißen erst ab September 1935. Zuvor hatte stets A. u. C. v. Weinberg in den Programmen geprangt. Der Namenswechsel ist mit dem Nationalsozialismus zu erklären. Aufgrund seiner jüdischen Abstammung gerieten die von Weinbergs in die Unterdrückungs- und Vernichtungsmaschinerie der Nazis. Arthur von Weinberg musste erst Frankfurt verlassen und zog zu seinen Töchtern nach Bayern. Von dort wurde er 1942 trotz seines hohen Alters deportiert und starb 1943 im KZ/Ghetto Theresienstadt. Nicht nur musste Arthur von Weinberg seine Villa verkaufen, auch das Gelände der Frankfurter Rennbahn soll ihm gehört haben, bevor sie wohl zwangsenteignet wurde. Zu beweisen ist dies mangels Unterlagen nicht, ein durchaus häufiges Phänomen dieser Zeit. 

In den 1940er Jahren kam Rudolf Graf von Spreti ins Spiel, der 1911 Marie Elisabeth von Weinberg, die Adoptivtochter von Arthur von Weinberg geheiratet hatte, und Waldfried nach dem Zweiten Weltkrieg weiterführte. Aus dieser Ehe stammt Alexandra Gutierrez, die letzte Besitzerin des Gestüts. Die Kriegswirren sollten auch einen Standortwechsel des Gestüts zur Folge haben. Bei einem Bombenangriff 1944 wurde das Gelände verwüstet, mehrere Stuten inkl. Fohlen sowie alle Jährlinge starben. Schließlich erfolgte der Umzug nach Römerhof, welches von Spreti anpachten konnte. Doch es gab etwa zwanzig Jahre später noch einen weiteren Umzug des Gestüts. Möglicherweise hatte die Tatsache, dass man in Römerhof nur noch Unterpächter war, Familie Scherping bewogen, nach einem neuen Standort zu suchen. So ging es zurück nach Hessen, genauer gesagt nach Altefeld. Doch an die Blütezeiten konnte nie wieder angeknüpft werden. Dennoch gab es mit Elviro noch einen Derbysieger zu feiern.

Den letzten Start eines von Waldfried gezogenen Pferdes absolvierte Traumsegler über zehn Jahre nachdem es Waldfried schon nicht mehr gab. Im Alter von 13 Jahren nach 11 Siegen bei 106 Starts bestritt Traumsegler am 1. November 1992 sein letztes Rennen als Neunter und schrieb gewissermaßen das letzte Kapitel Waldfrieds. Unter ihrem eigenen Namen blieb Alexandra Gutierrez der deutschen Zucht noch einige Jahre treu. Mit der Stute Theresa züchtete sie bis Anfang der 1990er Jahre weiter. Mit Erfolg, Theresas bester Nachkomme war der Derbysieger Temporal, der, auf dem Fährhof groß geworden, in Iffezheim bei der Jährlingsauktion in den Besitz des Frankfurter Kaufmanns Egon Kraus ging. In dessen Farben siegte er mit dem damals zwanzig Jahre alten Frankie Dettori 1991 in Hamburg. Alexandra Gutierrez war an diesem Tag nicht in Hamburg, aber in Deutschland, in Hoppegarten, wo sie das Rennen bei einer Freundin im Fernsehen verfolgte. 

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