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Wozu eine Gewichtserlaubnis führen kann

Mickaelle Michel. www.galoppfoto.de

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Turf aktuell

TurfTimes: 

Ausgabe 613 vom Freitag, 10.04.2020

Der weibliche Nachwuchs im Rennsattel hat es nicht leicht, sich in der von Männern dominierten Turf-Szene durchzusetzen. Dies ist ein weltweites Problem, doch in Frankreich startete man vor drei Jahren den Versuch, daran strukturell etwas zu ändern. Frauen erhielten eine in nahezu allen Galopprennen unterhalb der Blacktype-Kategorie geltende Gewichtserlaubnis von 2kg (später auf 1,5kg abgesenkt). Mit Japan folgte eine der großen Turf-Nationen diesem Schritt anderthalb Jahre später, andere Länder – wie auch Deutschland – entschieden sich nach kontroverser Diskussion gegen eine solche Maßnahme.

In Frankreich haben sich die Chancen von Frauen, an Ritte auf den französischen Hippodromen zu kommen, nachweislich verbessert. Durch die gestiegenen Möglichkeiten, sich auf der Rennbahnen zu profilieren, ist auch die Zahl der Frauen in den vorderen Regionen der Jockeystatistik gewachsen. Schaffte im letzten Jahr ohne Gewichtserlaubnis (2016) keine einzige Frau den Sprung unter die Top 50 der französischen Jockeys, so waren es im ersten kompletten Jahr mit Gewichtserlaubnis (2018) immerhin sieben. Besonders erfolgreich schnitt dabei die heute 24jährige Mickaelle Michel ab, die 2018 mit 72 Saisonsiegen bei 804 Ritten einen in der Vergangenheit kaum vorstellbaren Rekord für die Siegzahl eines weiblichen Jockeys in Frankreich aufstellte. In der letzten Woche schaffte die junge Französin bei ihrem Japan-Gastspiel einen weiteren Rekord.

Der Weg in den Turf war bei Mickalle Michel untypisch, hat sie doch als Kind keinen Stallgeruch genossen, da sie nicht aus einer Rennsportfamilie stammt. Geboren in Hyeres, einer Kleinstadt an der französischen Mittelmeerkürste auf halber Strecke zwischen Marseille und Nizza, kam sie jedoch durch die lokale Rennbahn, auf der ein gemischtes Programm aus Trab- und Galopprennen auf bescheidenem sportlichen Niveau veranstaltet wird, in Kontakt zu Pferden, erlernte früh das Reiten und begeisterte sich für das Rennreiten. Nach Abschluss der Schulzeit ging sie 2014 auf Probe an die Jockeyschule in Marseille und fasste danach den Entschluss, eine Ausbildung zur Rennreiterin zu machen.

Ihre erste Station war der in Marseille beheimatete Michel Planard, der unter den 26 lizensierten Trainern in Marseille ein nur kleines Quartier im Trainingszentrum Calas betreibt. Sie blieb dort jedoch nur kurz und wechselte dann an das Quartier von Bernard Goudot in Lyon. Hier bestritt sie im Frühjahr 2014 auch die ersten Ritte in offiziellen Rennen. Ihren ersten Sieg konnte sie mit der Stute Santa Luna in einem kleinen Course G-Rennen für die Besitzertrainerin Anne-Marie Gareau auf der Provinzrennbahn im ostfranzösischen Vesoul feiern. In ihrer ersten Saison, in der sie bei 21 Ritten nur diesen einen Sieg und drei weitere Platzierungen erzielte, stieg sie auch zweimal für den damals noch als Trainer aktiven Dragan Ilic auf französischen Provinzrennbahnen in den Sattel, allerdings ohne zählbare Ausbeute. In den beiden folgenden Jahren 2015 und 2016 deutete nichts darauf hin, dass Michel einmal zu einer der profilierten Figuren in der französischen Jockeyszene werden würde. In 2015 blieb sie bei nur 14 Ritten sieglos, 2016 gelangen zwei Erfolge bei 23 Starts.

Erst im folgenden Jahr 2017, in dem zum 1. März die anfangs erwähnte Gewichtserlaubnis für Frauen eingeführt wurde, ging es in ihrer Karriere aufwärts. Verantwortlich dafür war jedoch nicht nur die Gewichtserlaubnis, sondern auch der Wechsel nach Chantilly, dem Herzen des französischen Turfs, wo sie am Quartier von David Smaga anheuerte. Einen Schub nahm ihre Entwicklung, als Frederic Spanu, der nach Ende seiner Jockeykarriere als Jockeyagent tätig ist, sie unter Vertrag nahm und für sie Ritte organisierte. Michel und Spanu sind mittlerweile nicht nur beruflich, sondern auch privat ein Paar, was seinem Engagement, für seine Partnerin Rittmöglichkeiten zu organisieren, nicht abträglich war.

Schon in 2017 erhielt sie 203 Ritte, von denen sie 17 in einen Sieg ummünzen konnte und weitere 60mal platziert war. Doch war 2017 nichts im Vergleich zum Folgejahr, in dem sie schon zu Beginn des Jahres für Schlagzeilen sorgte. Beim Wintermeeting in Cagnes-sur-mer lief es wie am Schnürchen für sie, der Titel des Meetingschampions brachte sie in die Medien. Bis weit in den März hielt sie sich an der Spitze der französischen Jockeystatistik, war in dieser Zeit auch die Meistbeschäftigte ihrer Zunft. Auch wenn es im weiteren Jahresverlauf nicht mehr ganz so gut lief, konnte sie am Jahresende die eingangs schon beschriebene Erfolgsbilanz ziehen: 72 Saisonerfolge, ein Rekord für einen weiblichen Jockey in Frankreich.

Im vergangenen Jahr 2019 reduzierte Michel ihre Einsätze in Frankreich und erweiterte gleichzeitig ihren Aktionsradius auf internationale Einsätze. Ihre Jahresbilanz in Frankreich liest sich daher nicht mehr ganz so beeindruckend: 22 Siege bei 381 Ritten bedeuteten nur Platz 64 in der Jahresrangliste, andere weibliche Jockeys – wie z.B. Coralie Pacault, die mit 71 Jahressiegen fast Michels Rekord geknackt hatte - waren in ihrer Heimat erfolgreicher. Doch hatte ihr Agent und Partner Spanu Engagements bei Jockey-Wettbewerben im Ausland organisiert, die ihr internationale Aufmerksamkeit bescherten. Besondere in Japan sorgte sie für Aufsehen.

In Sapporo gewann sie im August einen Lauf der World All Star Jockeys Series und belegte im Endclassement dieses seit 1987 durchgeführten renommierten Wettbewerbs einen dritten Rang. Dieselbe Platzierung schaffte sie auch im Februar dieses Jahres beim internationalen Jockey-Wettbewerb im Rahmenprogramm des Saudi Cups. Zu diesem Wettbewerb in Riyadh reiste sie nicht aus Frankreich an, sondern aus Japan. Michel hatte Ende Januar Frankreich in Richtung Japan verlassen, da sie eine Zwei-Monats-Lizenz der japanischen National Association of Racing (NRA) erhalten hatte. In Japan gibt zwei unterschiedliche Lizenzen für Jockeys, eine NRA-Lizenz und eine Lizenz der Japan Racing Association (JRA). Die JRA-Lizenz ist die begehrtere Lizenz, da sie berechtigt als Jockey am von der JRA organisierten Rennbetrieb auf zehn japanischen Großbahnen teilzunehmen. Die NRA organisiert den Rennbetrieb auf 15 lokalen japanischen Rennbahnen, mit einer Ausnahme ausschließlich Sandbahnen. Auch wenn diese Rennbahnen – mit Ausnahme von Kawasaki und Oi - eher kleiner sind und nur wenige Blacktype-Rennen beheimaten, sind die Preisgelder dieser Basisrennen lukrativ, die durchschnittliche Dotierung pro NRA-Rennen beträgt immerhin rd. 13.000 Euro.

Michel nutzte ihre Chance in Japan, um erneut auf sich aufmerksam zu machen. Als sie am letzten Dienstag, dem letzten Tag ihrer NRA-Lizenz, mit der Stute Emmy's Romance auf der Rennbahn in Funabashi das Feld in der Zielgerade von weit hinten kommend überrolte, war dies ihr 30. Erfolg beim 267. Ritt während des Japan-Aufenthalts. Damit überbot sie den bisher gemeinsam vom Briten Alan Munro und ihrem Landsmann Ryan Curatolo gehaltenen Rekord von 29 Siegen während einer Kurzzeit-NRA-Lizenz, wobei die bisherigen Rekordinhaber ihre Siege im Rahmen einer Drei-Monats-Lizenz errangen, während Michel sie mit Zwei-Monats-Lizenz übertraf.

Noch offen ist die Zukunft von Mickaelle Michel, da sich durch die Coronakrise nicht verlässlich planen lässt. Eine direkte Rückkehr nach Frankreich steht für sie derzeit nicht auf der Agenda. Die junge Französin zeigte sich im Interview mit verschiedenen Turf-Medien begeistert vom japanischen Rennsport, sie erfreut sich dort bereits großer Beliebtheit unter den japanischen Turf-Fans. Daher träumt sie davon, ihrem Landsmann Christophe Lemaire nachzueifern und erfolgreich eine permanente JRA-Lizenz zu beantragen. Eine der nicht zu unterschätzenden Hürden für eine JRA-Lizenz ist allerdings der Nachweis profunder japanischer Sprachkenntnisse. An dieser Hürde ist schon so mancher bekannte Jockey gescheitert, zuletzt im Vorjahr der mehrmalige Hongkong-Championjockey Joao Moreira. Michel übt daher jetzt fleißig drei- bis viermal pro Woche japanisch mit einem speziellen Sprachtrainer, den ihr Lemaire empfohlen hat. Selbst wenn Japan im Rahmen der Coronakrise Ausgangs- und Kontaktsperren verschärft, kann sie ihr Sprachtraining sicherlich auch per Videochat fortsetzen und die Zeit so gut nutzen. Wann sie das nächste Mal in den Sattel steigen wird, liegt sowieso nicht in ihrer Hand.

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