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Royal Ascot 2022

Der australische Spitzentrainer Chris Waller. www.galoppfoto.de

Autor: 

Catrin Nack

TurfTimes: 

Ausgabe 724 vom Freitag, 24.06.2022

Nach dem Meeting ist vor dem Meeting, und kaum war am vergangenen Samstag das letzte Rennen gelaufen, begannen neben den Aufräumarbeiten die Planungen für 2023. Die (virtuellen) Plakate sind gedruckt, die Webseite bereits umgestellt. Nach wie vor füllt das königliche Meeting die Seiten der englischen Fachzeitung Racing Post, werden Rennen analysiert, Hintergründe beleuchtet, Meinungen dargelegt und auch – sich selbst gefeiert. Royal Ascot ist nicht nur Mittelpunkt der englischen Rennsaison, es ist seit Jahrhunderten Teil der Sommervergnügungen der High Society, allem voran aber natürlich Schaufenster der britischen Vollblutszene allgemein. Wie destilliert man ein solches Meeting?

35 Rennen, insgesamt rund 8.6 Millionen Pfund an Preisgeld, kein Rennen war unter 100.000 Pfund dotiert, zwei echte „Millionen“ Rennen. Was für deutsche Ohren gewaltig klingt, ist im internationalen Vergleich Mittelfeld. Man denke Arc, Breeder´s – Pegasus – Japan -Dubai -Saudi- Cup & Co. Der australische Trainer Chris Waller, dessen 8j. Wallach Nature Strip (Nicconi) in den King's Stand Stakes (Gr. I, 1000m) für eines der absoluten Highlights der Woche sorgte, stellte in der nachfolgenden Pressekonferenz klar, dass in seiner Heimatstadt Sydney eine Mindestdotierung von rund €100.000 für jedes Rennen gelte; nicht nur im Zuge eines großes Festivals.

Preisgeld ist und bleibt ein wichtiges Thema, auch auf der Insel, wo Basisrennen unter der Woche nach wie vor erschreckend gering dotiert sind. Und doch: „Es gibt keinen Ort auf der Welt, der mit Royal Ascot gleichkommt“ schwärmte TV-Co-Moderator und Jockey-Legend Steve Cauthen. "Sicher, wir haben Saratoga, aber nirgendwo nimmt man sich und die Sache so ernst wie hier“. Ein interessanter Einblick in die britische Rennsport-Mentalität, Great British Racing eben. Die Ergebnisse auf dem grünen Rasen kamen da gerade recht, trotz starker und bunter internationaler Konkurrenz blieben die Hauptereignisse vornehmlich in Lande, oder natürlich in Irland. Japan, das zuletzt einige der großen Meetings dominiert hatte, ging ebenso wie Amerika und Frankreich leer aus. Der Aidan O'Brien-Express sprang spät am zweiten Meetingtag an, in einem Listenrennen. Es reichte dann zu fünf Siegen bei 22 Startern, Stalljockey Ryan Moore punktete noch zweimal obendrauf und war mit sieben Siegern zum neunten Mal Meetingchampion. Broome's Sieg in den Hardwicke Stakes (Gr. II, 2400m) war der 900.(!!) Gruppe oder Graded Sieg für O'Brien, ein weiterer Meilenstein in der einzigartigen Karriere des Trainers. Bemerkenswert war der Sieg zudem, weil Broome, der in diesem Rennen seine ganze Härte zeigen musste, von einer extrem schweren Verletzung zurückkam, er war im Führring des Japan Cup von einem anderen Pferd getreten worden und hatte sich einen Beinbruch zugezogen. Der japanische Tierarzt, der ihm Broome seinerzeit das Leben gerettet hatte, war nun in Royal Ascot auf Einladung von Coolmore anwesend.

Wenn auch nicht lebensbedrohlich, so bot Royal Ascot wie jedes Jahr genug Drama, und damit Gesprächsstoff, auf und neben dem Rasen. Die bereits in Epsom sichtbare Verstimmung zwischen den Herren (John) Gosden und Frankie Dettori war eines der Themen der Woche. Nur ein Sieg bei 22 Ritten war die Ausbeute des Star-Jockeys, und das in seinem selbsternannten „Wohnzimmer“. Besonders in die Kritik – des Trainers und der Öffentlichkeit – geriet Dettori für seinen Ritt auf Stradivarius, im Ascot Gold Cup (Gr. I, 4014m).

Der Sea The Stars-Sohn, ein Kult-Steher auf der Insel und bereits dreifacher Sieger dieser ikonischen Prüfung, stand somit an der Schwelle zu Großem. Erst einem Pferd, Aidan O'Briens Yeats in den Jahren 2006-2009, war das Kunststück gelungen, dieses Rennen eben viermal zu gewinnen; bereits im letzten Jahr hatte Dettori in dieser Prüfung (und auf diesem Pferd) nicht eben glücklich agiert. Beinahe schien das Rennen eine Wiederholung des Jahres 2021, als Dettori aus dem Hintertreffen erneut keine freie Passage finden konnte, Stradivarius dann sehr hemdsärmelig in die Mitte der Bahn ziehen musste. Einmal auf freier Bahn, hätte ein jüngerer Stradivarius wohlmöglich das Blatt noch wenden können; ob es die acht Jahre alten Beine oder ein etwas weise gewordenes Pferd waren, das nicht mehr als allerletzte aus sich herausholen möchte, sei dahingestellt. Platz drei hinter Aidan O'Briens Nachwuchs-SteherKyprios (Galileo-Polished Gem) war das Höchste der Gefühle. Der 4j. Fuchs-Hengst läuft in den Farben der legendären Zuchtstätte Moyglare Stud, steht tatsächlich im Besitz einer Gemeinschaft um das Gestüt Coolmore, der auch Georg von Opel/Westerberg angehört. Gesundheit vorausgesetzt, sollte Kyprios in der Steher-Szene in den nächsten Jahren das Maß der Dinge sein.

23 individuelle Trainer gewannen mindestens ein Rennen, Charlie Appleby derer vier (zwei Gr. II-Rennen, von denen es insgesamt acht gab), Aidan O'Brien insgesamt fünf (ein Gr. I-Rennen). Fünf Trainer konnten jeweils zwei Mal punkten, darunter Jane Chapple-Hyam, die mit dem von Taxi4Horses von Günther Schmidt gezogenen Claymore (New Bay) einen tollen Erfolg für einen „kleinen“ deutschen Züchter erlangte. William HaggasBaaeed, der wohl schnellste Sohn von Sea The Stars und aktuell nach Rating das beste Pferd  Englands, hatte den Auftakt in der „Champions League“ der Gruppe-Rennen gemacht, als er mit den Queen Anne Stakes (Gr. I, 1600m) die erste Prüfung des gesamten Meetings gewann.

Appleby verbuchte, vor allem und unter anderem, die St. James's Palace Stakes (Gr. I, 1600m) mit Coroebus, dem englischen 2000 Guineas-Sieger, und den Einlauf in den Platinum Jubilee Stakes (Gr. I, 1200m) auf der Haben-Seite. Letztgenanntes Rennen ist absoluten Kennern der Szene wohlmöglich noch unter dem Namen Cork and Orrery Stakes bekannt, wurde im 2002 zu Ehren der Queen in Golden Jubilee Stakes umbenannt und im gleichen Jahr mit Gr. I-Status versehen. 2012 wurde es zu den Diamond Jubilee Stakes, heuer zu den Platium Jubiliee Stakes, Royal Ascot eben. Leider kam die Queen zum ersten Mal seit Menschen Gedenken an keinem Tag auf die Rennbahn, auch konnte keiner Ihrer Starter gewinnen. Am dichtesten kamen Reach for the Moon und vor allem Saga (beide trainiert von John + Thady Gosden), auf dem Frankie Dettori kurz nach erwähnter Schlappe im Gold Cup erneut etwas unglücklich agierte. „Unser Held hat die Dinge zu kompliziert gemacht. Und mit Saga hätte er auch gewinnen müssen“ kommentierte ein gereizter John Gosden am Ende des dritten Meetingtages. Cheveley Parks einstmalige 1000 Guineas-Favoritin Inspiral, eine Frankel-Tochter, war in den Coronation Stakes (Gr.1, 1600m) die einzige Siegerin der Trainer/Jockey-Kombination. Beim späten Jahresdebut präsentierte sich die Stute in herausragender Form und machte mit einem auf dem Papier starken Feld, dem mit Cachet u.a. die amtierende englische 1000 Guineas Siegerin (zudem Zweite im französischen Äquivalent) angehörte, kurzen Prozeß. Eine Sternstunde des Meetings.

Die erlebten auch Richard Fahey und sein dreijähriger Sprinter Perfect Power, ein Sohn des eher unbekannten Ardad. Im Commonwealth Cup (Gr.1, 1200m), ein Rennen, das nur für Dreijährige offen ist und das – da keine Wallache zugelassen sind – unter „klassischen“ Bedingungen gelaufen wird, stellte der Hengst unter seinem belgischen Jockey Christophe Soumillon die schwache Form aus den 2000 Guineas nachdrücklich richtig. Optisch ein reiner Sprinter, der schon im letzten Jahr voll ausgewachsen schien, hatte man versucht, einen Meiler aus ihm zu machen. „Er ist ein glücklicheres Pferd, seit wir ihn wieder wie einen Sprinter trainieren“ hatte Fahey im Vorfeld mehrfach betont; sein Vertrauen in das Pferd grenzenlos. Nach dem Sieg den Tränen nahe, überließ Fahey seinem Jockey das Reden, nachdem das Pferd schon auf dem Rasen allen Worten die richtigen Taten hatte folgen lassen. „Es ist das Zeichen eines Spitzentrainers, ein Pferd so umzustellen“ lobte Soumillon noch auf dem Pferd, und ergänzte: „Er [Perfect Power] ist ein tolles Pferd mit einem so großen Herz, da ich niemals dachte, dass er noch ein zweites Mal würde beschleunigen können. […] Ich hoffe, dies ist das erste von vielen Gruppe 1-Rennen“.

Dem Vernehmen war es die Perfect Power–Soumillon-Kombination, die der letzten Sargnagel in Richard Fahey´s und Paul Hanagan´s Beziehung war; einer der längsten Trainer-Jockey-Verbindungen des englischen Sports. Fahey, mit rund 200 Pferden im Training eine echte Hausnummer, und neben Mark Johnston die Adresse im Norden der Insel, hat in Oisin Orr einen neuen Stalljockey gefunden. Doch für den Ritt auf dem großen Außenseiter The Ridler (Brazen Beau) in den Norfolk Stakes (Gr.2, 1000m) griff Fahey eben auf seinen alten Sparringpartner Hanagan zurück. Die Fernsehkameras fingen nach dem Sieg der 50-1 Chance die unendliche Erleichterung ein, die sich in die Gesichtszüge des Jockeys zeichneten; doch war die Freude über den Sieg – auf diesem Parkett noch dazu – nur die halbe Geschichte. „Hing schwer nach links auf den letzten 200 Metern, behinderte bald seine Gegner […]“ notierte die Racing Post, und tatsächlich agierte Hanagan zumindest nachlässig, wenn nicht gar rücksichtslos. Trotz 10täger Sperre für den Jockey wurde die Reihenfolge nicht geändert, eine Tatsache, die in Presse und den sozialen Netzwerken auf großes Unverständnis stieß und beinahe eine Grundsatzdiskussion über das englische Regelwerk anstieß.

Auch wenn ein Teil der britischen Presse die schwindende Bedeutung der großen Handicaps im englischen Rennkalender beklagt, so sind und bleiben sie ein wichtiger Bestandteil eines jeden großen Meetings. Allen voran das Ebor Handicap, das selber ein Millionenrennen werden soll, und Yorks Rennwoche im August seinen Namen gibt, werden auch in Royal Ascot an jedem Renntag hochdotierte Ausgleiche gelaufen. Der von David Evans trainierte, erst 4j. Rohaan gewann das renommierte Wokingham-Handicap zum zweiten Mal in Folge, unter Höchstgewicht. Er markierte damit Ryan Moores letzten Sieger zu Royal Ascot 2022, und das breite Lachen, welches das Gesicht des sonst so emotionslos wirkenden Jockeys nach diesem Sieg erhellte, erzählt ohne Worte die Bedeutung, die auch diese Rennen für das Team um ein Pferd haben.

Beim ersten Meeting ohne Covid-Auflagen hatte Ascot die Entscheidung getroffen, die Zuschauerzahl zu begrenzen, um ein besseres „Erlebnis“ zu gewähren. „Wir verkaufen nicht nur Rennen, wir verkaufen ein Erlebnis.“ Wurden die Moderatoren nicht müde, zu betonen. Mit rund 69.000 Gästen war der Samstag am stärksten besucht. Alle Rennen des Meetings wurden im Free-TV übertragen, der Fernsehsender ITV ist Partner des Rennsports. Die mit großem Aufwand produzierte Fernsehsendung, die neben Rennen auch Mode und Lifestyle thematisiert, erreichte täglich ca. 900.000 Zuschauern, in der Spitze rund 1.3 Millionen; solide Zahlen, die zeigen, dass der Rennsport auf der Insel lebt.

Catrin Nack

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