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National Hunt-Saison: Die ersten Stars waren am Start

Autor: 

Catrin Nack

TurfTimes: 

Ausgabe 596 vom Freitag, 29.11.2019

Die Tage werden kürzer, die Rennen länger. Zumindest, wenn man dem Hindernissport auf den Inseln folgt. Wo früher einmal streng zwischen Sommer (Flachrennen) und Winter (Hindernisse) getrennt wurde, sind die Grenzen heute fliessend bzw. gar nicht mehr vorhanden. Summer-Jumping ist ebenso fester Bestandteil des Rennkalenders wie die Rennen auf den Allwetter-Bahnen. Es gab vor Jahrzehnten sogar Versuche, auch auf diesen Hindernisrennen abzuhalten; zum Glück ohne Erfolg. Ungefähr ab Mitte Oktober verschiebt sich der Fokus Richtung National Hunt, wie man den Hindernissport in England und Irland nennt; „eingleisige“ Fans müssen nun langsam ihren Sommer-Schlaf beenden. Cheltenhams erstes Meeting Mitte Oktober leitet die Wintersaison langsam ein, Mitte November wurde hier bereits das zweite Meeting abgehalten. Mit dem ersten Grade1-Rennen der Saison, der Betfair-Chase in Haydock, kamen nun auch die Top-Pferde der Sphäre an den Start.

Die Betfair-Chase (3m 1 1/2 f = ca. 5100m), natürlich von der gleichnamige Wettplattform gesponsort, ist eine relativ junge Prüfung, die in dieser Form erst seit 2005 abgehalten wird. Sie ist Teil der „Chase Triple Crown“ mit einem Bonus von einer Million Pfund für den Sieger eben dieser Prüfung, der King George Chase von Kempton und dem Cheltenham Gold Cup. Der große Kauto Star gewann diesen Bonus in der Saison 2006-7, als er noch „Betfair Million“ hieß. Sein Trainer Paul Nicholls ist mit sechs Siegen (davon vier von Kauto Star!) der erfolgreichste Trainer des Rennens. 

Die jüngste Austragung zog leider nur vier Starter an, von drei unterschiedlichen Trainern, doch gewannen Nigel Twiston-Davies, Paul Nicholls und Colin Tizzard zusammen dreizehn der fünfzehn Austragungen der Betfair Chase. Nach Cue Card, selber dreifacher Sieger des Rennens, hat Tizzard mit dem jüngsten Sieger, Lostintranslation, erneut einen Star im Stall; nicht, dass es ihm daran mangeln würde. Seine Venn Farm ist seit einigen Jahren Heimat einer Vielzahl hochklassiger Pferde; hier hat Cue Card vor rund einem Jahrzehnt eine absolute Trendwende eingeleitet. Tizzard ist „In“. Lostintranslation, Sohn des Top-Hindernisvererbers Flemensfirth, hatte bereits in der letzten Saison vorsichtig auf sich aufmerksam gemacht; nun ist seine Entwicklung auch körperlich abgeschlossen.

Gegen den Bahnspezialisten Bristol de Mai (Nigel Twiston-Davies), in Haydock bis dahin ungeschlagen und Doppelsieger dieser Prüfung, kam der noch siebenjährige Wallach zu einem leichten, und optisch absolut beeindruckenden Erfolg. Unter Erfolgs-Jockey Robert „Robbie“ Power, dem im Moment so gut wie alles gelingt, wurde Lostintranslation streng auf Warten geritten, setzte erst zwei Hindernisse vor Schluß zum Angriff an. Dann war sofort alles klar; der Sieg leichter, als der offizielle Abstand von 1,5 Längen aussagt. Colin Tizzard war natürlich des Lobes voll: "Ich hatte noch nie einen besseren Springer im Stall ….Er ist eine fantastische Kreatur“.  Nun wird man „natürlich“ den King George ansteuern, der Wallach wurde auch umgehend Favorit für den Cheltenham Gold Cup.

Der Handicapper zeigte sich ebenfalls beindruckt und erhöht das Rating des Wallachs um satte zwölf Pfund auf eine Marke von 173. Zum Vergleich: Kauto Star als eines der besten Pferde der Nachkriegszeit hatte zeitweilig ein Rating von 193, aber die letzten beiden Cheltenham Gold Cup Sieger gewannen mit einer Marke um die 165. Neben seiner athletischen Ausstrahlung berührt der Lostintranslation auch Herzen: seine Rennfarben sind den Filmfiguren „Minions“ nachempfunden, den Lieblingswesen des verstorbenen dreijährigen Sohnes eines der Mitbesitzer.

Im Rahmenprogramm der Betfair Chase wurde mit der Stayers' Handicap Hurdle (Gr. 3, 3m ½ f) eine Prüfung ausgetragen, in der im letzten Jahr der Stern eines gewissen Paisley Park aufging. Der Wallach, zuvor eher Insidern ein Begriff und selbst nach diesem Sieg noch zu großen Quoten für Cheltenham wett-bar, ist nun der unbestrittene König der Staying

Hurdler; sein Sieg in der 2019 Stayer's Hurdle war eines der emotionalen Highlights des letzten Festivals. Große Hufspuren, in die der aktuelle Sieger Stoney Mountain (Trainer Henry Daly, Jockey Tom O'Brien) in den berühmten weiß-gelb-grünen Rennfarben von Blackpool-Tower Besitzer Trevor Hemmings treten muss. Doch auch er ist ein relativ wenig geprüfter Wallach, der seine im Vorjahr durchaus ansprechenden Formen mit zwei Siegen in der aktuellen Saison nachdrücklich gesteigert hat und durchaus Potenzial nach oben. Für Trainer Henry Daly war es der erste Graded Erfolg seit 2013, doch hatte er mit Mighty Man schon einmal einen hochklassigen Langstrecken-Hürdler im Stall. Ob hier die unmittelbare Zukunft von Stoney Mountain liegt, ist allerdings ungewiss: Besitzer Hemmings liebt es, seine Pferde über Jagdsprünge zu sehen.

Seit 2015 ungeschlagen: Nach 19 Siegen in Folge - hier war er noch mit Nicolai Boinville in Cheltenham erfolgreich - musste Superstar Altior in der Betfair Chaise eine Niederlage hinnehmen. Foto (Archiv): Jimmy ClarkSeit 2015 ungeschlagen: Nach 19 Siegen in Folge - hier war er noch mit Nicolai Boinville in Cheltenham erfolgreich - musste Superstar Altior in der Betfair Chaise eine Niederlage hinnehmen. Foto (Archiv): Jimmy ClarkAscots Christy 1965 Chase (Gr.2, 2m5f) stand streng genommen unter der Betfair Chase, mit Nicky Hendersons Altior und Paul Nicholls Cyrname kamen aber zwei absolute Super-Stars an den Start; das Rennen war bei nur drei Startern de facto leider ein Match. Altior kam mit einer 19(!)-Rennen-Siegesserie an den Start; über Hindernisse (Hürden wie Jagdsprünge) war der High Chaparral-Sohn seit der Saison 2015 ungeschlagen. In den letzten Jahren hat er die Zwei-Meilen-Chase Szene beherrscht wie wenige Pferde vor ihm. Herausforderer Cyrname, talentiert, aber häufig unkontrollierbar, hatte seit seinem Sieg in der Ascot Chase im Februar 2019 aber tatsächlich eine noch höhere Handicap-Marke erhalten. Bei zuletzt vier Starts in Ascot dreifacher Sieger, kann man ihn zudem getrost als Bahnspezialisten bezeichnen.

Für beide Pferde war es der erste Start der aktuellen Saison, beide Pferde hatten im Sommer eine Operation am Gaumensegel erhalten. Für Altior war es zudem der erste Auftritt über Distanzen deutlich jenseits der zwei Meilen (3200m). Paul Nicholls hatte sich im Vorfeld dieses von der Presse natürlich als „episch“ bezeichneten Aufeinandertreffen zunehmend siegessicher gezeigt: "In diesem Jahr hat es richtig Spaß gemacht, Cyrname auf das Rennen vorzubereiten; endlich kann man ihn richtig trainieren." Womit er auf besagte Temperamentsprobleme anspielte, die man mit gezieltem Training endlich im Griff hatte. Dass Altior in dieser Saison seine Komfort-Zone und seine Lieblingsdistanz verlassen würde, war seit dem letzten Jahr der Plan, da seine Siege zunehmend knapper ausgefallen waren, und Jockey und Trainer „Neues“ probieren wollten. Im Vorfeld des Rennens hatte Nicky Henderson allerdings absolute Zuversicht vermissen lassen. Er sollte recht behalten.

Optisch war am vergangenen Samstag sofort klar, dass Cyrname ein ernsthafter Stolperstein für Altiors Siegesserie sein würde; der Wallach sah am Start ultra-fit aus. Sein junger Jockey Harry Cobden, dem die bekannte Trainerin- nun-Schriftstellerin Henrietta Knight in ihrem jüngsten Buch „die nötige Arroganz“ attestiert hatte, zeigte zudem keine Scheu vor großen Namen. Er beorderte seinen willigen Partner sofort an die Spitze, und damit ist das Rennen bereits erzählt. Ein eifrig gehender, aber immer kontrollierbarer Cyrname sprang mit traumwandlerischer Sicherheit von Hindernis zu Hindernis, während Nico de Boinville auf Altior im wahrsten Sinne immer das Nachsehen hatte. Auch wenn Altior sich in der letzten Saison über die Minimaldistanzen manchmal hatte bitten lassen, ehe er zu seinem „tödlichen“ Endspurt ansetzte, so fand er diesmal weder einen anderen Gang, und schon gar keinen Turbo. Früh stand fest, dass seine große Siegesserie ein Ende finden würde; nach dem Rennen bekannte Henderson zudem, dass er seinen Schützling kaum je so erschöpft gesehen hatte. Für beide Pferde steht der King George (ca. 4800m, Gr.1) – und damit ein Aufeinandertreffen mit u.a. Lostintranslation- an, auch wenn Altior seine Generalprobe [über weitere Distanzen] so gründlich verpatzt hat.  

Wie Haydock hatte auch Ascot eine Prüfung für Langstrecken-Hürden-Pferde auf der Karte: in der Coral Hurdle (Gr.2, 2m 3 ½ f) untermauerte Harry Fry's If the Cap fits seine gute Form aus dem Vorjahr, die im April in Aintree in einem Gr.1-Sieg gegen keine Geringere als Apple's Jade gemündet hatte. Der Name „If the cap fits“ im Übrigen Bestandteil eines englischen Sprichwortes, welches lose ins Deutsche übertragen „Diesen Schuh musst Du Dir anziehen“ bedeutet.

Das auch „kleine“ Rennen große Namen anziehen, sehen wir ja auch in Deutschland immer wieder. So muss an dieser Stelle auch ein eigentlich harmloses Maiden-Rennen über Jagdsprünge auf der irischen Rennbahn von Gowran Park erwähnt werden. Über rund 4000m trafen sich hier mit Willie MullinsLaurina und dem von Henry de Bromhead trainierten Minella Indo zwei veritable Grade-1-Pferde. Auch wenn die erstgenannte durch die Stuten-Erlaubnis einen Vorteil hatte, fiel ihr Sieg doch verblüffend leicht und extrem beeindruckend aus. Beide Pferde sollten eine große Zukunft über die großen Sprünge haben; entsprechend gaben beide Trainer auch sofort Gr-1-Rennen als unmittelbare Ziele aus. Laurina, Tochter der Lamboghina (Alkalde) aus der alten deutschen Lovely Naples-Familie, notiert zudem bereits als Favoritin für die Arkle-Chase 2020, als „großes Ziel“ gibt ihr Trainer Willie Mullins gar ein neugeschaffenes Rennen beim Festival 2012(!) aus. Henry de Bromhead, dessen Stall eigentlich immer  in guter Form agiert und den man im Vergleich zu den drei dominierenden Ställen in Irland schon fast als „kleinen“ Trainer bezeichnen muss, plant Besonders: "Er könnte das erste Pferd [auf diesem Level] sein, das weder ein Maiden-Hürden-Rennen noch eine Beginners Chase gewonnen hat. Aber solange wir danach Gr.1 Rennen gewinnen, ist mir das auch egal.“

Catrin Nack

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