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Mission (im)possible

Kauto Star mit Ruby Walsh auf dem Weg zum Sieg in den The Lancashire Chase. Foto: JJ Clark

Autor: 

Catrin Nack

TurfTimes: 

Ausgabe 192 vom Donnerstag, 24.11.2011

In Zeiten von „Deutschland sucht den Superstar“ und „Germanys Next Top-Model“ geht man auch im Rennsport mit eben diesen Begriffen – Superstar alias Wunderpferd – sehr leichtfertig um.  Flachrennpferde werden nach einer guten Leistung mit allen möglichen Attributen belegt, allein,  in unser schnelllebigen,  hauptsächlichen von wirtschaftlichen Interessen bestimmten Zeit erhalten in dieser Sphäre die wenigsten Pferde überhaupt die Zeit, sich zu einem echten Kult-Pferd zu entwickeln. Im Hindernis-Sport ist dies zum Glück anderes. Im England, nach wie vor dem Mutterland dieser hierzulande leider so sträflich vernachlässigten Sportart, werden die Pferde bis ins hohe Alter auf höchstem Niveau eingesetzt und entwickeln so eine riesige Fan-Gemeinde,  mit Moscow Flyer, Istabraq, Flagship Überalles, One Man, Best Mate, Baracouda oder Inglis Drever sind nur einige der großen Namen der letzten Jahrzehnte zu nennen. Ein Pferd überscheint sie in England aber nach wie vor alle, ein Pferd, welches den „Star“ schon im Namen trägt:  Kauto Star. Auch hier in Turf-Times hatten wir vor rund zwei Jahren seine Karriere genauer beleuchtet; nun schien sein Stern zu sinken, doch die Leistung, mit der sich Kauto am vergangenen Samstag mit einem Schlag aller Zweifler entledigte, seinem Trainer, Jockey, Pfleger und seinen Fans „a day of a lifetime“ bescherte, macht einen erneuten Blick auf die Karriere dieses bemerkenswerten, einmaligen Pferdes eigentlich zwingend notwendig. 

Kauto Star (FR)(*2000) betrat nach guten Erfolgen in Frankreich im Dezember 2004 zum ersten Mal englischen Boden, in der Hand von Meister-Trainer Paul Nicholls und –Jockey Ruby Walsh verlor der braune Wallach, ein Sohn des ansonsten wenig bemerkenswerten Village Star, keine Zeit, sich an der Spitze der Nachwuchs-Chaser zu etablieren.  Ein leichter Sieg in einer leichten Prüfung war der Grundstein zu einer eindrucksvollen Karriere:  über Distanzen von 3200 – 5000m (einer ungewöhnlichen Reichweite selbst für dieses außergewöhnliche Pferd)  gewann Kauto Star 2mal die Tingle Creek Chase, war das erste Pferd, dem es gelang, den Cheltenham Gold Cup nach einer Niederlage zurückzuerobern, er war der erste vierfache Sieger der berühmten King George Chase am 2.Weihnachtstag in Kempton (genauer der Erste, der die King George 4mal in Folge gewann) ,  bei 33 Starts galoppierte er bis Ende 2009 in zwanzig Rennen als Sieger über die Ziellinie. Dann der Tag, der so etwas wie den Anfang vom Ende einzuläuten schien: im Cheltenham Gold Cup 2010 - Kauto Star trat als heißer Favorit an - wurde gleich nach dem Start klar, dass etwas nicht stimmte:  der Wallach schien keinen Rhythmus zu finden,  sprang zögernd und ohne Takt, und vier Hindernisse vor dem Ziel geschah das Undenkbare: nach einem erneut zögerlichen Sprung kam Kauto Star mit einem fürchterlichen Sturz zu Fall, es war ein Sturz, der auf festerem Boden – da war sich sogar Paul Nicholls sicher – sicher ganz schlimme Konsequenzen gehabt hätte.  Auf dem zum Glück durch Regenfälle aufgeweichtem Boden wurde der schwere Aufprall zwar abgefedert, aber Kauto Star war mehrere Wochen kaum in der Lage, seinen Kopf zu heben. Nach einer langen Pause nahm er seine Laufbahn Ende 2010 wieder auf, jedoch fehlte der „sparkle“, er musste gegen schwache Gegner kämpfen, verlor zum ersten Mal die King George gegen den sechs Jahre jüngeren Long Run, und musste sich auch im Gold Cup dem selben Gegner (und seinem Stallgefährten Denman) geschlagen geben. Die alten Beine schienen einfach auf dem Rückzug. Als Kauto Star dann in Irland, beim lediglich vierten Start der Saison, frühzeitig angehalten werden musste, schien der Gigant gar ganz gefallen: Die Presse, und viele Fans, die sich ja heute über social networks viel lauter äußern können, spekulierten über einen möglichen Ruhestand, es wurde Zweifel an Kautos Können laut. 

Kauto Star (links) geht mit Ruby Walsh Seite an Seite Long Run unter Sam Waley-Cohen über das Hindernis. Foto: JJ Clark.Kauto Star (links) geht mit Ruby Walsh Seite an Seite Long Run unter Sam Waley-Cohen über das Hindernis. Foto: JJ Clark.Diese Saison, 2011-12, würde sich also zum Schicksalsjahr entwickeln, der Start in der Betfair Chase am 19. November Kautos „make it or break it“- Rennen werden.  Früh hatte Paul Nicholls verlauten lassen, dass sich sein Crack in außergewöhnlich guter Form befinde, man habe ihn anders trainiert, jeden möglichen Stein umgedreht. Nie hätte Kauto besser ausgesehen. Die Fans kamen in Scharen nach Haydock, viele mit Schals, Mützen, Pins und sogar Rosetten in seinen Stall-Farben – leider einem wenig kleidsamen grün mit gelben Punkten -  und fieberten dem Start des Rennens um 3.05 Uhr Ortszeit mit Herzrasen und fliegendem Puls entgegen: Jeder Kauto-Fan lächelte schüchtern den anderen an, auch wenn kaum einer einen Sieg in dem ungewöhnlich qualitätsvollen Feld, das u.a. erneut besagten Long Run enthielt - für möglich hielt: man war hier, um – win or lose – einem der Großen der Rennbahn einen - so glaubten doch recht viele - würdigen Abschied zu bereiten. Beim Betreten des Führrings brandete der erste Applaus auf, der Kauto Star Runde um Runde begleiten sollte – dies hält das so fachkundige und emotionale Publikum in England nur für die ganz besonders Pferde  bereit.  Hunderte folgten seinem Weg aufs Geläuf zu Parade, jeder Schritt von Kauto rief neue Beifallswellen hervor. Besitzer Clive Smith gab nach dem Rennen zu, dass sein Herz so stark wie nie zuvor in seiner Brust gepocht habe.  Kauto Star, natürlich mit seinem regulären Jockey Ruby Walsh unterwegs, übernahm direkt nach dem Start die Spitze, setzte ein gutes, gleichmäßiges Tempo und dann war es wie ein Traum:  Hindernis um Hindernis überwand Kauto mit traumwandlerischer Sicherheit, alles war wieder da: die Klasse, der Takt, der Rhythmus,  Jockey und Pferd im atemberaubendem Gleichklang; hatte man je an ihm gezweifelt?  Long Run, der natürlich diesmal als heißer Favorit ins Rennen gegangen war, begann Fehler zu machen, im letzen Bogen saß nur ein Jockey ruhig, und das war Walsh, nur ein Pferd schien noch am Gebiss, und das war Kauto, und die Menge begann das Unmögliche zu spüren – konnte hier wirklich „mehr gehen“?

Beim letzten Sprung führt Kauto Star. Foto: JJ ClarkBeim letzten Sprung führt Kauto Star. Foto: JJ ClarkBereits Eingangs der langen Gerade von Haydock begannen die Zuschauer nur noch  ein Pferd anzufeuern, egal, wen man gewettet hatte, und  vor unseren Augen spielte sich kein Film ab, sondern die Wirklichkeit:  obwohl müde, gaben Kautos Beine mehr, der vorletzte Sprung – in Front, der letzte – Kauto schien sich zu lösen, auch die Gegner traten auf der Stelle; es gab nur einen Sieger, Kauto Star, und so viele Gewinner: sein Team, und all die Fans, die statt des würdigen Abschieds dem wiedererstarkten Helden nun einen Empfang bereiteten, wie man ihn sonst nur von den Festivals wie Cheltenham und Aintree kennt. Tausende stürmten zur Siegerehrung,  hier gab es kein Durchkommen,  ohrenbetäubender Lärm, als Kauto Star mit der gelben Siegerdecke in die Winners Enclosure zurückkam. Jockey Ruby Walsh („Es ist ein Privileg, dieses Pferd reiten zu dürfen“)  Gesicht leuchtete , Trainer Paul Nicholls kämpfte mit seinen Emotionen („Dies ist mit Abstand der stolzeste Tag meines Lebens“) , die Fans stimmten Three Cheers für Pferd , Jockey und Trainer an.  „Bring on Frankel“ rief ein Fan unter dem ausgelassenen Lachen aller.  Es war einer der ganz großen Siege im „National Hunt“, ein Moment für die Historienbücher des Sports.  Dies erkannte selbst die sonst so sachliche und wett-orientierte Racing-Post: Hier ging es nicht um Siegerpreise und Wettbörsen, hier war etwas Großes geschehen, und Kauto Stars monumentale Leistung in einem Atemzug mit Arkle, Desert Orchid und Red Rum genannt; ein Moment der großen Emotionen, ein „Ich war dabei“- Moment.

Freudestrahlende Sieger in Haydock rund um Kauto Star. Foto: JJ ClarkFreudestrahlende Sieger in Haydock rund um Kauto Star. Foto: JJ ClarkDie weiteren Pläne für Kauto Star sind nun wieder offen. „ Er war bereit, um sein Leben zu laufen, dies war sein Gold  Cup“, sagte Nicholls, und ließ die Menge auf die Frage „Wie steht`s mit einem weiteren King-George?“ antworten. Kauto Star hat gezeigt, dass er noch nicht bereit ist für ein Leben mit „Pipe and Slippers“, wie die Engländer den Ruhestand liebevoll umschreiben. Nicholls hatte dies im Vorfeld immer wieder betont:“ Viele fordern seinen Ruhestand, aber so einfach ist das bei einem Pferd wie Kauto nicht. Er genießt die Routine, braucht seine Aufmerksamkeit, er liebt seine Arbeit. Warum sollte ich ihm das nehmen?“ und hängte an: „Ich hatte großen Spaß daran, See More Business (seinen 1999 Cheltenham Gold Cup Sieger, und das erste richtige Top-Pferd in Nicholls´ Obhut) bis ins hohe Alter zu trainieren. Er lief mit viel Enthusiasmus, bis er 14 war. Kauto ist 11. Er ist nicht am Ende.“

Seine Fans wissen ihn also in den bestmöglichen Händen.  Natürlich wird Long Run ihn wieder herausfordern, und die Zeit ist auf seiner Seite, aber Kauto Star hat sich an diesem diesigen Samstag zu einem Titan in diesem an Helden nicht gerade armen Sport empor gearbeitet; ein Pferd, für das wir keine Superlative mehr brauchen, da er nun selber eines ist.


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