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Die Laurens-Story

Lucy und Karl Burke mit Laurens. www.galoppfoto.de - JJ Clark

Autor: 

Catrin Nack

TurfTimes: 

Ausgabe 583 vom Freitag, 30.08.2019

Es ist nicht leicht, im Schatten einer Wunderstute zu leben. Seit nunmehr drei Rennjahren ist England (und die Welt) im Enable-Fieber. Ganz England? Nein. Im hohen Norden der Insel, in den rauen Mooren von Yorkshire, befindet sich ein Trainingsstall, der seine eigene Top-Stute hat. Eine Stute, die bei acht Karrieresiegen sechs Gruppe1-Rennen in drei Ländern gewonnen hat, klassische Siegerin ist, zwei- bis vierjährig mindestens ein Gruppe1-Rennen gewonnen hat. Kein Wunder also, dass das Dörfchen Middleham – und vor allem das Quartier Spigot Lodge von Trainer Karl Burke – den Laurens-Fanclub anführt. Sie ist die unbestrittene Königin des Nordens; Grund genug, die Stute, und die Trainerfamilie, die sie geformt hat und die auch sie ein wenig formt, am Rande des Ebor-Festivals zu besuchen.

Die Queen des Nordens ist schlecht gelaunt. Ihre Morgenroutine ist beendet, der Mittagstisch wartet. Doch vorher steht noch ein Termin bei der Wohlfühl-Massage an; und was für unsereins ein Grund zur Freude wäre, passt Madame überhaupt nicht. „Sie ist ihr eigener Herr“ entschuldigt sie Lucy Burke, Tochter von Karl, und so etwas wie die persönliche Assistentin der Stute. „Ich mache alles mit ihr, reiten, zu den Rennen fahren, füttern, kuscheln“. Verantwortung, Freude und Last zugleich. Denn Laurens ist schließlich nicht irgendein Pferd im Stall. Sie ist DAS Pferd im Stall, der Star, vielleicht das beste, welches Karl Burke je trainiert hat.

Und dessen Karriere hat nicht gestern begonnen. „Ich hatte meinen ersten ausländischen Sieger in Deutschland!“[Daring Destiny in der Goldenen Peitsche von 1996]  bekräftigt Burke, um sich dann zu korrigieren; „oder war es in Evry?“ Die Statistik zeigt, dass Daring Destiny dort 1995 in einem Listenrennen knapp geschlagen war, doch zeigt die Anekdote auch, dass zwei Gedanken Burkes Karriere von Anfang an geprägt haben: Es gilt, den Wert der anvertrauten Schützlinge zu steigern, und hierfür reist sein Team (und auch der Trainer selber) viel und gerne. „Ich hatte Starter in Köln, und natürlich Odeliz in Hamburg.“

Suchen wir gemeinsam nach (s)einer deutscher Verbindung.  Die rahmige Fuchs-Stute, später in den Farben von Barbara Keller unterwegs, verstand sich mit Adrie de Vries besonders gut. Drei Gruppe-Siege errang er mit ihr, nach dem Erfolg in Hamburgs Franz Günther von Gärtner Erinnerungsrennen von 2015 schlugen die beiden in zwei Gruppe I-Rennen in Deauville und Rom zu. Odeliz steht – neben der Reisefreudigkeit- für einen weiteren Aspekt, auf den Burke immer Wert gelegt hat: Selber Anteile an den Pferden zu halten; immer mit dem Augenmerk auf Wertsteigerung und späteren Verkauf.

Von aktuell rund 120 Pferden in seiner Obhut halten Burke bzw. seine Frau Anteile an dreißig. Alle Profite werden in „the property“ investiert; Spigot Lodge, der historische Rennstall, von dem aus die Familie Burke seit Anfang der 2000er Jahre trainiert. „Es war die Anlage, die uns nach Yorkshire gebracht hat, ganz einfach.“ Spigot Lodge, benannt nach dem gleichnamigen St. Leger Sieger von 1821. Wäre der Stall nur einige Jahre später errichtet worden, hätte er wohlmöglich „The Flying Dutchmann“ geheißen, auch der legendäre Epsom Derby-Sieger von 1849 wurde von hier aus trainiert. Eine Reihe legendärer englischer Trainer haben seitdem die Geschicke geprägt, ehe sie in den Besitz von Karl und Elaine Burke überging. Elaine, Tochter des ehemaligen Trainers Alan Jarvis, hat die Karriere ihres Mannes von Anfang an begleitet, unterstützt und gefördert. Beginnend in Newmarket, wo beide einen Pre-Training Stall betrieben, über eine Zwischenstation nahe Cheltenham ging die Reise gen Norden. Etwas außerhalb von Middleham, dem „Lambourn“ des Nordens, gelegen, ist die Alleinlage nur einer der vielen Vorteile der Anlage, zumindest in den Augen von Burke: „Wir haben hier doch das Beste von beiden Welten, die tollen Galopps, aber weniger Verkehr und viel bessere Luft.“

Wenig Verkehr, und kurze Wege zu beiden Galopps, die den Trainern von Middleham als „öffentliche“ Trainierbahnen zur Verfügung stehen: Low Moor und High Moor. Beide Galopps liegen, wie der Name sagt, niedrig/geschützt bzw. hoch/den Elementen ausgesetzt und sind per Pferd nur jeweils rund sieben Minuten entfernt. Gras- und Sandbahnen unterschiedlicher Längen stehen zur Verfügung; Gras, welches seit Jahrhunderten keine Egge gesehen hat. Tatsächlich, so möchte man annehmen, sind dies wohl die atemberaubendsten Trainingsbahnen im ganzen Land; wortwörtlich Lichtjahre entfernt von den geformten und geordneten Anlagen Lambourns oder gar Newmarkets. Hier atmet die Seele, und so muss es doch auch den Pferden gehen. Nur im Sommer, versteht sich; wenn im Winter der harte Wind über die Berghänge fegt, sind die Highs Moors manchmal für Wochen nicht zu nutzen, vor allem nicht für die jungen Pferde.

Diese liegen Burke besonders am Herzen: „Das ist es, was ich am liebsten mache“ bekennt er auf Nachfrage, „auf Auktionen die Jährlinge auswählen, Zweijährige formen, die sich weiterentwickeln.“ „Wir haben mindestens neun „Millionäre“ entwickelt [Pferde, die Burke für ebendiese Summe weiterverkaufen konnte], und alles mit nicht überteuerten Jährlingen. Die Profite gehen alle in diese Anlage.“ Spigot Lodge schon wieder, der Dreh- und Angelpunkt im Leben der Burkes, Wohnort und Arbeitsstätte zugleich; die Übergänge zwischen Büro- und Wohnräumen sind fließend.  Die Erfolge der letzten Jahre haben den frischen Neubau des Doppelhauses „Havana Grey Lodge“ und „Laurens Lodge“ ermöglicht; hier wohnen beide Töchter. Die Anzahl der Boxen ist unter Burkes Ägide auf 130 gestiegen; begonnen hatte alles mit rund 65. Im Herzen der Anlage der U-förmige „American Barn“, zwei große, scheunenähnliche Gebäude dahinter, offen und luftig, beherbergen die Mehrzahl der neuen Boxen. Es gibt fünf Führmaschinen, geplant ist der Bau einer Wassertretanlage. Ein Solarium ist der Gipfel neumodischer Technologien, Salzkammern oder bewegliche Boxen, Laufbänder oder gar einen Swimmingpool sucht man vergebens. Ein paar Paddocks werden durch einige Round-Pens ergänzt; zudem gibt es einen Trab-Ring. Einstmals gab es eine weitere Anlage auf der anderen Straßenseite, diese musste jedoch im Zuge des Rückschlags, der Burke vor einigen Jahren einholte, verkauft werden. Ein Rückschlag, mit dem Karl Burke bemerkenswert offen umgeht, der ihn und seine Familie zusammengeschweißt hat.

Mitte des Jahres 2009 befand die BHA (British Horseracing Authority) Burke für schuldig, bereits im Jahr 2004 mit einer gesperrten Person Kontakt gehabt zu haben. Einer Person, die die erlangten Informationen zum Wetten, und Halten von Wetten nutzte. Burke verlor seine Lizenz für ein Jahr; zusätzlich, und dies war wohlmöglich ein noch schwererer Schlag, wurde ihm jeglicher Zutritt zur Trainingsanlage, die ja auch sein Zuhause war, untersagt. Burke gestand seine Kontakte stehts ein, betonte aber immer, dass er zwar seine Einschätzung zu einzelnen Pferden weitergegeben habe, aber niemals Pferde am Gewinnen gehindert habe.

Das Jahr seiner Sperre war traumatisch. Entwurzelt, der Familie gleichsam entrissen, das Stigma. Nur Tage vor in-Krafttreten der Sperre hatte er mit Lord Shanakills Sieg im Prix Jean Prat einen der größten Erfolge seiner Karriere gefeiert, nun Leere. Burke machte gute Miene zum bösen Spiel, sammelte bei einer Fahrrad-Tour zu allen Rennbahnen Gelder für verschiedene Wohltätigkeitsorganisationen. Die Pferde wurden zunächst in die Obhut von Schwiegervater Alan Jarvis gegeben, später im Namen seiner Frau Elaine trainiert. Tatsächlich sollte Elaine als „Mrs. K. Burke“ noch im Jahr 2013 für das Training von Libertarian verantwortlich zeichnen; das Pferd, mit dem der Aufstieg in die Oberliga der Trainerriege wieder eingeläutet wurde. Sein Sensations-Sieg in den Dante Stakes und der darauffolgende zweite Platz im Epsom Derby öffnete Türen, glättete Wogen. Karl Burke konnte die Zügel wieder in die Hand nehmen.

Besagte Odeliz war der erste Gruppe-Sieger in eigenem Namen nach der Sperre, dann hielt vor allem die großartige Quiet Reflection Burkes Namen für drei Rennzeiten in den Schlagzeilen, aus all den schönsten Gründen. Die Stute, in den Farben einer großen englischen Besitzergemeinschaft „Ontoawinner“ (mit Burke als Teilhaber) unterwegs, gewann nicht weniger als acht Rennen, darunter zwei Gruppe1-Rennen. Von Burke für 44.000gns als junge BreezeUp-Absolventin ausgewählt, wurde sie nach ihrer Rennlaufbahn für sagenhafte 2.1 Millionen Guineas als Zuchtstute an Coolmore verkauft. 

Und nun Laurens. Weder selbst gekauft, noch hält Burke hier Anteile. Besitzer John Dance ist ein aufstrebender Name im englischen Rennsport, numerisch im Moment Burkes größter Besitzer; doch seine mehr als 30 Pferde verteilen sich auf diverse Trainer. Über die Goffs Doncaster Sales hatte Laurens, eine Siyouni-Tochter, die über die Mutterseite mit Cape Cross und Kayahsi viel Stamina führt und auf eine R-Linie des Aga Khan zurückgeht, für 220.000 gns den Besitzer gewechselt.  Reine Glückssache, dass sie dann nach Spigot Lodge kam. Doncaster war dann auch die Stätte ihres ersten Rennens, und Sieges, „sie hat Größe und Umfang, sollte nach Abstammung auch weitere Wege können. Sie bleibt interessant, wenn sie in höherer Klasse läuft.“ Notierte die Racing Post Ende Juli 2017. Eine Untertreibung, denn in typischer Karl-Burke-Manier schickte man Laurens direkt in ein Gruppe III-Rennen nach Deauville; ihr zweiter Platz zu Polydream liest sich heute noch genau so gut. Zurück nach Doncaster waren ihr die prestigereichen Mal Hill Stakes (Gr. II) nicht zu nehmen, dann war es sensationell ihre Nase, die in Newmarkets zur Gruppe1 zählenden Fillies Mile in Front war. Laurens – und Karl Burke – waren ganz oben.

Dort sind beide natürlich nach wie vor. Laurens 2018er Rennjahr war ein Feuerwerk an wunderbaren Leistungen; sie tanzte so gut wie jeden Tanz. In sieben Starts in sieben Gruppe I-Rennen – später im Jahr auch gegen Hengste – errang Laurens vier Siege der obersten Klasse, allen voran natürlich der klassische Sieg im Prix de Diane zu Chantilly. Stamm-Jockey PJ McDonald hielt sich immer im Vordertreffen auf; Laurens musste sich im harten Endkampf mächtig strecken, doch Aufgeben gab es für die mächtige Stute niemals. In einer höllischen engen Ankunft – die ersten fünf Pferde waren im Ziel genaue eine halbe Länge auseinander – war ihr Hals vorne; „was für ein Tag“ erinnert sich Karl Burke noch heute mit einem entrückten Lächeln. Gegen Sea of Class hat sie in den Yorkshire Oaks dann einen „off-day“, doch Klasse ist permanent und sie fand direkt beim nächsten Start auf die Siegerstraße zurück. Ihr Sieg gegen die für unschlagbar gehaltene Alpha Centauri (die sich allerdings im Rennen verletzte) fiel in den Bereich „Überraschung“; das „Glück“ hatte dem Tüchtigen ein wenig unter die Arme gegriffen.

2019 lief bisher nicht alles nach Plan. Der Jahresbeginn wurde, so vermutet Burke heute, durch den Influenza-Ausbruch vermasselt. „wir haben ja praktisch nur noch getestet, dass hat viele zurückgeworfen“. Nach zwei Niederlagen gewann Laurens erneut im Ausland; im französischen Deauville. Ihr Sieg im Prix Rothschild war ihr insgesamt sechster Gruppe1-Erfolg. Optisch hat sich Laurens in diesem Jahr noch einmal verbessert, auch wenn sie von Anfang an durch ihren Rahmen, ihr starkes Fundament und ihr sprechendes Gesicht begeisterte; inzwischen hat die kapitale Stute beinahe Hengstausmaße. Hinzu kommt, dass kaum ein Trainer seine Pferde so sorgsam gepflegt herausbringt wie Burke; seine Schützlinge gewinnen „best-turned-out“ Preise am laufenden Band. Auch in York war Laurens eine Augenweide, ihre Niederlage – mit Nase- ärgerlich, aber kein Beinbruch; sie trug über sechs Kilo mehr als der Sieger, „der Start passte einfach in ihr Trainingsprogramm“. 

Es könnte sehr wohl ihr letzter Auftritt auf britischen Boden gewesen sein; „natürlich“ hat Burke die Reiseroute schon geplant. In Irland soll der Sieg in den Matron-Stakes wiederholt werden, dann könnte sie im Forét am Arc-Wochenende erneut über 1400m laufen, „ihre Zwischenzeiten im Prix Rothschild waren die eines Sprinters.“ Ein Start beim Breeder´s Cup war schon Ende 2018 Burkes´ Traum, doch Besitzer Dance legt bisher sein Veto ein; die Skandale um das Geläuf in Santa Anita sind ihm nicht geheuer. Dem Vernehmen nach soll Laurens dann Ende des Jahres Mutterstute werden; was muss sie noch beweisen? Burkes jüngster Erfolg in Yorks prestigereichen Lowther Stakes zeigte mehr als deutlich, dass der Nachwuchs bereits in den Startlöchern steht. Doch Laurens wird eine Lücke hinterlassen, die kein Pferd so schnell wird schließen können.

Catrin Nack

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