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Gestüt Lünzen - Neues im Norden

Autor: 

Catrin Nack

TurfTimes: 

Ausgabe 527 vom Freitag, 20.07.2018

Der Vollblüter wird auch Rennpferd genannt, weil er: Rennen läuft. Doch was, wenn die Rennkarriere des edlen Tieres ins Stocken gerät? Die Idee, sein Rennpferd  sozusagen zur „Kur“ zu schicken, setzt sich langsam immer weiter durch; hier kommen Unternehmen wie das Gestüt Lünzen ins Spiel.

Die Grundbedürfnisse eines Pferdes sind eigentlich recht einfach: viel Bewegung auf großen Weiden – darauf ist der Verdauungsapparat des Pferdes ausgelegt - gutes Gras, frische Luft, Wasser und ein wenig Gesellschaft: viel mehr braucht es nicht zum Pferdeglück. Doch welches moderne Sportpferd kann und darf heute so leben? Intensives Training in jeder Disziplin – und der Galopprennsport mit Höchstgeschwindigkeiten, auch wenn diese natürlich im Training nicht täglich abgerufen werden -  stellt maximale Anforderungen an Körper und Geist des Fluchttieres Pferd; zumal es natürlich, das darf man nicht vergessen, ursprünglich nicht für das Tragen eines Reiters, oder gar den Leistungssport, „konzipiert“ wurde. Intensive Zuchtauslese machte aus dem gedrungenen Steppenbewohner die heutigen „Modelle“, rassespezifisch direkt mit den entsprechenden „Points“ ausgestattet. Doch auch bei sorgfältigster Züchtung und aufmerksamen Training ist nicht jedes Pferd gleichermaßen oder dauerhaft den Anstrengungen des Leistungssports gewachsen; neben mangelndem Talent kann ein Leistungsabfall viele Gründe haben. Seit Monty Roberts mit seiner Join-Up-Methode erst die Pferdewelt und nach seiner Behandlung des großenLomitas auch den deutschen Rennsport in Erstaunen versetzte, erkennen immer mehr Trainer und Besitzer, dass neben gesunden Beinen ein gesunder „Kopf“ für eine erfolgreiche Rennkarriere unerlässlich ist.

Im Jahr 2015 gründeten Nikolas Schenke und Thomas Witt das Gestüt Lünzen im gleichnamigen Heideort, nahe Schneverdingen/Soltau gelegen. Der alte Hof, im 14.Jahrhundert erstmals urkundlich erwähnt und 1790 vollständig wieder aufgebaut, bietet optimale Bedingungen zur Pferdehaltung; beiden war jedoch klar, dass reine Pferdehaltung alleine ihren Ansprüchen nicht genügen würde. Es sind drei Säulen, die das Gestüt heute tragen, dreieinhalb, wenn man genau sein möchte, und wie es sich für ein junges und ehrgeiziges Unternehmen gehört, ist eine Weiterentwicklung nicht ausgeschlossen. Neben einer kleinen und feinen Rinderzucht, deren Fleisch man so schonend wie möglich gewinnt und direkt vermarktet, sind es Zuchtstuten, und, last but by no means least, die Problemlösungen – Troubleshooting auf neudeutsch – rund um alle Sorgen und „Probleme“, die durch das intensive Training, und vielfach auch durch die unvermeidbar enge Personaldecke in großen Rennställen, bei Rennpferden auftreten können. Auch können ehemalige Rennpferde hier behutsam zum Reitpferd geschult werden. Weiterhin – und dieser Zweig war nicht geplant, sondern hat sich entwickelt – hat man inzwischen eine „Rentner-Gang“ altgedienter Zuchtstuten auf dem Hof, die hier ihren Lebensabend verbringen.

„Kein Problem ist zu klein, als dass wir uns nicht darum kümmern würden", betont Schenke mit Nachdruck, „wir haben alles, was man zur erfolgreichen Rehabilitation braucht.“

20 Boxen – mit Ausblick, versteht sich -  und Paddocks, die sich auf rund 20 Hektar erstrecken, stehen zur Verfügung, auch wenn einige der Boxen durch Dauerpensionäre ausgebucht sind. „In diesem Job ist eine gewisse Fluktuation unvermeidlich", sagt Schenke. Die Stärke des Gestüts liegt, neben der intensiven und vor allem individuellen Betreuung, auch in der hohen Sachkompetenz der beiden Inhaber: Während Schenke seine Ausbildung über Englands Newsells Park Stud gen Amerika und zurück ins Gestüt Ammerland ausweitete (in Bernried war er bis zur Selbstständigkeit 2015 Gestütsleiter), führte Witts Weg, ebenfalls über England, direkt zum Meister der Pferdepsychologie, Monty Roberts persönlich; vier Jahre ließ er sich hier ausbilden und ist heute der einzige „Master-Instructor“ Deutschlands. Ein Titel, der bereits zu einer temporären Lehrtätigkeit an der Uni Berlin führte. „Selbstverständlich“ sind beide geprüfte Pferdewirte, das Gestüt seit neuestem auch Ausbildungsbetrieb. Eine Führmaschine steht zur Verfügung,  eine Halle kleineren Ausmaßes ist in Planung, hier wird auch die Reithalle des benachbarten Reiterhofs genutzt. Nicht unwichtig, um auch in der Sommerpause eine gewisse Fitness nicht zu verlieren.

„Es gibt keine festen Ablauf, wie wir uns einem 'Problempferd' annehmen“ so Schenke auf Nachfrage. „dafür sind die Probleme einfach zu vielfältig. Hat das Pferd eine Verletzung, oder scheint es vor allem mental erschöpft? Muss etwas ausheilen, müssen wir gar ein Problem finden?“.  Neben der fachlichen Expertise von Schenke und Witt stehen natürlich ein Tierarzt sowie eine Physiotherapeutin zur Verfügung, neu wird es auch eine Salzbox sein; großen englischen Trainer hilft diese, die Atemwege rein zu halten; der frische Cracksman-Bezwinger Poet´s World hat gerade bewiesen, wie zuträglich eine solche Behandlung dem Leistungsvermögen ist.

Am liebsten aber guckt man den Pferden „in den Kopf“: Probleme  an Startmaschine, dem Hänger oder durch Phobien im Alltag werden ebenso gerne kuriert wie das schon erwähnte „Burn-Out“.  „Wir sind sicher, hier jedes Problem in den Griff zu kriegen, auch wenn wir natürlich aus einem Ausgleich 4–Pferd keinen Gruppe-Sieger machen können“ sind sich Witt und Schenke sicher. Dabei ist die Behandlung im Übrigen nicht auf den Hof beschränkt, vor allem Witt arbeitet auch vor Ort bei den Trainern, sollte Bedarf bestehen. Sein Wissen um das „Pferdeflüstern“ gibt er, neben dem inzwischen abgeschlossenen Lehrauftrag in Berlin, auch in Kursen und Seminaren gerne weiter.  „Die Trainer – oder die Besitzer [das Gestüt arbeitet rasseübergreifend auch direkt mit „Endkunden“] – müssen bereit sein, sich auf kleine, aber feine Veränderungen im Ablauf einzustellen, um auch einen langfristigen Erfolg der Behandlung zu gewährleisten.", so Witt weiter.

Da machen die Zuchtstuten im wahrsten Sinne weniger Probleme, 10 Geburten gab es in diesem Jahr; zu große Herden soll es nicht geben. „ Wenn alles glatt geht, sind Fohlen natürlich etwas ganz Wunderbares. Nur die Nachtwachen…“ resümiert Schenke. Die genaue Beobachtung des Nachwuchses, täglicher Umgang und schonender Eingriff in die „Natur“ (so wenig wie möglich aber so viel wie nötig) sind, zur Not mit Tierarzt und Spezialhufschmied, natürlich Standard in Gestüten und nicht weiter der Rede wert. Es liegt in der Natur der Dinge, dass die Erfolge erst, im wahrsten Sinne, wachsen müssen. Da aber auch die gezielte Jährlingsvorbereitung für die einschlägigen Auktionen zum Portfolio gehört, blickt man – trotz der angespannten Lage im Rennsport – mit Zuversicht in die Zukunft.

Catrin Nack

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