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Geschichten um den Breeders' Cup - und von den Old Friends

Autor: 

Catrin Nack

TurfTimes: 

Ausgabe 546 vom Freitag, 30.11.2018

Der 35. Breeders´Cup – ausgetragen auf der ikonischen Rennbahn Churchill Downs, Louisville, Kentucky – ist bereits Geschichte. Zeit also, einige Geschichten um diesen großen Renntag zu erzählen.  

Für internationale Rennsport-Fans ist der Breeders´Cup eines der Highlights des Rennjahres, und als solches wurde er Anfang der 80iger Jahre konzipiert. Dem „Erfinder“ John Gaines – einstmals Besitzer der Gainesway Farm – schwebte eine Art Weltmeisterschaft zum Ende des Jahres vor; der Rennsport kämpfte mit schlechter Presse und schwindenden Zuschauerzahlen, die Rennen waren zerfahren, es fehlte ein Zuschauermagnet, der konzentriert all die guten Seiten des Rennsport präsentieren würde. Ein Tag mit acht Rennen, Championship-Rennen mit mindestens einer Million Dollar Preisgeld, über verschiedene Distanzen und alle live im Fernsehen übertragen, das hatte Gaines vor seinem inneren Auge, auch über die Finanzierung hatte er sich Gedanken gemacht: Von den Züchtern für die Züchter, sozusagen, die Prüfung heißt nicht umsonst Breeders´Cup, und es würde, so Gaines, niemanden wirklich einen Cent kosten, "man muss einfach nur eine zusätzliche Stute zum jeweiligen Hengst zulassen,  und diese eine Nominierung dem Breeders´Cup überweisen."

Es war einige Überzeugungsarbeit nötig, um alle großen Gestüte von dieser Idee zu begeistern, doch der Grundstein war gelegt, der Ball kam ins Rollen, und bereits im Jahr 1984, nur rund 2 ½ Jahre, nachdem Gaines seine Idee erstmals öffentlich vorgestellt hatte, öffnete Hollywood Park zur ersten Auftragung eines Breeders´Cup seine Tore. Es war die perfekte Location, um aus dem Event mehr als nur eine Pferderenn-Veranstaltung, sondern ein gesellschaftliches Großereignis zu machen; Stars wie Elizabeth Taylor, deren Verbindung zum Rennsport nicht nur durch ihre Rolle in dem Film „National Velvet“ (im deutschen mit dem Titel „Kleines Mädchen, großes Herz“ verunstaltet) bestand, besuchten hier Austragungen des Breeders´Cup;  Bo Derek ist bis heute eine der Botschafterin der Marke „Breeders´Cup“.  Amerika wäre eben nicht Amerika, wenn es nicht Größe und Glamour miteinander verbinden würde;  heute ist der Breeders´Cup nicht nur ein fester Bestandteil des internationalen Rennsportjahres,  neben Derek hat man vierzehn weitere „Promis“ (bekannt aus Sport/TV/Film) als Botschafter rekrutiert, die die Bedeutung der Veranstaltung auch außerhalb des Rennsport in die Welt hinaus tragen sollen.

Seit 1984 hat sich natürlich einiges getan, von ursprünglich acht wurde das Rennprogramm auf 14 Rennen ausgeweitet, die nunmehr über zwei Tage ausgetragen werden. Hier bastelt man seit Jahren an der Reihenfolge, aktuell ist der einleitende Freitag der „Future Stars“ Tag mit allen Rennen für zweijährige Pferde, ein Konzept, das auch in England Anwendung findet. Die inzwischen neun Rennen für 3jährige und ältere Pferde unterscheiden sich nach Distanz, Belag und Geschlecht; drei Rennen sind nur für Stuten ausgeschrieben, die aber natürlich auch in anderen Prüfungen antreten dürfen. Insgesamt rund 30 Millionen Dollar an Preisgeld werden ausgeschüttet, viel, wenn man an England – von Deutschland einmal ganz zu schweigen – denkt; im internationalen Reigen ist  man damit aber nicht einmal Spitzenreiter; der Trend zu Mega-Rennen mit z.T. sogar zweistelligen Millionenbeträgen als Börse (Stichworte Pegasus World Cup, Everest, Dubai World Cup (der 2019 mit rund 12 Mio Dollar dotiert sein wird) ist ungebrochen.

Nach wie vor ist die Finanzierung über Hengst-Nominierungen fester Bestandteil des Geldflusses, entweder Deckhengst und/oder das Fohlen selber müssen für die Breeders´Cup Serie nominiert sein, sonst gibt es keine Starterlaubnis. Die Gebühren sind abhängig von Decktaxe  - und ggfls. Größe der Bücher - der Hengste; weitere Einnahmequellen sind neben den TV-Rechten (der Sender NBC überträgt nach wie vor live und hatte in diesem Jahr u.a. den englischen Moderator Nick Luck in seinen Reihen) auch die Lizenzgebühren der Marke Breeders´Cup. Bemerkenswert an dieser Stelle auch, dass es maximal 14 Starter pro Rennen gibt, hat sich ein Pferd nicht über sog. Challenge-„win and you are in“-Rennen direkt qualifiziert, muss es im Rennjahr durch entsprechende Leistungen in Graded Races zumindest genügend Punkte für eine Teilnahme gesammelt haben, sollte ein Rennen trotz dieser doppelten Auslese zu viele mögliche Starter haben, hat ein Experten-Ausschuss das letzte Wort.

Allgemein bekannt ist sicherlich, dass die Austragungsorte der Veranstaltung stetig, um nicht zu sagen, jährlich, wechseln.  Bis auf Woodbine/Kanada (1996)  haben die Rennen immer in den USA stattgefunden, je neunmal waren Santa Anita (Kalifornien) und Churchill Downs  Gastgeber;  auch „kleinere“ Bahnen wie Monmouth oder Lone Star Park haben sich am „Koloss Breeders´Cup“ versucht, mit gemischten Erfolgen; man redet nicht gerne über die finanziellen Vorleistungen, die eine Rennbahn stemmen muss und die das Abhalten eines Breeders´Cup  nicht automatisch zu einem finanziellen Erfolg machen. Zeitweilig versuchte man, die Rennen im Zwei-Jahres-Rhythmus zu wechseln, aber auch von diesem Konzept ist man zwischenzeitlich wieder abgewichen; aktuell steht die Planung (chronologisch) bei Santa Anita (2019), dann Keeneland und Del Mar.

All das ist Theorie, gesprochen wird auf dem Rasen – pardon, auf Dirt und Turf. Als ausgewiesenen Nicht-Experten für Rennen in den USA war die Reise zum Breeders´Cup in vielerlei Hinsicht ein Augenöffner. Es war eine Fahrt in eine bekannte, und doch unbekannte Welt, in deren Mittelpunkt das Pferd stand; vertraut, doch war alles ganz anders. Es beginnt schon mit der Rennbahn: für europäische, mit englischen Verhältnissen vertraute Besucher absolut gewöhnungsbedürftig. Ein schlichtes Oval, und ein kleines dazu: der äußere Dirt-Track misst rund eine Meile (1600m), die innengelegene Turf-Bahn ca. 1400m. Bei einer Breite von rund 24m ergeben sich die genannten Restriktionen beim Starterfeld eigentlich von ganz alleine.

Auffallen wird uns später auch, dass die einzigen Bereiche, die in Churchill Downs wirklich unterdimensional klein sind, diejenigen sind, die direkt mit den Pferden zu tun haben: namentlich Führring und Siegerzirkel. Einen Sattelplatz, wie man ihn hierzulande kennt, gibt es nicht, die Pferde werden aus den Stallungen direkt in den Führring gebracht. Hier einen Blick auf die Pferde zu erhaschen, ist so gut wie unmöglich. Der Einsatz der Führpferde, die die Starter an die Startstelle begleiten, ist mehr als gewöhnungsbedürftig, und scheint nicht jedem Starter zu behagen. Nach dem Rennen zählt nur der Sieger, ein Zurückführen der platzierten Pferde ist, sehr zur Verwirrung einiger englischer Pfleger, nicht vorgesehen. Aber auch dem Sieger wird nicht besonders viel Platz eingeräumt; der Zirkel knapp eine Handbreit größer als eine bessere Garage, in dem neben dem Siegerteam gerade eine Handvoll Fotografen zusätzlich Platz finden.

Hinter der „backstretch“ (der Gegenseite) befinden sich die erwähnten Stallungen, ein Komplex, der beinahe einem kleinen Dorf nahekommt, incl. Kantine, Cafe, Pflegerunterkünften usw. Unser erster Einblick in diese, den normalen Rennbahnbesuchern sonst verschlossenen, Bereiche findet zu nachtschlafender Stunde am frühen Morgen statt. Louisville erwacht langsam, aber auf der Rennbahn Churchill Downs herrschte bereits umtriebige Geschäftigkeit. Zusätzlich zum gewöhnlichen Trainingsbetrieb sind sie nun da, die vierbeinigen Stars des Breeders´Cup, alle durch speziell farbige Satteldecken, zu deren Nutzung die Trainer verpflichtet sind, leicht auszumachen.  Photographen diverser Nationen bringen sich in Stellung, immer in der Hoffnung, gute Bilder von den „big guns“ zu erhaschen.

Die „Euros“ – 22 Pferde aus britischen Ställen waren am 26. Oktober mit einem Sammeltransport von London Standsted aus abgereist, hinzu kam die Armada von Aidan O´Brien, dessen Pferde erst am 31. Oktober in Churchill Downs eintrafen – sind in einer Quarantäne-Station am äußersten Ende der Rennbahn untergebracht. Während die riesige Anzeigetafel (mit 51x27m seinerzeit die größte hochauflösende Videowand der Welt) den Morgen erleuchtet, hüllen sich die berühmten Twin Spires, die beiden Türmchen, die das Wahrzeichen der Rennbahn Churchill Downs darstellen, noch im Dunkel. Zwischen den Stallungen, von denen niemand behaupten würde, dass es sich hier um vornehme Boxen handelt, sucht man sich langsam seinen Weg.

Die Stalltrakte sind uniform und ähneln besseren Baracken, doch sie sind luftig und hell, ein jedes Pferd kann aus seiner Box schauen. Während auf der Bahn die Pferde in einer Art organisiertem Chaos durch die Gegend flitzen - ganz sicher gibt es eine Methode, die sich uns zunächst nicht erschließt – haben die ersten Pferde ihr Pensum bereits absolviert und werden ausgiebig gewaschen. Das Shampoonieren der Pferde scheint hier an der Tagesordnung. Paddocks oder Führmaschinen sucht man vergeblich. Eine Vielzahl von Sprachen und Dialekten umschwirrt uns, viele sprechen wohl spanisch. Zwischendurch hallen Anweisungen über den Lautsprecher, „bitte die Bahn räumen“ „jetzt nur Breeders´Cup Starter aufs Geläuf“ „jetzt Pause zur Geläufpflege“. Langsam kämpft sich das Morgenrot durch den Nachthimmel, eine Tasse (schlechtem) Kaffee hilft zu begreifen, dass man tatsächlich hier ist, HIER, beim Breeders´Cup, in Amerika.

Kein Haydock oder Aintree, die geliebte Hindernis-Saison muss sich in diesem Jahr gedulden. Wir versuchen, Ordnung in die Unordnung zu bringen: Breeders´Cup-Starter sind durch die besagten Satteldecken klar zu erkennen, ein jedes Rennen hat eine andere Farbe, als Früherkennung sozusagen, und trägt den Namen des Pferdes. Aber welches Rennen ist rosa, welches gelb, und welche Farbe hat noch einmal die Mile? Und, ganz ehrlich, wer SIND Chelsea Cloisters, My Gal Betty, The Black Album oder Gunmetal Grey? Schnell lernen wir, dass Game Winner einer der Favoriten ist, und Newspaperofrecord auch ein neuer Star sein könnte.

Endlich ein bekanntes Gesicht: Brian Ellison, der aus dem nordenglischen Yorkshire mit The Mackem Bullet seinen allerersten Breeders´Cup Starter stellt. Sein Name ist sicher schon hierzulande nicht eben geläufig, Gott weiss, was die Amerikaner über den kleinen, bulligen Mann aus Newcastle denken, doch die Ergebnisse seines unkonventionellen Stalls sprechen für sich: Starter im Cheltenham Gold Cup, Grand National, Melbourne Cup und Tote Ebor wechseln sich ab mit Gruppe-Siegen des Publikumslieblings Top Notch Tonto. Mit The Mackem Bullet (der Begriff „Mackem“ ist ein Spitzname für Bewohner der Stadt Sunderland, im Fussball natürlich Konkurrent von Newcastle. Unbedeutende Kleinigkeiten, wenn man auf der großen Bühne des Rennsports auftritt) ist Ellison in diesem Jahr der große Wurf gelungen. „Ich habe sie nur gekauft, weil sie sonst niemand wollte und wir den Agenten kannte“ bekennt Ellison auf Nachfrage freimütig, und die Society Rock-Tochter hat das (wackelige) Vertrauen mehr als gerechtfertigt. Knappe zweite Plätze in den Lowther und den Cheveley Park Stakes (Gr.1) haben den Marktwert der jungen Stute ins Unendliche gesteigert, auf Rechnung ihrer neuen japanische Besitzer überwacht Ellison nun mit seinem Team die Morgenarbeit der kapitalen Stute.

Für Assistenz-Trainer Andy Robertson war die Reise keine leichte Entscheidung, läuft doch der heimliche Star des Stalls, Definitly Red, am BC-Samstag in einem Jagdrennen auf Gruppe-Ebene in Wetherby (welches er, das muss hier erwähnt werden, als Jahresdebutant gegen starke Konkurrenz in toller Manier gewinnen wird). Aber: The Mackem Bullet fühlt sich. An diesem Mittwoch ist sie kaum zu kontrollieren, und rauscht beinahe durch die Rails, „sie wird von Tag zu Tag frischer“ konstatiert Robertson zufrieden.

Der Morgen schreitet voran, und langsam kommen auch großen Namen aus den Ställen. Waldgeist erscheint an der Seite seines Trainingspartner Talismanic, genau genommen HINTER Talismanic, der praktisch als Führpferd agiert. Doch kein Name ist größer als die Queen von Europa, Enable, und es scheint eine elektrische Spannung in der Luft zu liegen, als die braune Stute unter Frankie Dettori das Geläuf betritt. An jedem der verbleibenden Tage werden wir die Stute in der Morgenarbeit bewundern, in Regen und Wind, und nie wird sie ihre kühle Gelassenheit verlieren, sie ist ein Star und weiß dies auch. Frankie wird sich auch in Sattel von Expert Eye schwingen, dessen Arbeiten ebenfalls von Tag zu Tag besser werden, und als Aidan O´Brien am Donnerstag seine „ Armee“ an Rennpferden - haben wir tatsächlich 19 Pferde und die entsprechenden Arbeitsreiter gezählt? - auf die Rennbahn loslässt, gerät die Presse völlig aus dem Häuschen; die Arbeit in solchem einem Lot kennt man hier kaum, und von einem Trainer schon gar nicht. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass sich das schwierige Jahr für Team Ballydoyle nahtlos vorsetzt und Magicals zweiter Platz zu Enable die beste Platzierung sein wird.

Was kann man über Enable schreiben, dass noch nicht erwähnt wurde? Ihr gelang, was vor ihr in all den 35 Austragungen des Breeders´Cup noch keinem Pferd gelungen ist, nämlich ihrem Arc-Sieg im gleichen Jahr einen Sieg im Breeders´Cup hinzu zufügen, und sie tat dies mit all der Klasse, all dem Stil, all ihrem Können und ihrem Talent, das wir lieben und bewundern; wie immer perfekt geritten von ihrem ständigen Reiter Frankie Dettori. Pferden wie Enable, die beinahe Unmögliches möglich machen, haftet eine eigene Magie an, ihr Anblick lässt den Puls ansteigen, ihre Siege lassen uns in einem Rausch der Gefühle zurück; wahrhaft große Momente des Sports, und nicht nur des Rennsports.

Zu Gast bei den Old Friends

Nach dem Breeders´Cup ist natürlich vor dem Breeders´Cup, doch zeitnaher steht eine Reise zum Pferde-„Altenheim“ Old Friends an, welches zu einer After-BC-Party geladen hat, um Spenden für seine Schützlinge zu sammeln. 2003 gegründet, bietet Michael Blowen jeden Pferd, das sein Besitzer „spenden“ möchte, einen sicheren Hafen, gerne bemüht er sich aber um berühmte Pferde und sogar ehemalige Deckhengste, die als „Publikums“-Magneten helfen sollen, Spenden für Old Friends zu sammeln, rund 20.000 Besucher kommen pro Jahr; es gibt inzwischen sogar zwei Ableger. Rund 170 ehemalige, alte Rennpferde werden hier betreut, darunter echte Stars incl. diverser ehemalige Breeders´Cup Sieger oder zumindest –Starter. Keiner berühmter als Silver Charm, aber auch Alphabet Soup, Little Mike, Game on Dude, War Emblem, Cajun Beat oder Amazombie sind klangvolle Namen. Wollig sind sie geworden, die Bäuche runder, der Rücken gesenkter, der Gang ein wenig steifer, mit all der Würde, die einem alten Rennpferd eben anhaftet. „Über die Jahre habe ich viele Breeders´Cup Rennen gesehen […]“ schreibt Blowen in der liebevoll gestalten Broschüre. „Nun sind sie alle hier begraben. Und, während die aufregenden Rennen vor explodierenden Tribünen mit schreienden Fans mein Herz schneller pumpen lassen, sind es ihre letzten Tage, mit nur ein paar von uns anwesend, die ich am besten erinnere. Sie alle zeigten mir dieselbe Intelligenz, Würde und Mut am Ende ihres Lebens wie zu ihrem Anfang.“ Ein Friedhof mit vielen Gedenksteinen erinnert an die vierbeinigen Helden.

Demnächst zieht mit Wake Forest auch ein ehemaliger Fährhofer hier ein, ein Pferd, das in den Allofs/Fährhof-Farben so große Erfolge gehabt hat, später in den USA noch einen drauflegte und gar die Man O'War Stakes (Gr. I) gewinnen konnte. Sein ehemaliger Besitzer erwarb ihn aus einem Claimer heraus und konnte für den Achtjährigen jetzt sicher keinen besseren Platz finden. 

Die deutsche Künstlerin Dagmar Galleithner-Steiner hat für Old Friends, welches sich ausschließlich aus Spenden finanziert, ein Buch geschaffen, das mehr als eine Herzensangelegenheit ist, beinahe - doch dafür ist sie viel zu jung - ein Lebenswerk. Rund acht Jahre hat sie an den Bildern der alten Rennpferde gearbeitet, berühmte und nicht so berühmte Bewohner von Old Friends, für die der amerikanische Journalist und Schriftsteller Jay Hovdey bewegende Kurzportraits verfasste. Siebenundvierzig Portraits, neben zahlreichen Skizzen, finden sich in dem Buch „The Art of Old Friends“, dessen Erlöse vollumfänglich Old Friends zugutekommen. Dafür ist Galleithner–Steiner  mit ihrer kleinen Familie – Ehemann Joe – ein erfolgreicher Ex-Jockey, und Sohn Jonah – vor einigen Jahren extra  auf das Gelände der Farm gezogen, „es musste so sein, sonst hätte ich dieses Projekt nie vollenden können.“

Unermüdlich hat die Künstlerin in den letzten Wochen für ihr Werk geworben, ist durchs Land gereist, hat auf Messen und Rennbahnen Widmungen geschrieben und Autogramme gegeben. Nun schließt sich auf der Farm langsam der Kreis, von der kleinen Buchverkaufshütte kann sie direkt zur Koppel von Silver Charm gucken, dessen Portrait - damals war der nun ganz weiße Schimmel noch etwas grauer - den Umschlag ihres Buches ziert. Es ist ein Buch zum Lesen und wieder-lesen, zum Erinnern, zum Träumen, zum Innehalten; mit Bildern, die die Seele der Pferde zu erfassen scheinen, und knappen Texten, die doch voll ins Herz treffen. Ein Buch, das alten Rennpferden eine Stimme gibt, und damit ein kraftvolle Werbung auch und gerade für unsere Verantwortung nach dem Ende der Renn- oder Zuchtkarriere.  Ein Buch, das nicht nur dringend benötigte Gelder sammeln soll, sondern das aufweckt, und aufwecken soll, dass wir uns dieser Verantwortung nicht entziehen dürfen. „Früher erschien mir alles als Paradies, die weiten Koppeln mit den süßen Fohlen. Heute frage ich mich schon manchmal: Wo werden all die Pferde nur einmal enden?“ beschreibt Galleithner-Steiner den Motor ihrer Motivation. (Old Friends unter oldfriendsequine.org – Dagmar Galleithner-Steiner unter dagmarsgallery.com)

Und während die kleine Party langsam an Fahrt gewinnt, Besucher entlang der großen Weiden alte vierbeinige Helden und Freunde besuchen und mit diversen Verkaufsveranstaltungen (darunter einer Halfter-Versteigerung) Geld in knappen Kassen kommen soll, beginnt nicht einmal zehn Kilometer Luftlinie entfernt die große November Sales auf dem Gelände der Rennbahn von Keeneland. Das Bewusstsein, dass hier auf Old Friends bereits die „glücklichen“ Ex-Rennpferde leben, dämpft die Euphorie über die enormen Summen, die beim Verkauf einer Lady Eli oder Lady Aurelia generiert werden. Dort wird mit Millionen spekuliert, hier fehlt manchmal das Geld für eine neue Decke. Das Leben ist eben nicht immer gerecht.

Doch nicht nur auf Old Friends begegnen wir alten Vollblütern. Den wohlmöglichen ältesten treffen wir auf der Lane´s End Farm, namentlich die Legende A. P. Indy, geboren 1989. Dies ist eine besondere Freude, denn zum ersten Mal durften wir diese ehemalige Spitzenrennpferd, der danach auch ein herausragender Deckhengst wurde – wahrhaft eine lebende Legende, dessen Bronze-Statue bereits das Gestüt ziert – im Jahr 1995 bewundern, damals als jungen Nachwuchsbeschäler. Nach wie vor darf der alte Hengst nun in vertrauter Umgebung in seiner großzügigen Box residieren, sein hingebungsvoller Pfleger nach wie vor an seiner Seite. Vorbildlich. Zufällig erhaschen wir auf der Farm auch einen Blick auf den frischgebackenen Classic-Sieger Accelerate, der, praktisch direkt von der Rennbahn, hier einen Kurzurlaub verbringt.  Neben den gestandenen Deckhengsten, die das Gestüt im Rahmen seines Open House präsentiert, wirkt der Fuchs etwas schmal, aber wir haben unsere Lektion gelernt und bewundern den Hengst ausgiebig.

Und noch einen alten Vollblüter – haben wir andere Hobbys?  – gilt es zu besuchen, namentlich Da Hoss, den großen Da Hoss. „The greatest Comback since Lazarus“ rief der Rennkommentator aus, als Da Hoss am 07.11.1998  seine zweite Breeders´Cup Mile gewann; 24 Monate, nachdem er seine erste gewonnen hatte. Sein Trainer, „das verrückte Genie“ Michael Dickinson - dessen Leistung, die fünf Erstplatzierten im 1983 Cheltenham Gold Cup zu stellen, bis heute unerreicht ist – hatte dem Jockey eigens eine Skizze angefertigt, auf welcher Spur er Da Hoss halten sollte. Der es wagte, Da Hoss in einem Breeders´Cup-Rennen starten zu lassen, obwohl eine Verletzung des Wallachs nur einen einzigen Start in den vergangenen zwei  Jahren zugelassen hatte. Und der in Da Hoss einen Schützling hatte, der das Wort „aufgeben“ an diesem Tag nicht kannte. Eine Illusion wird mir bereits im Vorfeld geraubt, hatte der Name „Da Hoss“ doch immer einen magischen Klang in meinen Ohren. Nun muss ich lernen, dass er nichts anderes als „das Pferd“ im tiefsten amerikanischen Akzent ist, welch Enttäuschung. Aber auf den Inhalt kommt es an, und Da Hoss erfreut sich blühend des Lebens. Der Barn–Manager lässt es sich nehmen, extra und eigenhändig seine Hufe zu ölen, aber natürliche Schönheit kann sowieso nichts erstellen. Zufälligerweise besuchen wir Da Hoss, der in der Hall of Champions ein wenig im Schatten der ehemaligen Kentucky Derby Sieger Funny Cide und Go for Gin (dem ältesten noch lebenden Derby-Sieger) steht, genau am 20.Jahrestag seines legendären Sieges, doppelter Grund zur Freude.

Sternstunden des Rennsports wechselten sich ab mit besinnlichen Momenten im Kreis ehemaliger Stars; nicht zu vergessen die Wow-Momente beim Besuch der mächtigen Deckhengste. Im Rahmen der November Sales haben viele Gestüte ihre Tore für die Öffentlichkeit geöffnet, die diese Großzügigkeit natürlich in vollen Zügen nutzt. Große Namen wie Ashford (Coolmore) Stud, Three Chimney, Lane´s End, Gainesway, Arena Springs, Jonabell usw. zeigen ihre wertvollsten Pferde: Justify, Air Force Blue, Tale of the Cat, Union Rags, Noble Mission, Gun Runner, Tapit, Animal Kingdom usw – die Liste erscheint endlos, und kann man einen schöneren Tag nahe Lexington verbringen, als in gepflegten, prächtigen Gestüten eine Vielzahl an hervorragend präsentierten Pferden zu bewundern, und am Nachmittag in der legendären „Wallace Station“ , der In-Eastery im besten shabby-Chic (mehr shabby als chic, aber mit köstlicher Küche) eine Stärkung zu sich zu nehmen? Nicht vorstellbar.

Catrin Nack

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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