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Die Derbyrede: "Wir müssen die Beine in die Hand nehmen"

Georg Baron von Ullmann haelt die Derbyrede im Hotel Atlantic.www.galoppfoto.de

Autor: 

Frauke Delius

TurfTimes: 

Ausgabe 124 vom Freitag, 23.07.2010

Es ist eine alte Tradition, daß am Vorabend des Derbys der siegreiche Besitzer des Vorjahres eine Rede hält: die mit Spannung erwartete Derby-Rede. Für  Georg Baron von Ullmann war es das dritte Mal, das er im Hotel Atlantic das Rednerpult betrat: 2004 hatte er in eigenen Farben mit  Shirocco gewonnen, 2007 hieß der Sieger  Adlerflug für das  Gestüt Schlenderhan, in dessen Farben vor Jahresfrist auch Wiener Walzer in Ziel tanzte. Es war eine emotionale Rede am Anfang, besonders in Erinnerung seiner kurz vor dem Derby 2009 verstorbenen Mutter Karin Baronin von Ullmanns, es war aber auch eine Rede, die kritisch mit dem Rennsportgeschehen ins Gericht ging. "Die Geschichte wartet nicht auf uns, sie findet statt. Wenn wir darin vorkommen wollen, müssen wir die Beine in die Hand nehmen", lautet die Quintessenz. Die komplette Rede, die uns freundlicherweise von Georg Baron von Ullmann zur Verfügung gestellt wurde, lesen Sie hier:

 

Manuskript der Derbyrede 2010

 

Gehalten am 17. Juli 2010 im Kempinski Hotel Atlantic, Hamburg

von

Georg Baron von Ullmann


Sehr geehrte Damen und Herren,

der  Wiener Walzer nimmt unter den Tänzen eine gewisse Sonderstellung ein. Vielleicht hat das auch Schlenderhan irgendwie beeinflußt, denn „Wiener Walzer“ wurde in der 141jährigen Gestütsgeschichte gleich zweimal als Pferdename verwendet. Der erste Träger dieses Namens unter Schlenderhaner Farben wurde 1933 geboren und machte auch seinen Weg ins Derby, wo er, etliche Längen hinter der Siegerin  Nereide, Platz 7 belegte.

Nun ist der Tanz Wiener Walzer heute weltweit aber in zwei verschiedenen Formen verbreitet, eine davon ist die „amerikanische Variante“ und mit dieser hatten wir voriges Jahr dann mehr Glück im Derby. Denn es ist ein ziemlich amerikanischer Wiener Walzer, dem ich gleichermaßen die Pflicht und die Ehre dieser heutigen Rede verdanke.

Die angesprochene „amerikanische Variante“ des Tanzes soll sich übrigens durch eine große Figurenvielfalt auszeichnen. Bei unserem vierbeinigen Namensträger des Geburtsjahrgangs 2006 machte sich das beim Idee 140. Deutschen Derby nicht nur in einer sehenswerten Beschleunigung auf der Zielgeraden bemerkbar, sondern anschließend auch damit, daß sein Reiter Fredrik Johansson in bewundernswert graziöser Weise den Sattel kurzzeitig verlassen mußte. Unser Siegerhengst goutierte das herannahende Schimmelgeleit nicht und reagierte darauf mit ungnädigen Sprüngen. 

Anders, als sein Name vermuten lassen könnte, ist unser aktueller Wiener Walzer in der Tat großteils Amerikaner. Er wurde von dem sehr guten amerikanischen Hengst  Dynaformer in Kentucky gezeugt, wo auch schon seine Mutter  Walzerkoenigin geboren wurde. Sie ist eine Tochter des Amerikaners  Kingmambo, eines der besten Vererber der letzten Jahrzehnte.

Ausgerechnet unser Derbysieger sorgte 2009 in Deutschland somit für einen gewissen Kontrast, denn, wie auch ich mit Stolz sagen kann, es war – wieder – ein Jahr, in dem ansonsten Vertreter der deutschen Zucht bzw. Pferde mit starken deutschen Wurzeln den internationalen Sport eroberten. Das galt für Stacelita, die Siegerin im Prix de Diane, den französischen Derbysieger Le Havre, den irischen Derbysieger Fame and Glory und vor allem den Epsom Derbysieger Sea the Stars. – Und, bitte, sehen Sie mir nach, wenn ich diesen Elfmeter ohne Torwart einnetze: Dieser Sea the Stars, den viele für das beste Pferd des Jahrhunderts halten und andere in einem Atemzug mit Sea Bird und Secretariat nennen, ist ein Enkel der großartigen Stute Allegretta, einer Schlenderhanerin, die zu den erfolgreichsten Zuchtstuten der weltweiten Vollblutgeschichte gehört. – Ich musste das an dieser Stelle einfach sagen.

Jeder, der es erlebt oder von Nahem beobachtet hat, wird bestätigen, daß ein Derbysieg ein sehr emotionales Erlebnis ist. Fast möchte ich so weit gehen zu sagen, daß jemand, den ein so einzigartiges Glück nicht bis in die letzte Zelle erfüllt, ergreift und erbeben läßt, diesen Eichenkranz und das Blaue Band nicht verdient hat. Der Sieg von  Wiener Walzer hat mich mit der ganzen Familie und dem Team besonders unter dem Einfluß des Zeitpunktes bewegt und tut das immer noch: Er kam nur einen Monat nach dem Tod meiner geliebten Mutter, als deren Stellvertreter ich mich bei der Siegerehrung empfand und auch heute Abend hier stehe. Es war ihr Sieg.

Unsere Mutter war eine Frau von zierlicher Erscheinung und besonders zurückhaltendem Auftreten. Aber ich möchte sie gerne mit einer sehr treffenden englischsprachigen Formulierung charakterisieren: „larger than life“. Das ist mit der wörtlichen Übersetzung „über-lebensgroß“ ins Deutsche merkwürdigerweise nur unzulänglich zu übertragen. Ohnehin ist es fast nicht möglich, diese Frau in einer Weise zu beschreiben, die ihr vollends gerecht würde.

2007 habe ich mich unbändig darüber gefreut, daß sie durch  Adlerflug ihren ersten eigenen Derbysieg erleben durfte, und ich hätte es ihr im vergangenen Jahr so sehr noch einmal gewünscht. Der Sieg von Adlerflug war besonders deshalb eine unglaublich große Freude für sie, weil ihr damit nach 31jähriger Unterbrechung die Fortsetzung einer einmaligen Tradition der Generationen unserer Familie im Deutschen Derby gelang. Diese Tradition begann mit Siegen für Schlenderhans Gründer Eduard von Oppenheim, der darauf zunächst viele Jahre lang hatte warten müssen. Nach ihm konnte sein Sohn Simon Alfred mehrmals das Blaue Band in Empfang nehmen, später seine Witwe Flossy und dann ihr Sohn Waldemar. Meine Großmutter Gabrielle konnte die Serie angemessen fortsetzen. Auch ich konnte in meinen persönlichen Farben durch Shirocco im Jahr 2004 schließlich das Derby gewinnen, aber für meine Mutter lief es wie verhext: Nach 1976 gelang Schlenderhan, mit zahlreichen, oft favorisierten Startern, kein Sieg mehr, bis Adlerflug vor drei Jahren den Bann für meine Mutter endlich brach und quasi eine Erlösung brachte. Letztes Jahr dann waren wir, in der Stunde des Triumphes, gleichzeitig auch traurig, daß meine Mutter den Erfolg nicht mehr erleben und das unvergleichliche Gefühl nicht noch einmal genießen konnte. 

Daß es zum Sieg von Wiener Walzer kam und ich nun heute Abend hier stehe, zum dritten Mal nach 2005 und 2008, das ist zum großen Teil ein Geschenk. Wir alle wissen um die rätselhafte Ironie der Vererbung: Manchmal verläuft sie genau so, wie man es bei der Planung dachte, doch oft, so erstaunlich oft, kommt etwas ganz Anderes heraus. Wenn man an die gewaltigen Dimensionen der weltweiten Vollblutzucht denkt, ist es geradezu verblüffend, wie wenige vertrauenerweckende oder gar verläßliche Erfolgsrezepte bestehen: eigentlich keine. Es bleibt dabei, daß alles richtig sein muß: die ausgewählte Paarung, die Aufzucht, das Training und dann die Ritte der Jockeys, bei denen manchmal Sekundenbruchteile entscheidend sind. Schon wenn mit einem der aufgezählten Faktoren etwas nicht optimal ist, geht die Sache schief. Außerdem: In jedem Fall braucht man am Ende zusätzlich immer noch Glück.

Mit dem Glück beim Derby aber, das wissen wir, ist es aber eine ganz besondere Sache. Es ist sehr ungleich verteilt und viele, viele passionierte Besitzer und Züchter sind dabei nicht im verdienten Maße zum Zuge gekommen. Ich selbst kann und will einfach nur dankbar sein für das Glück, das wir hatten, und Sie können es uns ruhig gönnen, denn wir hatten, wie schon gesagt, bei weitem nicht nur Glück.

In diesem Zusammenhang möchte ich eine Passage aus dem Vorwort von Jochen Borchert für das Buch über den großen Vererber  Dark Ronald zitieren: "Im Vollblutbereich und im Galopprennsport wurde früher eine eigentümliche Formel kultiviert: die von der „glorreichen Ungewißheit des Turfs“. … Was an Ungewißheit so glorreich sein soll, fragt man sich zunächst vergeblich, wenn man sich dem Vollblutsport nähert. Nach Jahren begreift man: Ohne ihre Mysterien hätte die Vollblut-Welt längst ihr wichtigstes Grundelement verloren. Wenn der Erfolg ohne Einschränkungen kontrollierbar und käuflich zu erwerben wäre, vom Galopprennsport würde in 85 Ländern nur noch ein kleiner Rest existieren. Aus der mutmaßlichen „Krone der Tierzucht“ wäre schon gewöhnliche Vermehrung geworden. Es wäre weitgehend das Ende.“

Ich finde, das ist eine gute Deutung eines immer wieder merkwürdigen Phänomens, das mich zu einer gewissen Demut und zu großer Dankbarkeit veranlaßt. Mein Dank gilt dabei dem Siegreiter  Fredrik Johansson, der in Hamburg anscheinend kaum etwas falsch machen kann, und mein Dank gilt unserem Team um unseren Trainer Jens Hirschberger, auf das wir stolz sind. Wir freuen uns, einen so vielfältig kompetenten und in sich selbst ruhenden Trainer zu haben. Dasselbe gilt für meinen Vertrauten  Gebhard Apelt, der mit der Bezeichnung „Gestütsleiter“ nur recht unzureichend betitelt ist.

Sehr zu danken habe ich natürlich auch dem  Hamburger Renn-Club, seinem Präsidenten Eugen Andreas Wahler und ganz besonders dem Vizepräsidenten Albert Darboven, der mit seiner Marke IDEE gleichzeitig der Sponsor dieses so bedeutenden Rennens war und ist. Herzlichen Dank für allen Einsatz rund um das Derby und das gesamte Derby Meeting!

Draußen in Horn wird auf nicht einfacher Basis Jahr für Jahr Großartiges geleistet. Wie auch bei anderen Rennvereinen ist es im Grunde ein Wunder, daß so viel gelingt. Andererseits müßte noch mehr gelingen, um in jeder Hinsicht Zufriedenheit zu erreichen. Das ist ein Widerspruch, der an allen unseren Veranstaltungsorten in ähnlichem oder noch stärkerem Maße besteht. Er ist sogar derart auffallend, daß er in der nach alter Tradition nicht bloß auf Artigkeiten ausgerichteten, sondern von Tabus etwas befreiten Derbyrede keinesfalls übergangen werden kann, sondern sogar einiges Gewicht beansprucht.

Als Allererstes möchte ich aber zu den in den letzten anderthalb Jahren auf nationaler Ebene gemachten neuen Schritten gratulieren. Man muß unserem Präsidenten  Albrecht Woeste Glück, Schaffenskraft und Weitblick wünschen. Er ist mit großer Begeisterung und breiter Unterstützung der Rennsportöffentlichkeit im Amt begrüßt worden und ich wünsche ihm, daß er sich diesen Rückenwind durch kluge und erfolgreiche Amtsführung erhalten kann. Es ist in der Vergangenheit sehr viel Munition verbraucht worden. Jetzt muß jeder Schuß sitzen und deshalb muß vorher gut gezielt werden. Darin liegt eine große Verantwortung für unseren Sport, der – vergessen wir es nicht – einmal (und für lange Zeit) der Sport war!

Ich will an dieser Stelle heute noch einmal aus meiner individuellenen Sicht einige Gebiete ansprechen, auf denen ich Handlungsbedarf zu erkennen glaube. Und keine Angst: Es wird diesmal keine tour d`horizon, wie ich sie hier schon zweimal und mit so betrüblich geringem Wirkungsgrad unternommen habe. So etwas tut man bei so wenig Ermutigung nicht immer wieder aufs Neue.

Wer Galopprennsport und Vollblutzucht liebt, dem tut es weh, mit unvorteilhaften Prognosen richtig zu liegen. Trotzdem muß man die Fakten aussprechen. Als ich hier im Jahr 2008 stand, habe ich mir erlaubt, den Zeitraum vom Derbysieg Shiroccos bis zu dem von Adlerflug anzusprechen, die – schon sehr schlechten - Zahlen von 2004 bis 2007. Ich nehme jetzt die Zahlen von 2009 hinzu:

  •  Zahl an Rennen: damals minus 11,6 Prozent, inzwischen minus 24,9 Prozent
  •  Rennpreise/Prämien: damals minus 16,3 Prozent, jetzt minus 24,9 Prozent
  •  Wettumsatz: damals minus 25,2 Prozent, jetzt minus 42 Prozent
  •  Besitzer: damals minus 18,1 Prozent, jetzt minus 18,9 Prozent
  •  Pferde in Training: damals minus 14,1 Prozent, jetzt minus 17,9 Prozent
  •  Zahl an Auslandsstarts deutscher Pferde: damals plus 25,6 Prozent, jetzt plus 31,1 Prozent

Zu letzterer Tendenz: Eine seit 16 Jahren abnehmende Zahl an Rennpferden in Training absolviert einen seit mehr als 12 Jahren rapide steigenden Anteil ihrer Starts im Ausland und fehlt uns hier. Es kam für unsere Besitzer und Aktiven als große Erleichterung, daß die Finanzprobleme des für Deutschland so wichtigen italienischen Rennsports erneut so gut gelöst werden konnten. Heute ist es tatsächlich wichtig für uns, wie es finanziell auf Rennbahnen über 1000 Kilometer weiter südlich oder auch in Frankreich aussieht.

Wie schon vor zwei Jahren kann ich aber auf der anderen Seite mit etwas Erleichterung feststellen, daß die so wichtige Zahl an Zuchtstuten und Fohlen sich dem Strudel nach unten ein wenig entzogen hat und in den letzten Jahren stabil ist. Dabei kommt uns der enorme internationale Erfolg von Pferden aus deutscher Zucht zu Gute, der für die Züchter eine große Ermutigung und Stärkung ihres Selbstbewußtseins gebracht hat.

Für meine Anmerkungen, mit denen ich gerade diesmal nicht den Versuch mache, eine vollständige Aufzählung der Baustellen zu geben, habe ich versucht, drei Bereiche zusammenzufassen, nämlich die Rennveranstalter, die Aktiven und die generelle Organisationsstruktur und Politik.

Gedanken über Rennvereine und -veranstaltungen

  • Wir haben heute rund 40 Prozent weniger Pferde und weniger Rennen als vor 15 Jahren, aber wir halten eisern an derselben Zahl an Rennbahnen fest. Ich weiß, wenn wir eine Bahn aufgeben, sehen wir sie später nie wieder, aber ich frage doch, ob unsere bisherige Marschrichtung richtig ist und ob wir sie aufrecht erhalten können.
  • Was den Solidarfonds Ost angeht, so muß man sich fragen, was daraus folgt, daß sich im Osten außer jüngst Hoppegarten in den letzten 20 Jahren so wenig entwickelt hat. Treiben wir es mit unserem Gedanken, Rennen so flächendeckend wie möglich zu veranstalten, möglicherweise zu weit? Was kann man ändern?
  • Ferner: Zwischen all unseren vielen Rennbahnen besteht nicht annähernd genug Kooperation, Absprache, gemeinsame, gesamtheitliche Vorgehensweise, zum Beispiel bezüglich Terminplanung, Renntagsorganisation, Zeitablauf, aber auch Kostenkontrolle und auf vielen anderen Gebieten. Ein Stiefkind ist meines Erachtens auch das Cross Betting von Bahn zu Bahn.
  • Die Qualität des Managements der allermeisten Rennbahnen fällt im Vergleich zu anderen Sportarten heute ab. Dem muß durch Konzentration, Bündelung der vorhandenen und Hinzuziehung wirklich qualifizierter neuer Kräfte entgegengewirkt werden.
  • Die Zahl an Rennen und Renntagen ist mittlerweile bei weitem zu gering. Dasselbe gilt für die Planbarkeit. Rennen fallen aus oder werden entscheidend abgeändert. Und vor allem: Die Höhe der Rennpreise ist nicht annähernd angemessen und bildet keine tragfähige Basis für das Gesamtsystem mehr. Hier muß schnell entgegengewirkt werden.
  • Zum Problem könnte die Zahl unserer Grupperennen allmählich werden: Obwohl wir viel weniger Rennen haben, kämpfen wir für die Aufrechterhaltung unserer Zahl an Grupperennen. Ist das mit der Idee der Grupperennen überhaupt vereinbar und läßt es sich bezüglich der Leistungsanforderungen, der „Ratings“ aufrechterhalten? Sind die hohen im Gruppesystem geforderten Rennpreise für die Veranstalter in ihrer heutigen Lage erschwinglich? Es mag verständlich sein, wenn um den Erhalt von Blacktype gekämpft wird wie um eine existenzwichtige Ware. Aber Fakt ist, daß der Anteil der Grupperennen an der Gesamtzahl an Rennen bei uns heute doppelt so hoch ist wie in den neunziger Jahren. Nun mag sich die Zahl der guten Pferde in dem Zeitraum erhöht haben, aber sie wird sich kaum verdoppelt haben. Wir könnten da gegenüber dem Ausland in Erklärungsnot kommen.
  • Außerdem: Man muß sich die Frage stellen, welche Schlußfolgerungen aus der bemerkenswerten, endlich positiven Entwicklung von Hoppegarten unter privater Führung zu ziehen sind. Was Gerhard Schöningh mit seinem Team und Wolfgang Goetz dort schon in kurzer Zeit geschaffen haben, ist absolut verblüffend und ermutigend. Jeder Besucher merkt, daß da Veranstaltungen von Menschen gemacht werden, die Rennsport lieben und Rennsport können. Renntage, wie man sie sich vorstellt und die einem Freude machen! Ähnliches kann man sich meines Erachtens von Baden Racing unter der Ägide von Dr. Andreas Jacobs konkret erhoffen. Ist Privatisierung vielleicht generell ein Erfolgsmodell für den Galopprennsport? Anders herum: Ist das Vereinsmodell, bei dem diejenigen, die alle Entscheidungen treffen, nicht mit ihrem eigenen Geld für die wirtschaftliche Richtigkeit ihres Handelns einstehen müssen, noch die optimale Konstruktion?

Gedanken zu den Aktiven

  • Selten gesprochen wird über die Lage unserer Reiter. Diese muß endlich verbessert werden. Unsere Rennreiter müssen ihre Knochen für die weltweit wohl geringste Erfolgsbeteiligung, nämlich derzeit nur 4,5 Prozent von stagnierenden Rennpreisen, riskieren. Eine akzeptable Relation zu den Gefahren des Berufes ist meines Erachtens kaum gegeben. Ganz aktuell beweisen das so prominente Fälle wie die von Kathi Werning und Andreas Suborics. Wobei ich von dieser Stelle auch einen Gruß an die großartige Steffi Hofer richten möchte, der der Derbyritt so sehr zu gönnen gewesen wäre und die vom Schicksal nach großartigen Leistungen so grausam vorerst gestoppt wurde. Wünschen wir ihr eine baldige und vollständige Genesung und, daß sie an ihre famosen Leistungen im Sattel danach wieder anknüpfen kann.
  • Daß es auch bei vielen Trainern materiell nicht zum Besten steht, ist mir bekannt, und es geht mir selbstverständlich nicht darum, ihre Lage zu verschlechtern. Ungeachtet dessen meine ich, daß die in Deutschland übliche Konstruktion der Trainings-Infrastruktur überdacht werden kann und sollte. Kann es Sinn machen, auf fast allen Bahnen (aber das teilweise mehr schlecht als recht) ein Trainingsbetrieb aufrechterhalten wird? Man kann sich nicht vorstellen, daß alle vorhandenen Lösungen wirtschaftlich vernünftig sind. Besonders steht es meines Erachtens auch in Frage, warum von den Rennvereinen überhaupt erwartet wird, die nötige Infrastruktur für die Trainer zu stellen, und das auch noch ohne Einfluß darauf, ob die jeweiligen Trainer auch Pferde bei den örtlichen Veranstaltungen aufbieten. In den USA zum Beispiel wäre eine solche Konstruktion völlig undenkbar, und das obwohl die finanzielle Situation vieler dortiger Rennbahnen weniger problembehaftet ist als diejenige unserer Rennvereine.

Gedanken zu grundsätzlichen Themen wie Organisationsstruktur, Politik

  • Eine große Linie, eine Agenda 2015 oder 2020 für den Galopprennsport, ist zumindest nicht öffentlich bekannt. Unser Sport lebt von der Hand in den Mund, so gut es geht. Gehandelt wird mehr oder weniger nach Tagesaktualität. Ich habe Verständnis dafür, daß wir an diesem Punkt sind, aber wir müssen endlich von ihm wegkommen, und zwar nach vorne – wo auch immer das ist.
  • Wir sprechen seit 5 Jahren über Strukturreform, dafür ist zweimal (per Solidarfonds und per Investmentprojekt) Geld aufgebracht worden. Die Marke „German Racing“ wurde kreiert, wird mehr und mehr sichtbar gemacht. Es gibt vernünftige Aktivitäten auf dem Gebiet des Wettvertriebs. Aber die anderen früher genannten Ziele wie Effektivitätssteigerung, zentrale Veranstaltungsvermarktung und –durchführung: Sind das auch noch konkrete Ziele oder warum wird darüber so wenig gesprochen?
  • Wir organisieren und subventionieren mit großem Kraftaufwand ein Winterprogramm, aber man hat nicht mehr den Eindruck, daß dieses von den Adressaten noch gut genug angenommen wird. Besucherzahlen, Totoumsatz und die Starterfelder sprechen eine Sprache, die Zweifel hervorrufen kann. Denken wir besonders an den Kampf der Rennvereine um genügend Starter! Ich plädiere dafür, eine ernsthafte Analyse darüber anzustellen, wer die Winterrennen heutzutage überhaupt wirklich will und unterstützt. Sollte eine solche Analyse zu dem Ergebnis kommen, daß die Winterrennen in dieser Form einen ausreichenden Nutzen erbringen, sollten sie weiterhin veranstaltet werden, aber wäre es nicht gut, wenn wir von der Sinnhaftigkeit auch wirklich fundiert überzeugt wären?
  • Das Nebeneinander von Buchmachern und Totalisator bewährt sich trotz teilweiser Fortschritte noch immer nicht gut genug und ich frage mich, ob hier wichtige Fragen nicht noch offener gestellt werden müssen.
  • An manchen Fakten wird anscheinend noch immer tatenlos vorbeigesehen. Nur ein Beispiel: Wo bleibt der seit Jahren geforderte neue Wettschein? Den heute verwendeten hat jemand einmal als „Umsatz-Verhinderungs-Formular“ bezeichnet. Ist es denn Hexenwerk, einen Wettschein zu konzipieren, der praktisch ist anstatt kontraproduktiv?
  • Seit Jahren redet man auf unterschiedlichsten Ebenen oft, aber nicht sehr fundiert, über Marketing. Aber ist es für einen Sport unseres Ranges nicht an der Zeit, Marketing und Produktmanagement bis hin zu einer überzeugenden und erfolgversprechenden Festlegung der Totoabzüge auch tatsächlich anzufassen und sichtbar zu betreiben?
  • Wie steht es mit den elektronischen Medien? Unsere eigenen Fernsehprojekte mit SAT.1, DSF und zuletzt jahrelang n-tv haben wir seinerzeit von uns aus recht plötzlich aufgegeben. Das Interesse der großen TV-Sender konzentriert sich heutzutage auf immer weniger Sportarten, zu denen Pferderennen bei uns (wie in den meisten anderen Ländern) nicht gehören. Es gibt nicht einmal Liveübertragungen von Derby und Preis von Baden. Haben wir unsere eigenen Möglichkeiten wirklich ausgeschöpft?
  • Wie sieht es mit der Struktur unserer Organisation per heute wirklich aus? Der Direktoriumsvorstand, dessen Aktionsfähigkeit so wichtig ist, wurde in den letzten Jahren nicht gestrafft, sondern vergrößert und um zusätzliche ständige Teilnehmer ergänzt. Daß die Zusammenarbeit und Abstimmung zwischen Direktorium, Besitzervereinigung, der Rennbahngesellschaft BGG, German Racing und German Tote optimal strukturiert ist, wage ich zu bezweifeln. Gibt es überhaupt funktionierende Regeln und Geschäftsordnungen? Haben in den letzten Jahren Klausurtagungen stattgefunden, an denen alle wirklich Entscheidenden oder Handelnden beteiligt waren und auf gemeinsame Ziele und Wege eingeschworen wurden? Wenn jede komplizierte Organisation so etwas braucht, wieso glaubt man, daß es im Rennsport ohne geht?
  • Last but not least eine – wie allgemein gesagt wird - heilige Kuh: die Züchterprämie. Woher die fast mystische Überhöhung dieses Förderinstruments rührt, kann auf Nachfrage keiner so ganz genau beantworten. Der generelle Sinn und die konkrete Ausgestaltung selbst dieser angeblich so heiligen Kuh gehören aus meiner Sicht einmal auf den Prüfstand. Erfüllt unsere heutige „Förderung von unten nach oben“ wirklich ihren Zweck oder sollte man prüfen, ob die dafür aufgebrachten Mittel bei anderer Verwendung vielleicht größere Wirkung erzielen können? Ist Züchterprämie für betagte Wallache eine unverzichtbare Säule unseres Ganzen oder würde eine pointiertere Förderung im oberen Bereich, zum Beispiel beschränkt auf junge Pferde und Gruppe- und Listenrennen, evtl. mehr bringen? Es besteht zwar die etwas verständliche Sorge, eine solche Umverteilung könnte den Züchter eines treuen, alten Handicappers demotivieren. Aber, bei allem Respekt vor diesem passionierten Züchter: Ist es denn wirklich so, daß unsere Züchter durch Träume von einem eisenharten zwölfjährigen Wallach im Plusausgleich angetrieben und „bei der Stange gehalten“ werden? Sollte darauf ein System zur Leistungsförderung aufgebaut sein? Ich hoffe, daß über dieses Thema noch einmal in aller Sachlichkeit nachgedacht werden kann.

Ich komme zum Ende meiner Nachfragen, warum was so und nicht anders ist und ob es so bleiben sollte oder besser nicht. Es ging mir nicht darum, jemanden anzugreifen, und auch nicht darum zu suggerieren, alle gesuchten Antworten seien leicht zu finden. Aber wenn Nachfragen ungestellt bleiben, besteht nun einmal die Gefahr, daß Vorgänge in bestimmter Weise ablaufen, ohne daß noch jemand genau weiß, warum. Vielleicht nur, weil irgendwann jemand so damit angefangen hat.

Sicher ist, daß wir die vorhandenen Ressourcen klug und sparsam einsetzen müssen. Sicher erscheint es mir auch, daß wir in den letzten Jahren zu wenige Probleme gelöst haben und das oft auch noch zu langsam. Wir müssen schneller und effektiver werden, wobei uns unsere großartigen Pferde vielleicht ein wenig als positives Beispiel dienen mögen, und wir dürfen uns nicht so lange mit Querelen, Eitelkeiten und Animositäten selbst aufhalten.

Die Geschichte wartet nicht auf uns, sie findet statt. Wenn wir darin vorkommen wollen, müssen wir die Beine in die Hand nehmen.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit! Ich wünsche Ihnen noch einen erbaulichen Abend und allen Beteiligten für das morgige IDEE 141. Deutsche Derby „Hals und Bein“!

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