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Cheltenham - Das große irische Finale

Bis auf den letzten Platz gefüllt! www.galoppfoto.de - JJ Clark

Autor: 

Catrin Nack

TurfTimes: 

Ausgabe 711 vom Freitag, 25.03.2022

„Superstars“ titelte die Racing Post am vergangenen Samstag. Ein Foto, ein Wort, keine Namen. Ein inflationäres Wort, so leicht benutzt in heutigen Zeiten. Ein Pferd, hochklassig ohne Frage und jung genug, einer zu werden, und eine Reiterin, die dies ohne Frage nun ist. Der Cheltenham Gold Cup hätte sich kein besseres Ergebnis schreiben können.

Nach Regen kam Sonne, viel Sonne. Bereits Wochen vor dem Festival waren die beiden letzten Meeting-Tage ausverkauft. Man lernte, dass hinter diesem Wort keine festen Zahlen stehen. Es wurden 73.754 bzw. 73.875 Zuschauer gezählt, letztere Zahl ein Rekord. Insgesamt strömten über 280.000 zahlende Gäste an den vier Tagen durch die Tore, dazu das Personal von rund 15.000. Masken, wie schon erwähnt, Fehlanzeige. Die wenigen Sanitärstationen gingen in der Menge buchstäblich unter.

Der Donnerstag des Festivals ist traditionell St. Patrick´s Day, das Guinness fließt besonders gut. Auch wenn es bei schlappen sieben Pfund pro Pint (ein Pint sind ca. 0,6 Liter) manch einem Zocker buchstäblich im Halse stecken blieb. Auch für eine Schinkenrolle, ein schlaffes Brötchen mit etwas warmen Speck, musste man sechs GBP berappen. Wohl dem, der auf das sprichwörtlich richtige Pferd gesetzt hatte.

Kein Kenner der Szene konnte sich erinnern, wann zuletzt in einer renommierten Gr.1 -Prüfung beim Festival nur vier Pferde an den Start kamen. Zudem alle irisch. Kein englischer Trainer hatte sich getraut, in der Turner Novices´ Chase (Gr1, 2m4f=3976m) zu starten, zwei Startern ging ein Ruf wie ein Donnerhall voraus. Lange war der von Henry de Bromhead trainiere Bob Olinger einer der Banker des Meetings gewesen, es sprach Bände für die Klasse des wenig geprüften Willie Mullins´ Starters Galopin des Champs, das er als klarer Favorit an den Ablauf kam. Das Rennen wurde der erwartete Zweikampf, und schien lange so einseitig wie der Wettmarkt. Resolut hatte Paul Townend, Stalljockey am Mullins-Stall, direkt nach dem Start die Spitze übernommen, und kam, am Gebiss, mit großem Vorsprung in die Gerade. „Ich konnte nicht glauben, dass ein Pferd dies Bob Olinger antun könnte“ erklärte de Bromhead in der anschließenden Pressekonferenz.

Doch in Hindernisrennen müssen Hindernisse gesprungen werden, und der allerletzte Sprung wurde Galopin des Champs zum Verhängnis. Zum Entsetzten der Zuschauer konnte sich der dunkelbraune Wallach auf der Landeseite des Jagdsprunges nicht auf den Beinen halten. Ein Raunen ging durch die Menge, als er zudem beim Aufstehen zu humpeln schien. „Ich guckte rüber und dachte, oh nein, dies sieht schlimm aus“ bekannte ein immer noch geschockter Paul Townend einige Tage später, „aber dann sah ich, dass er sich nur in den Zügeln verfangen hatte. Ich kann die Erleichterung kaum beschreiben.“ Ein müder Bob Olinger musste von Rachael Blackmore nur noch in Schwung gehalten werden; 40 Längen vor den zwei verbliebenden Startern gewann der Sholokhov-Sohn somit mehr als glücklich. „Er ist hier sicher unter seinen Möglichkeiten geblieben, und so will natürlich niemand gewinnen.“ bekannte de Bromhead, dessen Social Media Profil „Wie gut, dass GDC ok ist“ verkündete.

Besser lief es für Favoritenwetter, und Team Mullins, in der Ryanair Chase. Der kochend heiße Favorit Allaho, in den rot-blau-weißen Farben der berühmten Flach-Zuchtstätte Cheveley Park Stud unterwegs, wiederholte seinen überragenden Erfolg von 2021. Wo es im letzten Jahr (damals unter Rachael Blackmore) 12 Längen waren, fertige der No Risk at All-Sohn seine Gegner nun mit 14 Längen ab; obwohl auch er sich einen kleinen Rumpler am letzten Hindernis erlaubte. Nach Albertas Run in den 2010er Jahren avancierte Allaho zum zweiten Doppelsieger der noch jungen, erst seit 2005 ausgetragenen Prüfung.

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Hauptrennen des dritten Meetingtag ist die Stayers´ Hurdle (Gr1., ca. 3m, 4785m), ein Rennen, das Spezialisten anspricht. Tatsächlich sind Hürdenrennen, und die für Steher ganz besonders, in England häufig eine Art Trostpreis für Pferde, die auf der Jagdbahn mangelndes Springvermögen zeigen; siehe seinerzeit Big Buck´s. Und seit eben diesem legendären Staying Hurdler, der zwischen 2009-2012 hier vier Mal gewann und die Szene wie nur wenige vor ihm beherrschte, litt gerade dieses Rennen an einem gewissen Qualitätsmangel. Mit dem in Irland – wo sonst? – von Gavin Cromwell trainierten Yeats-Sohn Flooring Porter stellte sich erstmals seit Big Buck´s ein Doppelsieger der Prüfung vor. Jockey Danny Mullins, Sohn von Princess Zoe-Trainer Tony und somit Neffe von Willie, teilte sich das Rennen von der Spitze aus perfekt ein, sein williger Partner legte immer wieder zu und war „not for passing“, wie die Engländer zu sagen pflegen. Mit Thyme Hill und Paisley Park, die im Ziel nur eine Nase trennte, waren die „gemeinten“ englischen Pferde auf den Plätzen, aber erneut eben wieder nur auf den Plätzen.

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Weil es so schön war, verlängerte Irland den St. Patrick´s Day direkt auf den Freitag. In der Länderprüfung England-Irland hatte es nach Tag Drei 10:11 gestanden, England witterte Morgenluft. Die fast schon brutale Überlegenheit, mit der Irland, und allen voran der Stall Mullins, dann alle sieben Rennen des letzten Tages gewann (davon sagenhafte fünf Siege für Mullins), stellte die im Vorfeld erwartete „Ordnung“ wieder her.

Der Einlauf der einleitenden Prüfung, der Triumph Hurdle (Gr1, 2m, ca. 3200m - für Juvenile (4j.) Hurdler, die jüngsten Pferde in Cheltenham) stand quasi sinnbildlich für das Meeting. Willie Mullins Vauban, der mütterlicherseits aus der Ravensberger W-Familie stammt - seine 4. Mutter ist Wurftaube (siehe auch die gesonderten Pedigree-Notizen) – verwies zwei Starter aus dem Stall von Gordon Elliott, Fil Dor und Pied Piper, auf die Plätze.

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Nicht nur war es – erneut – ein rein irischer Einlauf; trotz zweier Siege war es ein Meeting, das Elliott sicher am liebsten vergessen möchte. Mit 60 (!) Pferden und vollmundigen Vorschußlorbeeren war Elliott gen Cheltenham gereist und während Mullins, mit 63 Startern dabei, mit 10 Siegen, darunter sechs Gr.1-Erfolgen incl. Energumes Sieg in der Champion Chase, zum neunten Mal Meeting-Champion wurde und mit insgesamt 86 Erfolgen der mit Abstand erfolgreichste Trainer der Festival-Geschichte ist, wurden es für Elliott derer zwei, in einem Handicap und besagter Cross-Country Chase. Hinter Henry de Bromhead blieb in der Gesamtabrechnung, nach Gewinnsumme ermittelt, nur Platz drei.

Und dann der Gold Cup. Nach dem legendären Vincent O´Brien avancierte Henry de Bromhead zum erst zweiten Trainer, dem das Champion Hurdle – Gold Cup - Doppel in aufeinanderfolgenden Jahren gelang. Wie im letzten Jahr stellte sein im County Waterford beheimateter Stall die beiden Erstplatzierten, in umgekehrter Reihenfolge, und diesmal saß Rachael auf dem richtigen Pferd. Der Aufstieg, den Trainer und Reiterin in den letzten vier Jahren genommen haben, ist mehr als bemerkenswert. Alles begann mit einer Taxifahrt im April 2018, als Eddie O`Leary, Bruder von Ryanair-Boss und Gigginstown Stud-Eigner Michael, eben Rachael Blackmore als Stalljockey vorschlug. „[…] Vielleicht drei Wochen nachdem sie begann, für uns zu reiten.“ [erkannte de Bromhead, dass er seinen Stalljockey gefunden hatte] „Alle unsere Pferde sprangen und liefen für sie, es war unglaublich.“

De Bromhead war zu dieser Zeit bereits ein respektierter Trainer, Blackmore im Jahr 2017, 28jährig, noch eine Fünf-Pfund-Erlaubnisreiterin. Der unaufhaltsame Aufstieg, der u.a. mit Honeysuckle in der Saison 2018-19 begann und in der Saison 20-21 seine ersten Höhepunkte fand (sechs Cheltenham-Siegern incl. der Champion Hurdle mit Honeysuckle plus Grand National mit Minella Times), schraubte sich mit dem Sieg im Gold Cup in neue Höhen.  War Blackmore im letzten Jahr noch die erste Frau, die ein Championship Rennen in Cheltenham gewinnen konnte und die erste weibliche Rennreiterin, die das Grand National gewann, schrieb die 32jährige Rennreiterin nun ein weiteres Stück bemerkenswerte Rennsportgeschichte.

De Bromhead: „Das Tolle an Rachael – und meine Frau sagt dies auch immer wieder – ist, wenn sie einen Fehler macht, geht sie weg, denkt darüber nach und kommt wieder. Nun, ich habe nie gedacht, dass sie im letzten Jahr, als sie mit A Plus Tard hinter Minella Indo Zweite wurde, einen Fehler gemacht hat, aber sie hat es gedacht. Sie hat es analysiert und dann einen Plan gemacht. Ich hatte keine Ahnung, was dies für ein Plan war. Sie hat mir vor drei Wochen erzählt, dass sie ihn mit mehr Speed reiten würde. Ich sagte nur „Super, mach was Du willst.“ Und dann hat sie vor dem Rennen wieder davon gebrabbelt [de Bromhead benutzte tatsächlich die Worte „rabbiting on“] und ich habe mich nur zu ihr umgedreht und gesagt“ Rachael, mach was Du willst, du bist der Boss“ so Henry de Bromhead; seine Worte Beweis für das blinde Vertrauen, welches zwischen den beiden herrscht.

Blackmores Ritt auf dem ebenfalls in den Farben von Cheveley Park Stud laufenden Kapgarde-Sohn war denn auch ein Lehrstück im Rennsattel, ein Paradebeispiel eines Jockeys, der seinen Partner voller Vertrauen aus der Reserve ritt und immer die gewünschte Position halten konnte. Am letzten Hindernis übernahm Blackmore resolut die Spitze; die Leichtigkeit, mit der A Plus Tard sich daraufhin von seinen Gegnern, allen voran den Platzierten Minella Indo (Henry de Bromhead, Robbie Power) und Protektorat (Dan Skelton, Harry Skelton) lösen konnte, sind Markenzeichen eines sehr guten, weiter gesteigerten Pferdes. Ob er bereits die Attribute eines „Superstars“ erfüllt, sei dahingestellt. Keine Frage aber, dass dies für seine Reiterin nun auf jeden Fall gilt. Rachael. Wie Frankie, oder Lester.

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„Sie hatte kaum die Ziellinie überquert, da starteten die Online-Buchungen“ so eine Sprecherin der irischen Rennbahn Thurles, wo Blackmore am Samstag ihre Ritte wahrnahm. Auf einer ihrer Heimatbahnen kamen ihre Fans in Scharen und standen Schlange für ein Selfie, ein Autogramm, oder einfach nur einen Glückwunsch. Letzte in der Schlange war Blackmore´s Mutter, die sich wie alle anderen angestellt hatte, ihrer Tochter zu gratulieren. Die Blackmore so eigene und wohltuende Bescheidenheit liegt also in der Familie.

Vierzehn individuelle Trainer gewannen Rennen in Cheltenham, allen voran Willie Mullins mit den bereits erwähnten 10 Siegen. Henry de Bromhead (3), Gordon Elliott, Nicky Henderson und Venetia Williams (jeweils 2) konnten mehr als ein Rennen für sich entscheiden. Die prominentesten Namen unter den „Nicht-Gewinnern“ sind sicherlich Paul Nicholls, der weniger Starter hatte als Mullins Sieger und dessen beste Platzierung ein dritter Platz war, und Philip Hobbs. Bemerkenswert auch, dass Mullins mit seiner beinahe ausschließlich in Cheltenham erlangten Gewinnsumme in der britischen Gesamtstatistik auf dem vierten Platz liegt (Stand 19.03.); Nicholls, der diese Statistik anführt, hat bei 540 Starts 122 Siege mit rund 2.12 Mio. Pfund Preisgeld errungen, die entsprechenden Zahlen für Mullins lauten 77-13-1.59 Millionen. Müßig, noch einmal zu betonen, dass alle vier Championship-Rennen nach Irland gingen, allerdings nur eines an den Stall von Mullins.

Einseitig auch die Jockey Statistik, die mit Paul Townend (Stalljockey, 5 Siege) und Patrick Mullins (Sohn, 3 Siege) die prinzipiellen Jockeys des Mullins-Stalls für sich entscheiden konnten. Auf Platz drei dann Blackmore, die ebenfalls drei Rennen gewinnen konnte, aber weniger Platzierungen holte als Patrick Mullins, mit dem sie in einer Wohngemeinschaft lebt.

Das Besitzer-Championat gewann Cheveley Park Stud, mit drei Siegern und ausschließlich in Irland trainierten Pferden.  Auf den Plätzen irische Besitzer, JP McManus landete mit zwei „kleinen“ Siegen auf Platz Zwei. Seine Elimay (Willie Mullins), die eines der drei speziell für Stuten ausgeschriebenen Rennen gewann, muss an dieser Stelle kurze Erwähnung finden. Weiß, und damit auch in der Morgenarbeit leicht zu erkennen, und nur eine Handbreit größer als ein Pony, hat diese kleine Kämpferin das größtmögliche Herz, schraubt sich in ganz eigenen Stil über die für sie beinahe zu groß erscheinenden Jagdsprünge und kämpfte wie eine Löwin, um in der Mrs. Paddy Power Mares´ Chase (Gr2) genau auf der Linie zuzuschnappen. Unter den Top-Verdienern auch mehrere Besitzer-Syndikate: das Flooring Porter Syndicate gewann mit der Stayers´ Hurdle gar eines der Hauptrennen. Die Owners Group, momentan wohl die größte Besitzergemeinschaft auf der Insel, die 73  Pferde mit jeweils ca. dreitausend Anteilen ihr Eigen nennt, hatte einen Starter, an dem es auch deutsche Beteiligung gab, in einem Gr.1 Rennen; Stage Star blieb am verregneten Mittwoch jedoch unter seinen Möglichkeiten.

Vier Pferde ließen in Cheltenham ihr Leben, die höchste Zahl seit 2018. Darunter auch der von Gordon Elliott trainierte Ginto, als Gold Cup-Pferd der Zukunft beschrieben. Es ist immer der traurigste Aspekt, und die deprimierendste Statistik; jeder Todesfall selbstredend einer zu viel. Es verbietet sich, über Ursachen zu spekulieren, entsprechende Untersuchungen wurden vom BHA sofort in Auftrag gegeben. Dass der Leistungssport mit Pferden in jeder Sparte immer wieder zu sportlichen Tragödien führen wird, ist eine nicht wegzudiskutierende Tatsache. Die Augen verschließen dürfen wir davor niemals.

Catrin Nack

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