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Cheltenham 2021 - die ersten Tage

Ein emotionaler Sieg: Tiger Roll holt sich das Cross Country. Foto: Tracy Roberts

Autor: 

Catrin Nack

TurfTimes: 

Ausgabe 660 vom Freitag, 19.03.2021

Nach aufwühlenden Wochen für den Rennsport, und besonders für den anglo-irischen Hindernissport, brauchte es positive Schlagzeilen. Was besser, als auf das Cheltenham Festival zu vertrauen? Auch ohne Zuschauer und hinter „closed doors“ (Besitzer waren nicht zugelassen; dem Vernehmen nach hielt sich die Zahl der anwesenden Personen im dreistelligen Bereich) gab und gibt es Sport der Spitzenklasse, Top-Pferde standen endlich wieder im Mittelpunkt.

Ein Jahr des Wartens ist vorüber. Nach dem Festival ist vor dem Festival. Wer hätte angesichts der übervollen Ränge von Cheltenham 2020 gedacht, dass uns im März 21 das Virus nach wie vor im Griff haben würde? Doch alles Lamentieren nützt nichts. Es ist „no ordinary Cheltenham“ (kein gewöhnliches Cheltenham), wie die Racing Post titelte, und wird in den Annalen des Monster-Meetings sicher auf lange Zeit einen Sonderplatz einnehmen.

Vor allem, da gleich am ersten Tag Geschichte geschrieben wurde. Erneut war es die unvergleichliche Rachael Blackmore, deren Sieg im Hauptrennen des ersten Tages, der Unitbet Champion Hurdle (Gr.1, 2m ½ f) sie zum ersten weiblichen Jockey überhaupt machte, der eines der Championship-Rennen des Festivals gewinnen konnte. Auch wenn sich Blackmore mit dem Zusatz „weiblich“, wie alle Frauen im Rennsattel, schwertut. Sie ist Jockey, Punkt.

Mit der ebenso unvergleichlichen Honeysuckle, einer Sulamani-Tochter aus der Lando-Stute First Royal, wurde eine auf dem Papier durchaus anspruchsvolle Prüfung zu einer wahren Prozession. Sechseinhalb Längen trennten die beiden im Ziel von ihren nächsten Gegnern, dem „ewigen Zweiten“ Sharjah und der Vorjahressiegerin Epatante (zu der Sharjah im vergangenen Jahr ebenfalls den zweiten Platz belegt hatte).

Es war eine Augenweide, wie Henry de Bromheads Schützling nach einem cleveren Ritt die Konkurrenz beherrschte; Mitfavorit Goshen brachte sich durch stures Ausweichen nach rechts von Anfang an selber um alle Chancen. Als dann Honeysuckle im Schlußbogen an der Außenseite des Feldes groß aufmarschierte, stand das Ergebnis sofort fest. Es war der elfte Sieg bei ebenso vielen Starts für die Siebenjährige, zehnmal saß Rachael Blackmore im Sattel. „Von solch einem Sieg habe ich nicht einmal geträumt. Solch ein Rennen war soweit weg, es kam in meinen Träumen nicht einmal vor. Die Tatsache, dass ich hier heute [auf Honeysuckle] sitze, zeigt, dass Du – egal ob männlich, weiblich oder was-auch-immer, alles erreichen kannst“, bekannte eine sichtlich emotionale Blackmore noch auf ihrem Partner.

Zuvor hatte es bereits zwei Grade1-Rennen gegeben. Beide Rennen, die traditionell als „Curtain-Raiser“ gelaufene Supreme Novices´ Hurdle (2m ½ f) und die Arkle Chase über die (mehr oder weniger) gleiche Distanz (der „Unterschied“ liegt in den unterschiedlichen Rennkursen). Beide Prüfungen konnten nur sehr kleine Starterfelder versammeln, die Supreme Novices´ Hurdle gar das kleinste seiner Geschichte. Ob dies das Siegen etwas leichter machte?  Sowohl Willie Mullins´ Appreciate It als auch Nicky Hendersons Shishkin hätten allerdings beeindruckender nicht sein können.

Mit „nur“ einem Sieger an Tag Eins war ein unterdurchschnittlicher Tag für den übermächtigen Mullins-Stall, dreizehn Favoriten für die 28 Rennen hatte er zeitweise in seinem Stall. Das Festival hätte jedoch nicht besser beginnen können: sein siebenjähriger Jeremy-Sohn (zusammen mit Black Tears hatte der bereits jung verstorbene Deckhengst zwei Sieger am ersten Tag) Appreciate It (mit Stalljockey Paul Townend im Sattel), dessen letzter Sieg beim Dublin Racing Festival „nur“ in die Rubrik „Arbeitssieg“ gefallen war, war ganz einfach andere Ware. Mit 24 Längen Vorsprung deklassierte er seine sieben Gegner. Wie schon in Dublin hatte Henry de Bromheads Ballyadam (frisch von Gordon Elliott in diesen Stall gewechselt) erneut das Nachsehen; es hätte einen Mullins-Einlauf geben können, wäre Blue Lord nicht an der letzten Hürde gefallen – zum Glück blieb der Wallach ohne Blessuren.

Auch der nächste „Banker“ verwandelte seinen Elfer in ebensolcher Manier. Nicky Hendersons Sholokhov-Sohn Shishkin ist nach Pferden wie Sprinter Sacre und Altior der nächste aufregende Zwei-Meilen-Chaser aus der Talentschmiede Seven Barrows; die Arkle Chase als das wichtigste Rennen für Nachwuchs-Chaser über die Minimaldistanz wurde überlegene Beute, „nur“ 12 Längen waren es zum Zweitplatzierten Eldorado Allen.

Das dritte Rennen der Karte, die Gr.3 Ultima Chase über 3m1f hat natürlich nicht das Standing einer Grade1-Prüfung; das 2021er Ergebnis aber bereits jetzt eines der Feelgood-Ergebnisse des Meetings. Bei seinem fünften Auftritt in eben diesem Rennen gelang dem von Sue Smith trainierten, nun elfjährigen Wallach Vintage Clouds sein erster voller Erfolg beim Festival. Unter Jockey Ryan Mania zeigte der Schimmel keinerlei Altersmüdigkeit und stürmte einem emotionalen Sieg entgegen. Mania, Stalljockey am Smith-Stall und für diesen auch und vor allem Siegreiter im Grand National, hatte nur kurz nach diesem Erfolg seine Stiefel an den berühmten Nagel gehängt; dann war der Sog des Rennreitens aber stärker.

Es war der erste Festival-Erfolg für ihn, der im anschließenden Sieg-Interview hart mit sich selber ins Gericht ging („Ich habe die Smith´ damals im Stich gelassen“), in dessen Gesicht die Freude über den Sieg, vor allem für seinen willigen Partner, überdeutlich geschrieben stand. Für Sue Smith, Ehefrau des legendären Springreiters Harvey, war es nach Mister McGoldrick der zweite Erfolg beim Festival, und ein willkommener Sieg für den Norden des Landes; für manch einen „vornehmen“ Südengländer ist Nordengland beinahe mehr „Ausland“ als Irland.

Auch der Stall von Denise „Sneezy“ Foster, die nach dem Skandal um Gordon Elliott erst vor Wochenfrist dessen Stall übernommen hatte, gab es einen ebenso willkommenen Sieg, als die bereits erwähnte Black Tears in der Mares´ Hurdle (Gr.1, 2m4f) die heiße Favoritin Concertista (Willie Mullins) genau auf der Linie festnageln konnte. Foster, die aufgrund der ungeplanten Übernahme und den strengen Corona-Regeln selber nicht vor Ort sein kann, wird ein Stein vom Herzen gefallen sein; der Stall agiert allerdings seit Tagen in Top-Form.

Neben Jockey Ryan Mania gab es auch – beinahe erstaunlicherweise - einen ersten Sieg für Jockey Sean Flanagan, Stalljockey bei Altmeister Noel Meade. Es war der kontroverse Jockey Paul Carberry, der in dieser Position große Siege erritten hatte; Jeff Kidders Erfolg in der Boodles Juvenile Handicap Hurdle (Gr.3, 2m ½ f), der ehemaligen Fred Winter Hurdle, war Meades erster Cheltenham Sieger seit 2017. 

Geschichte wurde auch am zweiten Meetingtag geschrieben. Historisch, menschlich und vor allem: die Pferde. Zwei Pferde trugen sich unwiderruflich in die Geschichtsbücher des Festivals ein. Unmöglich zu entscheiden, welcher Sieg eine größere Bedeutung hat. Ladys first.

Put the Kettle on – ja, der Name übersetzt sich tatsächlich zu „Stell den (Wasser) Kessel auf den Herd“ gewann als erste Stute überhaupt die Queen Mother Champion Chase (Gr.1, 2m). Tatsächlich ist ihr Trainer Henry de Bromhead der einzige irische Trainer, der in den letzten 10 Jahren überhaupt die Champion Chase gewinnen konnte – ein Rennen, das auch auf dem CV von Willie Mullins noch und nach wie vor fehlt. Sein Chacun Pour Soi war nach erwähnter Concertista der zweite „Heiße“, der das Vertrauen der Wetter nicht einlösen konnte.

Die Dame der Stunde hieß Put the Kettle on, eine 7j. Stowaway- Tocher, die, zum Glück für ihr Team, Cheltenham zu ihrer Lieblingsbahn erkoren hat. Bei vier Starts auf der Bahn ungeschlagen, auch bei vier Ritten unter Siegreiter Aidan Coleman ungeschlagen, ist die Stute mit den großen Ohren ein Enigma, sie „ist verrückt. Aber im positiven Sinne“ so de Bromhead nach dem Rennen. Aber was macht schon ein wenig Verrücktheit, wenn man das Herz einer Löwin hat? Schon schien Chacun Pour Soi, dem der Ruf eines Wunderpferdes vorauseilte, am Gebiss gehend einem sicheren Erfolg entgegen zu galoppieren, da sah er sich – zum ersten Mal – dem berüchtigten „Cheltenham hill“ gegenüber. Und während sein Stamina langsam verebbte (auch wenn Trainer Willie Mullins den Berg nicht als Grund der Niederlage akzeptieren wollte), kamen Dan Skeltons Nube Negra (ein seltenes NH-Pferd mit spanischem Hintergrund) und vor allem aber Put the Kettle on unwiderstehlich angestürmt. Die Stute mobilisierte Reserven, die auch ihr Jockey ihr kaum zugetraut hatte; Coleman war nach dem Rennen den Tränen nahe, „this was nearly emotional“.

Richtig emotional wurde es dann aber in der Cross Country Chase. Ein Rennen, welches seine eigenen Gesetze hat, auf einer eigenen Bahn über ungewöhnliche Hindernisse (Hecken, Wälle, Hügel, Mauern, Schranken) ausgetragen wird; neben Cheltenham hat nur das irische Punchestown einen ausgewachsenen Kurs dieser Art. Kein Graded Rennen, aber ein Publikumsmagnet, wenn es denn Zuschauer gäbe.

Viele zweifelten im Vorfeld an ihm, doch der unvergleichliche Tiger Roll hat bereits mehrfach sein ganz eigenes Stück Rennsportgeschichte geschrieben, und er tat es erneut. Sein Sieg am Mittwoch, sein dritter in diesem Rennen, sein fünfter Sieg beim Cheltenham Festival, sein insgesamt 13. Sieg überhaupt, hätte die Rennbahn zum Kochen gebracht wie kein anderes Ergebnis, der Roar hatte die Jubelschreie zu Beginn des Meetings bei weitem übertönt. So mussten seine Fans über Social Media ihrer ungebärdigen Freude Ausdruck verleihen, und es wurden dem Vernehmen nach viele Freudentränen geweint. Auch Jockey Keith Donoghue, der seine ganz eigene Verbindung zu dem Wallach hat, war von Emotionen überwältigt und schämte sich seiner Tränen nicht: „Dieses Pferd ist der Grund, warum ich überhaupt noch reite. Er bedeutet mir einfach alles." Ein ausführliches Portrait von Tiger Roll wird in einer der nächsten Ausgaben der Turf Times erscheinen.

Bei solch emotionalen Highlights blieben die Favoriten-Siegen von Bob Olinger in der Ballymore Novices´ Hurdle (Gr.1, 2m5f) - Trainer Henry de Bromhead agiert in Überform und könnte der erste Trainer in der Geschichte des Festivals werden, der die Champion Hurdle, Champion Chase und den Gold Cup im selben Jahr gewinnt - und Monkfish beinahe auf der Strecke. Letzterer war einer der Banker des gesamten Meetings, sein Sieg in der Brown Advisory Novices´ Chase (Gr.1, 3m ½ f) – der ehemaligen RSA Chase, war der willkommene Sieg eines heißen Favoriten für den Stall von Trainer Willie Mullins, der dann auch im abschließenden Bumper, dem Flachrennen für Hindernispferde, mit Cheveley Parks Sir Gerhard punkten konnte. Dieser war nach dem Skandal um Trainer Gordon Elliott erst vor kurzem in seinen Stall gewechselt; Mullins hat somit drei der letzten vier Champion Bumper gewonnen, das Cheveley Park Stud gar die letzten drei Austragungen in Folge.

Schock in der einleitenden Prüfung des dritten Festival-Tages, der Gr.1 Marsh Chase über 2m4f. Envoi Allen, bisher ungeschlagen und einer der "Banker" des Festivals, kam bereits am dritten Hindernis von den Beinen und fiel zum ersten Mal in seinem Leben. Der Weg war somit frei für den zweiten Favoriten der Prüfung, Nicky Hendersons Chantry House, dem als Yeats-Sohn der abgetrocknete Boden besonders zu Gute kam. Auch der zweite Platz ging an Hendersons Seven Barrows Stall, Fusil Raffes hielt hier Willien Mullins Außenseiter Asterion Forlonge in Schach. Es war der 70. Erfolg beim Festival für Henderson, nach einigen Zählungen der 73. für Chantry House-Besitzer JP McManus. Zum Glück überstand Envoi Allen seinen Sturz unversehrt.

That woman Blackmore. Nach einem aggressiven Ritt des Jockeys der Stunde, Rachael Blackmore, gewann Cheveley Park Studs No Risk at All-Sohn Allaho die Ryanair Chase (Gr.1, 2m4f). Kurz vor dem Start wurde der Wallach, auch nach einem Hinweis von Trainer Willie Mullins im englischen Bezahlsender Racing TV, Favorit der Prüfung. Dieses Vertrauen war mehr als gerechtfertigt; der siebenjährige Wallach übernahm direkt nach dem Start die Spitze und zog sein hohen Grundtempo bei sauberen Springen bis auf die Ziellinie durch. Ganze 12 Längen hinter dem Sieger komplementierten Fakir D´Oudairies (Trainer Joseph O' Brien) und Tornado Flyer (ebenfalls Willie Mullins) eine irische Dreierwette. 

Ein „Kistenritt“ für Danny Mullins, Sohn von Princess Zoe-Trainer Tony und damit Neffe von Willie, der mit Flooring Porter das Hauptrennen des dritten Tages, die Stayers Hurdle (Gr.1, 3m) gewann. Der ursprünglich angegebene Jockey Jonathan Moore musste nach einer Rückenverletzung den Ritt am Donnerstag morgen absagen, konnte das Pferd aber selber in den Siegerring führen, und hatte Ersatzreiter Danny mit allen nur möglichen Informationen über Flooring Porter versorgt.

Wieder war es ein Sohn des vierfachen Ascot Gold Cup Siegers Yeats, dessen Nachkommen sich auf gutem Boden besonders wohlfühlen. Und erneut war ein gutes Tempo von der Spitze aus der Schlüssel zum Erfolg;  der sechsjährige Wallach, zuletzt etwas überraschend Sieger eines Gr.1-Rennens über die Weihnachtstage, zeigte im wahrsten Sinne grenzenloses Stehvermögen. Trainiert wird Flooring Porter von Gavin Cromwell, der bereits vor zwei Jahren etwas überraschend mit Espoir d´Allen die Champion Hurdle gewann. Auf Platz zwei lief Sire Du Berlais (Denise Foster), es bliebt nur der dritte Platz für den Favoriten Paisley Park (Emma Lavelle). Er kam auf der schweren Zielgeraden zwar aus hinteren Regionen noch besser ins Rennen, war aber für den überlegenen Sieger zu keiner Zeit eine Gefahr.

Catrin Nack

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