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Cheltenham 19 - Das Festival der Emotionen

Al Boum Photo auf dem Weg zum Gold Cup-Sieg. www.galoppfoto.de - JJ Clark

Autor: 

Catrin Nack

TurfTimes: 

Ausgabe 560 vom Freitag, 22.03.2019

Vorfreude ist bekanntlich die schönste Freude, und währt am längsten. Cheltenham 2019 ist bereits wieder Geschichte, schrieb Geschichten. Unzählige Vorhersagen - Pläne, Wünsche, Träume – lösten sich in Luft auf; einige wenige hingegen gingen spektakulär auf. Der erfolgreichste Trainer in der Geschichte Cheltenhams hat nun auch das bedeutendste Rennen des Meetings gewonnen. Der dritte Meetingtag, in der letzten Ausgabe der Turf-Times kurz angesprochen, erlebte eine Sternstunde des Festivals, eine Sternstunde des Sports allgemeint. Weibliche Hindernisjockeys haben sich endgültig in der Mitte des Sports etabliert, zu Recht.

Es war gegen 15 Uhr Ortszeit, am 14. März 2019, als die bemerkenswerte Bryony Frost Cheltenham-Geschichte schrieb. Soeben hatte sie mit dem ebenso bemerkenswerten Frodon unter dem frenetischen Jubel der Massen die Ryanair Chase gewonnen; die erste Frau, der dies gelang. Die erste Frau, die überhaupt ein Grade1-Rennen beim Festival gewann.  Ohne Gewichtserlaubnis, möchte man anmerken. Ein Meilenstein in der Geschichte der weiblichen National Hunt-Rennreiterei; sicherlich. Bemerkenswert, wie lange es bis zu diesem Punkt gedauert hatte; wie ungleich die Chancenverteilung über lange Jahre, Jahrzehnte gar, war.

Im Jahr 1977 erhielt Charlotte Brew als erste Freu einen Ritt im Grand National, erst im Jahr 1982 gelang es einer weiblichen Reiterin, den (damals noch viel schwereren) Kurs zu beenden. In einem Rennen mit rund 40 Startern findet sich eher ein „überzähliger“ Ritt. Katie Walsh und Nina Carberry bewirkten in letzten Jahren Wunder für das Profil der weiblichen Hindernis-Jockeys, setzten neue Standards. Nun übernimmt eine neue Generation junger Reiterinnen den Staffelstab;  der Ritt eines weiblichen Jockeys im „elitäreren“ Gold Cup ist nach wie vor eine Schlagzeile wert ist. Wie ungleich die Chancenverteilung – oder die Vorurteile? – vor allem im Hindernissport lange Zeit war, ergibt sich allein aus der Tatsache, dass Lizzy Kelly, die sich keine Stunde nach Frost´s Ryanair-Sieg ebenfalls in die Festival-Siegerliste eintragen konnte, erst im Jahr 2015 als erste Frau überhaupt ein Grade1-Rennen in diesem Metier gewinnen konnte. (Auf der Flachen errang Alex Greaves bereits im Jahr 1997 ebensolchen Sieg, im toten Rennen).

Rund 30 Minuten nach Frodons emotionalen Erfolg stand das Publikum wieder Kopf. Jeder Sieger in Cheltenham ist etwas ganz Besonders, vom fachkundigen Publikum entsprechend honoriert; doch manch ein Ergebnis entlockt besondere Ovationen. „Three cheers“ für Bryony, und Tränen des guten Willens für Besitzer Andrew Gemmell und seinen Crack Paisley Park. Sein Sieg in der Stayer´s Hurdle, als Favorit nicht eben unerwartet, war eine Demonstration der Klasse von Mensch und Pferd. Hier ein Besitzer, der sich als Nicht-Sehender seinen Platz in der Mitte der Gesellschaft erkämpft hat, dort ein Pferd, nach einer schweren Erkrankung quasi dem Totenbett entstiegen, der in den Händen seiner (weiblichen!) Trainerin zu einem der Stars der Saison aufstieg und das Potential hat, ein ganz Großer des Sports zu werden. Die Manier, mit der der 7j. Oscar-Sohn unter Pilot Aidan Coleman, trotz eines Fehlers an der letzten Hürde, seinen Gegnern nicht den Hauch einer Chance ließ, war sportlich großes Kino. Emotional war es das Happy-End, das jeden Zuschauer mit einem Gefühl tiefster Zufriedenheit zurückließ; es hatten einfach „die Richtigen“ gewonnen.

„Der Richtige“ – namentlich Trainer Willie Mullins – drückte dem abschließenden Tag, Gold Cup-Day, seinen Stempel auf; endlich, endlich gelang dem irischen Meistertrainer der Sieg im „big one“. Seit Florida Pearl im Jahr 1999 (also vor 20 Jahren) trotz seiner Favoritenstellung nur unter „ferner liefen“ (3. hinter See More Business) einkam, hatte sich der Gold Cup Mullins´ entzogen wie kein anderes Rennen. 20 Pferde hatte Mullins seitdem in den Kampf geschickt, sechs Mal stellte er den Zweitplatzierten. „Die frühen Niederlagen waren schon enttäuschend. Und man gewöhnt sich vielleicht daran. Ich hatte mich wohl damit abgefunden, dass ich wohlmöglich niemals den Gold Cup gewinnen würde. […] Manche Trainer trainieren eben einen besonderen Typ Pferd auf ihre Art und Weise, und vielleicht war meine Methode keine Gold Cup-Methode, auch wenn es manchmal so nahe dran war.“ Doch!

 Nicht, dass diesmal alles nach Plan lief. „Wir dachten, Al Boum Photo sei unsere dritte oder vierte Wahl“ bekannte ein erleichterter Mullins nach dem Rennen, in dem er vier Starter, darunter die Mit-Favoriten Bellshill und Kemboy, gestellt hatte. Letzter verlor seinen Reiter bereits an der ersten Hürde, Bellshill kam unter Stalljockey Ruby Walsh nach diversen Fehlern nie ins Rennen, tragisch endete das Rennen für Invitation Only, der am zehnten Sprung zu Fall kam und nicht zu retten war. So musste es der erst Siebenjährige, relativ wenig geprüfte Buck´s Boum-Sohn Al Boum Photo richten, der Jockey Paul Townend, zweitem Mann am Stall, den größten Sieg seiner Karriere bescherte.

Wiedergutmachung vor allem für Townend, der auf eben diesem Pferd einen der schwersten Reiterfehler seiner gesamten Laufbahn – wohlmöglich eines Jockeys überhaupt – geboten hatte. In bester Haltung hatte Townend, der meinte, ein entsprechendes Signal gehört zu haben, den jungen Wallach beim Punchestown-Festival 2018 mit dem Sieg in der Hand vor dem letzten Hindernis zur Seite gerissen, sogar ein weiteres Pferd aus dem Rennen bugsiert. Bizarrer kann man ein Gr.1 Rennen kaum verlieren. Seitdem hatte der schmale Dunkelbraune nur ein Rennen bestritten, kam also frisch an den Start. Erneut konnte sich Anibale Fly platzieren, auf Platz drei verbannte Bristol de Mai alle Vorurteile, dass ihm Cheltenham nicht liegen könnte. Der mächtige Schimmel lief in der Niederlage eines der Rennen seiner Karriere und verwies Vorjahressieger Native River aus der Platzierung. Might Bite, der 2018 zusammen mit Native Rennen das Rennen in jeder Phase dominiert hatte, wurde gar angehalten. Der Wallach ist aktuell ein Schatten seiner selbst, trotz glühender Vorberichte seines Trainers Nicky Henderson.

Mit der tragischen Note, die dem Gold Cup anhaftete, hatte der letzte Meetingstag leider auch begonnen. In der Triumph Hurdle, offen für vierjährige Nachwuchs-Hürdenpferde, verletzte sich bereits kurz nach dem Start der heiße Favorit Sir Erec, einer der irischen „Banker“ des gesamten Meetings, so schwer, dass er auf der Stelle eingeschläfert werden musste. Trainer Joseph O’Briens, der bereits am Mittwoch mit Band of Outlaws (Jockey JJ Slevin) in der Fred Winter Hurdle (Gr.3, 2m 1/2 f) seinen ersten Festival-Sieger gestellt hatte, war im Vorfeld des Festivals mit einer Verletzung Sir Erec´s sehr offensiv umgegangen. Vor dem Rennen wurde der Hengst, der nach Eisenverlust an der Startstelle neu beschlagen werden musste, ob seiner Gelassenheit bewundert; nur Minuten später schlug das Schicksal gnadenlos zu. Als Hengst hätten dem hochklassigen Camelot-Sohn, auf der Flachen immerhin Listen-Sieger, auch nach aller Rennlaufbahn alle Türen offen gestanden. Geprüfte Vererber sind „in“, bereits zum dritten Jahr in Folge stammte z.B. der Gold Cup-Sieger von einem Hengst ab, der selber über Hindernisse gelaufen war; Buck´s Boum ist zudem ein Halbbruder keines Geringeren als des großen Big Buck´s.

Überschattet vom Verlust Sir Erec´s wurde die Triumph Hurdle sichere Beute von Nicky Hendersons Pentland Hills, über seine Mutter Elle Galante aus deutschen Wurzeln stammend. Der Wallach, 20-1 Außenseiter, wurde trotzdem besonders lautstark gefeiert.  Kein Wunder, hat er doch rund 3.000 Besitzer. Die „Owners Group 031“ ist ein Syndikat der gleichen Betreiber wie Elite Racing (rund 18.000 Mitglieder) bzw. Axom Racing, dem hochpreisigen Arm des Unternehmens. Für einmalig rund 50 GBP konnte man sich bei Pentland Hills einkaufen; und das Gefühl, Teil eines Cheltenham Festival-Siegers zu sein, ist mit Geld ja gar nicht aufzuwiegen. Diverse weitere Starter des Rennens hatte zumindest deutsche Elemente in ihrem Pedigree, allen voran Ecco (Maxios) und Tiger Tap Tap (Jukebox Jury), aus der Zucht von Volker Käufling. Bei Coeur Sublime zeichnet Lomitas als Mutter- Vater, zwei Starter stammten aus Müttern von Lavirco bzw. Monsun. Als 100-1 Riesen-Außenseiter verkaufte sich Ecco dabei beachtlich, der Wallach hatte vor Cheltenham nur einen Start über Hürden absolviert und kam von weit hinten noch schön ins Rennen, auch wenn zu keiner Zeit eine Siegchance bestand.

„What a difference a day makes” sang Dinah Washington Ende der 50er Jahre, und ja, die „24 kleinen Stunden“ machten den Unterschied für Rachael Blackmore, für ihren ersten Sieg beim Cheltenham Festival bereits in der letzten Woche gewürdigt. Vierundzwanzig Stunden nach Bryony Frost schrieb sich Blackmore als zweite Frau in die Siegerliste eines Grade1-Rennens ein, mit Minella Indo gewann sie die Albert Barlett Novices´ Hurdle (3m). Der Wallach, trotz guter Form zu einem der Mitfavoriten im Wettmarkt sträflich unterschätzt (er startete als 50-1 Außenseiter und zahlte am Toto unglaubliche 129-1), war im Rennen mehr als eifrig, ging „Hände voll“ durch die Prüfung und gewann am Ende überlegen. Nicht gerade alltäglich, dass eine Gr.1-Prüfung so leichte Beute eines großen Außenseiters wird. „Ich wünschte, ich hätte die Worte, um zu beschreiben, was dies für mich bedeutet“ bekannte eine überwältigte Blackmore, die hier erneut für Henry de Bromhead zum Zuge kam; einem ihrer größten Unterstützer auch jenseits von Cheltenham.

Gewinner und Verlierer. Sechzehn unterschiedliche Trainer (wenn wir uns denn nicht verzählt haben) gewannen mindestens ein Rennen, darunter auch wenig geläufige Namen wie Ben Case oder Philip Rowley. Gar zwanzig individuelle Jockeys trugen sich in die Siegerlisten ein, nur Nico de Boinville gelangen drei Siege, sechs Reiter konnten zwei Sieger reiten. Ruby Walsh musste sich nach seinem Sieg im ersten Rennen des Festivals mit diversen Niederlagen abfinden; hingegen wird Noel Fehily seinen einen Sieg als großen Erfolg feiern. Fehily, ein Altmeister der englischen Hindernisreiterei, verkündete direkt nach seinem Sieg mit Willie Mullins 50-1 Schock Eglantine du Seuil (Dawn Run Mares Novices´ Hurdle, Gr.2, 2m1f) seinen Rückzug vom Sport, dies sei sein letztes Festival. Fehily hatte zuletzt mit einer verschleppten und fehlerhaft behandelten Blinddarmentzündung zu kämpfen gehabt; „dies ist ein Sport für junge Leute, und ich hatte zuletzt lange Zeit, über einen Rückzug nachzudenken“ reflektierte Fehily nach seinem Sieg, bereits an diesem Samstag wird er in Newbury zum letzten Mal in den Sattel steigen.

14-14 ging die (inoffizielle) Länderwertung England vs. Irland aus; ein Erfolg für die Briten, die in den letzten Jahren von der irischen Konkurrenz regelrecht an die Wand galoppiert wurden.  Trotz der genannten Erfolge (und insgesamt vier Siegern) wird Willie Mullins, erneut Meeting-Champion, sicherlich von einem „gemischten“ Cheltenham sprechen, „what might have been“:  Wäre Benie de Dieux auf den Beinen geblieben, wären Melon, Foodpad, Laurina & Co nicht unter Wert geblieben. Immerhin der Gold Cup, dem Vernehmen nach hatte der Stall am Montag zum ersten Mal eine kurze Party-Pause eingelegt. Ebenfalls vier Sieger stellte Nicky Henderson, seine Schützlinge galoppierten rund 555.000GBP ein, ca. 350.000 GBP weniger als Mullins (909.029).

Als Verlierer wird sich – trotz drei Siegern- Gordon Elliott fühlen, mit über 60 Pferden angereist. Der einzige Gr.1 Erfolg kam auf der Flachen; demgegenüber herbe und schmerzhafte Niederlagen, allen voran natürlich mit Apple´s Jade, die bei ihrer enttäuschenden Vorstellung in der Champion Hurdle allerdings unter einer Infektion litt. Auch von Delta Work, Ucello Conti oder Dallas des Picton hatte man sich sicher mehr versprochen; viele von Elliotts Schützlingen zeigten ganz sicher nicht ihr wahre Format.

So riss denn auch die bemerkenswerte Serie eines Davy Russell, der seit 14 Jahren mindestens einen Festival Sieger ritt, in 2019 aber leer ausging. Als letzte Chance hätte Presenting Percy, immerhin als Favorit an den Start des Gold Cup gekommen, das Blatt noch wenden können; doch Pat Kellys Schützling zollte seiner unkonventionellen Vorbereitung Tribut, kam dem Vernehmen nach auch lahm aus dem Rennen. Nur ein Hürdenrennen hatte der überlegene Sieger der letztjährigen RSA Chase in der Zwischenzeit bestritten;  Kellys konsequente Weigerung, mit der Presse zu sprechen, führte nach der Niederlage in gewissen Kreisen also zu einem Händereiben. Mit „nur“ zwei Siegen war Paul Nicholls hingegen einer der Gewinner: sein dritter Platz in der Gesamtstatistik ist Spiegelbild einer hervorragenden Gesamtform, und beide Siege kamen in einem Gr.1 zustande, was will Trainer mehr?

Catrin Nack

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