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Der alte rote Löwe schlägt wieder zu

Autor: 

Catrin Nack

TurfTimes: 

Ausgabe 648 vom Freitag, 11.12.2020

Sandown, Aintree und ein wenig „Irland“ waren die Hauptschauplätze des vergangenen Wochenendes. Die Schlagzeilen aber schrieb ein Pferd, das seine Box gar nicht erst verließ.

Sandown Park, im vornehmen Londoner Vorort Esher gelegen, bietet Gr.1 Sport in beiden Sphären. Die Hindernisbahn ist eine der schwersten im Lande, auf der Gegenseite kommen die sog. „Railway-Fences“ in schneller Folge und erfordern höchste Konzentration von Pferd und Jockey. Am Samstag musste allerdings der drittletzte Sprung, der berüchtigte „Pond Fence“, wegen der niedrigen Sonne ausgelassen werden. Die Tingle Creek Chase und auch die Henry VIII Novices´ Chase (beide Gr.1, 1m7.5f) sind frühe Highlights jeder Rennsaison.

Zwei Meilen-Rennen sind die Sprintrennen im Hindernissport. Beide Rennen in Sandown werden offiziell gar nur über 3126m gelaufen, Nachmessungen vor einigen Jahren haben auf diversen Rennbahn Differenzen zur alteingesessenen Distanz ergeben. Die Henry VIII (sein „Haupt-Schloß“ Hampton Court liegt einen Steinwurf entfernt) Novices´ Chase ist ein Klassiker für Jungstars, die Siegerliste elitär. Als Sea The Moon-Sohn führt der jüngste Sieger Allmankind eine Menge deutsches Blut, mütterlicherseits stammt der bald 5j. Wallach gar noch edler ab: seine zweite Mutter Wemyss Bight Dancing Brave) war klassische Siegerin für Juddmonte Farms, die Mutter Wemyss Bay (Sadler's Wells) eine Halbschwester von Beat Hollow (zu dessen besten Nachkommen auf der Flachen im Übrigen der von Sir Michael Stoute trainierte Sea Moon gehört). 

Auf der Flachen für Michael Bell immerhin Maiden-Sieger, konnte Allmankind dort in besserer Klasse nicht bestehen. Für die Skelton-Brüder ist der etwas unscheinbare Braune bereits 2facher Gr.1. Sieger: über Hürden und auf der Jagdbahn. Trainiert von Dan und von Harry geritten, dominierte Allmankind seine vier Gegner von der Spitze aus, sah nie ein anderes Pferd. Es war der Beginn einer erfolgreichen halben Stunde für Jockey Harry Skelton, der auch im Sattel von Politologue saß.

Politologue, in den berühmten „One Man“ Farben von John Hales, von Paul Nicholls trainiert, ist das Verlasspferd der Szene; trotz 12 Siegen ist er so etwas wie ein „nearly horse“. Wenn er seine Bedingungen hat – vor allem weichen Boden und gerne Distanzen jenseits der zwei Meilen – ist er schwer zu bezwingen; gegen Top-Pferde hingegen muss er meistens den Kürzeren ziehen. Es gibt keinen Zweifel an seiner Klasse; er ist u.a. (zweifacher) Tingle Creek – und Champion Chase Sieger. Doch gegen Pferde wie Altior, Defi Du Seuil oder Cyrname stand er zumeist auf verlorenem Posten. Zumal, wie Trainer Paul Nicholls nach dem Rennen bekannte, der Wallach zum Bluten neigte; nun habe man sein Training aber völlig neu gestaltet.

Optisch in bestechender Form, ließ Skelton den Schimmel von der Spitze aus treten, pochte auf das Stehvermögen seines Partners. Heraus kam ein nie gefährdeter Sieg über den Stallgefährten Greaneteen und Harry Whittingtons Rouge Vif. Überschattet wurde das Rennen jedoch von der kontroversen Abmeldung Altiors, der sein Saison-Debut geben sollte. Wenig war 2019/20 für den bis dato über Hindernisse ungeschlagenen Altior zusammen gelaufen, ein erster Start über weitere Distanzen hatte gar eine 19(!)-Rennen lange Siegesserie beendet. Cheltenham 2020 hatte der Wallach bereits ausgelassen; nun die Streichung am späten Vorabend der Prüfung, offizieller Grund der Boden (der offiziell als weich, gut-weich beschrieben wurde, und den Paul Nicholls im Interview als „gar nicht schlecht“ bezeichnet hatte).

Am Rande der Freitagsrennen hatte Altior-Jockey Nico de Boinville leise Zweifel an der Form seines Partners aufkommen lassen, die Boden-Frage jedoch beiseite gewischt. In einem Samstag nach den Rennen live ausgestrahlten Interview mit dem Rennsport-Bezahlsender Racing TV musste sich Henderson unangenehme Fragen einer hartnäckig nachhakenden Reporterin gefallen lassen, auf die er zunehmend unwirsch und beinahe aggressiv reagierte. Das Interview beherrschte die sozialen Medien und ließ den wunderbaren Erfolg von Politologue beinahe in den Hintergrund treten. Teletubby-Erfinder John Hales hatte Mitte der 90er Jahre mit dem einzigartigen One Man große Erfolge gefeiert, seitdem kauft er besonders gerne Schimmel. Viele von Englands Rennbahnen lassen neben Besitzern nun auch wieder Zuschauer in begrenzter Zahl zu; es kam Stimmung auf, als Hales, von einer überstandenen schweren Erkrankung gezeichnet, sein aktuell bestes Pferd in Empfang nahm.

Im nordenglischen Aintree fand zeitgleich der Renntag um die Becher Chase statt; ein Gr.3 Rennen über 3m2f (das Grand National ist 4m2.5f lang) und ebenfalls über die berühmten Reisig-Sprünge. Der Sieger Vieux Lion Rouge hat trotz des französischen Suffix einen deutschen Vater, Sabiango, aus dessen französischer Zeit, ihm ist er aus dem Gesicht geschnitten. Nach 2016 ist es der zweite Erfolg des inzwischen 11j. Wallachs, den David Pipe immer wieder zu tollen Leistungen animieren kann. Bei neun Starts über diesen speziellen Kurs ist der Fuchs immer ohne Zwischenfall ins Ziel gekommen; die Racing Post hat errechnet, dass er dabei 223 Mal die so speziellen Hindernisse fehlerfrei überwunden hat.

Die „Many Clouds“ Chase (Gr.2, 3m1f) wird auf der konventionellen Jagdbahn ausgetragen und erinnert an Many Clouds, u.a. Grand National Sieger 2015 in den gelb-grün-weißen Farben von Trevor Hemmings. Nur fünf Starter, aber mit Publikumsliebling Frodon (auch Aintree durfte eine begrenzte Zahl von Zuschauern auf die Bahn lassen), dem ehemaligen Gold Cup Sieger Native River (Colin Tizzard) und Gold Cup-Zweitplatzierten Santini (Nicky Henderson) ein Feld mit Klasse. Durch die niedrige Sonne mussten diverse Hindernisse ausgelassen werden, dies mag ein Grund für das etwas kuriose Ergebnis gewesen sein. Es gewann, als 16-1 Außenseiter doch überraschend, der in den bereits erwähnten Hemmings-Farben laufende 10j. Schimmel Lake View Lad. Trainiert wird der Wallach im kleinen, zumeist lokal agierenden Quartier von Nick Alexander, der an diesem so großen Renntag gar zwei Sieger stellte. Im Sattel der ebenfalls vornehmlich im Norden tätigen Brian Hughes, seines Zeichens amtierender Champion-Jockey der Hindernisjockeys.

In einem Listenrennen für Stuten kam die ehemals von Dominik Moser für das Gestüt Haus Ittlingen trainierte Megan, die im Oktober über die BBAG für 22.000€ in den englischen Hindernissport verkauft worden war, auf einen guten dritten Platz. Tatsächlich war die Lord of England-Tochter als heiße Favoritin gestartet, brachte sich aber durch zu starkes Pullen wohlmöglich um eine bessere Platzierung.

Punchestown und Cork hielten am Sonntag einige Graded-Rennen ab, im Fokus vor allem die John Durkan Memorial Chase (Gr.1, 2m 4.5f) und Corks Kerry Group Hilly Way Chase (Gr.2, 2m 1/2f). In beiden Prüfungen war es „business as usual“ für Erfolgstrainer Willie Mullins. Stalljockey Paul Townend hatte sich ins südirische Cork begeben, um mit Chacun Pour Soi eines der "Talking horses" der Szene zu reiten. Der französisch gezogene Policy Maker-Sohn hatte erst im März 2019 – nach rund dreijähriger Pause – die irische Hindernisszene gestürmt, bei seinem ersten Start mit einem 31-Längen-Sieg ordentlich Eindruck gemacht. Sein darauffolgender Sieg beim renommierten Punchestown-Festival über immerhin Defi Du Seuil machte ihn endgültig zum neuen „Superstar“; eine Auszeichnung, die er vollends erst noch beweisen muss. Wie auch Altior musste er die 2020er Champion Chase auslassen; nun hatte er in Cork wenig Mühe, drei überforderte Gegner abzucantern, von denen zwei ohne weitere Blessuren zudem am letzten Sprung zu Fall kamen.

Die John Durkan Memorial Chase ist eine absolute Traditionsprüfung, die Sieger gehören gewöhnlich sofort dem Favoritenkreis für den Cheltenham Gold Cup an. In dichtestem Nebel gelaufen („Ich kann sie jetzt hören“ rief der Kommentator aufgeregt ins Mikrofon), gewann der Mullins-Schützling Min, inzwischen 12facher Sieger (davon sechs Mal auf Gr.1 -Ebene) bei 22 Starts, dieses Rennen als erstes Pferd überhaupt zum dritten Mal, ein Hattrick. Schade nur, dass niemand sehen konnte, wie überlegen er war. Der Renntag wurde direkt im Anschluß an das Rennens abgebrochen. Im Sattel saß Trainer-Sohn Patrick, offiziell ein Amateur. Mit Tornado Flyer und dem ewigen platzierten Melon stellte Mullins gar die drei Erstplatzierten. Business as usual.

Catrin Nack

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