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Westfälische Kante mit Gefühlen

Autor: 

Frauke Delius

TurfTimes: 

Ausgabe 425 vom Donnerstag, 07.07.2016


Zwei, die sich mögen: Christian Sprengel und Boscaccio im Stall auf der Neuen Bult: "Das beste Pferd, das ich je trainiert habe." www.dequia.deZwei, die sich mögen: Christian Sprengel und Boscaccio im Stall auf der Neuen Bult: "Das beste Pferd, das ich je trainiert habe." www.dequia.deWenn es um das IDEE 147. Deutschen Derby geht, dann liegt es nah, die Geschichte des Mannes zu schreiben, der den Favoriten trainiert. Der Mann heißt Christian Sprengel, das Pferd Boscaccio. Der hat in seinem Leben bisher vier Rennen bestritten und alle vier gewonnen. Zuletzt das Oppenheim-Union-Rennen, Gr. II, was ihn bei den Wettern zur Nummer 1 macht, auch wenn die Konkurrenz groß ist und die Namen der Mitbewerber prominent klingen. Im Stall von Trainer Christian Sprengel in Hannover sind dagegen derzeit nur 15 Boxen gefüllt. In einer davon steht Boscaccio.

"Das Pferd meines Lebens": Boscaccio siegt vor Röttgens El Loco im Union-Rennen, Gr. II. Foto: Dr. Jens Fuchs"Das Pferd meines Lebens": Boscaccio siegt vor Röttgens El Loco im Union-Rennen, Gr. II. Foto: Dr. Jens Fuchs„Lass das, Du Strolch“, schimpft Trainer Christian Sprengel mit dem dreijährigen Ausnahmegalopper, der in seiner Box gerade Faxen macht. Obwohl „schimpfen“ nicht das richtige Wort ist. Dazu passt die Stimme nicht und der Blick. Viel zu liebevoll. Auch als Boscaccio versucht an seinen Händen herum zu knabbern. „Das macht er gerne“, heißt es nur. Dann schnüffelt und schnaubert das Pferd in seiner Halsbeuge und Sprengel lächelt dazu, „ja, er hat überhaupt noch nichts verkehrt gemacht“, lobt er seinen Schützling. Hunderte von Pferden hat Christian Sprengel in seinem langen Trainerleben betreut, aber bei diesem hier wird das Raubein aus Westfallen irgendwie ganz sentimental. Der sei, so Sprengel, etwas ganz Besonderes: „Das beste Pferd, das ich je trainiert habe!“

Nach dem Union-Rennen: Boscaccio mit Dennis Schiergen, Betreuerin Tabea Rödel und Trainer Christian Sprengel in Köln. Foto: Dr. Jens FuchsNach dem Union-Rennen: Boscaccio mit Dennis Schiergen, Betreuerin Tabea Rödel und Trainer Christian Sprengel in Köln. Foto: Dr. Jens Fuchs
Am liebsten, so scheint es, würde er dieses Pferd in Watte packen und höchstpersönlich durch Ziel beim IDEE 147. Detuschen Derby tragen, in dem er als Wett-Favorit an den Start kommen wird. Das scheitert aber schon an der Gewichtsklasse des Trainers, der seine Jockey-Karriere frühzeitig beenden musste, „weil es nicht lange gut gehen konnte, am Montag 70 Kilo zu wiegen und am Wochenende mit 66 reiten zu müssen.“ Deshalb ist er Trainer geworden, wie sein Vater Walter Sprengel und seine Halbbrüder Bruno und Wilfried Schütz. Eine ziemlich verzwickte Familiengeschichte, deshalb bleiben wir zunächst bei der von Boscaccio, die ziemlich schnell erzählt ist ist. Gezogen vom der Stiftung Gestüt Fährhof aus der Bianca de Medici, die in Sottrum nur ein kurzes Gastspiel gegeben hat, Boscaccio ist ihr Erstling und ihr einziger Nachkomme für Fährhof. Der Mount Nelson-Sohn kam zunächst nach Dortmund ins Training zu Norbert Sauer. Nach dessen tragischem Tod durch einen Trainingsunfall suchte die Besitzergemeinschaft um Rainer Hupe nach einem Nachfolger und kam auf Christian Sprengel, auch wenn man sich vorher noch nicht kannte. Der Standort Hannover spielte dabei eine Rolle, weil Rainer Hupe dort herstammt, aber auch die Chemie zwischen Trainer und Besitzer. „Die muss stimmen, sonst geht es nicht, jedenfalls nicht bei mir“, meint Sprengel, der keinen Hehl daraus macht ein Mann klarer Worte zu sein, „nicht immer zu meinem Vorteil.“ Eine westfälische Kante eben.

Typischer Sprengel-Look: Nach dem Sieg im Wahshih in Bad Doberan 2015 mit Tabea Rödel, die auch im Stall fest angestellt ist und Boscaccio in der Arbeit reitet. www.galoppfoto.de - Frank SorgeTypischer Sprengel-Look: Nach dem Sieg im Wahshih in Bad Doberan 2015 mit Tabea Rödel, die auch im Stall fest angestellt ist und Boscaccio in der Arbeit reitet. www.galoppfoto.de - Frank SorgeZum Trainer, der seine Besitzer an den Champagnerstand führt und mit den Besitzern parliert, taugt er nicht. Sprengel steht mit breiten Hosenträgern bei der Siegerehrung und nach getaner Arbeit an der Theke, „das biertrinkende Volk findet sich irgendwann wieder“, heißt es mit einem Augenzwinkern. Er ist ein Mann der Basis, ein Horseman der handfesten Art. Keiner, dem die großen Gestüte den Stall füllen. Mit einer Ausnahme. Das Gespräch war kurz.  „Scherst Du Deine Pferde?“ und „Macht’s Du im Winter Decken drauf?“ lauteten die Fragen, auf die zweimal „Nein“ die richtige Antwort war. „Dann kriegst Du jetzt auch Pferde von uns“, lautete die knappe Ansage ins Telefon, an dessen anderem Ende der Leitung der Wittekindshofer Gestütsleiter Karl Jörg war. „Ich bin froh, dass ich Wittekindshof habe“, gibt Sprengel zu, „wir kleinen Trainer haben es alle sehr, sehr schwer.“ Denn trotz des Erfolges mit Boscaccio rennt ihm keiner die Bude ein. „Sonst hatte ich immer 25 bis 30 Pferde, damit kommt man klar“, heißt es. Jetzt sind es nur noch besagte 15. Die Probleme sind schnell benannt. Die Trainingsanlage in Hannover sei zwar vom allerfeinsten und topgepflegt, aber im Winter gäbe es sieben Monate lang keine Rennen mehr. Die Transportkosten zu den anderen Rennbahnen, insbesondere nach Frankreich, seien hoch. Der Nachwuchs, auch bei den Besitzern, fehle. „Ich mache mir schon Gedanken, wie es weitergehen könnte“, bekennt er, „im Moment muss ich für zehn Leerboxen zahlen, irgendwann rechnet sich das alles nicht mehr.“ Auch die Rennvereine müssten sich anpassen. Ende 2016 läuft der alte Vertrag aus, dann stehen Neuverhandlungen mit Gregor Baum, dem Präsidenten des Hannoverschen Rennvereins, an. Der betreibt selber einen ambitionierten Rennstall, in dem Melanie Sauer, die Tochter von Norbert Sauer, als Trainerin arbeitet. 

An dem hängt viel Herzblut: König Turf mit Torsten Mundry und Trainer Christian Sprengel nach dem Sieg in der Europa-Meile 2007 in Köln. www.galoppfoto.de - Frank SorgeAn dem hängt viel Herzblut: König Turf mit Torsten Mundry und Trainer Christian Sprengel nach dem Sieg in der Europa-Meile 2007 in Köln. www.galoppfoto.de - Frank SorgeRennbahn-Abschied und Start in die Deckhengstkarriere: Electric Beat, der Sieger in der Goldenen Peitsche, mit Torsten Mundry bei der Präsentation auf der Neuen Bult 2007 mit Besitzer Hans-Jürgen Buldt (links) und Trainer Christian Sprengel. www.galoppfoto.de - Frank SorgeRennbahn-Abschied und Start in die Deckhengstkarriere: Electric Beat, der Sieger in der Goldenen Peitsche, mit Torsten Mundry bei der Präsentation auf der Neuen Bult 2007 mit Besitzer Hans-Jürgen Buldt (links) und Trainer Christian Sprengel. www.galoppfoto.de - Frank SorgeEnde 2016 wird Christian Sprengel 60 Jahre alt und ist seit mehr als 33 Jahren selbstständiger Trainer. So einer kennt alle Höhe und Tiefen des Sports. „Mein Vater hat in Warendorf jede Menge schlechter Pferde trainiert, da habe ich schon früh gelernt, wie es an der Basis aussieht“, macht Sprengel deutlich, „und es ist nichts besser geworden mit den Jahren“. Trotz großer Erfolge. Denn der Sieg im Union-Rennen von Boscaccio war schon Sprengels 10. Gruppesieg. Viel gemessen an der Zahl der Pferde im Stall. Pferde wie der viermalige Gruppesieger König Turf, an dem besonders "viel Herzblut hängt, das war der härteste und beste, den ich bisher hatte. Der hat sogar noch mit Schrauben im Bein gewonnen, die Reha habe ich selber mit ihm gemacht"". Dazu natürlich König Concorde, Bear King, Prince Nico, der Gr. I-Sieger im Hürdenrennen in Meran, und als Highlight Electric Beat mit seinem Sieg in der Goldenen Peitsche, Gr. II, in Baden-Baden haben seine Trainerlaufbahn begleitet, davon zeugen ihre Fotos, die im kleinen Büro im Stall hängen. Aber die Zeiten haben sich geändert. „Sonst hatte ich immer 25 bis 30 Pferde, damit kommt man klar“, heißt es. Jetzt hat er den heißen Favoriten fürs Derby im Stall und trotzdem Probleme.

Dabei ist Christian Sprengel keiner, der nur tatenlos rumjammert. Ist zwei Tage vor Weihnachten extra zu einer Sitzung des Direktoriums nach Köln gefahren, um wieder einmal die Grundanliegen der Trainer, die an der Basis arbeiten, vorzutragen. Die Themen: Gerechtere Aufteilung der Rennpreise. Änderung der Ausschreibungen. „Da sitzt man dann mit dem Präsidenten des Direktoriums zusammen, der zu allem nickt“, heißt es lakonisch, „und am Ende ändert sich Null“. Schlimmer noch: „Jetzt haben die sogar die Einsätze in den Basisrennen erhöht. Das ist kontraproduktiv.“ Da klingt viel Frust durch. Jahrelang habe er Wände eingerannt. „Es fehlt die Gerechtigkeit und die Stärkung der Basis. Die wissen gar nicht wie schlecht es uns geht“, heißt es, und mit „die“ sind die handelnden Personen im Direktorium gemeint.

Dabei gab und gibt es immer noch andere Optionen. Es gab mal die Überlegungen nach Köln zu gehen, an den ehemaligen Stall seines Halbbruders Bruno. Aber bei dem Treffen mit seinem Neffen Andreas Schütz seien zu viele Juristen dabei gewesen. „Damals war es die richtige Entscheidung in Hannover zu bleiben“, meint Sprengel. Der Wohlfühlfaktor sei groß. Er fühle sich mit seiner Frau Marianne im Zuhause in Isernhagen wohl. Bald wird Silberhochzeit gefeiert. „Ich hoffe, dass ich hierbleiben kann“, sagt er, „aber wenn es wirtschaftliche Zwänge gibt, dann bleibt nichts Anderes übrig, als zu wechseln.“ Anfragen gibt es, „wenn die in Dortmund umbauen, dann wäre das schon interessant“, räumt Sprengel ein. Derzeit arbeiten nur noch drei Leute am Stall. „Einen Jockey habe ich schon lange nicht mehr“, heißt es, „Tabea Rödel reitet. Und die Erfolge geben uns recht.“

Lässt laufen: "Nach dem Derby werde ich auch wieder anfangen mit meinen Walking-Stöcken und dem Fahrrad-Fahren", heißt es, aber jetzt gilt Sprengels ganze Aufmerksamkeit der Fitness von  Boscaccio und Dennis Schiergen. ©miro-cartoonLässt laufen: "Nach dem Derby werde ich auch wieder anfangen mit meinen Walking-Stöcken und dem Fahrrad-Fahren", heißt es, aber jetzt gilt Sprengels ganze Aufmerksamkeit der Fitness von Boscaccio und Dennis Schiergen. ©miro-cartoonMit 75 wolle er nicht mehr trainieren, „aber zehn Jahre schon noch, jedenfalls solange die Gesundheit mitspielt.“ Denn ohne Pferde geht es nicht. Das seien eben die Pferdegene. Die stammen auch von der Mutter Gerda, geb. Grothe. „Die hat schon in den 30-ger Jahren in Hoppegarten Rennen geritten, zusammen Daisy von Mitzlaff, Ellen Panse (spätere Frau Schlaefke und Elsbeth von Dewitz. Mit einem Horch sind sie von Rennbahn zu Rennbahn gefahren. Dazu hat sie noch Springturniere bestritten, in einem Damensattel“, so ein Auszug der Familiengeschichte. Aus der ersten Ehe mit dem Trainer Willi Schütz entstammen die Söhne Bruno, Jürgen und Wilfried, allesamt erfolgreiche Amateurreiter und teilweise auch Trainer, besonders Bruno mit über 2000 Siegen und sein Sohn Andreas als Nachfolger. In zweiter Ehe mit dem ehemaligen Hindernisreiter und späteren Trainer Walter Sprengel folgten Christian und seine Schwester Karina, die unter dem Namen Grothe-Hasskamp auch als Rennen bestritten und immerhin sechs gewonnen hat. Bei Christian Sprengel waren es 111, mit den Siegen im Durchardin-Jagdrennen, dem Roulette-Preis in Baden-Baden und dem Amateurchampionat 1975 als Höhepunkt.

Als Trainer hat er in Steinhagen angefangen, als Privattrainer in Brockhagen bei Irmgard Severin. „Die guten wilden Zeiten in Westfalen“, erinnert er sich. Seit 1987 ist er selbstständiger Trainer in Hannover. Kleine Anfänge, ein paar Jahre hat es gedauert, bis die Siegpreis fünfstellig wurden – auch schon zu DM-Zeiten. Aber die Erfolgskurve führte langsam aber stetig nach oben. Er trainiere nicht, um mit Ausgleich-IV-Pferden seinen Stall zu füllen, so die Ansage, das sei die Aufgabe von Besitzertrainern, "ich suche den sportlichen Erfolg und bin da meinen Besitzern gegenüber ehrlich und direkt, das mag nicht jeder“, stellt Sprengel klar, „ich bin eben ein westfälischer Dickkopf“. Zuletzt hat das zur Trennung von Besitzer Lucien van der Meulen geführt, mit dessen Pferden Christian Sprengel seine Boxenkapazität in Spitzenzeiten auf 50 erhöht hatte. Auch schon wieder Geschichte.

Und dann kam im März 2015 Rainer Hupe vorbei mit den Worten „ich hab‘ da ein Derbypferd, lass uns mal reden“. Das „na ja“, das sich jeder Trainer bei solchen Worten denkt, kann man nur erahnen. Jedenfalls redete man damals über einen Zweijährigen, „der eher spät ins Rollen kam“, erinnert sich Sprengel, „aber die Chemie zwischen mir und dem Besitzer stimmte. Dass Boscaccio  so gut werden würde, war nicht vorauszusehen“. Die Tatsache, dass der Besitzer von Anfang an Dennis Schiergen als Reiter bestimmt hatte, war nie ein Thema. "Boscaccio ist ein absolut unkompliziertes Pferd, die beiden passen gut zusammen. Dennis war nur einmal hier, um Boscaccio bei der Arbeit zu reiten, vor dem Zweijährigen-Start." Der Besitzer kommt häufiger vorbei. Man versteht sich. "Dabei werde ich nie vergessen, wie ich an das Pferd gekommen bin. Norbert war mein Freund. Aber die Besitzer sind von sich aus auf mich zugekommen. So ist das Leben eben.“ Und dann ist dieses Pferd nicht irgendein Pferd, sondern „das Pferd meines Lebens“, wie Sprengel bekennt, „ich weiß nicht, ob das Schicksal ist.“ 

Westfälische Kante mit Gefühlen: Christian Sprengel und Boscaccio. www.dequia.deWestfälische Kante mit Gefühlen: Christian Sprengel und Boscaccio. www.dequia.deVom Presserummel hält Christian Sprengel sich und vor allem das Pferd fern. Unser Besuch im Stall war die Ausnahme. Der Trainer will keine unnötige Unruhe, alles soll so laufen wie immer. Er fährt auch während der Derbywoche jeden Tag zwischen Hamburg und Hannover hin- und her. Will nichts dem Zufall überlassen. „Ich hatte bisher zwei Derbystarter. Das war vor 26 Jahren Second Fire, der war 13., im letzten Jahr ist Iraklion gelaufen, der landete etwas unglücklich auf dem 9. Platz“.  Das Derby ist also auch für so einen erfahrenen Trainer noch eine besondere Herausforderung. „Das hat schon einen anderen Stellenwert“, heißt es, „die Erfahrung vom letzten Jahr hilft da sehr.“ Der Zeitplan steht, die Box in Hamburg ist gebucht, „wir stehen zusammen mit Mario Hofer in einem Stall“, der Hufschmied auch. Der Trainingsplan ist minutiös ausgeklügelt, der Transporteur ist erst für den Derbytag selbst gebucht. Der Hauptakteur schnüffelt derweil glückselig an seinem Trainer herum. „Mit Boscaccio kann man alles machen, seine große Stärke ist seine Coolness“, meint der Trainer, „und das beruhigt mich dann auch.“  Der Derby-Countdown läuft. Tief durchatmen. Träumen. Daumendrücken. Und das Schlusswort: „Man macht sich so seine Gedanken. Das Derby ist eine Lotterie. Das hängt von vielen Faktoren ab. Ich hoffe, dass die Besten vorne sind, dann sind wir auch dabei."

 

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