Drucken Redaktion Startseite

Waiting Patiently - der emotionale Sieger

Autor: 

Catrin Nack

TurfTimes: 

Ausgabe 506 vom Freitag, 23.02.2018

Und Erstes kommt es anders, und Zweitens als man denkt. So oder ähnlich könnte man die National Hunt-Aktivitäten des vergangenen Wochenendes umschreiben:  gerade schien es, als würde der Hindernissport für einige Wochen in etwas ruhigere Fahrwasser gleiten (die sprichwörtliche Ruhe vor dem (Cheltenham) –Sturm), da wartete die Rennbahn Ascot mit einer erstklassigen Austragungen ihrer renommierten Ascot Chase auf. Nicht wenige meinten,  das „Rennen der Saison“ gesehen zu haben;  und wenn diese Auszeichnung Mitte März natürlich starke und vielfältige Konkurrenz  bekommen wird, so war die 2018er Edition des Rennens tatsächlich ein absoluter Kracher, und das Finish zweier großer Pferde. Der eine ein Altstar auf der Zielgerade seiner Karriere, der andere ein „New Kid on the block“, mit makellosem Rennrekord. Fügt man dann noch den Ballast aller Emotionen hinzu, den beide Pferde schultern mussten, dann kann das Ergebnis nur ein ganz großer Moment auf dem grünen Rasen sein. Doch der Reihe nach.

Wie auch auf der Flachen, konzentrieren sich auch in Hindernissport die Topereignisse (jenseits der großen Festivals, versteht sich) vor allem auf die Samstage.  Immer wieder jedoch verstecken sich kleinen „Perlen“ an den Wochentagen: das Comeback eines Stars, Rennen mit einer besonderen Bedeutung. Die Londoner Rennbahn Sandown Park hält jeweils Mitte Februar den Royal Artillery Gold Cup ab; ein Rennen mit langer Tradition (die erste Austragung fand bereits im Jahr 1878 statt), welches tut, was es sagt: Als Reiter kommen ausschließlich aktive oder ehemalige Mitglieder der britischen Armee in Frage, die einen Starter für das Rennen pachten müssen.

Man stelle sich vor, Offiziere der Bundeswehr würden sich für einen entsprechenden Wettkampf hierzulande in den Sattel schwingen.  Es bedarf keiner besonderen Erklärung, dass die britische Armee in der Bevölkerung -  und auch in der Rennsportgemeinde – einen sehr positiven Stellenwert einnimmt; der Royal Artillery Gold Cup ist alljährlich Titelstory der Racing Post. Bereits im letzen Jahr trug sich im Rennen ein kleines Stück „Geschichte“ zu, als mit Captain Guy Disney zum ersten Mal überhaupt ein Reiter nach einer Beinamputation [Disney musste nach einer Explosion in Afghanistan ein Unterschenkel amputiert werden] nicht nur für ein Rennen zugelassen wurde, sondern sogar als Sieger die Ziellinie überquerte. Mit seinem damaligen Partner Rathlin Rose (Trainer: David Pipe) trat Captain Disney in diesem Jahr erneut an, und erneut reichte es zu einem vollen Erfolg; mehr noch, der 10j. Rathlin Rose ist nach drei Starts in Sandown ungeschlagen und kann getrost als eine Art Kursspezialist gelten.

Kaum ein Samstag vergeht in England, ohne dass die junge Nachwuchsreiterin Bryony Frost ein großes Rennen gewinnt. So auch am vergangenen Samstag, als der von ihr so geliebte Black Corton nach einem exquisiten Ritt von Frost die Reynoldstown Novices´ Chase (Gr2, 3m) gewann. Pferd und Reiterin sind damit absolute  Aufsteiger der Saison: dies war sage und schreibe  der achte (!) Sieg bei zehn Starts seit Juni 2017,  zweimal wurde Black Corton Zweiter, bei sechs Siegen saß Frost im Sattel. Trotzdem betonte Trainer Paul Nicholls,  dass der fast schwarze Wallach keineswegs 100% fit war, schließlich hatte er seit dem 26.12.17 kein Rennen mehr bestritten, was im Team Ditcheat vermutlich einer Winterpause gleichkommt.

Black Corton, klein in Statur aber mit großem Kämpferherz ausgestattet, ist nun einer der Favoriten für die RSA Chase, und wird auch hier Frost im Sattel tragen, die ja strenggenommen kein Stalljockey ist, sich aber mit diesem Pferd besonders gut versteht. So war es schon am vergangenen Wochenende zu der etwas bizarren Situation gekommen, dass Nicholls´ Stalljockey Sam Twiston-Davies in nordenglischen Haydock ritt (und hier seinen einzigen Sieg ausgerechnet für seinen Vater Nigel erzielte), während sich Frost neben Black Corton auch in der Ascot Chase, und damit im wichtigsten Rennen des Tages, für Nicholls in den Sattel schwang. Und hier mit dem drittplatzierten Frodon eine gute Figur abgab, wenn auch das Paar weit geschlagen nie für einen Sieg in Frage kam.  

Die Ascot Chase (Gr1, 2m5f = 4232m) ist eine verhältnismäßig junge Prüfung, die in dieser Form erst seit Mitte der 90iger Jahre gelaufen wird. Seitdem haben sich bemerkenswerte Namen in die Siegerlisten eingeschrieben, allen voran natürlich Kauto Star, der das Rennen vor genau 10 Jahre gewonnen hatte, und der wunderbare One Man. Dazu Pferde eines Kalibers von Tiutchev, Monet´s Garden oder Voy Por Ustedes; und dann ist da ja noch Cue Card. Der nunmehr 12jährige Wallach, in der Obhut von Trainer Colin Tizzard, ist in England inzwischen ein absolutes Kult-Pferd, da gibt es keine zwei Meinungen. Nach diversen schweren Stürzen und lustlosen Leistungen hat der King´s Theatre Sohn alle Höhen und Tiefen eines langen Athleten-Daseins durchlaufen, er fiel und er stand auf; seine letzten Rennen sind geplant, sein Ruhestand steht kurz bevor.

Nicht, dass das Pferd noch viel zu beweisen hätte: neun Gr1-Siege hat er erlaufen, 16 Siege insgesamt (davon zwei in eben dieser Prüfung)  mehr als 1,4 Mio. Pfund an Preisgeld eingaloppiert.  Zwei Festival-Siege stehen auf der  Haben-Seite, dem Gegenüber zwei der dunkelsten Stunden seiner Laufbahn: die Stürze – am vermaledeiten drittletzten Sprung – im Cheltenham Gold Cup. So groß ist seine Beliebtheit, dass der Wallach gleichsam ein Allgemeingut geworden ist: Die Fans tragen ihn im Herzen, fordern seit Monaten seinen Ruhestand und fiebern seinen Auftritten trotz allem entgegen. Trainer Colin Tizzard, der sich erst vor Wochenfrist selber aus einem kleinen Formtief befreit hatte, will von alledem nichts hören. Dieses Pferd ist auch sein Star, das Pferd, welches seinen Aufstieg in die Top-Liga der britischen Trainer initiiert, begleitet und gefördert hat, die Konstante der letzen acht Jahre seines Trainerlebens. Nichts hätten die Fans also lieber getan, als Cue Card, wieder mit seinem kurzzeitig verschmähten „Stamm“ Reiter Paddy Brennan an Bord, bei seinem dritten Sieg in der Ascot Chase zuzujubeln;  es würde eines besonderen Pferdes bedürfen -mit einer besonderen Geschichte – dem man einen Sieg „verzeihen“ könnte.

Dieses Pferd war Waiting Patiently. Und dies nicht nur wegen der Art und Weise, mit der siebenjährige Flemensfirth-Sohn durch das Rennen lief und sprang:  immer am Gebiss, nie unter Druck und scheinbar mühelos schloss der Braune, unter seinem ständigen Jockey Brian Hughes am vorletzten Sprung zum führenden Cue Card auf, der tapfer versuchte, von der Spitze aus nach Hause zu galoppieren. Kurz mögen Cue Cards Fans Hoffnungen auf einen Sieg gehegt haben, aber während Paddy Brennan seinen Partner unter Aufbietung aller Kräfte im Rennen hielt, saß Hughes beinahe regungslos zu Pferd, auch ein schlechter Sprung am letzten Hindernis, an dem sich Waiting Patiently verschätzt hatte, brachte den letztendlich überlegenen Sieg nie in Gefahr. Der etwas grobe Wallach – aber Schönheit liegt ja im Auge des Betrachters, und wie sagen die Engänger? „ Handsome is as handsome does“ – ist ein groß gesteigertes Pferd mit unendlichem Potential,  sorgsam gehütet und langsam gereift.

Doch wenn auch die Mehrzahl der Zuschauer vor allem ein Pferd angefeuert hatte, so entging niemandem die Bedeutung dieses Ergebnisses: Trainerin Ruth Jefferson hatte nicht einmal 24 Stunden zuvor unter großer Anteilnahme der Rennsportgemeinde, und natürlich begleitet von Hughes sowie dem Besitzer von Waiting Patiently, ihren Vater Malcolm beerdigt, der die frühe Karriere von Pferd und Jockey in seiner unvergleichlichen Art betreut hatte. Brian Hughes, seit Jahren eine feste Größe der nordenglischen Jockeyszene, und verstärkt ein Jockey, an den sich Trainer aus dem ganzen Land mit guten Ritten wenden, ritt hier endlich seinen ersten Gr1-Sieger, und sein Kuss und Gruß gen Himmel machten deutlich, dass er wusste, wem er zu danken hatte, und wem seine ersten Gedanken galten.

Cue Card, der in der Niederlage eines der Rennen seines Lebens gelaufen war, wurde unter frenetischem Jubel auf seinen Platz bei der Siegerehrung begleitet, doch wer konnte  und wollte dem Team um Ruth Jefferson diesen Sieg neiden? Bei Waiting Patiently ist der Name Programm: Der Wallach wurde mehr als geduldig behandelt, hat bei insgesamt erst neun Lebensstarts nun seinen siebten Sieg (und die in Folge!) eingaloppiert, und den Sprung in die höchste Klasse nun mühelos bewältigt. Richard Collins feierte den größten Erfolg seines Besitzerlebens: „ Nach der Beerdigung gestern ist dies sehr emotional, und Malcolm wäre so stolz, und so stolz auf Ruth. Eines unserer letzten Gespräche handelte von Waiting Patiently, und Malcolm hat immer betont, dass wir vor niemandem Angst haben bräuchten. „Dies ist ein gutes Pferd“ hat er gesagt, und danach fiel es mir leichter, hierher zu kommen. Was dieses Pferd so besonders macht, ist  sein Antritt („turn of foot“).  Jefferson, die erst Tage zuvor mit Cyrus Darius ihren ersten Sieger überhaupt trainiert hatte, ergänzte:“ Es kann gut sein, dass dies unser „Cheltenham“ war. Für alle scheint es der Dreh- und Angelpunkt des Jahres zu sein, aber wir denken nicht unbedingt so. Es gibt tolle Rennen auf anderen Bahnen, Aintree und Punchestown, und ich glaube, er ist auf flachen Bahnen sowieso besser aufgehoben. Wir werden das sehr kurzfristig entscheiden."

„Mein Vater hätte es geliebt, hier zu sein und zu sehen, dass dieses Pferd ungeschlagen blieb. Er hat manchmal gesagt, dass eine Niederlage gar nicht so schlecht wäre, damit die hohen Erwartungen etwas gedämpft würden, aber ich wollte nicht gerade beim ersten Start in meinem Namen verlieren. Vater hat so viel von diesem Pferd gehalten und immer an ihn geglaubt. Keiner hätte ihn lauter angefeuert als er.“

Catrin Nack

Verwandte Artikel:

Block: Adsense 728 x 90
Google AdSense 728x90