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Quo vadis, White Turf?

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Gastkolumne

TurfTimes: 

Ausgabe 459 vom Donnerstag, 16.03.2017

Der Abschlußtag des Meeting in St. Moritz endete in einem Desaster: Nach folgenschweren Stürzen im ersten Rennen des Tages musste die Veranstaltung abgebrochen werden. Ein paar Tage sind seitdem ins Land gegangen und aktuell hat es eine personelle Konsequenz gegeben: CEO Silvio Staub und White Turf gehen ab sofort getrennte Wege. Wir haben unseren Schweizer Kollegen Markus Monstein gebeten, aus seiner Sicht eine Gastkolumne zu schreiben, diese können Sie im Folgenden lesen:

White Turf steht seit Anfang des letzten Jahrhunderts für eine unvergleichliche Erfolgsgeschichte. Für Pferderennsport mit einzigartiger Kulisse in einer märchenhaften Berg- und Winterwelt. Wenn alle Faktoren stimmen, ist der zugefrorene St. Moritzersee wohl der spektakulärste Austragungsort von Pferderennen weltweit. So weltexklusiv wie das Skikjöring, das die Zuschauer im Engadin seit 1908 in ihren Bann zieht.

Doch der Faktor Wetter hat Organisatoren wie Aktive in den letzten Jahren mehrfach die Freude am Rennsportfest verdorben. Und zwar gründlich. Große Temperaturschwankungen sind Gift für den See. Kleinste Risse im Eis bilden sich, das ist grundsätzlich normal. Aber je nach Konstellation ist dies eben auch fatal. So am 26. Februar 2017, am mit großer Spannung und Vorfreude erwarteten Final-Tag von White Turf. Nachdem die vom Veranstalter unabhängige Rennleitung mit vom Trab- und Galopp-Dachverband gestellten Funktionären die Bahn noch eine Stunde für dem ersten Rennen in höchsten Tönen gelobt hatte, kam es zu den folgenschweren Unfällen. Völlig unerwartet, ohne jede Vorwarnung. Einmal mehr zeigte sich, dass der See Erfolgsfaktor und Krux zugleich ist. Würde White Turf nicht auf einem zugefrorenen See stattfinden, hätte er kaum je diese Anziehungskraft und weltweite Bekanntheit erreicht.

Für den Rennverein St. Moritz kam dies alles zur absoluten Unzeit. Denn man hatte die Lehren aus den letzten Jahren gezogen, hatte die Kommunikation gegenüber den Aktiven verbessert und zwei integre Fachleute für die Entscheidungen mit der Rennleitung an Bord geholt. Alles schien in Minne zu verlaufen. Der erste und zweite White Turf-Renntag 2017 sowie auch zwei Tage zuvor Night Turf hatten bei besten Bedingungen stattgefunden. Es gab bis auf ein durch Fremdverschulden fahrerloses Skikjöring-Pferd keinen einzigen Zwischenfall. Und nun der Super-GAU, der von den Medien innert Kürze zur Frage über Sein oder Nichtsein für White Turf hochstilisiert wurde. Dies von Journalisten, die nie zuvor über Pferderennen berichtet hatten, geschweige denn einmal eines live gesehen hatten. Die Kommentare auf Online-Portalen und auf den Social Media-Kanälen waren für Rennsport-Freunde kaum zu ertragen. So viele Unwahrheiten über Pferderennen in geballter Form hatte man in der Schweiz zuvor kaum je gesehen. Alle und jeder war plötzlich ein Experte – vor allem aus Tierschutzkreisen kamen moralintriefende Aussagen, die vor allem eines zeigten. Dass vorgefertigte Meinungen und faktenfremde Argumentation in keinem Fall konstruktiv sind: Alle Sportarten mit Tieren sind schlecht, jeder Aktive im Rennsport ist ein Tierquäler, jeder Jockey hat grundsätzlich den Tod verdient und Pferderennen gehören wie Stierkämpfe abgeschafft. Punkt. So die einseitige Argumentation.

Der Rennverein St. Moritz sah sich unvermittelt in einer Grundsatz-Debatte mit Tierschützern. Zeitnahe Hilfe vom Dachverband (Schweizerischer Pferderennsport-Verband) war nicht zu erwarten, was die Aufgabe nicht einfacher machte. Zumal die Ressourcen dringend anderswo gebraucht wurden. Unmittelbar nach dem Unfall wurden die Untersuchungen auf und im See mit Akribie vorangetrieben. Um zu verstehen, was genau passiert war. Externe Fachleute (Geometer, Ingenieure und Glaziologen) hatten sofort mit aufwendigen Analysen begonnen. Die an der Unfallstelle 70 Zentimeter dicke Eisschicht wurde von Polizeitauchern auch von unten minutiös untersucht. Das Spezialisten-Team ist dabei, ein System zu entwickeln, mit welchem in Echtzeit der Zustand der Rennbahn unter der obersten Schnee-Schicht beurteilt werden kann. So die ersten Informationen aus St. Moritz. Sobald die Untersuchungen der örtlichen Staatsanwaltschaft abgeschlossen sind, wird der Rennverein St. Moritz kommunizieren können. Kommuniziert wurde Anfang Woche der Abgang des langjährigen CEO Silvio Martin Staub, dessen Verdienste für die Entwicklung von White Turf nicht zu unterschätzen sind. Die Trennung hat allerdings nichts mit den Unfällen zu tun.

Nächstes Jahr will man in St. Moritz 111 Jahre Pferderennen feiern – Schnapszahlen sind im Engadin bekanntlich beliebt wie die GP St.Moritz-Dotation mit 111‘111 Franken zeigt. Bis dahin geht es um nichts weniger, als um die Zukunft. Das Fortbestehen des Traditionsanlasses muss, soweit die Einfluss-Faktoren in Menschenhand sind, gesichert werden. Es geht nicht darum, die Durchführung grundsätzlich in Frage zu stellen. Aber im Grundsatz müssen in der aktuellen Aufarbeitungsphase alle Fragen rund um den Aufbau, die Organisation und die Durchführung erlaubt sein. Wir alle sind eingeladen, Fragen zu stellen. White Turf muss sich womöglich zu einem großen Teil von Grund auf neu erfinden – was nicht a priori schlecht sein muss. Dem Rennverein St. Moritz kann dazu nur viel Glück und Mut gewünscht werden. White Turf darf nicht sterben! Nicht so.

Markus Monstein, Chefredaktor www.horseracing.ch und Präsident Stall Allegra Racing Club

 

 

 

 

 

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