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The Master of Ballydoyle

Autor: 

Catrin Nack

TurfTimes: 

Ausgabe 492 vom Donnerstag, 02.11.2017

Der Rennsport ist voller Unwägbarkeiten, und garantierte Sieger eher selten. Doch am vergangenen Samstag war nicht nur die Rennbahn von Doncaster auf ein ganz besonders Ergebnis bestens vorbereitet, der Trainer selber hatte seine Familie – Tochter Anastasia besuchte zum ersten Mal seit ihrem schweren Sturz im Juli überhaupt eine Rennbahn – versammelt; es lag etwas Besonderes in der Luft. Als dann Saxon Warrior gegen 15:27 Ortszeit unter einem inspirierten Ryan Moore noch einmal alle Kräfte sammelte und seinen Kopf kurz vor der Ziellinie in Front streckte, da schien dem Sieg in der Racing Post Trophy (Gr. 1, 2j. , 1600m) etwas Unvermeidliches anzuhaften. 

Die Siegerdecke des Deep Impact-Sohnes trug eine große 26 auf der Seite, denn genau dies war es, Gruppe 1 –Erfolg Nr. 26 für Trainer Aidan O’Brien, Weltrekord. Einem Bobby Frankel abgerungen, der im Jahr 2003 fünfundzwanzig Erfolge der höchsten Kategorie gefeiert hatte, und der mit dieser Anzahl seinerseits eben O’Brien abgelöst hatte, der zuvor 23 Gruppe 1 in einem Kalenderjahr trainiert hatte. Nun liegt der Ball wieder beim Iren, und das Jahr bietet noch zwei Monate Rennsport (und 21 Gruppe 1-Rennen) auf unterschiedlichen Kontinenten. 

Aidan Patrick  O’Brien wurde am 16. Oktober 1969 geboren, Vater Denis war Farmer und trainierte mit einer Besitzer-Trainer Lizenz. Es wurde schnell klar, dass sein Sohn andere Ambitionen hatte. Lehrmeister Jim Bolger erkannte früh, welche Qualitäten in  O`Brien steckten, „er war eine reelle Person, intelligent und immer willens, zu lernen. Außer ihn zu heiraten, hätte ich alles getan, um ihn hier zu halten“.  Es war daher an Anne-Marie Crowley, selber Tochter eines Trainers, ihn in eine Ehe zu locken, so geschehen in Jahr 1991. 1993/94 war O´Brien Champion der Amateur-Rennreiter, im selben Jahr übernahm er die Lizenz seiner Frau, bis 1996 trainierte er auf der Crowley´schen Familienfarm; hier ist nun im Übrigen Sohn Joseph zu Hause und führt die Tradition der mütterlichen Seite seiner Abstammung fort. 

1996 dann der Wechsel nach Ballydoyle, das enorme Talent es jungen O´Brien war den Eignern des mächtigen Coolmore Studs nicht entgangen. Nach Vincent O`Brien (nicht verwandt) und dessen Sohn David suchte man händeringend nach einem Nachfolger für die legendäre Trainingsanlage:  der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte. Die Zahlen und Daten, die die Karriere des O`Brien beschreiben, sind jede für sich mehr als beeindruckend; zusammen machen sie O`Brien zu einem Phänomen seiner Zunft: Bereits am ersten Tag mit eigener Lizenz trainierte O´Brien seinen ersten Sieger. Seinen 1000. Sieger holte er nach genau 5 Jahren und 139 Tagen vom Geläuf – auch ein absoluter Rekord!

Sein erster nationaler (irischer) Gruppe1-Sieger, Desert King in den National Stakes, der im nächsten Jahr auch sein erster Derby-Sieger wurde, war der Auftakt einer wahren Flut höchster Siege, mehr als 300 Gruppe 1 -Siege stehen nun zu Buche. Die Irischen Klassiker, allen voran das Irische Derby sind fest in seiner Hand:  insgesamt 39 Mal punkteten seine Pferde, 12x im Derby, zwischen 2006 -2012 unglaubliche sieben Mal in Folge; er war zudem der erste Trainer überhaupt, der das Englische Derby dreimal in Folge gewann. Mit Camelot im Jahr 2012 waren Aidan und Sohn Joseph die erster Vater und Sohn- Kombination überhaupt, die einen britischen Klassiker gewannen.

2001 wurde er jüngster „ausländische“ Champion-Trainer in England, der erste seit Vincent; bisher errang er diesen Titel sechs Mal, in Irland hält er diesen Titel seit 1998 ununterbrochen. Große Siege errang er in allen Herren Länder, er ist der dritterfolgreichste Trainer in der Geschichte des Breeders' Cups, und schickt in diesem Jahr erneut ein starkes Kontingent. Kaum ein (Rennsport)-Land, in dem O´Brien nicht zumindest ein großes Rennen erobert hat; Ausnahmen  sind Länder wie Deutschland und Italien und, aus naheliegenden Gründen, auch Dubai, hier agiert Team Ballydoyle trotz des enormen Preisgeldes nach wie vor sehr selektiv. Der Dubai World Cup –und im Übrigen auch der Melbourne Cup – sind daher einige der wenigen internationalen Top-Rennen, die noch nicht in O`Briens CV stehen.

In der aktuellen Saison, einer der besten seiner Karriere überhaupt, gewann O´Brien acht der zehn englischen und irischen Klassiker, nur Enable und Trainer John Gosden konnten sich gegen die Übermacht stemmen. Auch erzielte er seinen  europaweit 70. Klassischen Erfolg, als Churchill im Mai die Irischen 2000 Guineas gewann. Ein weiterer Meilenstein war natürlich auch Found´s Prix de L´Arc de Triomphe-Erfolg im letzten Jahr, die ein nie dagewesenes 1-2-3 für ihren Trainer nach Hause führte. Über 2100 Siege stehen in seinem Heimatland zu Buche, bei  dem selektiven Einsatz der Pferde eine solide Zahl, O´Brien operiert konstant mit einer Start-Sieg-Prozentzahl von rund 20%.

Nicht vergessen darf man auch, dass es Aidan O`Brien war, der eines der beliebtesten Hindernispferde aller Zeiten trainierte, namentlich den vierfachen Cheltenham –Sieger Istabraq. Zuletzt tauchten erneut einigen Pferde in den gold-grünen JP McManus-Farben auf seiner Trainingsliste auf, die meisten davon sind nun allerdings in der Obhut von Sohn Joseph. Bei all diesen absolut erstaunlichen Zahlen einige besondere Pferde herauszupicken, ist nahezu unmöglich und kann nur eine subjektive Auswahl bleiben: hoch oben in der Gunst muss ein Yeats stehen, als vierfacher Ascot Gold Cup-Sieger ein Hengst mit seinem ganz eigenen Rekord;  aber wer möchte entscheiden, ob ein High Chaparral, Rock of Gibraltar (sieben Gr.1 Rennen in Folge), Oratorio, St. Nicholas Abbey, George Washington, Desert King, Hawk Wing, Dylan Thomas, Fame and Glory, Stravinsky, Giant´s Causeway, Duke of Marmelade, Order of St. George,  Mount Nelson, Australia, Gleneagles, Johannesburg, Henrythenavigator, Churchill, Caravaggio, oder So You Think das bessere Rennpferd waren, ganz zu schweigen von einer Alexandrowa, Found, Imagine, Peeping Fawn, Rumplestilsken, Yesterday,  Minding, Roly Poly, oder Winter?

Stars allesamt, und doch nur ein Bruchteil der Talente, die durch O`Briens Hände ging. Diese absolut keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebende Aufstellung umreißt in groben Zügen die Dominanz des Trainers O`Brien, der sich - wie schon mehrfach berichtet – selber immer als Teil eines Teams betrachtet. Damit meint O`Brien nicht nur das Heer von Arbeitsreitern und Pferdepflegern – wegen zu langer Arbeitszeiten mit zu wenig  Urlaubs- und freien Tagen musste Aidan O`Brien kürzlich vor einem Arbeitsgericht aussagen - sondern auch „the lads“ (John Magnier, Michael Tabor und Derrick Smith bilden das Kern-Team von Coolmore und treten in unterschiedlicher Anteilstruktur bei der überwiegenden Anzahl der Pferde als Besitzer auf) und seine Familie; auch wenn es ein Gerücht sein muss, dass O`Brien nach jeden Sieg zuerst mit seinen Eltern spricht.

Ein Grund der Übermacht des Stalles ist sicher in eben dieser Struktur gegeben: Wie kaum ein anderer Trainer weltweit kann sich O`Brien  konsequent um das Trainieren der Pferde kümmern, muss keine Besitzer bei Laune halten oder gar neue akquirieren. Seine Aufgabe ist klar: Als verlängerter Arm des Coolmore Stud Zuchtpferde, vor allem Deckhengste zu produzieren; daher liegt auch ein so starker Augenmerk auf männlichen Rennpferden, doch natürlich verschmäht man eine gute Stute natürlich nicht. „Meine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass sich möglichst wenige zu verletzten“ wie O`Brien es kürzlich selber formulierte. Er muss sich natürlich nicht um die Auswahl von Jährlingen kümmern; im Gegenteil, ganz abgesehen von den Pferden, die für unterschiedliche Besitzer-Syndikate von Coolmore selbst gezüchtet werden, – man sitzt schließlich an der Quelle -  ist dies Aufgabe diverser Agenten.

Die alljährliche Trainingsliste liest sich wie das Who-is-Who der noblen Abstammungen: hier kann man bereits früh sehr deutlich erkennen, welcher Nachwuchshengst auch tatsächlich von den „Lads“ unterstützt wird. Mit Nachkommen von Hengsten aus den unteren Preisregionen des Gestüts muss sich O`Brien selten herumschlagen, nur vereinzelt und sehr gezielt werden Nachkommen von Deckhengsten anderer Gestüte eingestellt; etwas Blutauffrischung ist manchmal nötig. Absolute Rückendeckung bei voller Fokussierung aller Beteiligen erhält O`Brien auch von seiner Familie; Frau Anne-Marie war selber als Trainerin tätig, bevor sie ihre Karriere der ihres Mannes (und der ihrer Kinder) unterordnete, sie ist  unbestechliche Beraterin, zudem als Züchterin aktiv. Sohn Joseph („meine früheste Erinnerung ist Istabraq, und wie ich bei seinem Training aus dem Jeep heraushing“)  ritt einige Jahre zudem alle Pferde, eine Familie als eingeschworenes Team, das wortwörtlich keine anderen Hobbys hat. "Wir waren einmal alle zusammen für 14 Tage auf Barbados, und wollten uns schon nach 10 Tagen alle umbringen", gab Joseph seltene Einblicke in das harmonische Familienleben. Hobbys sind O`Brien fremd, er gehört zudem einer Organisation an, die den Genuss von Alkohol untersagt, und auf die Frage, ob man nach dem Weltrekord nun schön feiern würde, sprach der ausdruckslose Blick von Ehefrau Anne-Marie Bände, ehe sie sich zu einer Liste der anstehenden Reiseaktivitäten – gen Saint Cloud und Del Mar, versteht sich – durchrang.

Einen weiteren kaum einzuschätzenden Anteil an all den Erfolgen hat natürlich die Trainingsanlage Ballydoyle („Hören Sie, ja sicher, nirgendwo anders auf der Welt wären diese Erfolge möglich", so O`Brien in Doncaster),  welche einst Vincent O`Brien gründete und wortwörtlich in die Familie einbrachte, seine Tochter Susan ist die Ehefrau John Magniers. Außerhalb Cashels (Co. Tipperary) im kleinen Örtchen Rosegreen und damit rund 12 km von Coolmore entfernt gelegen, formte Vincent hier ab dem Jahr 1950  aus einem Bauernhof diese heute legendäre Trainingsstätte, die rund 500 Acres (ca. 200 Hektar) umfasst und auf der keine Ausgabe gespart wird.

Die Trainierbahnen sind oval oder gerade, mit Unterböden, die über Jahrzehnte entwickelt und verfeinert wurden. Es gibt einen Nachbau von Tattenham Corner, der berüchtigten Kurve auf Epsoms Rennbahn,  und einen der Gerade von Ascot, damit die Pferde lernen, auf der eben nicht so geraden Gerade der königlichen Rennbahn besonders schnell zu  galoppieren. Einige der Startmaschinen verfügen über Glocken, um die Startsituation in Amerika zu simulieren. Selten sind dagegen Führmaschinen, dem Vernehmen nach ist jedes Pferd rund zwei Stunden außerhalb der Box, zum Führen hat man genügend Personal. Kameras überwachen die Pferde rund um die Uhr, nicht nur aus Sicherheitsgründen,  auch, um ein wohlmöglich krankhaftes Verhalten besonders schnell zu entdecken. Besuche auf Ballydoyle werden für wohltätige Zwecke zu fünfstelligen Beträgen versteigert und sind für den „normalen“ Fan kaum möglich;  die Charakteristika dieser Anlage würden einen eigenen Artikel rechtfertigen.

Natürlich wäre es naiv zu glauben, dass all diese Erfolge tatsächlich ganz ohne Rückschläge oder – nennen wir es Steine im Getriebe – errungen wurden und werden. Es gab gute und weniger gute Jahre (David Fish, dessen Gemäldestand auf vielen Rennbahnen Englands eine Institution ist, erinnert sich mit leisen Lächeln an das Jahr, in dem O´Brien seinen Blick über die Drucke schweifen ließ, keinen mit  „seinen“ Rennfarben erkennen konnte, und seufzte:“ Gott, wir hatten wirklich ein schlechtes Jahr“ ), mit Jockeys wie Jamie Spencer oder auch Kieren Fallon lief nicht immer alles glatt,  der geplante Bau einer Biogasanlage direkt neben Ballydoyle bedrohte über einen lange Zeitraum die Existenz der Anlage.

Im Jahr 2015 spekulierten Zeitungen öffentlich über eine Wachablösung auf dem Trainerposten und nannten mit David O´Meara gar ein konkreten Namen. Nie ganz klar wurde allerdings, von welcher Seite tatsächlich diese Missstimmung ausging,  waren „the lads“ nicht glücklich mit der engen Verbundenheit zu Sohn Joseph, dessen reiterliche Fähigkeiten in die Kritik geraten waren, oder nahm O`Brien diese Kritik persönlich und wollte mehr als Teil eines Teams sein? Dies wird immer Spekulation bleiben, doch ist die Frage, welche Seite bei einer Trennung mehr zu verlieren hätte, sicher nicht eindeutig zu beantworten.

Dies ist nun Schnee von gestern. Seit einigen Jahren ist Ryan Moore als Stalljockey etabliert (der erste Brite in diesem Job); 2017 hat gezeigt, dass O`Brien mehr als fest im Sattel sitzt, und bei den verbleibenden internationalen Top-Rennen seinen Weltrekord weiter ausbauen kann. Die Inflation dieser Rennen mag sicher ein weiterer Mosaikstein für den Weltrekord sein – und ganz sicher ist, dass O´Brien selber am härtesten versuchen wird,  ihn zu verbessern – doch all dies kann nicht davon ablenken, dass Talent, absolute Passion, Fokussierung bis zur Selbstaufgabe, straffe Planung und natürlich auch das nötige Quäntchen Glück dem Rennsportfan der heutigen Zeit einen außergewöhnlichen Trainer beschert haben. Zu Lebzeiten werden wir seinesgleichen nicht erleben.

Catrin Nack

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