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Der kleine Tiger Roll und Lalor mit den großen Ohren

Autor: 

Catrin Nack

TurfTimes: 

Ausgabe 514 vom Freitag, 20.04.2018

Der Himmel war grau am Ladies Day, doch der Regen hielt sich zurück, und der Stimmung tat es keinen Abbruch. Fast schien es, als sollten keinen Sonnenstrahlen von den Emotionen ablenken, die sich auf dem grünen Rasen an diesem bemerkenswerten Tag abspielten.

Lady´s Day ist, war der Name sagt: der Tag, an dem die „Ladys“ ihre Roben ausführen, jung oder alt, dick oder dünn, dieser Tag soll Glamour in den eintönigen Alltag bringen, und keine „Dame“ ist jemals bereit, sich davon abbringen zu lassen, ob Sonne, Schnee oder Regen. Zumal beim „Best Dressed“ Wettbewerb ein nagelneuer Land Rover als Hauptgewinn winkt. Einige Outfits lassen mehr als eine Augenbraue in die Höhe schnellen, aber man muss  Mut und Ausdauer bewundern, mit der man allen Widrigkeiten - hohe Stufen, hohe Absätze, zu viel Champagner - trotzt, um am Ende des Tages erschöpft, aber unbesiegt, in billigen FlipFlops nach Hause zu schlurfen.

Da mögen die Pferde manch einem als Nebensache vorkommen, aber sie natürlich alles andere als das, und der Ladies Day 2018 war ein Tag der großen Emotionen,  ein Tag, in dem sich der Rennsport-Gott in Wiedergutmachung übte, so denn ein Pferd und ein Pferderennen dies vermögen. Die Höhen und Tiefen, die uns der Rennsport bereitet - trotz der Aussage des legendären Phil Bull, Gründer der „Timeform“, dass Galopprennen nichts als eine „große Trivialität“ seien - kennt ein jeder Fan des Sports, aber manchmal kommen die guten Dinge an einem Tag zusammen, und dem Ergebnis haftet eine gewisse Magie an.

Es begann mit dem Sieg des deutsch gezogenen It´s Gino-Sohns Lalor, der unter Richard Johnson bereits im letzten Jahr den Bumper an eben diesem Tag gewonnen hatte. Sein junger Trainer Richard Woollacott war damals in Tränen aufgelöst, nur wenig zuvor hatte er einen guten Freund verloren, doch nur wenige, die im letzten Jahr anwesend waren, ahnten, wie tief Woollacotts Emotionen wirklich gingen und wie schwer er an ihnen trug. Nicht alles lief dann nach Plan in Lalors weiterer Karriere, und im Januar diesen Jahres kam es dann zu der ultimativen Katastrophe, als sich Woollacott, der - wie dann bekannt wurde - seit Jahre mit schweren Depressionen kämpfte, das Leben nahm. Seitdem hat der Wallach, nun von Woollacotts Witwe Kayley trainiert, nur ein Rennen bestritten; auch diese Form war nicht dazu angetan, ihn zum einem sicheren Tipp für sein Rennen in Aintree, die Betway Top Novices´ Hurdle (Gr1, 2m4) zu machen.

Doch zum ersten Mal seit April 2017 wieder mit Richard Johnson vereint, schienen die beiden ein anderes, besseres Skript gelesen zu haben; Lalor, der im Führring stolz die „Richard Woollacott Racing“ Stalldecke auf den Flanken trug, bestach schon hier mit wachem Augen und glänzendem Fell (und seinen großen Ohren!), ein imposanter Wallach, der sicher noch mehr  ein Chaser als ein Hurdler ist. Im Rennen selber hielt Johnson seinen mehr als willigen Partner, dem, ganz wie den Ladys, weder die Sonne des letzten Jahres noch der Nieselregen in diesem Jahr nur das Geringste ausmachte, an der Außenseite des Pulks, um in der Zielgeraden resolut die Spitze zu übernehmen.

Diesen Vorsprung konnten beide bis ins Ziel sicher halten, und wenn nicht allen Zuschauern die absolute Bedeutung des Sieges bewusst gewesen sein mag, so gab es genügend „Insider“ auf der Bahn, die die ganz Tragweite des Augenblickes sehr wohl erfassen konnten. Mit bewundernswerter Haltung nahm Kayley Woollacott unter warmen Applaus die Trophäe entgegen: „Heute morgen hatte ich solche Angst zu kommen, ich wollte einfach nur nach Hause und mich verkriechen“, bekannte sie „Ich weiß nicht, wie dies passieren konnte. Es ist so emotional. Ganz offensichtlich hatte ich Hilfe von oben. Dies ist eine spezielle Bahn für mich und Richard, wir hatten einige wunderbare Tage hier. Wir lieben dieses Pferd und er hat mir so sehr geholfen, dies alles durchzustehen.“ „Es ist schwer, dies alles in Worte zu fassen“, sagte ein bewegter Richard Johnson. „Dieses Pferd war Richards (Woollacotts) erster großer Sieger, buchstäblich an diesem Tag im letzten Jahr, und dieses Rennen nun in Richards Erinnerung zu gewinnen ist einfach fantastisch. Ich hoffe, dass dieses Pferd seinen Namen noch eine lange Zeit im Rampenlicht halten kann.“

Die Höhen und Tiefen des Rennsports sind auch Besitzer John Hales bestens bekannt. Heutzutage ein immens erfolgreicher Besitzer, dessen Pferde  in seinen gelb-roten Farben viele der großen Rennen des englischen National Hunt - Kalenders gewinnen konnten, hatte Hales das Pferd seines Lebens, den großen, weißen, wunderbaren One Man, sehr  früh in seinem  Rennsport-Leben. Er war ein Star, ein Pferd, den die Massen kannten, auf den Massen warteten, ein Pferd, den Maler portraitierten und über den sogar ein eigenes Video (er lief nun einmal Mitte der Neunziger) produziert wurde; 20 Siege, darunter der hochemotionale Sieg in der Queen Mother Champion Chase in Cheltenham nur Wochen zuvor, standen auf der Haben-Seite, als One Man vor genau 20 Jahren in der Melling Chase an den Start kam. Am neunten Hindernis kam er nach einem mißglücken Sprung ums Leben.

Seitdem hat Hales mit einem anderen Schimmel, Neptune Collonges, das Grand National gewonnen und eine Art Frieden mit der Rennbahn geschlossen, die er, so hatte er sich im ersten Schmerz geschworen, nie wieder besuchen wollte. Zwanzig Jahren später galt One Man sein erster Gedanke, nachdem sein Politologue nach einer wahren Kampfpartie die Melling Chase 2018 (Gr1, 2m4f) gegen den heißen Favoriten Min für sich entschieden hatte, ein Sieg von Herz und Charakter über großes Talent, und vielleicht ein schicksalhaft unvermeidbarer Sieg hinzu.

„Vor 20 Jahren haben wir One Man hier verloren, und es schmerzt noch heute.“ bekannte Hales noch auf dem Siegerpodest. „Aber Politologue hat nun einiges wieder gut gemacht. Er war einfach wunderbar heute, viel entspannter, ganz anders als ein Cheltenham, wo er das Rennen wohl schon im Führring verloren hat.“ „Er war viel ruhiger heute und hat tatsächlich sein Stamina ausgespielt“, so ein freudestrahlender Paul Nicholls, für den Gruppe1-Erfolge aktuell nicht mehr die Regelmäßigkeit sind, die sie zu Zeiten von Kauto Star & Co. einmal waren.

Dies war der dritte der aktuellen Saison, zwei davon hat nun John Hales neuester Star-Schimmel gewonnen. Nr. Vier folgte auf dem Fuß, als am letzten Meetingstag Diego Du Charmil die Maghull Novices´Chase (Gr.1, 2m) doch etwas überraschend gegen den heißen Favoriten Petit Mouchoir (Trainer: Henry de Bromhead) gewann;  letztgenannter hätte nach seiner Cheltenham-Form das Maß aller Dinge sein sollen, leider spielten bei dem langbeinigen Schimmel die Nerven nicht mit.

Kompensation für Besitzer Gigginstown Stud und De Bromhead, der mit einem recht kopfstarken Lot nach Aintree gereist war, kam umgehend in der neu benannten Ryanair Stayers Hurdle, früher als die Liverpool Hurdle bekannt. Mit deren Identity Thief (Jockey: Sean Flanagan) kam allerdings erneut nicht das gemeinte Pferd zum Zuge:  als Favorit war der Black Sam Bellamy- Sohn Sam Spinner gestartet. Vielleicht ist der Wallach aus dem kleinen Quartier von Trainer Jedd o`Keeffe auch in Aintree am Rennverlauf gescheitert, als großer Steher hätte man ihn vielleicht noch mehr auf Stamina reiten sollen; schlussendlich zeigte Sam Spinner in der Niederlage solide Form und ist einer der besten Staying Hurdler der britischen Insel.

Auf eine aufregende Saison 18/19 darf sich der Stall von Tom George mit Black Op freuen. George, für den Cheltenham praktisch die „Heimatbahn“ ist (sein Stall in Slad, einem kleinen Dorf in den Cotswolds, liegt nur rund 10 Meilen von der Rennbahn entfernt und schmiegt sich windschnittig, aber etwas gewöhnungsbedürftig, an die umliegenden Hügel. Einige Pferde wohnen so in einer Art 1.Etage  und können ihren Stallgefährten sprichwörtlich auf die Köpfe spucken) ist ein altgedienter Trainer, seinen ersten Sieger stelle er bereits im Jahr 1993. Auch wenn ihm ein absoluter Superstar bisher fehlte, sind Namen wie Nacarat, God´s Own oder Tartak eingefleischten Fans auch hierzulande bekannt sein. Black Ops Sieg in der Mersey Novices´ Hurdle (Gr.1, 2m4f) machte auf jeden Fall Lust auf mehr, der Sandmason-Sohn hatte sich in Cheltenham nur dem großen Samcro beugen müssen und untermauerte nicht nur Samcros Form, sondern auch Black Ops Anspruch auf einen Spitzenplatz der britischen Nachwuchs-Hurdler.

Ein mehr als erfreuliches Meeting hatte  Nicky Henderson. Der Altmeister aus Lambourn ist nach wie vor das Maß der Dinge im britischen Hindernissport, und aus der Abwesenheit beinahe aller irischen Top-Pferde konnte er das meiste Kapital schlagen. Fünf Gruppe1-Siege standen am Ende des Meetings zu Buche;  an Tag Zwei konnten Terrefort und der mächtige Wallach Santini punkten, nachdem Henderson am ersten Meetingstag  bereits drei Top-Prüfungen gewonnen hatte.

 Fast zu viel Sonne am „Grand National“-Tag

 Die Sonne hatte am Samstag endlich ein Einsehen, als wollte sie das Grand National wirklich im allerbesten Licht erscheinen lassen. Das  National wird immer ein Test bleiben, am dem sich die Geister scheiden. Die jüngste Austragung mit zwölf „Ankommern“ (von 38 Startern) zeigte erneut, dass auch die Modifikationen das Rennen nicht „einfacher“ machten. Es ist und bleibt ein Test auf Herz und Nieren, zumal in der etwas unerwarteten Hitze, die sich tatsächlich über der Rennbahn auszubreiten begann.

Der Sieger des Grand National – ein kleines Pferd namens Tiger Roll – wird für immer einen festen Platz in der Aintree-Folklore erhalten. Ein jeder Sieger dieses Rennens ist etwas Besonderes  (wie sagte Siegreiter Davy Russell in der nachfolgenden Pressekonferenz: „Du kannst das Grand National eigentlich gar nicht gewinnen. Es tausend 1000 Dinge schiefgehen.“) -  aber dieser braune Wallach, ein knapp 160cm großer Sohn des Derby-Siegers Authorized hat nun sein eigenes Stück Rennsportgeschichte geschrieben. Rennsportgeschichte, nicht Grand National-Geschichte.

Sicher, solange wir uns an Red Rum (haben Sie seinen Namen schon einmal rückwärts gelesen?)  oder Golden Miller erinnern, wird sein Platz „at the Top“ Konkurrenz haben, aber seine Erfolge sind so einzigartig, dass nicht wenige in ihm das vielseitigste Hindernispferd unserer Zeit sehen. Alles begann ganz unscheinbar mit einem Sieg auf der kleinen Rennbahn von Market Rasen (die nun eine „Tiger Roll Bar“ hat),  damals noch unter der Regie von Trainer Nigel Hawke. Dieser hatte den Wallach, der als Fohlen für 70.000Gns die Hände gewechselt hatte,  als Darley-Ausschuss in 2013 für 10.000GBP erworben;  nach dem Sieg vervielfachte sich der Preis  auf 80.000GBP;  Tiger Roll kam in den Besitz von Michael O´Leary und den Stall von Gordon Elliott. Mit einem zweiten Platz in einem Gr.1 Hürden-Rennen in Leopardstown konnte sich Tiger Roll für seine neuen Besitzer kaum besser einführen, bei inzwischen neun Siegen bei 31 Starts ist der Wallach nun legendärer dreifacher Cheltenham-Festival Sieger, in drei unterschiedlichen Prüfungen noch dazu. Prüfungen, die wortwörtlich unterschiedlicher kaum sein können: vierjährig der Sieg in der Triumph Hurdle (2m für 4jährige Pferde), damals bereits unter David Niall „Davy“ Russell, „ich glaube, das war das letzte Mal, dass ich ihn überhaupt geritten habe. Vielleicht dazwischen in einem kleinen Rennen [Anmerkung: Russell ritt ihn noch einmal, in Punchestown 2014]“,  reflektierte Russell seine on-off Beziehung nach dem Grand National.

2017 dann der Sieg im „4-Meiler“, der Marathon-Chase  für Amateur-Reiter beim Cheltenham Festival, unter Stall-Amateurin Lisa O´Neill, die den Wallach auch in der Arbeit reitet und schult und nebenbei im Büro für Elliott arbeitet. Vor rund vier Wochen dann machte Tiger Roll seinen Cheltenham -Hattrick komplett, diesmal ausgerechnet im Cross-Country Rennen, der wohl einzigartigsten Prüfung des Festivals. Nun also Aintree, das Grand National, 6907 Meter über 30 Hindernisse unterschiedlichster Höhen, Tiefen und Breiten, aber immer die berühmt – berüchtigten Reisighecken, die dem Vernehmen nach in diesem Jahr besonders eng verwoben wurden.

Tiger Roll war von der ersten Minute an in seinem Element. Er attackierte die Hindernisse mit Gusto und wie der „alte“ Profi, der er inzwischen ist, bis auf eine kleine Unsicherheit war kein Fehler zu entdecken. Nach dem letzten Hindernis schien er einem leichten Sieg entgegen zu galoppieren, doch dann wurde es auf den letzten Metern noch einmal höllisch eng, Danny Mullins hatte auf dem vom Willie Mullins trainierten Pleasant Company, der sich im Rennen als eben solcher erwies, ebenfalls ein relativ störungsfreies Rennen erlebt; im Einlauf gelang es ihm, seinem Partner ungeahnte Reserven zu entlocken: das offizielle Zielphoto zeigte einen „Kopf“ an.

Ein Finish, das durchaus eine Art Symbolcharakter im Titelkamp um das irische Trainer-Championat haben kann; in Punchestown wird Willie Mullins sicher noch einmal alles daran setzten, Elliott´s  Vorsprung  zumindest schmelzen zu lassen. Auch wenn Tiger Roll im Einlauf sehr müde wurde und sich nach den Rennen nicht den Zuschauern zeigen konnte, so zeigten Bilder aus dem Stall ihn am nächsten Tag  in ausgezeichneter Verfassung in seinem Paddock. Wie überhaupt alle Pferde ohne größere Blessuren aus dem Rennen kamen, auch wenn Tom George´s Saint Are eine Nacht in der Klinik verbringen musste und inzwischen von seinen Besitzern in den Ruhestand verabschiedet wurde.

Ein kurioses Detail in Tiger Rolls Karriere ist im Übrigen, dass seine vier wichtigsten Erfolge alle an 14. des jeweiligen Monats zustande kamen: dreimal in Cheltenham am 14.März, und nun in Aintree am 14. April. Vermutlich wird man in Elliotts Cullentra Stables über eine Petition zur Verlegung des 2019 Grand National nachdenken, welches am 04. April stattfinden wird.

Für Besitzer Michael O`Leary war es nach Rule the World in 2016 bereits der zweite Grand National Sieger, er führte die Journalisten eloquent und mit druckreifen Sätzen durch die Pressekonferenz. „Sie [Grand National Sieger] sind ja wie die Londoner Busse. Erst kommt keiner, dann kommen sie alle auf einmal.“ Wenig sentimental zeigte er sich erneut im Bezug auf sein Pferd, den er als „little rat of a horse“ beschrieb; seine steinige Beziehung zu Siegreiter Davy Russell umriss er in nur wenigen Worten und räumte sofort das Podium, als dieser zum Interview schritt.

„Er ist mutig, sehr mutig, und ich hatte Sorgen, dass er zu mutig werden würde.“ beschrieb Russell, für den es beim 14. Versuch der erste Sieg war,  seinen Ritt später „Wir galoppierten auf das erste Hindernis zu, er spitzte die Ohren, da wusste ich, wir waren im Geschäft. Einen Plan hatte ich nicht. Ich hatte es schon 13 Mal versucht und erst im letzten Jahr [nach seinem dritten Platz auf Saint Are] überhaupt die Möglichkeit in Erwägung gezogen, dass ich das Rennen vielleicht gewinnen könnte.“ 

„Natürlich ist das ein Sieg, von dem mal als kleiner Junge träumt. Wir mussten immer den Rasen mähen und das Gras harken, daraus haben wir dann die Aintree-Hindernisse nachgebaut. Das war das einzige Mal im Jahr, dass ich gerne den Rasen geharkt habe. Ich habe das Rennen schon mindestens 1000 Mal gewonnen – in meinen Gedanken.“ So Russell, mit 38 der älteste Reiter im Feld. „Als ich dies gelesen habe, habe ich kurz gedacht, ob ich wohlmöglich aufhören müsse. Aber ich habe noch längst [dies sagte Russell mit ungewohntem Nachdruck] nicht alles erreicht. Ich will morgen drei Sieger in Tramore reiten. Es ist für jedes der Pferde eben IHR Grand National“

Catrin Nack

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