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Cheltenham 2018: Irische Dominanz und ein packender Gold Cup

Autor: 

Catrin Nack

TurfTimes: 

Ausgabe 510 vom Freitag, 23.03.2018

Am Sonntag vor dem Festival, als die Welt von Ruby Walsh noch in Ordnung war, saß der Jockey als eine der Attraktionen bei einem Preview-Abend. „Und dann Donnerstag, St. Patrick´s-Day“… begann der Moderator, da schnappte Ruby zurück: „Der ist erst Samstag, wissen Sie“. Technisch mag es richtig gewesen sein, doch die irischen Trainer nahmen das Geschenk eines frühen St. Patrick´s Tag dankend an, sechs Sieger von sieben Rennen, und mit 61 Siegen hat Willie Mullins nun auch Nicky Henderson als erfolgreichster Trainer in der Geschichte des Festivals überholt.

Immer auch eine intensive Rivalität zwischen England und Irland, hat England im so beliebten Ländervergleich (beliebt, als England den Kopf in Front hatte, die Stimmung ändert sich langsam) nun seit Jahren das Nachsehen. Seit 2011 gelang es nur Nicky Henderson, den Würgegriff irischer Trainer, und allen voran natürlich Willie Mullins, zu durchbrechen. Längst vorbei die Zeiten, in denen man mit 2 (zwei!) Siegen Champion-Trainer des Meetings wurde,  fünf oder sechs Siege sind nun absoluter Standard, die Konzentration auf einige Top-Trainer verschärft sich immer weiter: Waren in den letzten 10 Jahren die drei erfolgreichsten Trainer Willie Mullins (2018: 7 Siege), Gordon Elliot (8) und Nicky Henderson (2) zusammen noch in rund 30% aller Rennen erfolgreich, so stieg diese Zahl  in diesem Jahr auf knapp 60%. 

Natürlich auch auf der Besitzerseite; hier scheint Michael O´Learys Gigginstown House Stud ein Abonnement auf das Siegen zu haben, JP McManus musste sich mit nur zwei Siegen begnügen. Am dritten Meetingtag wartete der Ryanair-Boss mit einem Hattrick auf,  neben der gleich näher betrachteten Ryanair Chase beeindruckte besonders die mächtige Stute Shattered Love in der JLT Novices´ Chase (Gr.1, 2m4f); „ich habe keinen Wallach, der größer ist,“ bekannte ein atemloser Gordon Elliot, der bis zum letzten Rennen um seinen Meetings-Champion Titel bangen musste. Abhaken kann O’Leary  nun endlich „sein“ Rennen, die Ryanair Chase (Gr.1, 2m5f), inzwischen eines der Top-Rennen des Festivals. Historisch betrachtet ein relativ junges Rennen (die erste Austragung fand 2005 statt), schließt es distanztechnisch die Lücke zwischen Champion Chase und Gold Cup, und hat sich mit  hochklassigen Feldern schnell einen Namen gemacht.

Die jüngste Austragung ließ wenig Wünsche offen: auf dem Papier schien es ein Duell zwischen Un de Sceaux und Cue Card, zusammen Sieger dieses Rennens 2017  bzw. 2013 (!), und damit natürlich wieder einmal Irland gegen England. Besonders Cue Card ist auf der Insel inzwischen ein absolutes Kult-Pferd, auch wenn er, eine kleine, aber bedeutsame Abstufung, die absoluten Zuneigungswerte eines Moscow Flyer oder Kauto Star noch nicht erreicht hat. Der Gradmesser hierfür ist Applaus des Publikums bereits VOR dem Rennen im Führring,  absolute Gänsehaut-Momente, wenn man sie denn erleben darf.

Ein Buch über Cue Card ist in der Pipeline, und nichts hätten die Briten lieber gesehen, als dass der inzwischen 12jährige Wallach nun endlich seinen Frieden mit Cheltenham machen würde. Eindrucksvolle Leistungen zu Beginn seiner Laufbahn (er gewann den Champion Bumper im Jahr 2010,  besagte Ryanair Chase in 2013, war Zweiter zu Sprinter Sacre in der Champion Chase 2012)  wurden zuletzt von seinen Stürzen im Gold Cup überschattet, zweimal kam er an genau dem gleichen Hindernis zu Fall, und ein „Happy End“ blieb ihm erneut verwehrt. Mehr noch, der Wallach schien sich seiner Umgebung mehr als bewusst zu sein, im Paddock noch eine stattliche Erscheinung mit glänzendem Fell und wachem Auge, wurde im Rennen schnell klar, dass der King´s Theatre Sohn andere Ideen hatte, als hier noch einmal schnell zu laufen. „On top of the Hill“, sozusagen in der Gegengerade, verlor der Wallach sukzessive seine Position im Feld, und Jockey Patrick „Paddy“ Brennan tat das einzig Richtige und hielt seinen Partner an. Während unter „roaring silence“, um sich dem Titel des legendären Albums der Manfred Mann´s  Earth Band zu bedienen, der Überraschungssieger Balko des Flos (Trainer: Henry de Bromhead, Besitzer Gigginstown House Stud) einem verblüffend leichten Sieg entgegen strebte und auch Un de Sceaux  das Nachsehen hatte, trabte  Cue Card einem leisem Abschied entgegen. Gut möglich, dass dies das absolute Ende seiner Laufbahn war; Colin Tizzard neigt weder zu Sentimentalitäten noch zu vorschnellen Entscheidungen.

Auf dem Sieger Balko des Flos entgegen erlebte Jockey Davy Russell nicht nur den Höhepunkt eines für ihr grandiosen Tages  - drei Siege katapultierten ihn in die Stellung des Top-Jockeys, der er schließlich auch wurde -, es war (nicht zum ersten Mal)  die Genugtuung, für  O´Leary einen großen Sieger zu reiten;  in dessen Rennen, welches O´Leary endlich zum ersten Mal gewann, noch dazu.

„Ich habe dir doch gesagt, dass ich für dich noch einmal Geld einsparen würde“ rief Russell noch vom Pferd aus  O´Leary zu;  er war sich der Ironie des Momentes sehr wohl bewusst. Als Stalljockey hatte O´ Leary Russell vor einigen Jahren gefeuert, doch wie O´Leary ein kontroverser Charakter, absolut dem Erfolg verschrieben, ist, so ist Russell ebendies auch. Schwierig, und immer wieder von kleinen Eskapaden und Kontroversen verfolgt, ist seine Klasse im Sattel jedoch legendär und unumstritten; die Demütigung O´ Learys trug er niemals nach außen, gewann nur Wochen später den Cheltenham Gold Cup für Trainer Jim Culloty und hat seitdem nicht mehr zurückgeschaut. In dieser Saison könnte der 39jährige sogar (erneut) gesamtirischer Champion-Jockey werden.

Es ist schwierig, aus all den Meisterleistungen des Willie Mullins ein besonders Rennen herauszupicken. Penhills Sieg in der  Stayers´ Hurdle (Gr.1, ca. 3m) wird aber wohl selbst diesen vom Erfolg so verwöhnten Trainer mit besonderer Genugtuung erfüllt haben, kam doch der 7j. Mount Nelson-Sohn aus einer elfmonatigen Pause und gab in diesem Rennen sein Saison-Debut. Es mag nicht die höchstklassigste Austragung dieser Traditionsprüfung gewesen sein, es hatte sich aber ein kopfstarkes Feld mit diversen Formpferden eingefunden. Die Leichtigkeit, mit der der so auffällig gezeichnete Dunkelbraune die Pause und mangelnde Rennfitness -geschweige denn seine 14 Gegner - hinter sich ließ, war bemerkenswert und eindrucksvoll. Bereits bei James Bethell und Luca Cumani hatten dem u.a. von Newsells Park Stud gezogenen Wallach einige Hoffnungen gegolten, über Hürden hat er diese mehr als erfüllt. Hinter ihm musste sich der als Favorit gestartete Black Sam Bellamy -Sohn Sam Spinner nur mit Platz 5 begnügen, es gab kein Ankommen gegen die irische Firepower.

Am letzten Meetingtag, seit der Ausweitung des Festivals auf vier Tage ein Freitag, erreicht das Festival mit dem Cheltenham Gold Cup seinen Höhepunkt;  selbstredend auch der absolute Höhepunkte der gesamten Saison. Eingerahmt von u.a. zwei Gr.1 -Rennen - der Triumph Hurdle, deren Sieger mit deutschen Wurzeln an anderer Stelle besprochen wird, und der Albert Bartlett Novices´ Hurdle (3m) - wollten 70.684 zahlende Zuschauer sich all das nicht entgehen lassen, Rekord;  der Tag war ein „Sell-Out“. Fünfzehn Starter traten letztendlich zur diesjährigen Austragung an, von denen neun das Ziel erreichten. Zwei Pferde drückten dem Rennen ihren Stempel auf, zwei Pferde, die über die gesamten 5331m an erster und zweiter Stelle lagen und auch genau so die Ziellinie überquerten. Dies waren Native River (T: Colin Tizzard J. Richard Johnson) und der als Favorit gestartete Might Bite (Nicky Henderson - Nico de Boinville), die interessanterweise zusammengenommen bis zum letzten Freitag in dieser Saison genau drei Mal an den Start gekommen waren.

Diese Frische, vor allem bei Colin Tizzard nicht gerade eine Standard-Prozedur, war  letztendlich wohl ausschlaggebend; beide Pferde brachten streng nach Form allerdings sowieso die meiste Klasse mit. Die Bodenverhältnisse favorisierten klar den Sieger Native River, der als eisenharter Steher und großer Galoppieren hier in diesem Element war, der zweitplatzierte Might Bite fühlte sich sichtlich unwohl und lief in der Niederlage ein famoses Rennen. Für Colin Tizzard war es nach der Frustration vom Vortag weitere Kompensation (sein Schützling Kilbricken Storm hatte kurz zuvor als großer Außenseiter zudem die oben erwähnte Albert Bartlett Hurdle gewonnen); somit blieben drei von fünf Hauptrennen im Lande, Balsam auf der doch etwas lädierten englischen Seele.

Tizzard, der sich selber gerne als Farmer, der auch ein paar Pferde trainiert, bezeichnet, hat sich zusammen mit seinem Sohn und Assistenten Joe in die absolute Spitzenliga der Trainer vorgearbeitet, und mit dem Handling von Native River sein Meisterstück abgelegt. Der Wallach,  bei 21 Starts elffacher Sieger - dies war sein erster Erfolg auf Gr1 Ebene, auf der Haben-Seite stehen u.a. auch der Hennessy Gold Cup und das Welsh Grand National - war erst Mitte Februar in die aktuelle Saison gestartet und beeindruckte im Gold Cup durch sein akkurates und fehlerfreies Springen, mit Richard Johnson versteht sich der Fuchs augenscheinlich besonders gut.

Johnson gewann 18 Jahre nach seinem ersten Erfolg auf Looks Like Trouble seinen zweiten Gold Cup, und nahm den Pokal  freudestrahlend von Prinzessin Anne entgegen, die ja einmal beinahe seine Schwiegermutter geworden wäre; für die Tizzards - und Besitzer Brocade Racing, dem Decknamen von Garth und Anne Broom - war es das berühmte erste Mal. Es waren somit die Favoriten, die am Ende das Rennen unter sich ausmachten, auf Platz Drei lief mit Anibale Fly (A J Martin / Barry Geraghty) allerdings ein großer Außenseiter, in den berühmten JP McManus-Farben. Die große Hoffnung des Nordens, Brian Ellisons Definitly Red, auf den im Laufe der Woche viel Geld gewettet wurde, zeigte nach einer famosen Saison hier Grenzen auf und hatte mit dem Ausgang des Rennens nie etwas zu tun. Auch die teure Nachnennung für American, immer wieder ein „Talking Horse“ dieser Saison, brachte keinerlei nennenswerte Ausbeute, als Neunter war der Wallach, der von Harry Fry trainiert wird, nie im Rennen und der letzte „Ankommer“.

Bei allen Erfolgen und Spitzenleistungen der vierbeinigen Athleten hatten Cheltenham 2018 leider auch seine Schattenseiten. Der Sturz des Ruby Walsh mit seinen weitreichenden Folgen wurde bereits angesprochen, doch für einen menschlichen Athleten ist ein Beinbruch eben „nur“ dies. Für die Vierbeiner bedeutet diese Diagnose normalerweise des Ende des Lebens, sechs Pferde starben in diesem Jahr: zwei am Eingangstag, und vier am Gold Cup-Freitag; ein Starter im zweiten Rennen und drei Pferde im letzen Rennen der Karte und somit des gesamten Meetings, der Grand Annual Chase (Gr.3, 2m 1/2f). Zahlen, die erschrecken und betroffen machen. Die British Horseracing Authority (BHA) kündigte eingehende Untersuchungen an, vor allem der Grand Annual Chase. Zudem wurden natürlich zugleich Statistiken bemüht, die beweisen (sollen), dass die absoluten Zahlen der Todesfälle im Hindernissport rückläufig sind;  den Teams der getöteten Pferde hilft dies nicht. Mögliche Gründe liegen auf der Hand, sind natürlich aber Spekulation: zu viele Starter, frustrierte oder über-engagierte Jockeys, die endlich auch noch einen Sieger reiten möchten (vor allem im Bezug auf die Grand Annual Chase). Der schlechte Boden muss sein Übriges getan haben, auch wenn die englische Presse dieses Thema ungerne in direkte Verbindung mit Cheltenham bringt. An der Klasse der startenden Pferde kann es ja kaum liegen.

Nach dem Fußball sind Pferderennen auf der Insel der zweitbeliebteste Zuschauersport, rund 220.000 strömten alleine durch die Tore beim diesjährigen Festival. Die BBC berichtete jeden Tag, am Gold-Cup-Freitag sogar Live aus dem Trainingsquartier von Jonjo O`Neill, mit keinem geringeren als A P McCoy als Experten. 

In der öffentlichen Meinung ist der Hindernissport -  der Rennsport allgemein - nicht unumstritten, auch wenn hierzulande oft ein gegenteiliger Eindruck herrscht. Sogar im ehrwürdigen Cheltenham selber hatten anonyme Aktivisten Anti-Festival-Pamphlete ausgehängt. Kontroverse Diskussionen, so sie fundiert verschiedene Gesichtspunkte vereinen und auf sachlicher Ebene geführt werden, muss der Sport aber in England (noch) nicht scheuen oder gar fürchten, zu groß ist die robuste Verteidigung der Anhänger.  Auch ein ganz aktueller Fall, in dem zwei altgediente Hindernispferde, die gemeinsam mehr als 240 Starts absolvierten hatten und nun auf einer „Schlacht-Auktion“ zu enden drohten, schlug in den sozialen Medien hohe Wellen, zeigt aber deutlich, dass der Sport sich sorgt und auch von offizieller Stelle sein Profil bezüglich Tierschutz weiter schärft.

Catrin Nack

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